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Kapitel 2 - Mühlhausen, 8. April 1941

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»Was ist denn heute mit dir los? Du bist so schweigsam.« Besorgt versuchte Luise, das Verhalten ihres Verlobten zu deuten. In den vier Wochen seit seinem Antrag war er stets humorvoll und unterhaltsam gewesen. Dass ihn irgendetwas beschäftigte, war unübersehbar.

»Es hat mit der Arbeit zu tun. Ich möchte dich aber nicht damit belasten.« Ernst sah sie nur kurz an und dann gleich wieder in die Ferne. Eine steile Falte zerfurchte seine Stirn oberhalb der Nasenwurzel.

»Heißt es nicht, in guten wie in schlechten Zeiten? Wenn wir erst verheiratet sind, werden wir uns doch auch alles anvertrauen.«

Der junge Mann schnaubte. Seine Miene wechselte von Selbstironie über Ärger zu ... ja, was war das für ein Ausdruck? Luise meinte Furcht in den Gesichtszügen zu erkennen. »Komm, setzen wir uns und reden!« Sie führte ihn zu einer Bank in der kleinen Parkanlage am Pfortenteich, wo sie täglich nach der Arbeit spazieren gingen, bevor Ernst sie heimbrachte.

Erfreulicherweise war nun endlich der Frühling eingekehrt. Nur noch wenige schmutzige Schneeflecken in schattigen Ecken zeugten davon, dass der Winter gerade erst vorüber war.

Auch nachdem sie sich hingesetzt hatten, schwieg Ernst weiterhin. Er schien nach Worten zu suchen.

Allmählich beängstigte Luise die Situation. »Es wird doch kaum so schlimm sein, dass du mir nicht sagen kannst, was dich bedrückt?« Für einen Moment hatte sie das Gefühl, dass ihr Herzschlag aussetzte, um kurz darauf in solch einem rasenden Tempo weiterzuschlagen, dass ihr schwindlig wurde.

Luise griff sich mit zitternden Händen an den Hals, der wie ausgedörrt zu sein schien.

Endlich löste sich Ernst aus seiner Starre. »Luise, was ist? Geht es dir nicht gut? Du bist ja ganz blass!« Er sprang auf, ging vor ihr in die Hocke und sah zu ihr auf. »Luise, du machst mir Angst! Leg dich hin, bevor du mir noch umkippst!« Hastig schälte sich Ernst aus dem Mantel und legte ihn ausgebreitet auf die Bank.

Nachdem sie sich hingelegt hatte, kehrte Farbe in ihre Lippen und Wangen zurück, was ihn ein wenig beruhigte. »Geht es dir jetzt besser?«

Luise nickte peinlich berührt und wollte sich wieder aufrichten, als Ernst sie daran hinderte. »Bleib lieber noch einen Moment liegen!«

Sie zog die Beine heran und rutschte weiter in Richtung ihrer Füße, sodass er neben ihrem Kopf genügend Platz fand, um sich zu setzen.

Für einen Augenblick überlegte er, wo er anfangen sollte, damit sie auch verstand, was in ihm vorging, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass wohl niemand sich in ihn hineinversetzen konnte, selbst Luise nicht. Seufzend begann er zu erzählen. »Nach dem Tod meines Vaters war es an mir, mich um Großmutter zu kümmern. Es lag in meiner Verantwortung, dass es ihr an nichts fehlt. Ich war nun der Mann im Haus und froh über die Anstellung als Pfleger in Pfafferode. Es gibt genügend Männer meines Alters, die entweder in einer der Rüstungsfabriken in der Stadt schuften oder an der Front, um für Volk und Vaterland kämpfen.« Er zögerte einen Moment, bevor er weiterredete. »Ich lehne jede Form der Gewalt ab. Ich würde niemals eine Waffe gegen einen Menschen richten, geschweige denn, ihn damit töten. Das tue ich aus tiefster Überzeugung. Umso schlimmer ist es für mich, dass ich indirekt dabei helfe, Menschen in den Tod zu schicken.«

Hastig richtete sich Luise auf. Erneut wurde ihr für einen Moment schwindlig. Ihre Besorgnis über das, was Ernst ihr zu erzählen versuchte, überwog jedoch, sodass sie das Schwindelgefühl ignorierte und nach seiner Hand griff. Sie hätte ihm gern tausend Fragen gestellt, ahnte aber, dass sie ihn nicht unterbrechen durfte.

