Читать книгу Sankya / Санькя. Книга для чтения на немецком языке - Захар Прилепин - Страница 5

Kapitel 4

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In diesem Winter bestellten sie einen kleinen Autobus – die Mutter hatte beschlossen, der Vater müsste auf dem Dorf begraben werden. Dort, wo er geboren worden war.

Sascha widersprach nicht.

»Was meinst du, Söhnchen?«, fragte die Mutter in einem vollkommen neuen Ton. Bis jetzt war ein anderer Mensch an ihrer Seite gewesen, dessen Stimme alles entschieden hatte. Und jetzt war er gestorben, dieser Mensch.

»Irgendwie werden wir durchkommen«[115], antwortete Sascha, obwohl er fast überzeugt war, dass es nicht gelingen würde, durchzukommen.

In dieser ekelhaften Stadt, die Sascha immer widerwärtig gewesen war, durfte der Vater jedenfalls nicht begraben werden.

Überhaupt war es unerträglich, den Großeltern mitzuteilen, dass der Vater gestorben war, und dabei zu wissen, dass sie nicht nur nicht zum Begräbnis fahren, sondern überhaupt erst im Frühjahr zum Grab des Sohnes kommen könnten.

Dem Fahrer erklärten sie nichts Genaues, hätte er gewusst, wohin die Reise ging, er hätte es sofort abgelehnt. Stattdessen hatten sie ihm gesagt: »Aufs Land … Wir zeigen den Weg …« Er fragte nicht nach, wohin aufs Land. Es war ein bescheidener Mann, von ruhigem Gemüt, wie es zunächst schien.

Vaters Freunde kamen, um sich zu verabschieden, einige Lehrer, einige Schüler. Sascha wollte jeden, der gekommen war, um sein Beileid auszudrücken, die Treppe hinunterschmeißen[116]. Welches Beileid, zum Teufel, was versteht ihr schon … Sascha hielt sich von allen fern, er wollte niemanden sehen. Zufällig hörte er, wie die Mutter fragte: »Vielleicht fährt jemand mit zum Begräbnis?«

Es war widerwärtig, dass alle schwiegen.

Jemand sagte mit entschuldigendem Unterton: »Die Arbeit …«

»Ich werde mitkommen«, sagte eine einzige Person. Besletow.

Er kam am Morgen des nächsten Tages, stand mit Pelzjacke und Schuhen im Vorzimmer, wollte die Handschuhe nicht wirklich ablegen. Einige Male zog er sie aus und an.

Sascha begrüßte ihn nicht.

»Aleksej«, bemerkte die Mutter mit fast lebloser, verweinter Stimme, »du wirst in diesen Schuhen frieren.«

Der zog ein merkwürdig schiefes Gesicht, als wäre es ihm sehr unangenehm.[117]

»Macht nichts«, antwortete er dumpf und ging sofort hinaus.

Er stand auf der Straße. Er rauchte nicht.

Sascha schaute aus dem Fenster, sah Besletow, musterte stumpf dessen Rücken.

Die Mutter setzte sich immer wieder an den Küchentisch und begann zu weinen.

»Wie werde ich ihn denn hinbringen«, fragte sie, »was werden Mutter und Vater mir sagen? … Hast du dort angerufen, Sasch? Bei den Nachbarn?«

»Ich hab angerufen.«

»Was haben sie gesagt?«

»Sie haben gesagt, dass sie es ihnen ausrichten.«

Die Mutter begann wieder zu weinen.

Der Fahrer kam herein, er stand schweigend in der Tür.

»Fahren wir«, sagte Sascha ein wenig gereizt zur Mutter. »Worauf warten wir?«

Sie trugen den Sarg hinaus – Besletow, Sascha, der Fahrer, Nachbarn halfen.

Sie stellten ihn vor das Haus.

Nicht weit entfernt scharten sich Kinder, die von den in der Kälte aberwitzig knarrenden Schaukeln gekrochen waren. Sie schauten neugierig, kleinlaut geworden.

Sascha wollte sie auseinanderjagen.

