Читать книгу 5 lange und 7 kurze Krimis - A. F. Morland - Страница 22

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Der Morgen war kühl, und überall an Blättern, Zweigen und Gräsern hing der perlende Tau der Nacht. Ein Hauch von Nebeldunst schwebte über dem kurzgeschorenen Rasen zwischen den beiden Rosenbeetanlagen. Mitten auf dem Rasen, der die Fläche und Größe eines Fußballfeldes aufwies, stand mit erhobenem Arm und in Heldenpose General U.S. Grant, einer der amerikanischen Heldenväter, der in seinem Leben niemals so prahlerisch dagestanden hatte, weder als Bürgerkriegsgeneral noch als späterer Präsident. Das militärische Genie Grant hatte nämlich außerdem ein paar Eigenschaften, über die man im Geschichtsunterricht gerne schwieg, und auch auf dem Denkmalsockel stand nichts von Granits Liebe zum Alkohol, sein ausgeprägter Leichtsinn, mit Geld umzugehen, der den alternden Ex-Präsidenten sogar auf die Goldfelder getrieben hatte, wo ihn seine Familie mit Mühe vom restlosen Versumpfen im Alkoholismus retten konnte.

Nun, der dort in Gips geformt auf Marmor mahnend den Finger hob, während um seine Füße die Dunstschleier spielten, sah streng, respektierlich und großartig aus.

Le Beau, der ihn sinnend betrachtete, hatte weniger über die Geschichte des größten amerikanischen Generals nachgedacht als darüber, wie er in der Umgebung auf diesem Rasen einen sicheren Landeplatz für einen Hubschrauber finden und markieren konnte.

Es war kühl, und Le Beau fröstelte. Er trug eine graue Kombination, auf deren Rücken halbrund stand: Oaks Electric & Cable Cy. Dasselbe war auf dem Schirm des Schutzhelmes verzeichnet, den Le Beau trug. Darin sah er aus wie einer der vielen Puertoricaner, die häufig im Tiefbau arbeiteten.

Er schob eine kleine Schubkarre vor sich her und zockelte damit über den Rasen, besah sich noch einmal das Areal und blickte dann hinüber zum hohen Gemäuer des Anstaltsgebäudes, das grau und öde mit seinen mehr als hundert gardinenlosen Fenstern wie ein Gefängnis wirkte. Und tatsächlich waren auch einige der Fenster vergittert.

Zwei kleinere Häuser befanden sich unterhalb, und eines davon wurde von einem Schornstein überragt. Le Beau ging noch ein Stück, ließ die Schubkarre stehen und begab sich zu einem Jeep, auf dem ebenfalls die Aufschrift vermerkt war, die Le Beau auf dem Rücken trug. Das ganze Jeep war ebenso grau wie Le Beaus Kombination. Vermessungsstangen ragten rotweiß hinten heraus. Le Beau zog einige davon weg, klemmte sie sich unter den Arm und begann nach Art der Geometer diese Stangen aufzustellen, aber er machte sich nicht die Mühe, das nun wirklich mit so viel Akribie auszuführen. Er verteilte diese Stangen in einer graden Linie zwischen dem Platz, wo rechts neben dem Denkmal seine Schubkarre stand und einem Nebeneingang an der Parkfront des Anstaltsgebäudes.

Es war fünf Uhr morgens. Im Küchenanbau, wo der Schornstein aufragte, klapperte schon Geschirr, rasselten Tiegel und Töpfe. Einer der Wächter der Anstalt kam langsam mit seinem großen Deutschen Schäferhund den kiesbedeckten Rundweg entlang, der den Rasen umrahmte.

Le Beau war jetzt wieder bei seiner Schubkarre, die mit Schlämmkreide gefüllt war. Unten befand sich wie bei den Markierungswagen für Spielplätze ein Trichter mit Schlund, den er nun öffnete. Sofort rann ein dünner Strom der Kreide heraus und wurde von einem Druckrad angepresst. Die Linie, die Le Beau zog, führte geradewegs vom Rasen auf die Nebentür zu. Als er in dieser Richtung den Kiesweg überquerte, war der Wächter mit dem Hund gerade auch dort. Le Beau grinste den schon bejahrten Wächter an und schnalzte dem stattlichen Hund wie ein echter Tierliebhaber zu. Und der war er tatsächlich.

„Was gibt ’n das?“, fragte der Alte, den seine dunkelblaue Uniform auch nicht mehr jünger machen konnte. Le Beau dachte es und schloss den Kreidetrichter.

