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Kapitel 2: Operation „Sabra“ tritt in Kraft

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Die königliche Schwebebarke schwebte langsam und behutsam über die karge, von rotem Sand bedeckte Landschaft des Mars. An Deck räkelte sich Prinzessin Omorfo, einzige Tochter von Okorimashita Endoxa und Thronerbin des Mars, auf einem seidenen Teppich in der Sonne, umgeben von ihren persönlichen Zofen sowie einer erlesenen Handvoll Leibwächtern und Soldaten. Die blutjunge, zwölfjährige Prinzessin war - wie auf dem Mars üblich - nur leicht bekleidet. Sie trug ein bodenlanges Kleid mit gemusterten, goldenen Zierbordüren zusammen mit einem Samtcape. Ebenfalls trug sie ein Haarbanddiadem. Die sie betreuenden Dienerinnen trugen weisse Oberteile und Lendenschürze sowie cremefarbene, weitgeschnittene Umhänge. Die Neoanthropoden, welche später als Marsianer bezeichnet wurden, waren durch spezifische vorgenommene Genmanipulationen an das kühle Klima und an die stickstoffreiche Atmosphäre angepasst worden. Dies bewirkte, dass die Marsmenschen an für ungeschützte Erdmenschen tödlich tiefe Temperaturen gewöhnt waren und sie ihre Körper daher nur spärlich mit Kleidung bedeckten, die auf dem Mars eher die Stellung einer Person preisgab, als dem Schutz vor Kälte oder dem Verdecken der Scham diente (tatsächlich war der Anblick von völlig nackten Marsianern keine Seltenheit in den grösseren Siedlungen). Die Marsianer hatten eine helle, schneeweise Haut, um besser das begehrte Vitamin D der weit entfernten Sonne aufnehmen zu können. Der marsianische Haut-Ton war so ungewöhnlich weiss, wie man es früher auf der alten Erde nur bei Albinos antreffen konnte. Begleitet wurde Prinzessin Omorfo ebenfalls von Kelkantos Benevarius, einem marsianischen Veteranen der königlichen Garde und seit Kindertagen auch Vertrauten und persönlichem Aufpasser der Prinzessin. Kelkantos war ein Mann mittleren Alters und trug einen schimmernden Brustharnisch und einen braunfarbigen Lendenschurz sowie dunkelbraune Lederstiefel. Sein Gesicht strahlte meist tiefe Zuversicht aus, nur heute wirkte es auffällig getrübt und beunruhigt. Seine Hand glitt immer wieder erregt über den Griff seiner Uranpistole und über die Scheide seines Schwertes, welche zeremoniell an seinem breiten Multizweckgürtel befestigt waren. Er liess seine grauen Augen skeptisch über die Umgebung wandern. Es war nur allzu offensichtlich, dass er innerlich einen Vorfall erwartete und sich überlegte, wie er im Notfall am besten reagieren sollte. Wie sollte er sich wohl am besten positionieren, wie verhalten, um die Prinzessin effektiv schützen zu können? Omorfo stupfte ihn spielerisch mit den Fingern an die Hüfte.

„Was beunruhigt dich, mein grosser, starker Kelkantos? Gibt es etwas, womit du nicht fertig werden könntest? Hält Vater womöglich fälschlicherweise so grosse Stücke auf dich? Hast du nicht den furchterregenden Dinosauriern auf der Venus tapfer die Stirn geboten? Die grossen, menschenfressenden Motten auf dem Erdenmond mit blossen Händen erwürgt? Du stärkster aller Starken, du Muskelberg aus Stahl!“

Sie spannte ihre Armmuskeln an und ahmte einen seine Muskeln präsentierenden Athleten nach.

Ein amüsiertes Lächeln huschte über Kelkantos steife Miene. Der Sarkasmus, der herausfordernd in ihrer Stimme lag, lenkte ihn von seinen düsteren Vorahnungen etwas ab und vertrieb seine Angespanntheit merklich. Dinosaurier auf der Venus? Riesenmotten auf dem Mond der alten Erde? Woher kamen ihr bloss solche Ideen? Womöglich aus diesen Schundheften und Holofilmen, welche ihr so gut gefielen.

