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Kapitel 8

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Wenn man von Spezialdemokratien nicht mehr mitbekommt als das, was in Rheinstadt 1, also der Landeshauptstadt‚ vorgeht, kommt man zuerst gar nicht dahinter, dass man sich nicht irgendwo in der Welt aufhält, sondern eben in einer Art Versuchsstation. Ihre Bewohner halten sich eben für das strahlendste Juwel in der Krone der gesamten Menschheit, nichts weniger. Wer diesem Anspruch nicht gerecht wird, kann einpacken. Nur dass man nicht gleich wieder rausgeworfen wird, vielmehr darf man zuerst bleiben, um sich missionieren zu lassen. Und im Idealfall mutieren die Missionierten eines Tages eben auch zu Missionaren - alles wie beim Täter-Opfer-Prinzip.

Ich hatte schließlich auch das Vergnügen. Natürlich wird automatisch vorausgesetzt, dass jeder auf der Stelle hin und weg ist, wenn man jemanden in den Club der Missionare aufnehmen will. Immerhin handelt es sich um eine großartige Ehre und alles - man kann sozusagen in den Olymp aufsteigen und darf den Göttern und Halbgöttern der Partei dienen. Sie genießen das wie neureiche Lottokönige - es ist immerhin die Verwirklichung all der Träume die sie hatten, während sie noch nicht in der Partei waren. Man darf jeden verdammten Tag vor den Göttern und Halbgöttern auf den Knien herum rutschen und soll außerdem dabei assistieren, dass unten im Wahlvolk (auch „Stimmvieh“ genannt) alle Ideen und Pläne verwirklicht werden, die der Olymp ausbrütet.

Ohjunge, es wird nicht schlecht bezahlt, das kann ich Ihnen verraten. Um auf die Bevorzugtenliste zu kommen und Privilegien einzuheimsen, von denen in Spezialdemokratien Normalsterbliche nicht einmal träumen, weil sie 1) keine Ahnung haben von diesem Privilegien und 2) das Träumen langst aufgegeben haben, muss man nur ein bisschen seine Seele verkaufen. Und die eigene Identität aufgeben, falls nach dem Missioniertwerden noch Reste davon übriggeblieben sein sollten. Träumen ist selbstverständlich auch für die Missionare tabu. Und Liebe - vor allem Liebe. Nachdem sich erst herausstellte, dass ich wirklich ganz gern auf den Knien liege, aber eben nicht vor Hauptmann Beatty und sonst irgendwelchen Göttern und Halbgöttern, sondern vor süßen Schwesterchen, katapultierte ich mich innerhalb kürzester Zeit an die vorderste Stelle der Abschussliste.

Wo ich herkomme, lernt man am ersten Tag in jeder weiterführenden Schule, dass man sich vor Leuten, die einem paradiesische Zustände versprechen, lieber in acht nehmen sollte. Immerhin ging das noch nie gut; es wurde immer alles nur noch viel schlimmer, ganz egal wo, wann, wie und wer und alles. Und am allerschlimmsten endet es regelmäßig, wenn ausgewachsene Politiker sich hinstellen und anfangen, der Bevölkerung das Blaue vom Himmel herunter zu versprechen.

Besonders Leute mit engem Horizont fahren natürlich darauf ab. Auf solche verlogenen Reden, meine ich. Ungefähr nach dem zehnten Mal geht ihnen vielleicht auf, dass man sie ein halbes Leben lang systematisch verarscht und betrogen hat, etwa in Wahlkampfansprachen, wenn die Politheuchler sich beim Wahlvolk einschmeicheln wollen und schleimen, was das Zeug hält. Etwa die Hälfte dieser Wähler bleibt dann am Wahltag zuhaus und gibt einen Dreck auf die Politik und alles andere, während die andere Hälfte es bis zum nächsten Wahltermin wieder verdrängt hat, verarscht worden zu sein. Sie wählen erneut ihre Sklavenhalter und alles läuft wie gehabt.