„Das reißen wir auf, Opa. Genau da, wo ich die Linie mache, haut der Bagger haste, was kannste einen Graben in deine schöne Wiese. Und bis zur Tür. Und dann, Opa, kommen die flotten Jungs von unserer Kabeltruppe, und die werfen da ein Klassekabel in den Graben, damit ihr auch an den zweiten Stromkreis in dieser Stadt angeschlossen seid. Könnte ja mal sein“, meinte Le Beau listig, „dass der eine Stromkreis ausfällt, und dann spielen eure Idioten hier noch verrückter.“

„Wir haben doch ein Notstromaggregat“, wunderte sich der Alte, und sein Hund schnupperte interessiert an Le Beaus Hosenbein.

„Da reicht doch hinten und vorne nicht“, behauptete Le Beau. „Also, Opa, ich muss schnell machen. Wenn mein Ingenieur kommt, und ich bin nicht fertig, der spuckt mir einen unters Hemd, dass mir die Tränen kommen.“ Er öffnete den Schieber und schob weiter. Die weiße Spur ging kerzengerade bis zur Tür.

Le Beau machte wieder zu, fuhr zurück auf den Rasen und zog rechts vom Denkmal in sicherer Entfernung davon einen Kreis aus Kreide mit einem Kreuz darin. Der Wächteropa mit seinem Hund war indessen beim Küchenanbau, hatte sich dort am Fenster hingestellt und sprach mit einem der Köche. Le Beau sah, wie dem Alten eine Tüte herausgereicht wurde, die der hastig unter die Jacke schob, um dann mit dem Hund in wesentlich schnellerem Gang als vorhin wieder dem großen eisernen Tor zuzustreben, durch das Le Beau vorhin mit dem Wagen gekommen war. Sofort hinter ihm war es wieder verschlossen und mit einer schweren Kette gesichert worden.

Le Beau war regulär hereingekommen. Mit einer Lizenz des Elektrizitätswerkes — beschafft von Inspektor Wyan, der zur Zeit Urlaub machen musste. Und weil alles wie immer ablaufen musste, musste sich Le Beau genau den Gepflogenheiten der Leute vom E-Werk anpassen. Das hieß, dass sehr früh schon ein Mann als Vorausposten aufzog, die Markierungen für die Arbeitskolonnen absteckte, die für die Ausführung von Kabelverlegungen nötig waren.

Es hatte alles geklappt, zumal auch der Jeep echt war. Le Beau hatte bei der Gelegenheit festgestellt, dass Robert gute Vorarbeit geleistet hatte. Tatsächlich saßen zwei Mann in der Wachstube am Haupttor. Es stimmte auch ganz genau mit Roberts Angaben überein, dass ein Polizeiposten im vorderen Innenhof herumlief und der Zugang zum Park hermetisch abgeriegelt worden war. Das sonst geöffnete Eisentor war geschlossen, die hohe, von Efeu überrankte Mauer hatte sowieso oben eine Alarmleitung.

Le Beau hatte sehr schnell herausgefunden, wo die kleine Nebenpforte zu suchen war, die Robert ihm auf einer Art „Bauplan“ eingetragen hatte. Dieser Plan war so angelegt, dass Le Beau ihn sogar in der Anstalt hätte herumzeigen können. Es war der Plan, wie eine Arbeitskolonne ein Erdkabel zu verlegen hatte.

Das große Kreuz und der Kreis auf der Wiese aber, die standen nicht im Plan. Aber Le Beau hatte, falls jemand fragen sollte, auch dafür eine Ausrede parat. Es fragte jedoch niemand.

Von den Stationsküchen aus schaute schon einmal eine Schwester flüchtig zu ihm herunter. Dann drückten sich schon mal Patienten an den Scheiben die Nase platt, doch niemand schien Le Beaus umständliches Hantieren zu begreifen.

