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Satori – die große Erleuchtung
ОглавлениеEs gibt keine stufenweise Erleuchtung, sondern nur ein »plötzliches Erwachen« zur Wirklichkeit unseres wahren Seins. Dies ist der wesentliche Kerngedanke des Zen. Die Erleuchtung hat keine verschiedenen Stufen und geschieht ganz plötzlich, aber im Allgemeinen erst am Ende eines langen Prozesses des spirituellen Reifens.
Satori, die große Erleuchtungserfahrung, ist wie das Aufblühen der Lotusblume, sie gleicht dem plötzlichen Erwachen eines Träumers. Sie kommt immer blitzartig und vollkommen unerwartet über uns, denn sie ist eine absolute Augenblickserfahrung.
In einem Nun, in einem einzigen Augenblick weitet sich der Geist ins Grenzenlose und es eröffnet sich uns eine vollkommen neue Sicht, die unser ganzes Sein verwandelt.
Voraussetzung zu dieser Erfahrung ist jedoch, dass wir zu einem absoluten Loslassen gelangen. Denn erst wenn wir unsere gewohnten Anklammerungen an unsere Konzepte aufgeben, sind wir reif zur Befreiung von unserem Gebundensein an den Kreislauf von Geburt und Tod.
In jener geistigen Verfassung der Loslösung von Körper, Geist und Welt gelangen wir an die Schwelle des mystischen Todes. Das Ego stirbt den »großen Tod«, und was folgt, ist das »große Leben«.
Wir erleben unsere Auferstehung über die dunklen Nebel der Erscheinungen in das klare Licht der Wirklichkeit.
Unser wahres Auge der Erleuchtung ist mit einem Mal geöffnet, und gleich einem von dem Toten Auferstandenen werden wir in Lachen ausbrechen und in die Hände klatschen vor Freude.
In diesem Augenblick werden wir erkennen, dass unser eigener Geist und die grenzenlose Weite des Einen Geistes ein einziges Sein ist, neben dem nichts anderes existiert. In dieser großen Befreiung haben die Wechselfälle des täglichen Lebens keine Macht mehr über unser Bewusstsein. Die Ketten der Illusion sind zerbrochen, und wir sind in die höhere Welt des Wirklichen eingetreten.
In der Art seiner unmittelbaren Direktheit weist Zen immer wieder darauf hin, dass die Erleuchtungserfahrung jedem jederzeit möglich ist, der wirklich bereit ist, sich selbst und alle seine festgefügten Konzepte vollkommen loszulassen. Der chinesische Zen-Meister Shen-tsang ( 8. Jh.) beschreibt dies mit folgenden Worten:
Einzigartig strahlt das wunderbare Licht, nicht zu fassen durch Worte und Buchstaben.
Sobald du nur deine Wahnvorstellungen fallen lässt, ist die Buddhaschaft Wirklichkeit geworden.
In diesem Augenblick der großen Befreiung offenbart sich uns unser ursprüngliches wahres Wesen – der Eine Geist, der hinter den dunklen Wolken des unterscheidenden begrifflichen Denkens verborgen war. Zen-Meister Huang-po (9. Jh.) beschreibt diese wunderbare Erfahrung mit folgenden Worten:
Dieser reine Geist, die Quelle von allem, scheint für immer und auf alle mit dem Glanz seiner eigenen Vollendung. Aber die Menschen in der Welt werden dessen nicht gewahr, da sie nur das für Geist halten, was sieht, hört, fühlt und weiß. Durch ihr eigenes Sehen, Hören, Fühlen und Wissen geblendet, erkennen sie nicht die geistige Herrlichkeit der Quellsubstanz.
Doch würden sie endlich alles begriffliche Denken in einem Augenblick abwerfen, dann würde sich diese Quellsubstanz manifestieren wie die Sonne, die in der Leere aufsteigt und das ganze Weltall ohne Hindernis oder Schranken erleuchtet.
Mit den kraftvollen Worten des chinesischen Zen-Meisters Fa-yong aus dem 12. Jahrhundert:
Die Kraft des Nicht-Denkens ist wie die Glut der Flamme oder der blitzschnelle Hieb eines scharfen Schwertes. Wenn der Geist frei von Gedanken ist, ist zugleich das Löwengebrüll erreicht. Jede weitere Beschreibung würde mindere Geister nur in Angst und Verwirrung versetzen.
In dieser Befreiung von den Ketten unserer selbstgezeugten Begrenzungen schwinden die dunklen Wolken unserer geistigen Verblendung. Der Geist erstrahlt wie der klare Himmel in grenzenloser Weite und Leere und nichts vermag ihn mehr zu verdunkeln.
Die Wirklichkeit unseres ursprünglichen, wahren Seins liegt in uns selbst. Es gibt nichts zu erreichen und nichts zu verändern. Unser wahres Selbst ist schon jetzt absolut vollkommen und ist es immer gewesen.
In der Erkenntnis, dass der eigene Geist als unser wahres Wesen Buddha ist und weder mit der Geburt beginnt noch mit dem Tod vergeht, offenbart sich das Geheimnis des Zen. Deshalb legt Zen den allergrößten Wert auf die Einsicht, dass die Erleuchtung dem Geist innewohnt und es deshalb nichts zu erreichen gibt. Zum ursprünglichen Zustand des Geistes zu gelangen und so von allen Begrenzungen und Illusionen frei zu sein, ist die unmittelbare Erfahrung der Wahrheit des Zen.
Ich bin mir vollkommen bewusst, dass so manches, was in diesem Buch geschrieben steht, den Leser herausfordern und aufrütteln wird. Denn es wird vieles, von dem er überzeugt ist und woran er glaubt, als Illusion aufdecken und hinwegfegen. Dies ist aber auch beabsichtigt.
Nicht umsonst heißt es im Zen: »Der direkte Zen-Weg zur Befreiung ist kein Weg für kleine Geister.« Denn nur derjenige, der wirklich bereit ist, seine gewohnte Sichtweise hinter sich zu lassen und sich von allen Konzepten zu befreien, ist auch reif zur Transformation in die höchste Bewusstseinsebene der grenzenlosen Befreiung des Geistes.
Wiesbaden, Frühjahr 2015
Zensho W. Kopp