„Verzeiht mir, es ist nichts, Eure Hoheit. Die jüngsten Ereignisse auf dem Saturn haben mich lediglich ins Grübeln gebracht. Der bizarre Tod des Grossherzogs scheint keiner Logik zu folgen. Wer verfällt denn in der heutigen Zeit noch urplötzlich wie aus dem nichts auf einmal komplett dem Wahnsinn? Und dazu noch Jemand, der über die allerbesten Ärzte und Medizintechnologie verfügt? Wieso haben seine Mediziner von seinem aufziehenden Wahn niemals irgendetwas bemerkt? Nein, darauf kann ich mir keinem Reim machen. Es muss mehr dahinterstecken. Soweit ich das sehen kann, profitiert nur eine einzige Person von diesem Unglück.“

Das Mädchen griff in einen bereitstehenden Kühlbeutel und zog eine Flasche heraus.

„Hier Kelkantos, nimm einen erfrischenden Schluck von dem Briar-Nektar! Das entspannt dich und schont deine Nerven!“

Kelkantos nahm, wie ihm geheissen war, einen grossen Schluck und fühlte sich danach tatsächlich ungewohnt revitalisiert. Er fühlte sich nun wie nach einem belebenden Bad.

„Nur der Baron…, den Baron des Jupiters meine ich, ging als Gewinner aus dieser Situation hervor. Ja, er muss insgeheim etwas damit zu tun haben. Wahrscheinlich war er es, der seinen Cousin irgendwie manipuliert hat. Vielleicht sind die Behauptungen vom Selbstmord des Grossherzogs komplett erfunden und der Baron hat ihn durch eine Kompanie seiner scheusslichen Ungeheuer töten lassen.“

Die Prinzessin lachte laut auf, so dass ihre Zofen ebenfalls kichern mussten.

„Du redest wirres Zeug. Reiner Unfug ist das. Baron Omnios ist ein galanter und höchst zivilisierter Edelmann! Er ist für seine grosse Menschenliebe weitgehend bekannt! Er finanziert privat Ernährungsprogramme, welche Millionen Menschen und viele Völker auf den verschiedensten Welten speisen und kleiden. Er hat ebenfalls hohe Geldsummen dafür verwendet, um Kunstgegenstände und Artefakte von der alten Erde pflegen und restaurieren zu lassen. Welcher Schurke würde solche Dinge tun? Ausserdem waren Omnios und sein Cousin Kaitman Nebulon beste Freunde seit ihrer Kindheit! Nein, du siehst Gespenster, mein lieber Kelkantos! Du solltest dich wirklich schämen, so etwas schlimmes auch nur schon zu denken!“

Diese Unterhaltung verlief ungeplant. Kelkantos Benevarius lehnte sich ungehalten an einen Balken der an ein übergrosses altägyptisches Schilfboot erinnernden Barke. Er schenkte den Worten der Prinzessin nur unterschwellig Aufmerksamkeit. Sie war jung, zu jung und viel zu naiv, wie die meisten Jugendlichen es seit Anbeginn der Zeit waren. Ihre Vertrauensseligkeit gegenüber fast allen Menschen kam wahrscheinlich daher, weil sie ihr Leben lang stets von ergebenen Dienerinnen und Wachen umgeben war. Sie hatte niemals einen Grund gehabt, um an irgendjemandem Zweifel zu hegen. Er hingegen hatte viele Schlachtfelder gesehen und kannte nur zu gut die Brutalität der Menschen, insbesondere die der weithin gefürchteten Krieger des Jupiters. Ihre Kämpfer waren teilweise stark genveränderte Abscheulichkeiten, welche einmal entfesselt, sich wie wild gewordene Berserker auf ihre Ziele stürzten und diese in Stücke zerfleischten. Sie besassen nur noch rudimentär menschliche Gestalten und erinnerten eher an mannsgrosse, zweibeinige Hunde. „Hunde des Krieges“, er hatte diesen Begriff von verängstigten, halbtoten Soldaten gehört, welche diesen Kreaturen begegnet waren. Obwohl diese abartigen Biester nur einen Bruchteil der Jupiterarmee ausmachten, waren sie zu ihren schrecklichen Repräsentanten auf den Kriegsschauplätzen geworden. Sie waren tatsächlich gefürchteter als die gewaltigen Kampfroboter des Jupiters, welche mühelos ganze Städte in Schutt und Asche legen konnten. Der Name „Lycanthrop“ schnellte es durch sein Gehirn. Es hatte zwar auch Lykanthropen auf anderen Welten gegeben, aber die Jupiter- Lykanthropen waren durch ihren blutrünstigen Ruf bei weitem die bekanntesten des Sonnensystems geworden.