Damit die Leute schneller vergessen, richten die Politiker in der Zwischenzeit noch ein paar zusätzliche Fernsehprogramme ein und lassen den einen oder anderen neuen Freizeitpark aus dem Boden stampfen. Im Rahmen der Veränderungen a la „Fahrenheit 451“ ist Spezialdemokratien inoffizieller Weltmeister in dieser Disziplin. Am liebsten werden Orte bebaut, wo vorher irgendwelche Fabriken oder andere Industrieanlagen standen. Es wimmelt dort nur so von solchen Stellen, die dann als paradiesischer Spielplatz für die nicht länger durch Arbeit behinderte Bevölkerung eingerichtet werden. Die Symbolik macht natürlich jede Menge aus: Früher mussten die Leute an diesen Orten zwangsweise aufkreuzen‚ eben um zu arbeiten und alles, und jetzt zieht es sie ganz freiwillig dorthin, und sie bezahlen womöglich sogar noch Eintritt dafür. Das hätten sie sich früher nicht träumen lassen. In der alten Zeit, vor der Kulturrevolution.

Keine Ausbeutung mehr durch das alte System, sondern von morgens bis abends Fun. Und bei Bedarf auch die Nacht hindurch. Fun, Fun, Fun. Der Große Bruder hat den Finanzunterhalt übernommen. Und er zeigt sich auch ziemlich großzügig. Er zahlt für sämtliche Ausgaben - die Leute müssen ihm nur ihren Anspruch auf Mündigkeit zurückgeben, die die Verfassung der alten Bundesrepublik ihnen seit 1948/9 garantierte. Von wegen Menschenwürde und unantastbar inklusive das Recht auf Selbstbestimmung des Bürgers. Von einer Daseinsform als Sozialuntertan war darin jedenfalls nicht die Rede. (Ein Wirtschaftsmensch sprach in dieser Hinsicht einmal sogar von „offenem Strafvollzug“ – als Reaktion hierauf wurde er bald danach ermordet.)

Und jemand wie Ministerpräsident Wrzlbrmft war in der Verfassung auch nicht unbedingt vorgesehen. Der Chef der Landesregierung von Spezialdemokratien ging während seiner 20jährigen Amtszeit ständig herum und erzählte den Leuten Märchen. Er suggerierte der Bevölkerung, wie großartig es jedem im Musterbundesland gehen würde, und dass sich in Zukunft alles noch viel besser entwickeln sollte. Spezialdemokratien, hämmerte der alte Wrzlbrmft den Menschen ein, sei eben nichts weniger als das Paradies der kleinen Leute, und für die Zukunft versprach er ihnen noch erhebliche Steigerungsmöglichkeiten ihres kollektiven Glücks, denn der allgemeine gesellschaftliche Fortschritt sei absolut unaufhaltbar. Als einzige Bedingung für die Erfüllung der Versprechungen in seinen ständigen Sonntagsreden (in denen Old Wrzlbrmft auch noch gern mit Bibelzitaten um sich warf, um der naiv gehaltenen Bevölkerung weiszumachen, seine Erkenntnisse kämen exklusiv zu ihm von höchster Stelle), forderte der amateurtheaterbegabte oberste Kleinbürger des Musterlandes jedes Mal nur seine Wiederwahl als wesentliche Symbolfigur für das System. Und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung tat ihm natürlich den Gefallen, weil sie sich an den gemütlichen Märchenonkel gewöhnt hatten. Und schließlich richtete er ihnen diese vielen schönen neuen Spielplätze ein. Old Wrzlbrmft kam zu seinem Job, weil sein Vorgänger nach einem der üblichen Finanzskandale zurücktreten musste. Die spezialdemokratische Partei war unter Wrzlbrmfts Vorgänger schon ein dutzend Jahre an der Macht, und in dieser Zeit sammelten sich dermaßen viele Leichen im Keller, dass sich irgendwann nicht mehr alles vertuschen ließ - der Bankenskandal war einfach eine Nummer zu groß, um ihn auch noch unter den Teppich kehren zu können. Man musste wenigstens nach außen die Form wahren und den Chef der Landesregierung austauschen. So kam nach allem was offiziell in Erfahrung zu bringen war, Old Wrzlbrmft ins Amt. Anscheinend hatte er sich dadurch qualifiziert, indem er vorher mit Realschulabschluss nichts weniger als den Wissenschaftsminister von Spezialdemokratien mimte. Aus spezialdemokratischer Sicht ist so eine Qualifikation ideal. Der Feuerwehrhauptmann Beatty aus „Fahrenheit 451“, als Pate oder Spiritus rector des fortschrittlichen neuen Gesellschaftsmodells, steht jedenfalls voll und ganz dahinter. Und dass Old Wrzlbrmft, sobald er in der Öffentlichkeit auftrat, mit dieser talentierten Märchenonkel-Show brillierte, erwies sich vom praktischen Effekt her auch nicht grade als Nachteil. Ohjunge, das sowieso schon bigotte Volk liebte ihn, immerhin war er einer von ihnen. Und sie, also die Gesellschaft, die neuen Mustermenschen, entwickelten sich immer mehr so verdreht, wie die eigentlichen Drahtzieher in der DDR, für die Old Wrzlbrmft den idealen Strohmann abgab, es beabsichtigten. Und für mich sollte beim Spezialdemokratischen Rundfunk also auch etwas dabei abfallen - ein paar Krumen unterm Tisch. Alle Beteiligten setzten automatisch voraus, ich würde natürlich auch sofort gierig hinterher springen. Nur dass sie sich in dieser Hinsicht alle gründlich täuschten.