Als er die Kreidelinien fertig hatte, setzte sich Le Beau in seinen Jeep, fuhr um das große Haus herum bis zur Vorderseite. Hier führte ein langgestrecktes, niedriges Gebäude zum vorderen Pförtnerhaus. Eingelieferte Patienten wurden vorn schon in diesen Gang gebracht und kamen so direkt vom Haupttor aus ins Hauptgebäude. Dieses flache, tunnelartige Gebäude besaß nur sehr schmale Fenster, die zudem mit Glassteinen ausgefüllt waren, so dass man nicht hinein und nicht hinaus sehen konnte. Es gab hier vorn außer vom Haupttor und damit durch diesen Gang keine Tür zum Haupthaus. Mit einer Ausnahme. Um ins Haupthaus zu gelangen, hätte man entweder durch den Gang gehen müssen, dazu hätte Le Beau an der Wache des Haupttores vorbei gemusst. Ins Haus zu kommen, dazu bedurfte es der Genehmigung des Chefarztes, der Anstaltsverwaltung und natürlich der Wache. Erdkabel wurden nicht im Haus verlegt. Le Beau hätte mit seiner Lizenz niemals die Erlaubnis bekommen. Aber es gab einen anderen Weg. Da die Tür hinten, zu der er den Strich gezogen hatte, geschlossen war, musste er den Einstieg zu den Öltanks suchen. Laut Plan befand sich die Luke ganz in der Nähe. Und tatsächlich sah er einen Eisendeckel mitten in einem Blumenbeet. Der Deckel war so geschickt vom Gärtner umpflanzt worden, dass Le Beau ihn beinahe nicht gesehen hätte.

Er holte eine Kreuzhacke aus dem Jeep, zog den Deckel auf, stellte noch einen rotweiß gestreiften Sperrbock über die Öffnung und kletterte in den Schlund die Eisenklammern hinab zu den Tanks.

Auch hier stimmte alles, was sie im Plan und durch Roberts Erkundigungen erfahren hatten. Man konnte um die riesigen runden Tanks herumgehen, und diagonal zum Einstieg befand sich an der Wand des etwas zweihundert Quadratmeter großen Raumes eine Eisentür. Sie war verschlossen. Le Beau hatte hier unten aber im Schein einer umgehängten Batterielampe Zeit und Muße, mit einem Dietrich nachzuhelfen. Es währte eine Minute, dann war es soweit. Die Tür ging auf, und Le Beau marschierte durch einen langen Kellergang, in dem es infolge greller Neonlampen taghell war.

Rechts und links vom Gang lagen Magazinräume. in denen von der Anstaltsbekleidung bis zur Suppenschüssel alles Mögliche gehortet wurde. An den Eisentüren stand, was der jeweilige Raum beherbergte.

Aber Le Beau kannte das von den Plänen her, und es kümmerte ihn auch nicht. Er suchte und fand die Treppe nach oben, wiederum durch eine Eisentür verschlossen, und diesmal brauchte er nur eine halbe Minute. Er öffnete die Tür, sah, dass es der Zugang zum Lift war und fuhr in dem Lift, als er auf Knopfdruck gekommen war, nach oben bis ins Erdgeschoss. Da hier unten die Untersuchungs- und Baderäume lagen, herrschte hier noch kein Betrieb. Im ersten Stock und höher ging es indessen schon lebhafter zu.

Ungehindert und ohne überhaupt jemanden zu treffen, gelangte Le Beau zur Rückseite jener Tür. bis zu der er den bewussten Strich gezogen hatte. Er brauchte nichts zu versuchen, der Schlüssel steckte von innen. Le Beau schloss auf, entnahm den Schlüssel und spritzte dann in die Öffnung des Schlosses einen Soforthartkleber. Der Kleber würde binnen fünf Minuten steinhart werden, wodurch das Schloss für jeden Schlüssel blockiert, ja nicht einmal mit einem Dietrich zu schließen sein würde, und da Schloss und Stahltür sich mittels Kleber miteinander verbinden würden, wäre es gar nicht so einfach gewesen, das Schloss auszubauen. Die Tür war also offen.

Le Beau ging den gleichen Weg zurück, bestieg wieder den Lift — und abermals hatte er keine Menschenseele im Parterre getroffen.

Nun begann der schwierige Teil des Plans. Und das konnte Le Beau nicht mehr allein ausführen. Er hielt durch Notstop den Lift auf halber Strecke an, zog sich die Kombination aus, wickelte sie zusammen und packte sie in einen Stoffbeutel. Dann entnahm er dem Feuerlöscher, der im Lift hing, die Löschpatrone. Es gab bei diesen großen Löschern Patronen, die wie bei einer Gaslampe bei Bedarf einfach ausgetauscht werden konnten. In die Öffnung im Löscher schob er aber keine neue Patrone, sondern den Beutel mit der Kombination. Auch das war Teil des Plans. Details übrigens, die niemand besser austüfteln konnte als Robert. Die Löschpatrone steckte Le Beau oben zwischen zwei Luftschlitze, so dass man sie so leicht gar nicht entdecken würde.