»Morgen ist es wieder soweit. Gleich in der Frühe wird ein Bus vor dem Haus halten, in dem ich arbeite, und neunundzwanzig meiner Patienten abholen. Zusammen mit weiteren vierzehn aus anderen Abteilungen werden sie nach Altscherbitz gebracht.« Ernst holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Von da aus werden sie weiterverlegt ... nach Bernburg, um dort getötet zu werden. Das ist, soweit mir bekannt ist, nun schon der sechste Transport dieser Art und ich weiß nicht, wie ich das mit meinem Gewissen ausmachen soll. Im Grunde mache ich mich doch genauso schuldig, als würde ich sie selbst töten.« Aufgebracht raufte er sich die Haare, sodass sie wild in alle Himmelsrichtungen von seinem Kopf abstanden. »Aber ich brauche diese Arbeit. Was soll ich denn sonst tun? Wie soll ich mich weiter um meine Oma kümmern und um dich, wenn ich kein Geld verdiene?«

Luise schwieg. Sie hatte schon von den schlimmen Dingen gehört, die in Pfafferode zugingen, sie jedoch als ein Gerücht abgetan. Nun erfuhr sie aus erster Quelle, dass all das Gerede hinter vorgehaltener Hand wahr war.

»Ich habe schon überlegt, Gustav um die Versetzung in eine andere Abteilung zu bitten, weiß aber, dass er die Betriebszelle der Nationalsozialisten in Pfafferode leitet. Ich fürchte, er würde meinen Wunsch als Widerstand gegen die Politik des Hauses und somit gegen die Partei und unseren Führer verstehen. Du weißt, was mit den Leuten passiert, die nicht die Linie halten?«

Nickend sah Luise in seine Augen. Sie konnte all die Qualen, die er durchlitt, darin ablesen. Aber er hatte Recht. Wie sollte er sich dagegen wehren? Die Tatsache, dass Ernst mit Gustav befreundet war, durfte ihn nicht in Sicherheit wiegen. »Warum hast du mir nicht schon eher davon erzählt?«

»Ich hatte Angst, dass du dann nichts von mir wissen willst. Ehrlich gesagt fürchte ich mich auch jetzt davor, dass du die Hochzeit absagst.«

Sein flehender Blick erreichte ohne Umwege ihr Herz. »Wie könnte ich? Du tust deine Pflicht. Du sorgst dich um deine Familie.«

»Aber es sind kranke Menschen, die unter meiner Obhut stehen. Sie haben auch Familien ...«

»Ja, Verwandte, die sie im Irrenhaus abgegeben haben, anstatt sich zuhause um sie zu kümmern.« Luises Gesichtszüge wurden hart.

»Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie krank sind und meine Hilfe brauchen.«

»Du hast Recht. Wer legt denn fest, welche Patienten in die anderen Anstalten verlegt werden?«

»Erinnerst du dich an den Brief, den du mir vor vier Wochen gebracht hast?«

Luise versuchte, ihre Erinnerungen zu sortieren. »Den aus Berlin, auf den du so ... eigenartig reagiert hast?«

Ernst nickte. »Genau der. Darin war sorgfältig aufgelistet, welcher der Patienten für den morgigen Transport vorgesehen ist. Ich habe heute die wenigen Habseligkeit der Menschen gepackt, die morgen abgeholt werden.« Erneut wanderte sein Blick in die Ferne.

Luise verstärkte den Druck ihrer Hand auf seiner. »Du darfst dich nicht so quälen! Du warst es doch nicht, der bestimmt hat, wer verlegt wird und wer nicht.«

»Trotzdem fühle ich mich wie ein Erfüllungsgehilfe des Teufels.«

Sie war sicher, dass es keine Worte gab, die ihn trösten konnten. »Glaubst du, dass ich aufhöre, dich zu lieben, weil du diese Arbeit tust?«

»Ehrlich gesagt, war es das, was ich am meisten gefürchtet habe.«

»Du tust, was du musst, wie jeder in diesen furchtbaren Zeiten. Dennoch kann ich deine Gewissensbisse verstehen. Es wird langsam dunkel, lass uns heimgehen. Mutter wartet gewiss schon mit dem Abendessen.« Luise erhob sich und griff nach dem Mantel, auf dem sie gelegen hatte, um ihn glatt zu streichen, bevor sie ihn Ernst reichte.


»Lasst es euch schmecken!« Minna Seidenstücker füllte die Teller mit einer Schöpfkelle.