„Eine schreckliche, unmenschliche Reputation haben sie sich erwirtschaftet.“, sagte er zu sich selber. Vielleicht hatte sein alter Mentor Nebuyian nach allem doch Recht behalten. Er war innerlich zu wenig ausgeglichen. Kelkantos hätte sich mehr von Nebuyians stoischer Art gewünscht. Nichts hatte ihn jemals aus der Fassung bringen können. Absolut gar nichts, nicht einmal das grösste Unwetter hatte ihn ins Wanken bringen können. Er vermisste nun schmerzlich die Anleitung unter der Anwesenheit des alten Mannes. Wie lange war das nun schon her? Fünfzig Jahre? Er fühlte sich alt. Es sollte ihm jedoch keine Zeit für eine seiner ausdehnten Retrospektiven bleiben.

Ein lautes, dröhnendes Geräusch erklang auf einmal unmittelbar wie aus dem nichts. Plötzlich erbebte die gesamte Barke wie durch ein Erdbeben und warf die Soldaten und Zofen zu Boden. Eine rasch ausbreitende Feuersbrunst drang aus der Seite der Barke. Dienerinnen fielen über die Brüstungen in ihren Tod. Kelkantos warf sich blitzschnell über die erschrockene Prinzessin und rief lauthals dem Steuermann zu.

„Ausweichmanöver! Sende sofort einen Hilferuf aus! Teil allen Personen in Reichweite mit, dass wir unter schwerem Beschuss stehen!“

Er sah sich zielsuchend um. Seine Augen entdeckten einen Lichtstrahl! Er erspähte eine weit entfernte Metallreflektion im Sonnenlicht. Es war ein verchromtes Transportschiff, welches von mehreren Dutzend Kampfdrohnen begleitet wurde. Es gelang ihm aufgrund der massiven Distanz allerdings nicht festzustellen, von welcher Fraktion dieses Schiff kam. Was sollte er nun tun? Die Barke war nur schwach mit Waffen und Personal bestückt worden. Wer hätte denn schon so eine unerwartet brachiale und hintertückische Attacke auf dem sonst so geeinten Mars vorhersehen können? Marsianer betrachteten solche Attacken als ausgesprochen feige, weshalb selbst streitende Clans und sogar die Separatisten den Einsatz einer solchen hinterhältigen Methodik strikt ablehnten. Kelkantos blieb keine weitere Zeit für Überlegungen, eine weitere Salve drang weiter vorne wieder in die Seite der Barke ein und bewirkte, dass sie noch schlimmer ins Wackeln geriet. Schutt und Bruchstücke flogen wie wildgeworden durch die Gegend und es roch stark nach verbrannten Kunststoffen. Die Turbinen waren offensichtlich getroffen worden und der Pilot versuchte den freien Fall dadurch zu kompensieren, in dem er die Reserve-Aggregate aktivierte und die verbliebenen Antriebsdüsen voll auslastete, was ihm allerdings mehr schlecht als recht gelang. Kelkantos zog schnell seine Pistole und brachte die verstörte Omorfo zu dem überdachten Steuerbereich, wo sie sich auf den kühlen Boden hinsetzte.

„Worauf wartete ihr, ihr elenden Narren? Auf eure Beine! Eure Herrin braucht euch jetzt!“