Nun setzte er den Lift wieder in Bewegung. Bevor der Fahrstuhl im dritten Stock anhielt, hatte Le Beau eine Schürze entrollt, wie sie das Küchenpersonal trug. Ein blaues Hemd und weiße Hosen trug er schon vorher. Den Schutzhelm, den er bereits im Tankkeller gelassen hatte, ersetzte er jetzt durch ein weißes Käppi, auf dem mit roter Schrift stand: Getränkeküche.

Er verließ den Lift. Vor sich sah er einen langen Gang, der schier endlos wirkte. Und hier herrschte Betrieb. Pfleger und Schwestern flitzten herum, Patienten in gestreifter Kleidung, die wie Schlafanzüge aussahen, liefen auf diesem Gang herum, andere wurden von Pflegern geführt. Manche wirkten völlig normal, anderen sah man an, dass sie nicht richtig gesund waren, geistesgestört also.

Le Beau hatte den Plan im Kopf. Er wandte sich nach rechts, betrat, ohne lange hinsehen zu müssen, eine Anrichteküche, deren Tür angelehnt gewesen war. Eine Schwester mittleren Alters schnitt Weißbrot ab, eine ganz junge Hilfskraft mit Minirock und himmelblauen Augenlidern vergrub ihre blutroten Nägel in Reispudding, bei dem sie versuchte, die Nüsse herauszuziehen, die ihr offenbar mundeten. Den einfachen Pudding schöpfte sie dann portionsweise in Schüsseln. Le Beau vermutete, dass die holde Maid den Genuss von Nüssen den Patienten nicht zumuten wollte.

„Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen! Ei, wie lobe ich mir die Fleißigen und die Tüchtigen! Hallo, ihr beiden Lieblinge! Ich bin hergeeilt, um euch eine riesige Freude zu machen. Wenn ihr es mir gebt, schaffe ich das schmutzige Geschirr nach unten.“

Die ältere Schwester sah ihn verblüfft an.

„Na, wen haben wir denn da? Seit wann kommt denn einer von unten hier herauf, auch noch in diesen Block? Das Geschirr bringen wir selbst zum Lift, mein Kleiner.“

„Was Sie nicht sagen, liebe Frau Mutter! Ich verdiene aber meine zwei Brötchen damit, dass ich schön brav tue, was der große Vater sagt. Und der hat gesagt, sagte er, dass Tony Boy sich in den dritten begeben und dort schön Geschirr bringen soll, alldieweil wir damit unten verdammt knapp sind, zumal mit Tassen. Ja, so sagte er, der große Heldenvater. Und ich stehe hier und kann nicht anders, Gott helfe mir, amen. — Kriege ich nun die Tassen, oder muss ich hier erst einmal einen doppelten Salto rückwärts machen?“

„Sie scheinen hier der Chefkomiker zu sein, was?“, fragte die Schwester, der Humor nicht ganz fremd zu sein schien.

Die kleine Minidame meckerte belustigt und vergaß vor Freude am heiteren Spiel völlig, den wie Stierblut leuchtenden Mund zu schließen.

„Der Chefkomiker? Ich bedanke mich. So, das sind schon mal zwei Dutzend, die ich hier zusammenkriege. Einen Wagen? Wo, ihr, beiden Schönen, habt ihr den Wagen vergraben? Soll ich dieses ganze Zeug vielleicht in die Taschen stecken und nach unten schleppen?“

„Reni, hol den Wagen, er steht vor sieben!“, sagte die Schwester.

Die Minidame räkelte sich, kam im Zeitlupentempo nach oben und trippelte dann auf den Gang.

„Die hat Tempo, was?“, staunte Le Beau. „Da reißt einen ja der Fahrtwind vom Sessel. — Sag mal, Muttchen, ist für den lieben kleinen Tony vielleicht ein Bissen von dieser fabelhaften Pastete drin, die du da im Töpfchen hast?“ Er deutete auf eine Porzellanschüssel.

„Pastete? Erstens bin ich nicht Muttchen, sondern Schwester Claire. Zweitens ist das keine Pastete, Sie Heringsbändiger, sondern Salbe. Und drittens, Sie Oberkomiker, ist das hier eine Heilanstalt. Bei Burschen wie Ihnen frage ich mich manchmal, ob wir nicht besser dran wären, solche wie Sie einzusperren und zu behandeln als manch einen, der hier ist und eigentlich recht normal wirkt.“

„O höret die weise Frau von Tularem!“, meinte Le Beau. „Und schon kommt Klein Schätzchen mit dem Wägelchen. Ich danke dir, du geliebtes unbekanntes Wesen!“

Die Minidame staunte so sehr, dass sie gar nicht wusste, was sie sagen sollte. Le Beau zog ihr den Wagen weg, belud ihn im Zeitraffertempo mit dem Geschirr und schob ab. „Und so fliehe ich dahinnen, ihr Geliebten! Träumet und zehret euch um mich!“, rief er zum Abschied.