»Es duftet köstlich.« Ernst wedelte den aufsteigenden Dampf in Richtung seiner Nase. »Ich liebe Graupensuppe.«

Mit einem Lächeln nahm Luises Mutter das zur Kenntnis. »Heute konnte ich sogar etwas Rindfleisch hineintun. Zwei Stunden habe ich beim Fleischer angestanden. Ich habe die Fleischmarke eingelöst, die sie mir vorige Woche gegeben haben. Hier ist ein wenig Mostrich. Damit schmeckt die Suppe noch besser.« Sie stellte einen Bottich mit feinem Senf vor ihn hin.

»Wollen sie mich nicht endlich duzen? Schließlich werde ich in drei Wochen ihre Tochter heiraten.« Ernst sah sie eindringlich an.

»Sicher. Ich werde mich schon daran gewöhnen. Es ging nur alles so schrecklich schnell.« Unsicher tastete sie nach ihrem Haarknoten, um vermeintliche Strähnchen, die sich daraus hätten gelöst haben können, wieder hineinzuschieben.

»Mama, hat Vati denn schon auf meinen Brief geantwortet?« Luises erwartungsvoller Blick wurde jedoch durch das Kopfschütteln ihrer Mutter enttäuscht.

»Lass mal Kind, ich bin mir sicher, dass er nichts dagegen hätte, dass du so einen netten und fleißigen jungen Mann heiratest. Wahrscheinlich ist dein Brief irgendwo auf dem Weg zur Front verloren gegangen.«

»Vielleicht schreibe ich ihm einfach noch einen. Ich wünsche mir so sehr, dass Papa an meinem Glück teilhaben kann, auch, wenn er nicht hier ist.« Gedankenverloren löffelte Luise ihre Suppe, als sie erneut Zeugin davon wurde, wie ihre Mutter ihre Neugier befriedigte.

»Sagt mal, seid ihr eigentlich auf dem Amt gewesen?«

»Letzte Woche. Die Dame im Rathaus war sehr zuvorkommend. Sie wird den Antrag bearbeiten, sobald sie unsere Deutschblütigkeit geprüft hat. Mein Ehetauglichkeitszeugnis vom Gesundheitsamt habe ich schon eingereicht.« Stirnrunzelnd sah Ernst zu seiner zukünftigen Schwiegermutter. »Es ist heutzutage nicht so einfach, eine Heiratsgenehmigung zu erhalten.«

Sie nickte. »Das glaube ich gern. Nun, bei Luise wird das kaum ein Problem sein. Ihre Vorfahren sind seit mindestens acht Generationen alle hier in Mühlhausen geboren und deutschstämmig. Auch Erbkrankheiten sind in unserer Familie nie aufgetreten.«

»Auch meine Ahnen sind arischen Blutes und körperlich sowie geistig gesund. Deswegen glaube ich, dass die Standesbeamtin keine Schwierigkeiten haben wird, uns den Antrag zu genehmigen.« Der Löffel klapperte auf dem Porzellan, als Ernst versuchte, selbst die letzten Graupen vom Teller zu schöpfen.

Als Minna Seidenstücker das sah, bot sie ihm noch eine Kelle voll Suppe an.

Kopfschüttelnd lehnte der Verlobte ihrer Tochter jedoch ab. »Es ist spät geworden. Morgen wird auf Arbeit ein anstrengender Tag.« Mit einem vielsagenden Seitenblick zu Luise erhob er sich. »Ich wünsche den Damen noch einen schönen Abend.«

»Warte einen Moment! Ich bringe dich zur Tür.« Luise sprang auf.

Verständnisvoll sah Frau Seidenstücker die beiden Verliebten an. »Macht nur, ich räume noch schnell den Tisch ab.« Lächelnd, aber auch ein wenig wehmütig, schickte sie sich an, die Teller aufeinanderzustapeln. In den letzten Wochen dachte sie, das Bild der unübersehbar ineinander vernarrten Kinder vor Augen, ständig daran, wie sie und ihr Mann sich kennengelernt hatten. In diesen Momenten fehlte ihr Friedrich so sehr, dass es sie beinahe körperlich schmerzte. Jeden Tag lief Minna zum Briefkasten, in der Hoffnung, endlich Nachricht von ihm zu erhalten. Die Enttäuschung war groß, wenn sie abermals ohne Post mit leeren Händen ins Haus zurückkehrte.