Mit seiner idiotensicheren Taktik brachte Old Wrzlbrmft es glattweg fertig, sage und schreibe zwanzig Jahre lang im Amt zu bleiben. Im Verlauf dieser Zeit blieb logischerweise kaum ein Stein auf dem anderen. Ich meine, der Rechtsstaat und die Verfassung und alles, was die Väter des demokratischen Systems in der alten westdeutschen Republik seit Ende der vierziger Jahre geschaffen hatten, wurde dermaßen ausgehölt - eben entkernt -‚ bis fast nur noch bloße Fassaden übrig blieben. Der alte Potemkin hätte sich großartig ausgekannt und zurechtgefunden, und die jüngeren Funktionäre der Partei, etwa die Kulturleute‚ die gar nichts anderes mehr kannten als ihre Scheinwelt, wussten auch ganz hervorragend Bescheid - nur ich leider nicht.

Okay - und nachdem schließlich die Berliner Mauer gefallen war, wurde Spezialdemokratien ganz offiziell als Musterbeispiel für die Bundesrepublik gehandelt. Als erstes gründeten Spezialdemokratien und das Kernland der alten DDR, Brandenburg, ihre Länderpartnerschaft, um zu retten, was sich noch retten ließ. Die spezialdemokratischen Landes- und Kommunalpolitiker waren so-und-so lange mit dem Hut in der Hand in der alten DDR und vor allem in Ost-Berlin herumgelaufen, darum ließ sich eine ganze Menge von dem, was die alte DDR ausgemacht hatte, in Sicherheit bringen. Besonders die Anleitungen, wie die DDR zu betreiben war - die Betriebsanleitungen in den Köpfen. Und keineswegs nur in den Köpfen von Politikern.

Die Rechnung über die Länderpartnerschaft ging auch allein darum schon auf, weil der erste Ministerpräsident von Brandenburg früher mit dem DDR-Geheimdienst, also der Stasi, zusammengearbeitet hatte, womit er dem puritanisch-pietistischen Affen, den sich der alte Wrzlbrmft seit seiner Kindheit im Friedrich-Engels-Land hielt, ordentlich Zucker gab. Sie hatten eben dieselbe logistische Grundlage, dasselbe Weltverständnis und ein identisches Menschenbild, demzufolge einfach jeder vor sich selbst geschützt werden muss‚ damit alle gerettet werden können. Ein Tick Freiheit oder Eigenständigkeit, die ein Individuum für sich in Anspruch zu nehmen wagt, und schon reißt ein Einzelner die gesamte Weltbevölkerung in den Abgrund. Der übliche fanatische Mist, mit dem sich erst recht die Hölle auf Erden heraufbeschwören lässt. Der alte Wrzlbrmft und der Stasi-Agent müssen sich schon so lange gekannt haben, dass sie sich sogar optisch glichen - beide trugen diesen attraktiven Nussknackerzug im Gesicht. Womöglich hat es aber auch mit der phänomenalen Lebensfreude zu tun, die der puritanische Fundamentalismus erzeugt. In der Gegend östlich von Rheinstadt 1, nur einen Steinschleuderwurf vom Neanderthal entfernt, laufen jedenfalls die meisten Leute mit diesem grimmig vorgeschobenen Nussknackerkiefer herum. Wahrscheinlich hängt es auch mit dem Saufen zusammen - irgendwie müssen die Fanatiker schließlich ihren Frust kompensieren. Vielleicht ist deshalb die gesamte Altstadt von Rheinstadt 1 eine Art Disneyland für Alkoholiker. Old Wrzlbrmft war dort jedenfalls der König - König Alki I. Sein Amtssitz als Ministerpräsident lag nur fünf Minuten von den Altstadttheken entfernt, und sobald König Alki I. mit seinem Hofstaat dort auftauchte, musste der Kneipier ein „Geschlossene Gesellschaft“-Schild von innen an die Tür hängen und die Rollläden runterlassen.