„Mensch, hau bloß ab!“, knurrte die Schwester, und die Minidame meinte verzückt: „Na hören Sie mal, Schwester Claire, der ist doch Klasse, dieser Typ! Endlich mal einer, der Sinn für Humor hat. Und Sie sagen immer, hier hätte keiner welchen.“

Die Schwester zuckte die Schultern.

„Humor? Der wollte uns verkohlen. Möchte nicht wissen, was er unten bei diesen geilen Böcken wieder erzählt, was er hier erlebt hat. Die sind doch da unten alle verrückt. Die ganze Küche ist verrückter als der dritte Stock. Lass dich bloß mit denen nicht ein! — Und jetzt bring endlich die Puddingportionen weg! Und sag den Zimmerschwestern, dass die Medizin dazu genommen werden muss! Vergiss das bloß nicht, sonst spielt die Stationsschwester verrückt!“

„Und in der Isolierung? Soll ich da auch hin?“

„Nein, mache ich selbst. — Ist auch so was. Ein so nettes Mädchen, schade drum. — Nun geh schon und gaff mich nicht so an!“

„Ich geh’ ja schon. Schwester Claire. Warum Sie einen auch immer gleich so anmotzen müssen.“

„Dummes Gemüse!“, knurrte die Schwester, aber das hörte die Kleine nicht mehr.

Schwester Claire nahm sich eine Portion Brot, eine Schüssel Pudding. Milch und Pappbecher und ein Hamburger Steak, das aussah, als wäre es aus Schwamm gefertigt. Alles zusammen trug sie auf einem Tablett hinaus auf den Gang und marschierte ihn entlang, immer weiter nach hinten. Und weil sie Plattfüße hatte, das Gehen ihr auch sonst nicht mehr viel Freude machte, schlurfte sie, als gälte es, die Fliesen abzuschleifen. Verdrossen arbeitete sie sich dem Gangende entgegen. Dort befand sich eine Tür. Schwester Claire nahm das Tablett in die linke Hand, zog aus ihrer Schürzentasche einen an einer dünnen Kette hängenden Schlüssel und öffnete damit die Tür. Sofort machte sie die hinter sich wieder zu. Dann kam eine Gittertür. Dahinter lag ein weiterer Gang. Die Gittertür erinnerte an ein Gefängnis. Ein Pfleger saß dahinter, stand nun auf und schloss auf. Hinter der Schwester, die er mit lässigem Nicken begrüßte, schloss er wieder ab. Die Schwester schlurfte weiter. Rechts war das Arztbüro der geschlossenen Abteilung. Dahinter wieder eine Gittertür, die jetzt nicht geschlossen war. Überall an den Türen befanden sich Gitter, so dass ein flüchtender Haftpatient nicht nur die Tür, sondern auch noch das Gitter öffnen musste. Manche der etwa zwölf zellenartigen Räume waren nur durch die Gittertür verschlossen. Die richtige Tür stand offen. Schwester Claire sah die Inhaftierten auf dem Bett sitzen oder, wie der eine, am Boden liegen. In der vorletzten Zelle standen Gittertür und Tür offen. Im Raum saßen zwei Männer um einen Tisch. Angeblich waren das Beamte der Polizei, aber Schwester Claire konnte diese Burschen nicht ausstehen, die so taten, als hätten sie die englische Queen zu bewachen.

Aber als sie zu den zweien hinsah, zuckte sie zusammen, blieb wie erstarrt stehen und starrte noch einmal in die geöffnete Krankenzelle. Der eine ... das war doch dieser Komiker ... natürlich!

Also nein! Das ist doch unmöglich!, dachte sie fassungslos. Wie kommt dieser Tony denn hier herein? Und den anderen, den hatte sie doch auch noch nie gesehen, auch nicht heute Morgen, als sie zum ersten Mal bei der inhaftierten Kranken gewesen war.

Ich muss verrückt sein!, überlegte sie. Jetzt hat es mich auch geschafft. Kein Wunder, immer mit Verrückten zusammen. Aber ... aber es muss doch ...

„Wundere dich nicht, Muttchen! Das Leben spielt mitunter wahnsinnig komische Sachen“, sagte dieser Tony gerade, und Schwester Claire starrte ihn an wie einen Geist.

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