»Los, laden wir auf …«, sagte er wütend. »Was stehen wir hier …«

»Lass die Leute sich verabschieden …«, sagte die Mutter

»Welche Leute?«, schimpfte Sascha.

Außer den Kindern versammelten sich noch einige Nachbarn – unbekannte, fremde, die trotzdem ihre Köpfe schüttelten.

»Geh zum Auto«, sagte er zur Mutter. »Los, hört ihr?«, wandte er sich an die Männer und zeigte auf den Sarg.

Sascha setzte sich zum Fahrer. Besletow auf den Rücksitz.

Sie schlossen den Sarg.

Sascha nannte dem Fahrer einen Ort auf halbem Weg – »… von dort noch ein bisschen weiter …«, murrte er unbestimmt.

Sascha drehte sich um und sah, wie die Mutter, die beim Kopf des Vaters saß, manchmal den Sargdeckel hob und die eisige Stirn des Verstorbenen berührte.

Es war nicht auszuhalten.

Es fing an zu schneien, grauer Schnee fiel. Die Scheibenwischer arbeiteten unablässig.

An der Stadtausfahrt kamen sie in einen Stau.

Sascha steckte den Kopf zum Fenster raus und zündete eine Zigarette an.

Auf den Dächern der Autos türmte sich rasch Schnee auf.

Das Warten war bedrückend.

»Wohin hast du es so eilig …«, dachte Sascha angeekelt, und gab sich selbst einen Ruck. »Hast du es so eilig, den Vater zu begraben? Und dann? Du begräbst ihn – und wohin läufst du dann?«

Sie standen mindestens eine halbe Stunde. Der Fahrer schaltete immer wieder den Motor aus, worauf hin es in der Kabine schnell kalt zu werden begann.

»Hinten ist es wahrscheinlich kalt?«, fragte Sascha. Die Stimme klang heiser.

»Die Heizung funktioniert dort nicht. Und man sollte dort jetzt auch nicht heizen«, sagte der Fahrer vorsichtig und schielte zu Sascha hinüber.

»Die Mutter friert sicher«, dachte Sascha, ohne zu antworten.

Er drehte sich um und sah, wie sie sich die Beine rieb. Er sah auch, wie Besletow – den Kopf eingezogen – durch das Fenster auf die stehenden Autos schaute.

Sascha blinzelte und biss sich auf die Lippen.

Er wollte sich zwingen, die Augen geschlossen zu halten, als das Auto anfuhr, konnte es aber nicht.

Er blinzelte, sah die langsam, nervös dahinschleichenden Fahrzeuge. Ein warm gekleideter Verkehrspolizist überquerte gemächlich die Straße. Sie bremsten leicht, ließen ihn queren.

Der Stau war wegen eines Unfalls entstanden: Zwei Autobusse waren zusammengestoßen. Die Passagiere standen an der Straße. Der Asphalt war mit Glas übersät.

»Rettung ist keine zu sehen«[118], bemerkte Sascha.

Es gab keine Opfer, und offenbar war auch niemand verletzt. Sascha bedauerte fast, dass niemand ums Leben gekommen war.

Langsam, schleppend arbeiteten sie sich aus dem Strom der Fahrzeuge heraus.

Ein höherer Gang wurde eingelegt, sie gewannen an Geschwindigkeit, und wieder entstand dieses dumme Gefühl der Erleichterung – wir fahren endlich, wir fahren.

»Wohin?«

… Eine winterliche Straße ist immer trübseliger als eine im Sommer.

Sie fuhren durch eine kleine Stadt, in der es nur zwei Ampeln gab. Sascha sagte: »Weiter geradeaus«, und nach sieben Minuten öffnete sich auf beiden Seiten der Chaussee die Ebene.

115

»Irgendwie werden wir durchkommen« – «Проедем как-нибудь»

116

die Treppe hinunterschmeißen – спустить с лестницы

117

Der zog ein merkwürdig schiefes Gesicht, als wäre es ihm sehr unangenehm. – Он так странно скривил лицо, как будто ему было очень неприятно.

118

»Rettung ist keine zu sehen« – «“Скорой“ не видно»

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