Die Entwicklungen bewegten sich eine Spur oder zwei zu deutlich Richtung Bananenrepublik, als Old Wrzlbrmft ganz überraschend von jetzt auf gleich gestürzt wurde. Es gab einen richtigen kleinen Putsch - eben ganz a la Bananenrepublik. Ich komme vielleicht später noch darauf zurück. Old Wrzlbrmfts Nachfolger, der beim Umsturz die Fäden zog, kam schließlich als erste Amtshandlung auf die Idee, eine der wesentlichsten Grundlagen des Rechtsstaats abzuschaffen - die Gewaltenteilung. Was er plante, er wollte einfach das Innenministerium mit dem Justizministerium zusammenlegen. Als offizielle Begründung gab er an, das Bundesland könnte dadurch Geld sparen. Old Wrzlbrmft hatte wohl sämtliche Schatztruhen geleert. Dafür ging es ihm und seinen Jungs mittlerweile verdammt gut. Ich meine, ihre Leber-Werte sahen zwar bestimmt bedenklich aus, und ihre Gehirnzellen nahmen auch nicht grade massenhaft zu, eher schon ab, aber rein materiell standen sämtliche Angehörigen der gestürzten Landesregierung schon ganz gut da. Jedenfalls solider als ihre direkten Vorfahren, die noch mit roten und braunen Fahnen herumgelaufen waren, um für die beiden Varianten des Sozialismus PR-Arbeit zu leisten. Die Umverteilung der Mittel war für Wrzlbrmft & Co. so oder so Wirklichkeit geworden. Wenigstens in ihrem Musterbundesland waren sie „DER STAAT“ - auch eine Art Avantgarde, wenn man sonst auch keine Eliten dulden durfte, weil die Ideologie alles Elitäre verbietet. Außer den Avantgardisten der Ideologie, versteht sich.

Natürlich könnte es auch ganz einfach der Fall gewesen sein, dass Wrzlbrmfts Amtsnachfolger gar nicht wusste, dass man in einem Rechtsstaat die Gewaltenteilung beachten sollte, besonders als Politiker, und dass der oberste Landespolitiker keinen guten Eindruck abgibt, wenn er die rechtsstaatlichen Grundlagen einschränken will. Er hatte vor seiner Zeit als Politiker für die Presse gearbeitet. Immerhin konnte er deshalb möglicherweise lesen und schreiben. (Später avancierte er sogar zum Wirtschaftsminister auf Bundesebene und fiel ausschließlich dadurch auf, drei Jahre lang grinsend eine Hiobsbotschaft nach der anderen zu verlesen).

