Читать книгу Ein Stück Leben - Zoran Dobric - Страница 10

ORGANTRANSPORT

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Schnellen Schrittes schieben der Herzchirurg und seine Assistentin, die auch die Rolle der Transplantationskoordinatorin innehat, ein Spitalswagerl mit einer großen Kühlbox durch die Spitalsgänge vor sich her. Als sie an den Portiers vorbeilaufen, geht das automatische Tor auf. Der Rettungswagenfahrer, der bereits auf sie wartet, hilft ihnen, mit der Kühlbox in das Fahrzeug einzusteigen. Die Transplantationskoordinatorin hält die Kühlbox auf ihrem Schoß. Schließlich liegt in dem Behälter das gerade herausoperierte Herz, das einem anderen Patienten implantiert werden und ihm das Leben retten soll. Seitdem die Herzhauptader des Organspenders durchtrennt und sein Herz aus der Brust entnommen wurde, sind bereits 30 Minuten vergangen. Spätestens in dreieinhalb Stunden muss dieses Herz in der Brust des Herzempfängers zu schlagen beginnen, sonst wäre das Organgewebe zu sehr beschädigt und nicht mehr brauchbar.

Noch ein Grund mehr, warum Transplantationen hauptsächlich nachts und an Wochenenden stattfinden – der Rettungswagen kann ungestört durch die leeren Stadtstraßen in Richtung Flughafen gleiten.

Im Rettungswagen ist es still. Nur das Blaulicht flackert über unsere Gesichter. Es ist schon nach Mitternacht. Bei der Sondereinfahrt am Flughafen bleibt der Rettungswagen stehen. Eine Frau in Uniform begrüßt uns und verlangt vom Fahrer eine Einfahrtsgenehmigung, die er bereits in der Hand hält und ihr durch das offene Fenster zur Kontrolle übergibt. Doch sie scheint unzufrieden zu sein, geht zurück zum Wachposten und ruft jemanden an. Der Krankenwagenfahrer wird nervös und ruft ihr zu. Doch sie reagiert nicht. Zwei Minuten später telefoniert die uniformierte Frau noch immer. Der Rettungswagenfahrer gibt Gas und fährt ohne das Stück Papier, welches er der Wachebeamtin gegeben hatte, in Richtung Flugpiste. Dort wartet ein Jet auf uns, derselbe, der uns vom Flughafen Wien-Schwechat hierhergeflogen hatte. Die Ärztin und der Copilot stecken die Kühlbox mit dem Spenderherz in den Gepäckraum im Heck des Fliegers, fixieren sie sorgfältig und steigen in die Maschine. Kurze Kontrolle, ein Gespräch mit dem Kontrollturm des Flughafens, und schon rollt der Jet zum Start. Ein paar Minuten später sind wir bereits in der Luft. Um ein Fernsehinterview zu führen, ist es eigentlich zu laut. Doch ich möchte zumindest versuchen, den jungen und besonders freundlichen Herzchirurgen zu fragen, warum es so wichtig ist, dass derselbe Chirurg, der ein Organ einem Organspender entnimmt, das Organ dem Organempfänger auch einpflanzt.

Der Herzchirurg:

»Wir stehen bei dieser Operation immer unter Zeitdruck. Darum ist es notwendig, das Ganze so gut wie nur möglich nach Plan zu machen. Es ist natürlich eine Qualitätssicherung, dass die Organentnahme und auch die Transplantation vom selben Herzchirurgen gemacht wird, um wirklich für höchste Qualität sorgen zu können. Wir führen im AKH Wien zwischen 45 und 50 Herztransplantationen im Jahr durch. Dementsprechend ist es wichtig, das auf Personen zu bündeln, die das sehr häufig machen. Das Organ wird im Spenderkrankenhaus entnommen und dann noch einmal ganz genau begutachtet, ob mit dem Organ wirklich alles in Ordnung ist. Dann wird das Herz verpackt. Für jedes Spenderorgan, das wir transportieren, gibt es eine eigene Perfusionslösung, weil jedes Organ verschiedene Gewebeeigenschaften und Lebensdauer außerhalb des Körpers haben. Genauso wird auch das Herz in einer Perfusionslösung auf etwa vier Grad gekühlt und auf Eis liegend transportiert. Das ist die altbewährte Methode.«

Gibt es keine andere Möglichkeit, das Herz zu transportieren und seine Lebensdauer außerhalb des Körpers zu verlängern?