Minna setze einen Flötenkessel auf den Herd, um heißes Wasser für den Abwasch zu kochen. Dann schaltete sie, wie jeden Abend, das Radio ein. Nach kurzem Rauschen ertönte die liebliche Stimme von Marika Rökk »So schön wie heut`, so müsst` es bleiben ...«, einem ihrer Lieblingsschlager. Mit jedem Takt der Musik besserte sich Minnas Stimmung. Während sie sich die Schürze umband, summte sie die Melodie vor sich hin. Sie zog das schwere Gestell mit den beiden großen Emailleschüsseln unter dem Tisch hervor und stapelte das schmutzige Geschirr in der einen, bevor sie das heiße Wasser aus dem Kessel darübergoss. Nach und nach verschwanden die sehnsuchtsvollen Gedanken. In ihrem Kopf war nur noch die Musik, sodass sie erschrak, als Luise in die Küche kam, nach dem Geschirrtuch griff und sich ans Abtrocknen machte. Die Suppenkelle glitt ihr aus der Hand und versank spritzend in dem heißen Aufwaschwasser. »Meine Güte, du hast mich erschreckt!«

»Kein Wunder, die Musik ist so laut, dass du wahrscheinlich nicht einmal einen Elefanten durchs Haus hättest trampeln hören können.« Die junge Frau betrachtete ihre Mutter von der Seite. Sie sah müde aus. »Soll ich den Abwasch fertig machen und du ruhst dich ein wenig aus?«

»Ach was, zu zweit geht es schneller. Was hältst du davon, noch einen Tee zu trinken, wenn wir nachher die Abendnachrichten hören?«

»Gute Idee!« Während Willi Forst im Äther von der Liebe sang, rieb Luise einen Löffel trocken. Es war schön, wieder einmal einen unbeschwerten Abend zu genießen. Die Musik im Radio trug das ihre dazu bei. In letzter Zeit wurden kaum noch Lieder gespielt, vielmehr wurden immer häufiger Ansprachen des Führers und seiner Generäle verlesen und die Bevölkerung über die Erfolge der Wehrmacht informiert. Auf dem Leipziger Reichssender war fast ausschließlich das zentrale Reichsprogramm zu hören.

Klappernd verschwand auch der letzte Löffel im Besteckkasten, als Minna die Schüssel mit dem Abwaschwasser nach draußen trug, um sie im Hinterhof in den Abguss zu schütten.

Luise platzierte erneut den Pfeifkessel auf dem Herd und schüttete getrocknete Blätter ihrer Lieblingsteemischung in ein Teesieb, während sie auf die Rückkehr ihrer Mutter wartete. Sie wunderte sich, wofür sie so lange brauchte. Wahrscheinlich hatte sie die Gelegenheit genutzt und war noch kurz auf der Toilette verschwunden.

Wenig später, als Luise gerade dabei war, die Teetassen auf den Tisch zu stellen, raschelte es an der Tür. Als sie sich umdrehte, sah die junge Frau, dass ihre Mutter Schwierigkeiten hatten, die Tür hinter sich zu schließen, weil sie in der einen Hand die große Emailleschüssel und in der anderen einen riesigen Kleidersack trug. Sie eilte Minna entgegen, um ihr die Schüssel abzunehmen. »Was hast du denn damit vor?« Fragend zeigte Luise auf die raschelnde Hülle.

»Ich dachte, wir ändern mein Hochzeitskleid für dich ab.«

Vor lauter Aufregung brachte Luise kein Wort hervor.

»Oder wolltest du dir Eines nähen lassen? Ich dachte, die Zeit wäre zu knapp dafür.«

Die junge Frau schüttelte den Kopf und schluckte ihre Tränen herunter, bevor sie antwortete. »Dein Kleid ist wunderschön. Ich würde es wirklich gern zur Hochzeit tragen.«

»Na dann ist doch alles gut.« Minna hängte den Bügel, der Hochzeitskleid und Umhüllung trug, von innen an die Küchentür. »Wir trinken jetzt unseren Tee und hören die Abendnachrichten, und danach stecken wir das Kleid für dich ab. Ich werde noch etwas Spitze kaufen müssen, die wir im Mieder einsetzen können. Du bist um die Brust herum ein wenig fülliger, als ich es in deinem Alter war.« Sie schmunzelte bei den Worten, die ihrer Tochter die Röte ins Gesicht trieben. »Nun mal nicht so schüchtern, mein Schatz. Wenn du erst verheiratet bist, ist der Umfang deiner Oberweite noch das Harmloseste, worüber du dir Gedanken machen musst.«