Wenigstens in der ersten Zeit, als Old Wrzlbrmft auf dem Thron saß, war die breite Masse der Bevölkerung von Spezialdemokratien allem Anschein nach noch nicht so verblödet, wie der Feuerwehrhauptmann Beatty die Menschen am liebsten hat. Jedenfalls, als ihnen aufging, dass der Ministerpräsident und seine Freunde aus dem Hofstaat die Wähler, also nichts weniger als den erklärten Souverän der Demokratie, nach Strich und Faden verarschten‚ indem sie ständig Wasser predigten, aber in Wirklichkeit, sowohl konkret als auch in übertragener Hinsicht, mit roten Nasen herumliefen und massive Leberfunktionsstörungen aufwiesen, gingen viele Leute eben nicht länger zur Wahl. Die Spezialdemokratische Partei verlor darum zuerst in vielen Städten und schließlich auch im Bundesland die gewöhnte absolute Mehrheit. Nur dass dadurch auch nichts anders wurde - jedenfalls wurde nichts unbedingt besser. Denn sofort war die „Rettet-die-Welt!“-Partei zur Stelle, um mit den geschwächten Spezialdemokraten eine Koalition einzugehen. Zusammen stützten sie sich gegenseitig ab.

Offiziell setzt sich die „Rettet-die-Welt!“-Partei für Umweltschutz und so weiter ein, aber kaum einer der Wähler, der ihr seine Stimme gibt, weil er sich ernsthaft um den Umweltschutz sorgt, erinnert sich daran oder weiß, wer und was hinter dieser Partei steckt. Ihre prominentesten Köpfe bekamen in den mittleren und späten 70er Jahren grade eben noch die Kurve, um nicht auf all den Fahndungsplakaten zu landen, die damals in Westdeutschland hingen und die vielen gesuchten Terroristen zeigten.

Die Sympathisanten der Terror-Szene wollten natürlich wie üblich gegen ihre Nazivorfahren demonstrieren, und weil sie auf ihrem „Marsch durch die Institutionen“ Ende der 70er Jahre schon ziemlich weit vorangekommen waren, nahmen sie sich vor, als nächstes ins parlamentarische System einzudringen. Die Nazikinder hatten von den Fehlern ihrer Vorfahren gelernt und gründeten deshalb nicht einfach eine Terrorpartei‚ sondern sie nutzten die chronische DEUTSCHE ANGST aus, in diesem Fall die Hysterie, dass demnächst vor lauter Naturkatastrophen die Welt untergehen könnte. (Oder zumindest der teutsche Wald.) Um ein legitim erscheinendes politisches Mandat zu entern und mit diesem Trick endlich in die große Politik einzudringen. Sie hatten auch sofort vollen Erfolg. Die Hysteriker und Paranoiker liefen den Funktionären der neuen Partei bei Veranstaltungen zu Hunderttausenden hinterher, und Millionen Neurotiker‚ denen die Eltern in der Kindheit allzu oft Wagners „Götterdämmerung“ vorgespielt hatten, gaben der „Rettet-die-Welt!“-Partei bei jeder Wahl ihre Stimmen. Es dauerte grade drei Jahre, bis die Partei im Bundestag einzog - formell völlig legitim und alles. So phänomenal erfolgreich waren die Nazis in ihrer Anfangszeit nicht gewesen. Dabei benahmen sich die Abgeordneten der neuen Partei nach ihrem Einzug ins Parlament so ähnlich wie die Nazis, nachdem sie im Reichstag saßen - sie pöbelten herum, und der schrägste Vogel‚ der später die phantastischste Politikerkarriere hinlegen sollte, die seit den Jahren der Nazi-Partei erreicht werden konnte, nannte den Parlamentsvorsitzenden (dem Protokoll entsprechend der zweithöchste Repräsentant des Staates) mitten in einer Sitzung ein „Arschloch“. Abgeordnete Frauen, die ein Baby hatten, stillten die Kinder in aller Öffentlichkeit - auch mitten im Plenarsaal -, und selbstverständlich liefen sämtliche Abgeordneten der neuen Partei in ihrer Uniform herum. Das heißt, sie missachteten demonstrativ die Hausordnung des Parlaments und erschienen grundsätzlich in ihrem gewohnten Straßenkämpfer-Look. Am liebsten hätten sich einige wahrscheinlich mit den Saalordnern geprügelt, und von heute aus gesehen darf man bestimmt dankbar sein, dass keine Molotowcocktails flogen. Es wäre wohl verdammt lustig gewesen, wenn der Bundestag abgebrannt wäre, so wie ein halbes Jahrhundert vorher der Reichstag, nachdem die Nazis ihn angezündet hatten, um der Anarchie im Land kräftig auf die Sprünge zu helfen. Ohjunge‚ was für ein Land, was für ein sagenhaftes Traditionsbewusstsein. Kaum hatte die neue Partei den Bundestag erobert, entwarfen ihre führenden Köpfe ein paar ziemlich originelle Konzepte, mit denen sie vor allem auf Teenager abzielten. Schließlich konnten sie nicht damit rechnen, von reiferen, verantwortungsbewussten Wählern wiedergewählt zu werden. Sie schleimten sich relativ naiven Erstwählern ein und versprachen ihnen das Blaue vom Himmel herunter. In dieser Hinsicht entsprachen sie genau dem Vorbild der Nazis, die immerhin zuerst auch darauf angewiesen waren, einer Bevölkerungsgruppe‚ der ein ordentlicher Durchblick fehlte, Märchen zu erzählen.

