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NACH DER IMPLANTATION

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Nur zehn Tage nach seiner Herztransplantation treffen wir Ulf Scheriau wieder. Er spaziert schon mit einem Rollator die Gänge des AKH Wien entlang. Sein Gesicht ist blass und verschwitzt, die Schritte und sein Atem kurz, dennoch steht ihm die Freude ins Gesicht geschrieben. Das lästige Kunstherz, dessen Batterien und Kabel sind weg und sein neues Herz schlägt.

Knapp sieben Stunden hat die Herztransplantation gedauert. Einer der Gründe für diesen langen Eingriff ist auch sein Kunstherz gewesen, das er fast vier Jahre lang tragen musste. »Auch das mussten die Herzchirurgen lösen, bevor das Spenderherz transplantiert werden konnte«, erzählt Ulf Scheriau:

»Als ich drei Tage nach der Transplantation auf der Intensivstation wach geworden bin, war das ein überwältigendes Erlebnis. Dann meine Frau zu sehen und diese Nähe zu spüren: Das war etwas ganz Berührendes und etwas wirklich Schönes und Unterstützendes – genau das, was man sich in solchen Situationen wünscht. Wir haben so ein intaktes Familienleben. Vor Kurzem haben wir das 43. Jahr unseres Kennenlernens gefeiert. Gefeiert unter Anführungszeichen, wir haben uns einfach umarmt. Eine Langzeitbeziehung, die auf einem derartigen Niveau läuft, die schätzt man, und gerade in solchen Phasen braucht man auch diese Nähe und diese Unterstützung dieser lieb gewordenen Personen.«

Eine Herztransplantation ist ein sehr großer medizinischer Eingriff, den auch nicht alle Patienten überleben. Als ich Sie vor zehn Tagen, kurz vor Ihrer Transplantation, getroffen hatte, habe ich Ihr Gesicht als relativ sorgenfrei wahrgenommen!

»Natürlich hat jede Lebenssituation, so wie eine Medaille, zwei Seiten – eine Vorderseite und eine Kehrseite. Ich habe mich nicht auf die Kehrseite konzentriert, sondern auf die Vorderseite. Ich habe mir diese Transplantation gewünscht und bin eigentlich froh darüber. Ich habe gewusst, mit der Kombination meines extrem geschwächten Herzens und der Herzpumpe kann ich nicht ins hohe Alter gehen. Ich habe mich auf dieses Ereignis körperlich und emotional vorbereitet und habe gesagt, Anfang des kommenden Jahres mache ich die Voruntersuchungen und lasse mich dann erstmalig auf die Warteliste setzen. Das Ganze ist ja auch mit einem großen Fragezeichen versehen. Es hätte auch sehr lange dauern können. Ich bin dankbar, dass alles so schnell geschehen ist und ich nicht in eine längere Warteschleife gesetzt wurde. In der Intensivstation ist man an technische Geräte angeschlossen, sodass man das befreiende Gefühl gar nicht spürt. Das befreiende Gefühl und das Gefühl der Freiheit habe ich zum ersten Mal genossen, als der Herzschrittmacher, ein paar Tage nach der Transplantation, weggekommen war und in meinem Körper keine technischen Geräte mehr vorhanden waren.«

So ähnlich wie mit dem Kunstherz?

»Mit dem Kunstherz, man muss das allen Ernstes sagen, das sind schon extreme Einschränkungen. Man ist von einem technischen Gerät abhängig, und wenn es ein Problem hat, dann ist man eigentlich grundsätzlich vier Stunden von den Technikern entfernt. Ich war von den Technikern vier Stunden entfernt. Ich kann mich heute noch erinnern, als ich das erste Mal, nachdem mir das künstliche Herz in Wien implantiert worden war, ins Klinikum Klagenfurt kam, da haben mich Ärzte gefragt, ob sie sich das Kunstherz einmal anschauen können, weil sie es noch nie gesehen hatten. Deswegen ist in so einem Fall ein Wiener besser aufgehoben, weil er innerhalb von zehn Minuten bei den entsprechenden Technikern ist. Ich als ein Klagenfurter brauche vier Stunden, um nach Wien zu kommen. Das ist die Situation in Österreich. Aber was, wenn Sie Ihren Urlaub in Griechenland genießen und plötzlich das Kunstherz irgendwelche Probleme macht? Wer hilft einem? Mein Kunstherz hatte einmal ein technisches Problem. Da musste der Techniker den Motor kurz abschalten und ich habe sofort eine Kreislaufschwäche bekommen und es ist mir links und rechts vor den Augen total schwarz geworden. Da habe ich gewusst, das kann nicht länger als zehn Minuten ausgeschaltet bleiben. Auch die Masse, also die Größe des Gerätes, der Batterien ist beträchtlich. Sie müssen das rund um die Uhr tragen. Können Sie sich das vorstellen?«

Nein. Offen gestanden, allein der Gedanke an so eine Situation macht mich unruhig.

