Читать книгу Lucy Heyer-Grote (1891-1991): - Yael Naomi Berit Gsell - Страница 7
Оглавление1. Einleitung
Jedes Leben hat eine Geschichte zu erzählen, und oftmals bleibt sie unerzählt. Wenngleich vielleicht nicht jeder Mensch ein, aus der Sicht der Gesellschaft, "interessantes" Leben führte, hinterliess er doch irgendwo seinen Fussabdruck. Dies bewegte mich dazu, für meine Masterarbeit, in der Universitätsbibliothek einen Nachlass auszuwählen, von dem bisher keine Biografie existierte und daraus eine Biografie zu schreiben. In Beratung mit meinen beiden Betreuern Herrn Prof. Lengwiler und Herrn Dr. Heiligensetzer fiel die Wahl auf den Nachlass von Frau Lucy Heyer-Grote (Handschriften. Sign.: NL 335).
Zu Heyer-Grote gab es bisher nur wenige und knapp biografisch verfasste Aufsätze, aber keine eigenständigen Biografien. Stefan Dietrich gibt in seinem Buch "Atemrhythmus und Psychotherapie. Ein Beitrag zur Geschichte der Psychosomatik und ihrer Therapien" einen groben Überblick über Heyer-Grotes Leben. Doch leider sind darin einige Angaben fehlerhaft. So war bspw. Heyer-Grote bereits 1911 immatrikuliert, und nicht erst 1912, wie Dietrich schreibt. Auch dass sie 1930 mit ihrer Tanz- und Gymnastikschule aufhörte, stimmt nicht. Heyer-Grote führte ihre Schule auch nach 1930 noch weiter1.
Der Nachlass setzt sich aus handschriftlichen Dokumenten (wie Tagebücher, Traumtagebücher, Agenden, Korrespondenzen, Manuskripte) und gedruckte Dokumente (wie Zeugnisse, Zeitungsartikel und Zeitschriften mit Heyer-Grotes Aufsätzen) und schliesslich auch Fotografien zusammen. Bis auf die Zeugnisse, mehrere Korrespondenzen, ein paar Manuskripte anderer Autoren und Zeitungsartikel, sind die Dokumente hauptsächlich von ihr selbst verfasst. Die meisten Dokumente entstanden in München, Heidelberg und Basel zwischen 1917 und 19882.
Mein erster Eindruck vom Nachlass war sehr positiv, schien er doch alles Wichtige zu enthalten, so unter anderem ja auch Tagebücher und Agenden, die mir den Einblick in Heyer-Grotes Leben erleichtern sollten. Bei der intensiveren Auseinandersetzung mit dem Nachlass fiel allerdings auf, dass der Nachlass von der Nachlasserin nicht nur schön geordnet worden war, sondern auch kaum Korrespondenzen enthielt. Hinarbeitend auf das Verfassen einer Biografie über sich selbst, begann Heyer-Grote ihren Nachlass zu ordnen. Dabei sortierte sie auch viele Korrespondenzen aus. Wie viele und welche weiteren Dokumente ebenfalls entsorgt wurden, ist unklar. Auf diese Problematik wird im nächsten Kapitel noch näher eingegangen.
Bei der Wahl des Titels ging es darum auch Heyer-Grotes Leben darin einzubinden. Anhand ihres Nachlasses kann nicht nur ihr Leben rekonstruiert werden, sondern auch ein Bild einer, für ihre Generation äusserst emanzipierten Frau skizziert werden: Sie durchlebte ein ganzes Jahrhundert (erlebte zwei Weltkriege, sowie Einführung des Frauenstimmrechts) und gehörte zu den ersten Frauengenerationen, welche Abitur machten und studierten3. Sie war für ihre Zeit, resp. Generation eine sehr selbständige und selbstsichere Frau aus gutbürgerlichem Hause, welche sich auch beruflich von ihrem Manne unabhängig machte und sich ihren eigenen Lebensunterhalt als Tanz- und Atemtherapeutin, Psychologin sowie Übersetzerin verdiente4.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Lucy Heyer-Grotes Leben nicht nur zu skizzieren, sondern sie selber und ihre Arbeit in einen zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext zu setzen. Zudem sollte die heutige Rezeption von Heyer-Grotes Arbeit untersucht werden. Leider gibt es einige Lücken aufgrund fehlender Dokumentation: Die Suche nach weiterführenden Unterlagen und Literatur endete häufig in Sackgassen. Zum einen konnten keine Unterlagen gefunden werden (gerade während dem zweiten Weltkrieg gingen bei der Bombardierung Deutschlands zahlreiche Dokumente verloren), zum anderen wurde aus Gründen des Personenschutzes die Auskunft verweigert. Während des Verfassens meiner Masterarbeit reichte auch die Zeit nicht, allen möglichen Ideen, Richtungen, Spuren nachzugehen und weitere Quellenorte aufzuspüren und zu konsultieren. Bereits während des Verfassens meiner Masterarbeit gelang es mir Menschen aus dem näheren Umfeld Heyer-Grotes zu kontaktieren und von ihnen weitere, andere Sichtweisen zu Heyer-Grotes Leben zu erfahren. Was die heutige Rezeption betrifft, wird Heyer-Grote zwar noch in diversen Sekundärliteraturen, welche Atem- und Bewegungstherapie allgemein thematisieren, am Rande erwähnt (Bspw. in Von Steinaecker, Karoline: Luftsprünge. Anfänge moderner Körpertherapien, München 2000). In wie weit aber, die von ihr, entwickelten Methoden in den heutigen Atem- und Bewegungstherapien anderer Therapeuten zugegen ist, ist leider nicht feststellbar5. Die Biografie ist in erster Linie chronologisch aufgebaut und, für eine einfachere Übersicht über Heyer-Grotes Leben, thematisch (in Privatleben und Arbeit) unterteilt.