Das Fun-Konzept stand bei ihnen logischerweise auch hoch im Kurs. Zum Beispiel sollte die Welt unter anderem durch die Freigabe von Rauschgift gerettet werden. Einfach genial.

Auf der einen Seite versprachen sich die großartigen Strategen von dieser Forderung ein paar Millionen Stimmen von Jungwählern‚ die unbedingt die Sau raus lassen wollten, und gleichzeitig war es der Versuch, ihre eigene Rauschgiftabhängigkeit zu legitimieren; sonst wäre immerhin ihre Politikerkarriere gefährdet gewesen und alles.

Sie hängten sich aber noch für weitere Zielvorgaben aus dem Fenster: Sex zwischen Kindern und Erwachsenen sollte auch straffrei werden. Die Bundeswehr wollte man abschaffen und die Wirtschaft verstaatlichen - eben genauso wie in der DDR. Die etablierten Parteien störten logischerweise auch, was bei den Nazinachfahren auch ganz hervorragend ankam, weil 1933 nach der Machtübernahme alle anderen Parteien abgeschafft wurden. Die Betonköpfe, die sich Fundis nannten, wollten auch sonst möglichst keinen Stein auf dem anderen lassen, wobei man ihnen aus rechtstaatlicher Sicht zugute halten muss‚ dass sie die meiste Zeit unter den Langzeitfolgen ihres chronischen Bekifftseins litten, dabei waren Halluzinationen und Wahnideen ganz normal…

Weil sie sich schließlich an die Koalitionsabsprachen halten sollten‚ mussten sogar die Betonköpfe die eine oder andere Portion Kreide fressen und sich offiziell an den wesentlichsten rechtstaatlichen Normen orientieren. Um trotzdem die Sau raus lassen zu können, zogen die entsprechenden Rathäuser mit öffentlichen Finanzmitteln eine Art Nachwuchsorganisation für institu­tionalisierte Anarchie heran: die sogenannten „Autonomen“.

Autonom, also unabhängig vom Rechtstaat, bekamen diese Gruppen in bestimmten Stadtteilen Häuser zugeteilt - in Rheinstadt 1 und 2 oder in Hamburg sogar jeweils eine komplette Straße. Die Gruppenmitglieder konnten dort genau so leben, wie ihre Paten in den Rathäusern es vorgemacht hatten, als sie noch zum Rand der Terroristenszene gehörten.

Bei ihren offiziellen (Kampf-)Auftritten präsentieren sich die Herrschaften schwarz vermummt und mit verdammt ansehnlicher Hochrüstung. Ihre Ähnlichkeit mit der „SA“ (also der „Sturmabteilung“) der Nazis lässt sich nur übersehen, wenn man sich eine rosarote Brille aufsetzt oder ein Parteibuch der Spezialdemokraten besitzt. Oder Mitglied ist in der „Rettet-die-Welt!“-Partei. Psychologisch verständlich erscheint der Umstand, dass sie alle logischerweise total „antifaschistisch“ ausgerichtet sind - wer dermaßen viele Muster der Faschisten und der Nazis und ihrer Ideologie übernommen hat, muss natürlich irgendwie davon ablenken. Dafür bietet sich nichts und niemand besser an, als diejenigen, die man unbewusst imitiert: Verdrängung und Projektion als existenzielle Grundlage!