»Man trägt es Tag und Nacht, es gibt auch gewisse Umrüstungen von Tag- auf Nachtmodus. Das Kunstherz ist im Körper und die Batterie, die das Kunstherz versorgt, ist außerhalb des Körpers. Die beiden sind mit Kabeln verbunden und diese Kabel gehen durch die Haut und weiteres Gewebe durch. Das sind Löcher, die regelmäßig steril gemacht und verbunden werden müssen. Da war ich meiner Frau zutiefst dankbar, dass sie all das so perfekt erledigt hat. Das hat uns als Team noch viel mehr zusammengeschweißt. In jedem Fall bin ich auch meinem Körper dankbar, dass er dreieinhalb Jahre an derselben Stelle einen massiven Verband ausgehalten hat. Das ist nicht immer der Fall, dass die Haut das auch so verträgt. Aber Ihr Leben hängt von dieser Maschine ab.

Als ich nach der Transplantation zu einer Besprechung gerufen wurde, drehte ich mich um und dachte mir, ich müsste noch ein Gerät mitnehmen, doch es war gar kein technisches Gerät mehr in meiner Nähe. Da wurde mir klar, dass ich meine Freiheit wiedergewonnen hatte. Das kann man nur dann nachvollziehen, wenn man dreieinhalb Jahre diese Freiheit nicht gehabt hat. Dann schätzt man solche Freiheiten wieder. Für gesunde Menschen ist das selbstverständlich. Wenn so eine Einschränkung bei einem kranken Menschen wegfällt, dann schätzt man das nicht nur doppelt, sondern vielfach.«

Wann konnten Sie nach der Transplantation aufstehen, sich bewegen und das Gefühl haben, es wird jetzt alles gut?

»Auf der Intensivstation steht man nicht sofort auf, sondern da ist man mit Geräten, mit Dränagen, da ist man derartig verkabelt, dass man sich im besten Fall aufsetzen könnte. Das ist dann schon die einzige körperliche Bewegung, die man sich leisten kann. Sechs Tage nach der Transplantation bin ich in die allgemeine Station verlegt worden und dort bin ich am zweiten Tag schon aufgestanden. Das war toll. Natürlich versucht man zuerst den Körper zu testen, was der verträgt. Es ist auch eine gewisse Unsicherheitskomponente dabei und man muss sich so schön langsam vortasten. Die Schwester hat gesagt: ›Sie müssen uns rufen, wenn Sie irgendeinen Schritt selbstständig machen wollen.‹ Ich war ganz überrascht und bin auch dankbar, wie schnell es körperlich funktioniert hat. Bis auf die heisere Stimme, die ich durch die Intubation bekommen habe, geht es mir gut. Das mit der Stimme wird sich noch legen. Ich bin ganz erstaunt, dass man nach zehn Tagen schon so aktiv sein kann und so viel Lebensqualität wieder zurückgewonnen hat.«

Haben Sie schon Pläne?

»Ich bin guter Dinge, dass ich auch die nächsten Schritte sehr gut meistern werde. Ich möchte wieder Sport betreiben, verreisen, das gemeinsame Leben mit meiner Partnerin genießen. Meine Ehefrau hat nicht nur die sterilen Verbände auf meinem Bauch gewechselt, sondern sie ist immer an meiner Seite gestanden. Jetzt erwarte ich mir mehr Lebensqualität und weniger Abhängigkeit von technischen Geräten. Als Kärntner komme ich ja aus der Seenregion. Die letzten vier Jahre musste ich aufs Schwimmen verzichten. Jetzt freue ich mich sehr auf den Wörthersee. Im See wieder schwimmen zu dürfen wird für mich einen enormen Anstieg der Lebensqualität bedeuten.«

Mir scheint es eindeutig, dass Ulf Scheriau die kritische Phase nach seiner Herztransplantation überstanden hat. Sein Äußeres präsentiert einen schwer kranken Menschen, doch sein Geist ist wach und seine Freude überwältigend.