»Die Forschung geht immer mehr in Richtung eines Transportgeräts, wo das Herz dann wirklich auch während des Transports schlägt. Gleichzeitig werden verschiedene Transportsysteme untersucht. Es geht um die Frage, ob es möglich wäre, dass man die Zeit, in der das Organ nicht durchblutet ist, verlängern kann, indem man eine bessere Kühlung erreicht und eine bessere Kontrolle während des Transports schafft. Und ob die Kühlung wirklich das ganze Organ gleichmäßig erreicht und so weiter.«

Wann wird der Organempfänger in Wien für die Implantation vorbereitet?

»Sobald das Herz eingekühlt und verpackt ist, wird der Oberarzt im AKH Wien angerufen. Mit diesem Anruf beginnt ja bereits die Operation am Empfänger im Empfängerkrankenhaus. D. h., beim Transport darf einfach nichts schiefgehen. Es gibt dann kein Zurück mehr. Dementsprechend ist es extrem wichtig, dass die Qualität stimmt und dass es ein Team durchführt, das regelmäßig und häufig denselben Job macht.«

Was aber, wenn das Wetter den Organtransport plötzlich unmöglich macht?

»Ja, wir arbeiten tatsächlich bei jedem Wetter. Natürlich müssen die Transportmittel immer an die Wettersituationen angepasst sein – ob wir jetzt mit einem Rettungswagen, Helikopter oder mit einem Flugzeug unterwegs sind. Grundsätzlich hängt aber die Auswahl des Transportmittels v. a. von der Entfernung des Organspenderorts vom AKH Wien ab. Alles, was leicht erreichbar ist oder innerhalb Wiens, kann auch mit dem Rettungswagen angefahren werden. Alles, was bis zu einer Stunde Flugzeit von Wien entfernt ist, kann auch mit dem Helikopter noch bewältigt werden. Alles, was weiter entfernt ist, vor allem in anderen europäischen Ländern, wird grundsätzlich mit einem Jet angeflogen. Es ist doch eine Menge Arbeit und Stress. Die Transplantationen finden meistens in der Nacht statt, oft auch am Wochenende. Es ist eine starke körperliche, aber natürlich auch psychische Belastung. Doch der Job sind nicht nur die Organentnahme und die Transplantation, sondern auch die Nachsorge. Von den Patientinnen und Patienten bekommt man aber derart viel zurück, dass man irgendwie wieder Kraft tanken kann. Dadurch, dass wir oft auch ins Ausland fliegen, stehen wir immer wieder vor der Herausforderung, mit fremden Kolleginnen und Kollegen zu arbeiten, aber es ist zumeist sehr kollegial. Alle sind ja zusammengekommen, um Patientinnen und Patienten zu helfen. Wenn wir ins Ausland müssen, um ein Herz zu holen, finden wir nicht nur die sprachliche Barriere, die oftmals vorherrscht, vor. Also, zwischen den Kolleginnen und Kollegen ist natürlich Englisch die Sprache, aber es ist ja dann auch das Pflegepersonal, das oftmals weder Deutsch noch Englisch spricht. Da sind wir ausschließlich auf Hilfe der vor Ort wirkenden Explantationschirurgen angewiesen.

Die meisten Organentnahmen für Herztransplantationen finden bei Spenderinnen und Spendern aus Österreich statt und dann fliegen wir aber häufig nach Deutschland, nach Ungarn, Slowenien oder aber auch nach Holland, Kroatien. All das ist möglich.«

Wie schaffen Sie es bei so großen Entfernungen, das Herz noch dem Organempfänger rechtzeitig zu implantieren?