Da die K-Gruppen der 70er Jahre mehr bei Mao als bei Stalin und lieber in Peking als in Moskau gelernt hatten, wussten sie genau, nachdem ihnen auf legale Art der Zutritt zu den Parlamenten gelungen war, wo sie unter anderem besonders massiv wirksam werden mussten, um für eine schöne, neue Welt vorzusorgen - eben bei den Schulen. Mao hatte in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, als in China die sogenannte „Kulturrevolution“ auf den Weg gebracht wurde, erheblichen Wert darauf gelegt, Kinder zu benutzen, um ein Riesenchaos anzurichten. Akademiker wurden im Rahmen dieser Revolution auf die Felder getrieben, um Pflüge zu ziehen, während man die Bauern in die Städte karrte, um an den Universitäten zu lehren. Das lief so glattweg zehn Jahre lang - in China. In Deutschland funktioniert es in abgeschwächter Form schon seit den 70er Jahren. Qualität wird von Quantität ersetzt. Was in der Praxis darauf hinausläuft‚ dass die Schüler bei internationalen Leistungstests immer schlechter abschneiden. Wobei es innerhalb der Republik noch erhebliche Unterschiede gibt - ein richtiges Leistungsgefälle von Süden nach Norden. Im Süden hat die Bevölkerung eben das Glück, von ideologischen Amokläufern bis heute eher verschont worden zu sein. Die fixe Idee, man müsste nur lange genug ein Kind mit einem IQ von 80 neben einem Kind mit einem IQ von 120 sitzen lassen, damit beide am Ende ihrer Schulzeit einen IQ von 100 aufweisen, konnte sich im Süden nicht richtig durchsetzen. Hauptmann Beatty muss im Süden noch längere Zeit dickere Bretter bohren, bis die Feuerwehr anrückt‚ um Brände zu legen.

Nördlich der Mainlinie ist es dagegen jedenfalls soweit gekommen, dass Kinder und Jugendliche, die freiwillig ein Buch lesen, bei ihren Klassenkollegen als gestört gelten. Je geringer der Bildungsstand der Eltern ausfällt, umso mehr Stunden pro Tag hängen die Kinder vor den Bildschirmen. Die Feuerwehr aus „Fahrenheit 451“ bekäme in diesen Familien überhaupt nichts mehr zu tun, weil es in den betreffenden Haushalten neben dem Telefonbuch und einem Stapel Versandhauskataloge einfach nichts Gedrucktes und Gebundenes gibt. Solche Leute sind die großartigsten Meilen­steine auf dem Weg ins immer kompletter ausgestattete Nirwana, und wenn man zufällig hört, was die Repräsentanten des Spezialdemokratischen Bildungsministeriums von sich geben, wird klar, dass ein Weg zurück absolut nicht vorgesehen ist. Das Prinzip gilt auch für die Wirtschaft. Das spezialdemokratische Modell (in den Koalitionen mit tatkräftiger Unterstützung durch die „Rettet-die-Welt!“-Partei) verfügt über einen einzigen Gang: den nach vorn. Dafür, dass sie alle so demonstrativ pazifistisch tun, hat das Modell erstaunlich massive Panzerketten. Die Assoziation mit einem Panzer liegt jedenfalls verdammt nah, wenn man mitbekommt, was die Koalition zwischen den beiden genannten Partnern in einem durchschnittlichen Rathaus in diesem Bundesland alles fertigbringt. Und zwar erhöht die Stadtverwaltung als erstes so lange alle örtlichen Steuern, bis die Firmen entweder Bankrott gehen und ihren Betrieb einstellen müssen, oder die Firmen wechseln so schnell wie möglich den Standort. Firmen, die nicht alle paar Jahre ihre Sachen zusammenpacken wollen, ziehen am besten gleich in den Süden. Oder noch besser ins Ausland.