Er winkte die Soldaten herrisch zu sich, welche im Zugangsabschnitt zum Unterdeck Zuflucht suchten. Die Soldaten hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten, eilten aber trotzdem, so gut es ihnen möglich war, bewaffnet und kampfbereit nach oben auf das Hauptdeck, um der Herrschertochter zu Hilfe zu kommen. Mehrere, schrille Knipsgeräusche erklangen. Als mehrere der Soldaten urplötzlich tot in sich zusammensackten, dämmerte es Kelkantos, dass auch Scharfschützen an dem Angriff beteiligt sein müssen. Löcher klafften in ihren Köpfen. Der Kommandant blickte auf und sah die Leichen der Zofen in Blutlachen am Boden liegen. Der ursprünglich samtene, cremefarbene Teppich der Prinzessin war nun zu einem grausigen, rot verschmierten Leichentuch geworden. Der eigentlich so unbekümmert begonnene Tag hatte sich zu einem Albtraum gewandelt und zahlreiche Opfer gefordert. Kelkantos sah sich um. Alle bis auf ihn, Omorfo und der Pilot waren tot. Jeder Soldat und jeder Wächter war im Handumdrehen ausgeschaltet worden. Er allein stellte jetzt also die letzte Linie der Verteidigung dar. Das angreifende Transportschiff flog dröhnend auf die Prunkbarke zu und bremste seine Beschleunigung erst, kurz bevor es sie rammte, abrupt ab. Jedoch war der Anflug derart heftig gewesen, dass die Barke um ein Haar ins Kentern gebracht worden war. Die begleitenden, an schwarzgelbe Riesenhornissen erinnernden Drohnen umzingelten das angeschlagene Schwebeschiff wie ein gieriger Schwarm. Mehrere zogen Kreise um ihr Ziel. Der Transporter öffnete seine Seitenschleuse und mehrere, unterschiedliche, fremdartig anmutende Wesen verliessen das schlagkräftige Raumfahrzeug. Einige der menschlichen Aggressoren trugen dunkelgrüne, gepanzerte Druckanzüge und an menschliche Schädel erinnernde Helme, an denen sich an der Seite angebrachte Schläuche befanden, welche in Atemtanks auf den Rücken mündeten. Augenscheinlich konnten zumindest einige der feindlichen Einheiten nicht vom Mars stammen. Druckanzüge und beheizte, mit Atemgeräten versehene Harnische wären für Marsianer überflüssig gewesen. Die Angreifer kamen langsam näher. Die tiefen, metallenen Atemgeräusche der Respiratoren waren erschreckend deutlich hörbar. Andere der Gegner waren an die Atmosphäre angepasste Lykanthropen, dieselbe Spezies, an welche Kelkantos erst vor kurzem noch gedacht hatte. Die Lykanthropen waren fast nackt und trugen nur an altägyptische Shenti erinnernde, um die Hüften gegürtete Wickelröcke und Munitionskanister auf den Rücken. Kelkantos war erstaunt über ihre geringe Ausstattung und den Mangel an Rüstungsschutz. Lykanthropen waren zwar von Natur aus äusserst robust, aber trotzdem war es ungewöhnlich, wie gering die Anwesenden gerüstet waren. Keine Harnische, keine Helme, keine Panzerhandschuhe, keine Raketenrucksäcke, keine Zielerfassungsscanner oder Hieb und Stichwaffen. Wer auch immer der Herr über diese Biester sein musste, er hatte offenbar kein länger dauerndes Scharmützel eingeplant. Kelkantos stellte sich auf sein starkes Bein und zog langsam sein Schwert aus der Scheide, dabei stellte er sich schützend vor die Prinzessin, jederzeit den Todesschuss oder –stoss erwartend. Durch die Explosionen hatte er zwar einige üble Verbrennungen davongetragen, liess sich jedoch von den Schmerzen, die er empfand, nichts anmerken. Mit der rechten Hand hielt er einen Fetzen Stoff, welchen er von dem Gewand einer Leiche abgerissen hatte, auf eine tiefe, klaffende Brustwunde. Wenigstens war die Prinzessin vor Schäden bewahrt worden. Er musterte ihren Körper. Da befanden sich keine Verbrennungen oder Schnitte. Eine Zeit lang herrschte bis auf die schnaufenden Atemgeräusche der Atemgeräte auf dem Oberdeck völlige Stille. Omorfo blickte verängstig hinter Kelkantos hervor, sie wollte unbedingt einen besseren Blick auf die Eindringlinge erhaschen. Nach einer Weile, einer gefühlten Ewigkeit, teilte sich die sie umgebende Menge und einer der Angreifer trat vor, offenbar ihr Anführer. Es war ein blauhäutiger Mann in einem Ledermantel. Sein meeresbläuliches, durchsichtiges Gesicht, welches den Blick auf die vielen Servomotoren freigab, welche seine künstlichen Gesichtsmuskeln kontrollierten, glich einer geisterhaften Maske und durch die unnatürlich blauen Augen wirkte sein Blick geradezu durchbohrend. Seine klirrenden und scheppernden Schritte klangen wie das Geräusch von Reitersporen, welche an dem Boden aufklangen.