Bei den Worten ihrer Mutter verschluckte Luise sich dermaßen an dem Tee, dass die einen Hustenanfall bekam, der ihr Tränen in die Augen trieb. Als sie wieder Luft holen konnte, schüttelte sie ihren Kopf und bedachte Minna mit einem tadelnden Blick. »Also Mutter!« Insgeheim wusst Luise, dass die Frau, der sie ihr Leben verdankte, Recht hatte. Im Unterricht wurde von der Pflicht der Frau gesprochen, gemeinsam mit ihrem Mann reinblütigen Nachwuchs zu zeugen und so die Rasse und die Volksgesundheit der Deutschen zu stärken. Über die Details hatte die Lehrerin freilich nicht so viel erzählt, aber in den Pausen wussten einige ihrer Klassenkameradinnen zu berichten, wie es war, einen jungen Mann zu küssen. Oft hatte sie sich gefragt, welche Dinge wohl nötig wären, ein Kind auf den Weg zu bringen. Ihr war jedoch nie der Gedanke gekommen, zu diesem Thema ihre Mutter zu befragen.

Minna drehte die Lautstärke des Transistorradios nach oben. Der Nachrichtensprecher war gerade dabei, von der Invasion der deutschen Truppen in Griechenland und im Königreich Jugoslawien zu berichten. Vor zwei Tagen hatte mit dem Luftangriff auf Belgrad der Balkanfeldzug begonnen. Während die Stimme im Radio von den siegreichen deutschen Truppenverbänden sprach, die von ihren italienischen und ungarischen Alliierten bei den Gefechten unterstützt wurden, entglitten Minnas Gesichtszüge. »Ob es deinem Vater wohl gut geht?« Mit zitternden Fingern griff sie nach der Teetasse. »Wenn doch nur endlich ein Brief eintreffen würde.«

»Es ist ihm bestimmt nichts passiert. Wahrscheinlich braucht die Feldpost nur ein wenig länger, um die Kampflinien zu umgehen.«

»Ich hoffe, du hast Recht, mein Schatz.«

Für eine Weile schwiegen die beiden Frauen. Jede hing ihren eigenen Gedanken nach, als die Nachrichtenübertragung beendet war und Ilse Werner von Küssen im Mondenschein sang.

Seufzend erhob sich Minna. Sie zog den Stuhl, auf dem sie eben noch gesessen hatte, in die Mitte der Küche. »Zieh das Kleid an und stell dich hier drauf!« Sie half ihrer Tochter, das Hochzeitskleid aus der Umhüllung zu schälen, und schloss das Mieder am Rücken, nachdem Luise es angezogen hatte. »Ich kann mich gar nicht erinnern, dass mein Brautkleid so viele Knöpfe hatte. Die oberen muss ich auflassen. Es ist so, wie ich es mir schon gedacht habe. Es ist obenrum zu eng.« Minna trat einen Schritt zurück und betrachtete ihre Tochter nicht ohne Stolz. »Du siehst wunderschön aus! Dreh dich mal!«

Luise tat, wie ihr geheißen. Ihr Blick glitt an dem elfenbeinfarbenen engen Spitzenmieder herunter, das ihre schmale Hüfte betonte. Ein Traum aus Tüll, der von einer Lage aus feinster Spitze bedeckt wurde, umspielte in verschwenderischen Bahnen ihre Beine.

»Ich wünschte, dein Vater könnte dich jetzt so sehen.« Tränen liefen Minna die Wangen herunter. »Er wäre so stolz auf dich.«

Nun weinte auch Luise. Sie stieg vom Stuhl, um ihre Mutter zu umarmen. »Meinst du?«

Unfähig, ein weiteres Wort hervorzubringen, nickte Minna nur.

»Glaubst du, er würde Ernst mögen?«

Die ältere der beiden Frauen tupfte mit dem Saum ihrer Schürze, die sie noch immer nicht abgelegt hatte, ihre Augen trocken. »Dessen bin ich mir sicher. Na komm, kletter wieder auf den Stuhl, dass ich das Kleid noch abstecken kann.« Sie griff nach einem Bündel Nadeln und klemmte es sich bis auf eine, die sie in der Hand behielt, zwischen die Lippen. Dann machte sie sich eifrig ans Werk. Mit geschickten Fingern schob sie eine Stecknadel nach der anderen in den Stoff und summte zu den Klängen aus dem Radio.


Nr. 983

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