In Städten, wo die „Rettet-die-Welt!“-Funktionäre als Mehrheitsbeschaffer besonders wichtig sind, stehen natürlich auch scheinbar ökologisch gemeinte Gründe für Betriebsschließungen ganz oben auf der Beliebtheitsskala. Nur wird in vier von fünf oder in neun von zehn Fällen deutlich, dass die Politschwindler privat einen absoluten Dreck um die Tiere oder Pflanzen geben, für die sie sich offiziell dermaßen engagiert ins Zeug legen. Wenn es darum geht, noch ein paar weitere Familien zu Sozialuntertanen verkrüppeln zu können, schrecken sie nicht einmal davor zurück, Kröten zu küssen. Selbstverständlich nur, wenn die Massenmedien, die ihnen nicht grade kritisch begegnen, vorher genügend Kameras und Mikrophone aufgefahren haben, damit die großartige Schaumschläger-Show allgemein dokumentiert wird - je weiter hinaus in die Welt, desto besser.

Was als nächstes passiert, alles wird schön eingeebnet. Das Einebnen scheint bei den Politikern, die in Spezialdemokratien maßgeblich sind, gradezu eine fixe Idee zu sein. Obendrauf werden dann die Freizeitparks hochgezogen. Oder ein paar neue Sportstadien. Oder eben Freizeitparks UND ein paar neue Sportstadien. Überall können die Leute ihre neue Freiheit ausleben, die ihnen die Arbeitslosigkeit ermöglicht. (Oops, sorry. Es muss selbstverständlich heißen: Der persönliche Ausstieg aus der primitiven, alten Welt.)

Sie leben daraufhin alle so glücklich wie die Nachbarn Montags‚ des Feuerwehrmanns. Was sie meist als erstes anstellen, sie lassen eine eigene Satellitenschüssel installieren, und wenn sie sich nicht grade in den Freizeitparks oder als Zuschauer in den Stadien herumtreiben‚ hängen sie in ihren Gemeindebauwohnungen vor den Bildschirmen herum. Die Kästen senden und senden und senden: Seifenopern, Quizshows‚ amerikanischer Serienmist und Sport. Sport, Sport, Sport. Jubel, Trubel, Heiterkeit, wie Beatty, der Feuerwehrhauptmann, zu Montag sagte. Glücklich sein ist alles. Her mit den Rennwagen und Hubschraubern, mit den Drogen, mit allem, was automatische Reflexe auslöst - sagte Beatty. Fußball, Autorennen, Boxen, Tennis - auf diese geniale Weise behalten auch die Leute ihren Finger am Puls der Zeit, die weniger als je zuvor in der Lage sind, ihr Leben selbst zu bestimmen.

Nur sobald die Nachrichten zwischendurch eingeblendet werden, wechseln sie entweder auf einen anderen Kanal, oder sie nutzen die Gelegenheit, um aus dem Kühlschrank einen weiteren Sechserpack Bierbüchsen zu angeln. Oder um sich in der Toilette ein bisschen auszukotzen. Immer mehr Leute brauchen auch die Auszeit, um sich die nächste Injektion zu setzen. Oder um eine Frau - IRGENDEINE tut's schon - zu vergewaltigen. Oder um ein paar Kinderchen zu missbrauchen, oder um die eigenen wenigstens ein bisschen zu misshandeln.

Dann gibt es da schließlich noch die Stadien. Zur Jahrtausendwende fing man an, wie besessen Beton für neue Stadien anzurühren. Und natürlich keine kleinen - keine kleinen Stadien, wie gesagt. Fünfzigtausend, achtzigtausend - wenn die Mustermenschen für das Brot & Spiele-Programm konzentriert werden, braucht man jede Menge Platz. Wie man sieht, lässt man diese Leute nicht einfach im Regen stehen: Die neuen Kon-, sorry: Stadien wurden vorsorglich vollständig überdacht und können im Winter sogar beheizt werden. Wir sollten alle verdammt sein, wenn das keine weitere Steigerung der Lebensqualität darstellt. Und sie wird ständig gesteigert, denn ein Reiz darf nie niedriger ausfallen als der vorhergehende, das wusste auch Beatty, der Feuerwehrhauptmann.

Wenn jedenfalls die Erwachsenen - die erwachsenen Mustermenschen - schon ausgesprochen glücklich sind, kommen sich ihre Kinder wahrscheinlich gradezu ERLÖST vor: Sie wachsen glattweg im Paradies auf. Und in Zukunft soll natürlich jeder Mensch NOCH glücklicher werden können!

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Aber vielleicht das Wichtigste kommt noch. Die Philosophie, die dahintersteckt:

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