„Ein Cyberbot B12-Androide?“, schnellte es durch Omorfos Geist. Sie kannte dieses Model aus einem Sol-Net Bericht, den sie vor kurzem gelesen hatte. Diese hochintelligenten und sehr leistungsfähigen Roboter fungierten meistens als taktische Einheiten im Militär von Raumflotten. Sie koordinierten unter normalen Umständen Truppenverbände und erteilten den Generälen und Admirälen in den Raumflotten Ratschläge unterschiedlichster Art. Sie konnten innert Nanosekunden komplexeste Berechnungen und Schlachtfeldsimulationen durchführen. Eine Art „elektronischer“ Chefstratege also. Das pragmatische und emotionslose Auftreten der Denkmaschine wirkte geradezu niederträchtig kalt. So trat der Androide ohne mit der Wimper zu zucken auf die Körper der jüngst Verstorbenen. Er stellte sich erschreckend nahe vor Kelkantos und umfing dessen gezogene Klinge mit seiner rechten, stählernen, skelettartigen Hand.

„Lassen wir diese übertriebene Zurschaustellung von Ritterlichkeit. Ich schlage vor, um weiteres, unnötiges Blutvergiessen zu verhindern, dass Ihr Eure Waffen niederlegt, Kommandant Kelkantos Benevarius. Ja, wir wissen, wer Ihr seid. Unser Treffen ist minutiös geplant geworden. Es wäre sehr unschön und im höchsten Masse bedauerlich, wenn wir Eure Gehirnmasse auf die Prinzessin verteilen müssten.“

Kaum hatte der Maschinenmensch die Worte ausgesprochen, richteten alle feindlichen Einheiten ihre Waffen auf Kelkantos. Der Veteran blickte in die Läufe der Waffen. Sogar die in der Luft stehenden Drohnen folgten der eben ausgesprochenen Drohung und hatten ihn direkt ins Visier genommen. Der innerlich bebende Kelkantos konnte an den sich verändernden Kamera-Objektiven der Drohnen deutlich erkennen, wie sie ihre Zielerfassung neu justierten und ihn auf das Korn nahmen. Die Waffenmündungen waren wie geschliffene Speere auf ihn fokussiert.

„Wer seid ihr? Wie habt ihr das planetare Verteidigungsnetz durchbrochen?“ knurrte Kelkantos angeschlagen. Über das Gesicht der Maschine kam nun eine hämische Fratze, die sogar einen erfahrenen Veteranen durchzucken liess.

„Gar nicht. Wir haben es gar nicht penetriert.“

In Kelkantos Augen blitzte ehrliche Verwunderung auf.

„Oh, es ist kein übernatürliches Phänomen, aber trotzdem ein für euch undurchschaubares Mysterium, nicht wahr? Wir Denkmaschinen lieben Rätsel. Aber wir haben jetzt weder die Zeit noch die nötige Umgebung für solcherlei Spiele. Wir sind bereits seit einigen Jahren auf dem Mars und haben nur auf den Befehl zu unserem Übergriff gewartet. Sehen sie, diese Konfrontation hier ist seit langem akribisch vorbereitet worden. Meine Anwesenheit als befehlshabender Kommandant und Chefanalytiker ist ebenso wenig dem Zufall entsprungen.“

Der stählerne Kaptor fuhr mit seinen Ausführungen fort:

„Sie haben zweifellos versucht, Hilfe zu rufen. Ich muss Sie leider enttäuschen: wir haben Sie bewusst in diesem Teil der Wüste geentert, wo sich ein Kommunikationsloch befindet. Es misst aufgrund von Mineralien in dem umgebenden Gestein allerdings nur wenige hundert Meter, Sie können sich daher vorstellen, mit welcher chirurgischen Präzision wir sie getroffen haben.“

Die Gesichtszüge der Maschine schienen nun eine selbstsichere Miene wiederzugeben.