Zu Beginn der Biografie bis zu ihrer Heirat mit Gustav Richard Heyer (1917) wird sie stets Lucy Grote genannt. Nach ihrer Hochzeit wurde sie in der vorliegenden Arbeit einfachheitshalber mit Heyer-Grote bezeichnet. Heyer-Grote nannte sich selbst nach der Heirat (bis lange nach der Scheidung) Lucy Heyer. Erst mit ihrer Rückkehr in die Schweiz 1953 benutzt sie den Doppelnamen Heyer-Grote6.
Da aus ihrer Kindheit nur wenig bekannt ist, gibt es dazu nur ein kleines Kapitel vorab. Die Biografie selbst setzt zu Beginn ihrer Studienzeit ein und beschreibt ihr Leben bis zu ihrem Tode. Wie bereits oben erwähnt und im nächsten Kapitel thematisiert, bleibt einiges ungeklärt. Dennoch war es möglich, einzelne Aspekte ihres Lebens herauszugreifen und näher darzustellen.
1 Es gibt noch mehr Unstimmigkeiten, auf die in der vorliegenden Publikation aber nicht weiter eingegangen wird. Dietrich, Stefan: Atemrhythmus und Psychotherapie. Ein Beitrag zur Geschichte der Psychosomatik und ihrer Therapien. Bonn 1995, S. 30-31. Universitätsbibliothek Basel (UB Basel), NL 335, A Ia 3 (Lebenslauf 1891-1953); A Ia 5 (Lebenslauf von 1891-1973); A Ib 1 (Zeugnis der Universität München 1912); A IIb 2 (Werbung für Gymnastik- und Tanzschule, September 1930).
2 Die vorliegende Arbeit baut hauptsächlich auf Quellen aus dem Nachlass auf.
3 Bereits 1869/1870 wurde einer Frau (der Russin Sofja Kovalevskaja) erlaubt in Heidelberg Vorlesungen zu besuchen. Lange wurden die Frauen aber weder immatrikuliert noch erhielten sie einen Bestätigungsschein, dass sie Vorlesungen besucht haben. Auch konnte ihnen jederzeit die Erlaubnis wieder entzogen werden. 1899 gab es erste Abiturientinnen des Karlsruher Mädchengymnasiums. 1900 wurden an der Heidelberger und Freiburger Universität die ersten Frauen (insgesamt neun Studentinnen) immatrikuliert. Drei Jahre später wurde auch in Bayern das Frauenstudium eingeführt. An der Münchner Universität immatrikulierten sich 26 Frauen. Birn, Marco: Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland, Heidelberg 2015, S. 21-22, 28, 29, 32, 118.
4 UB Basel, NL 335, A Ia 1, (Lebenslauf von 1911-1953); A Ia 3; A Ia 5.
5 Heyer-Grote hatte auch Schüler, denen sie ihre Atem- und Bewegungstherapien vermittelte. Leider konnte bei der Recherche nach Rezeption nur von einer Schülerin der Name herausgefunden werden: Marion Rosen (*24. 6. 1914 in Nürnberg, †18. 1. 2012 in Berkeley/Kalifornien). Rosen war während dem zweiten Weltkrieg nach Amerika ausgewandert und entwickelte auf dem Weg dorthin, durch andere weitere Einflüsse ihre eigene Therapie, die "Rosen-Methode". Mehr zu Marion Rosen finden Sie im Kapitel 4. 2. 1 Ihre Atemtherapie. Talisman, Nomi/ Hibbert-Jones, Dee: "Marion Rosen talks about her training with Lucy Heyer", Interview 2008, zu finden auf: https://vimeo.com/64249909, letzter Zugriff: 28. 11. 2018. Talisman, Nomi/ Hibbert-Jones, Dee: Marion Rosen shares personal history, and how she came to Berkeley, CA, Interview 2005, zu finden auf: https://vimeo.com/61471414, letzter Zugriff: 28. 11. 2018. Mayland, Elaine L.: Rosen-Methode Körperarbeit, Bühl/Baden 2010, S.18-19. Dr. Malin, Lisa: Mail zur heutigen Rezeption von Lucy Heyer-Grotes Arbeit, 23. 11. 2018. Knoop, Juliane Maria: Marion Rosen, Rosen-Methode, Bühl-Waldmatt 2018, zu finden auf: http://www.rosenmethode.de/?page_id=40, letzter Zugriff: 15. 12. 2018. Knoop, Juliane: Mail zur Rosen Methode und möglicher Verbindung zu Heyer-Grotes Arbeit, 17. 12. 2018. Von Steinaecker, Karoline: Luftsprünge. Anfänge moderner Körpertherapien, München 2000, S. 157-158.
6 Ihre Familie und einige Freunde (wie beispielsweise F. K.) nannten Heyer-Grote auch Lux oder Luxerl. Nach ihrer Heirat mit G. R. Heyer erschienen bis 1954 ihre Aufsätze unter dem Namen Lucy Heyer. Erst ab 1956 benutzt sie ihren Doppelnamen Heyer-Grote. UB Basel, NL 335, B1 (1953-1954, Heyer, Lucy: Für die Praxis Atemtherapie. In: Die Heilkunst, Heft 12, München Dezember 1954, S. 410-414); B1 (1955-1970, Heyer-Grote, Lucy: Bewegungs- und Atemtherapie. In: Frankl, Viktor E./ Freiherr vom Gebsattel, Victor E./ Schultz, J. H. (Hrsg.): Sonderdruck aus Handbuch der Neurosenlehre und Psychopathen, München und Berlin 1956, S. 299-311); C II 50, 2 (Brief von F. K. an Lucy Heyer-Grote, 21. 5.1961).