Für eine Herzentnahme sind wir eben limitiert. Die Ischämie-Zeit – das ist die Zeit, die ein Organ, in diesem Fall das Herz, ohne durchblutet zu sein, gut erhalten und intakt bleiben kann – diktiert uns, wie schnell wir nach der Organentnahme dasselbe Organ bei dem Empfänger implantieren müssen. Die Zeitspanne von dem Moment an, wo wir das Herz dem Organspender herausgeschnitten haben, bis zu dem Augenblick, wo dasselbe Herz in der Brust des Herzempfängers zu schlagen beginnt, müssen wir unter vier Stunden halten. Das Weiteste, von wo aus wir ein Spenderherz nach Wien holen könnten, wäre beispielsweise Holland. Nach Deutschland fliegen wir häufiger. Es ist extrem wichtig, dass alles perfekt koordiniert ist und dass natürlich ständig auch während des Transports Telefonate geführt werden, um abzustimmen, ob sich das zeitlich alles gut ausgehen wird. Wenn wir mit dem Rettungswagen im AKH ankommen, wird mit den Kollegen im Operationssaal telefoniert und gesagt, wir seien hier, das Organ sei da. Der Transport habe gut funktioniert. Von dem Augenblick an kann auch wirklich das alte Organ herausgeschnitten werden, weil ja der Transport erfolgreich war. Es dauert dann nur noch wenige Minuten, bis die Implantation stattfinden kann.

Etwa eine Stunde lang hat der Flug gedauert, ehe wir am Flughafen Schwechat landen. Sobald der Jet zum Stillstand kommt, nähern sich uns die Lichter eines Rettungswagens. Es ist derselbe Wagen, sogar derselbe Fahrer, der uns vor einigen Stunden vom AKH Wien zum Flughafen Schwechat gefahren hatte. Es wird kaum gesprochen. Einerseits herrscht unmissverständliche Routine, andererseits hängt eine Menge Anspannung in der Luft. Alle sitzen bereits im Krankenwagen. Die Kühlbox mit ihrem wertvollen Inhalt hat wieder zurück in den Schoß der jungen Ärztin gefunden. Blaulicht kreist um uns und der Fahrer gibt Gas. Es sind noch maximal zweieinhalb Stunden für den Transport ins Spital, die Entnahme des kranken Herzens des zu transplantierenden Patienten und für die Implantation des neuen, lebensrettenden Herzens übrig geblieben. Ein kurzes Telefonat mit dem Herzchirurgen im OP-Saal: »Wir sind da«, teilt der Herzchirurg seinen Kollegen im OP-Saal mit, als wir den Parkplatz für Rettungswagen vor dem Eingang der Notaufnahmestation erreichen. Dann laufen der Arzt und seine Kollegin mit ihrer Kühlbox hinaus, stellen sie auf ein Wagerl und schieben es, fast laufend, weiter durch die Spitalsgänge. Vor dem Eingang zum Operationssaalbereich trennen sich die Ärztin und der Herzchirurg. Während sie die Kühlbox zum OP-Saal trägt, eilt der Herzchirurg in den Umkleideraum, um sich für die bevorstehende Herzimplantation umzuziehen und vorzubereiten. Zuvor frage ich noch:

Was haben Ihre Kollegen bis jetzt im OP-Saal gemacht und was müssen Sie jetzt noch tun?

Der Herzchirurg:

»Das Organ ist nun erfolgreich im Operationssaal hier im AKH Wien angekommen und die Implantation, also der Einbau dieses Organs, findet jetzt statt. Zeitgleich, als wir hier angekommen sind, ist das alte, kaputte Herz dem Empfänger herausgeschnitten worden, und das neue Spenderherz wird jetzt an den herznahen großen Gefäßen reingenäht. Das dauert etwa 50 Minuten, und dann ist der große Moment da, wo eben die Aortaklemme, mit der die Hauptschlagader des Patienten, dem wir das eigene Herz herausgeschnitten haben, zugeklemmt war, damit er nicht verblutet, wieder aufgeht. Das Blut kommt wieder ins Herz und das Herz beginnt zu schlagen. Das ist eigentlich für uns ein ganz wichtiger Moment, wo man abschätzen kann oder den ersten Eindruck bekommt, ob mit dem Herzen alles funktioniert, ob das alles gutgehen wird. Dann ist noch eine lange Phase im Operationssaal, wo viele chirurgische Dinge notwendig sind, dann wieder das Weggehen von der Herz-Lungen-Maschine und dergleichen.«

Heißt das, dass die Herzimplantation in nur einer Stunde erledigt ist?

»Natürlich nicht. Die Operation ist mit dem Hineinnähen allein nicht getan, sondern dauert noch mehrere Stunden länger an. Es gibt noch viele kritische Momente während der Operation und selbst dann, wenn die Operation erfolgreich verlaufen ist. Auch der Transport auf die Intensivstation oder die ersten Stunden auf der Intensivstation – all das sind noch sehr kritische Phasen.«

Ein Stück Leben

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