„Emotionen“ dachte die Prinzessin. Ein Cyberbot B12-Androide, der über Emotionen verfügt, und sogar kleinste sprachliche Anspielungen und die Mimik von Menschen versteht und darin lesen kann? Das war kein normales Serienmodel. Die gewöhnlichen Modelle konnten ausserdem nur rudimentär sprechen und Fragen verstehen. Das musste eine hochteure Spezialanfertigung nach Mass sein. Aber wer hatte schon das nötige Geld sowie die unerlässlichen Beziehungen zu dem umfangreichen Cyberbot Galaxiakos Gross-Konzern, um ein solches Unikat verlangen zu können? Zumindest keine feindselige Splittergruppe oder unzufriedenen Bürger. Hier kamen nur mächtige, planetare Herrscher in Frage. Oder vielleicht eine unbekannte, dunkle Bedrohung.

„Es hilft nichts, ich muss wohl deutlicher werden“, meinte der Androide und feuerte ohne Vorwarnung aus einer unter seinem Mantel getarnten Armkanone einen Schuss ab, der den inzwischen am Boden knienden und eifrig um Rettung betenden Piloten sofort tötete. Der Pilot sank verstummt in sich zusammen und fiel nach hinten auf den Boden. Der Boden um seinen Kopf färbte sich rot. Reste seiner Hirnmasse klebten nun an Kelkantos Gesicht. Dieser liess sich jedoch davon nichts anmerken. Er musste überlegt handeln. Sinnlose Emotionen hatten in einer Kampfsituation keinen Platz.

Die Prinzessin kämpfte gegen ihre Tränen an: „„Anilikos“ hatte ihn seine Mutter stets gerufen…“

Omorfo kannte den Piloten bereits seit Ihrer frühen Kindheit. Seine Mutter war am Hof eine niedere Dienerin gewesen und Omorfo hatte sich ab und an (unter der wachsamen Aufsicht von Kelkantos) unerkannt unter die Kinder der Dienerschaft gemischt, welche sich im Innenhof des Palastes aufhielten und spielten. „Anilikos“ („Der Kleine“ im Griechischen der alten Erde) hiess tatsächlich Ereborn und war stets so nett zu ihr gewesen, auch als er noch nicht wusste, dass sie die Tochter des Königs war. Sie hatten oftmals zusammen Abenteuer erlebt. Die Erinnerungen liefen wie ein Film vor ihren Augen ab. Das lange vergessene Gefühl kindlicher Unschuld und Fröhlichkeit sprühte wieder wie Funken in einem Feuer in ihrem Gedächtnis auf, nur um wieder von der grausamen Realität eingeholt zu werden.

„Nein, wie bedauerlich.“

Ein diabolisch-hämischer Sarkasmus schwang in der künstlichen Stimme der Maschine mit. Der künstliche Mensch packte den Leichnam des Steuermannes, hob ihn mühelos mit einer Hand auf und warf ihn wie Müll von dem Oberdeck der Barke auf den roten Sand hinunter. Danach wandte er sich wieder um und schritt wieder unangenehm nahe auf Kelkantos und die hinter ihm Schutz suchende Prinzessin zu. Seine klirrenden Schritte waren neben den hin und wieder ertönenden Atemgeräuschen aus einiger Distanz wieder das einzige, was man hören konnte. Eine unheimliche Stille herrschte. Seine visuellen Rezeptoren, welche seine Variante von Augen waren, strahlten ein unangenehmes, schwach schimmerndes blaues Licht aus.

„Wie wollt Ihr es haben, Hochwohlgeboren? Soll ich euren letzten Begleiter, Euren aufopfernden Beschützer ebenfalls den kalten Händen Charons übergeben? Nein? Ich schlage vor, dass Ihr die Ausweglosigkeit Eurer Situation akzeptiert und Euch uns ergeben werdet.“

Einer der Lykanthropen flüsterte in einer den Marsianern unbekannten Sprache etwas in die auditiven Rezeptoren des blauen Androiden. Einer der Soldaten in den Raumanzügen bestätigte die Aussage des Lykanthropen: „Was er sagt, stimmt, Herr.“