Wie es möglich sei, dass sich ein Patient nach einem derart massiven medizinischen Eingriff so schnell erholen könne, frage ich den Leiter der Transplantationsabteilung:

»Der Patient wird nach der Operation von uns auch begleitet, bis auf die Intensivstation, und wir bleiben natürlich mit den Anästhesistinnen und Anästhesisten in engem Kontakt, weil es sich hier um eine immer noch sehr kritische Phase handelt. Je nach Verlauf und je nach Schwere der Erkrankung, die der Patient, die Patientin vor der Operation schon mitgebracht hat, ist es sogar manchmal möglich, schon am Tag nach der Operation die Beatmung zu reduzieren und zu beenden. Es ist möglich, schon in dieser Phase den Patienten aufwachen zu lassen und die ersten Worte und Erklärungen an ihn zu richten. In den nächsten Tagen ist es dann so, dass die Patientinnen und Patienten bald begreifen, dass die Operation gut gegangen ist. Wir haben natürlich auch ein Team, eine Transplant-Psychologin, die die Betreuung übernimmt. Es tauchen häufig Fragen und Sorgen auf, die meist auf der Normalstation durchgearbeitet werden. Die Patienten bleiben ca. drei Wochen bei uns, davon etwa eine Woche auf der Intensivstation. Danach kommen sie in eine spezielle Rehabilitationsklinik, wo sie unter ärztlicher Kontrolle körperlich trainiert werden.«

Wann ist ein Herztransplantierter durch? Wann darf er aufatmen und sagen: »So, jetzt kann ich wieder ganz normal, wie die anderen, leben«?

»Die Transplantation selbst ist erst der Beginn eines, wenn die Transplantierten Glück haben, langen Prozesses, der alles andere als einfach ist. Das ist der erste große Schritt. Die Patienten müssen lebenslang in medizinischer Versorgung bleiben, denn das, was wir machen, ist: Wir tauschen eine Erkrankung durch eine andere Erkrankung aus. Wir tauschen z. B. eine schwere Herzerkrankung mit einer katastrophalen Lebensqualität und einer sehr schlechten Prognose (nur 20 Prozent jener, die nicht transplantiert werden, leben länger als fünf Jahre) gegen eine andere Erkrankung aus. Das ist die lebenslange Immunsuppression. Die Menschen müssen lebenslang Medikamente schlucken, damit sie praktisch ihren Körper überlisten und das neue Organ als das eigene akzeptieren. Allerdings mit einer viel besseren Lebensqualität – nämlich jener eines fast herzgesunden Menschen und einer deutlich verlängerten Lebenserwartung.«

Was muss der Patient selbst dabei noch tun?

»Es ist nicht nur, dass man den Patienten jetzt transplantiert und fertig. Auch er muss etwas dafür tun. Der muss nachher in Bewegung kommen, der muss nachher aktiv sein, der muss sich nachher an bestimmte Spielregeln halten und nicht nur die Medikamente nehmen. Sie müssen möglichst Bewegung machen, Ergometer fahren, spazieren gehen, laufen gehen, Sport betreiben. Das ist ja der Grund, warum wir sie transplantieren, damit sie möglichst wieder alles das tun können, was ihnen Spaß macht. Natürlich gibt es immer wieder Patienten, die nur zu Hause sitzen, vor dem Fernseher, und einfach essen und damit sich selbst auch noch schädigen. Das ist klar. Das versuchen wir vorher ungefähr herauszufinden. Man kann es aber nie hundertprozentig wissen. Jedenfalls muss der Patient sehr viel selber dazu tun. Ich sage allen: ›Das erste Jahr haben wir die Hauptverantwortung, ab dem ersten Jahr haben Sie die Hauptverantwortung über Ihr Leben. Das müssen Sie selber in die Hand nehmen, denn wenn Sie selber gewisse schädigende Aktionen setzen, dann wird das Herz nicht so lange halten.‹ Aber jeder Patient ist für sein eigenes Schicksal selbst verantwortlich.«

Wie hoch ist die Lebenserwartung bei den transplantierten Patienten?

»Die Zahlen in Wien sind deutlich: 75 Prozent der Herztransplantierten in Wien leben länger als zehn Jahre nach der Transplantation. Am längsten leben bei uns welche seit über 34 Jahren. Während einer Transplantation ist in den letzten zehn, 15 Jahren bei uns kein Patient gestorben. Wir haben mittlerweile eine Sterblichkeitsrate im Laufe des Spitalsaufenthalts nach der Transplantation von knapp fünf Prozent. 95 Prozent der Patienten verlassen das Spital und werden rehabilitiert. Die Ein-Jahres-Überlebensrate bei uns ist 91 bis 92 Prozent.«

Woran sterben diese Patienten?

»Zumeist sterben die Patienten entweder an katastrophalen Infektionen, die sie plötzlich bekommen oder die sie vielleicht schon in die Transplantation mitgebracht haben, und das im Vorfeld nicht erkannt wurde. Es sind Patienten, die oft in einem sehr schlechten Zustand vor der Transplantation sind, und dann, wie jegliche anderen Intensivpatienten, können sie auch ein Multiorganversagen entwickeln. An Abstoßungen, also an immunologischen Problemen, sterben sehr wenige Patienten bei uns. Wir haben das sehr, sehr gut im Griff. Abstoßungsepisoden treten überhaupt nur noch bei knapp zehn bis zwölf Prozent unserer Patienten auf.«

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