Der Androide hielt kurz inne. Offenbar ging er verschiedene Simulationen durch. Dabei wirkte er fast, als ob er zu einer Statue erstarrt wäre. Auf einmal machte er schlagartig eine blitzschnelle Bewegung, so schnell, dass Kelkantos nicht wusste, wie ihm geschah. Er bemerkte auf einmal, dass sich sein Unterleib blutig verfärbte. Sich kaum noch auf den Beinen haltend, fiel er auf seine aufgeschürften Knie. Er sah den Androiden an, der eine blutverschmierte, an einen langen, symmetrischen Dolch erinnernde Klinge unter dem Ärmel seines Mantels verschwinden liess. Er hatte ihn getroffen, ohne dass er dies bewusst wahrnehmen konnte. Alles war im Bruchteil einer Sekunde geschehen. Maschinen waren schneller als Menschen. Der Androide schubste ihn mit einem Tritt zur Seite und ergriff Omorfo am Handgelenk. Obwohl sie sich wie wild sträubte, nützte das alles nichts. Der Androide injizierte ihr ein Schlafmittel, welches er ihr per Injektionspistole in den Nacken spritzte. Sie wurde ermattet wider Willen in das Innere des Transportschiffes verfrachtet. Kelkantos erhob schwach seine Hand, nur um sie zitternd und erschöpft wieder schnell zu Boden fallen zu lassen. Seine Sinne schwanden dahin, er konnte nur noch verschwommen das schreckliche, blaue Gesicht seines Mörders erkennen und es fiel ihm Zusehens schwer, noch richtig hören zu können. Alles klang wie aus weiter Ferne:

„Ich habe sämtliche ihrer lebenswichtigen Organe und nicht wenige Ihrer am besten durchbluteten Venen getroffen. Sie werden in Kürze tot sein, Benevarius. Jeglicher Widerstand ist völlig sinnlos. Der Tod wird Sie schon sehr bald ereilen. Sie machen besser Ihren Frieden mit Ihren Mars-Göttern.“ Der Maschinenmensch dreht sich um und wies seine Begleiter ebenfalls an, die Barke zu verlassen.

Die Angriffstruppe sammelte sich wie befohlen und bordete das Transportschiff. Kelkantos sah mit seinen Augen wie durch ein milchiges Glas, wie der Ausstoss aus purem Feuer aus den Hecktriebwerken quoll, welcher das Raumschiff innert kürzester Zeit auf eine ungeheure Geschwindigkeit beschleunigte. Im Bruchteil einer Sekunde hatte es sich von seiner vollen Grösse zu einem funkelnden Punkt am Himmel verwandelt. Die meisten der Drohnen begleiteten das Raumschiff, bis auf eine einzige, welche einen genügend ausgedehnten Sicherheitsabstand zu der Barke einnahm und dann Ihre Raketenrohre lud. Auf der Seite war die Einschiebung von neuer Munition deutlich erkennbar. Kelkantos zog ein Götteramulett aus seinem Brustharnisch und küsste es. Da lag Frieden in seinem Gesichtsausdruck, er hatte eine ungeahnte Entspannung erreicht. Er genoss diesen kurzen Augenblick der Ruhe und sammelte sich. Jeder Soldat der Marsianer erwartete den Tod mit offenen Armen, nur um der unaussprechlichen Schande des entehrten Todes im heimatlichen Bett entkommen zu können. Sein Schicksal war unerwartet plötzlich über ihn gekommen, jedoch empfand er in seinem Inneren ein tiefgehendes Gefühl von Ruhe und Frieden. Seine einzige Sorge galt trotz seiner schlimmen, eigenen Situation immer noch nur Omorfo. Er machte mit seiner Hand kreisrunde Bewegungen über den Anhänger mit dem Abbild des Gottes Mars:

„Ihr Götter… Mars, Vater aller Krieger. Lass die Prinzessin nicht leiden. Ich flehe dich an…“

Eine abgefeuerte, kreischende Rakete drang in den Bug der einst so prunkvollen Barke ein und ein grelles Licht verschlang den sterbenden Marskrieger. Die Barke verwandelte sich einem gleisenden Feuerball, der das mitgenommene Gebilde in seine Atome zerbersten liess. Kelkantos Benevarius war nicht mehr. Nie wieder würde er sein Schwert zum Ruhme des Mars im Kampfe erheben können, nie wieder nachts die kalte Wüste durchstreifen, die er so sehr geliebt hatte.

Autokrator Planetaris

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