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Kapitel 7

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Es lief natürlich alles sehr zivilisiert ab - die Bedingungen meines Umzugs, meine ich. Kein zerschlagenes Porzellan oder so. Ich meine, keine verdamm­ten Auseinandersetzungen und so weiter, wie bei normalen Menschen. Im Gegenteil, ich hätte zum Beispiel einen zeitlich unbegrenzten Zugang zu einem Konto bei Barclay’s bekommen können. Tatsache ist‚ dass ich diese Möglichkeit in der ersten Zeit auch nutzte, für die elementarsten Ausgaben, bis Miss Bildungs Freundin, Miss Handlung, die als Redakteurin beim Spezialdemokratischen Rundfunk arbeitete, nach einer Weile anfing, mir die Hörspielgeschichten abzukaufen. Dadurch konnte ich endlich als Profiautor leben. Das entsprach genau meiner Vorstellung. Direkt danach gab ich die Karte von Barclay’s zurück. Es hing nicht nur damit zusammen, dass ich meine Unabhängigkeit demonstrieren wollte, es ging auch darum, besonders gegenüber Miss Handlung zu signalisieren, was ich von ihrem Konsumterror hielt. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich sie schon gut genug und wusste, für eine Karte von Barclay’s wäre sie glattweg auf allen Vieren zum nächsten Einkaufszentrum gerutscht. Oder in ein Kaufhaus. Großmärkte und Kaufhäuser waren für Miss Handlung so etwas wie Pilgerstätten. Der Krempel, den sie ständig anhäufte‚ diente ihr als Trost, um die Hölle ertragen zu können, in der sie als Nazitochter lebte.

Als ich ihr damals erklärte, ich hätte die Barclay’s-Karte zurückgegeben, wollte ich ihr nur klarmachen, dass sie nicht in ihrer persönlichen Hölle ewig und drei Tage lang feststecken MUSSTE. Ich kannte in der Zwischenzeit genug normale Erwachsene - und besonders diese beiden Nazitöchter - und wusste, dass sie alle in ihrer persönlichen Kindheitshölle feststeckten. Diese beiden Frauen hatte es besonders massiv erwischt: Miss Bildung war fast Fünfzig und sah nicht nur so aus wie ein Schulmädchen, sie benahm sich auch oft so. Jedenfalls war ihre Persönlichkeit, also ihr Sein, unterentwickelt. Und Miss Handlung ging es sogar noch schlimmer. Ich meine, sie war weniger hysterisch als Miss Bildung, was Emanzipation und Kinderkriegen und so weiter angeht, und sie kam ohne all diese peinlichen Feminismus-Devotionalien aus, aber stattdessen brauchte sie eben ihr Kartenspiel. Sie musste ewig ihre Kreditkarten ausreizen.

Eigentlich sollte ich der Reihe nach erzählen - und ich werde es gleich auch wieder tun -, aber darum dreht sich schließlich alles, was ich in Spezialdemokratien mit Leuten wie den Nazitöchtern und den sogenannten „Kulturleuten“ erlebte - sie waren alle so atemberaubend KAPUTT! Und zwar nicht nur die Erwachsenen, sondern auch schon die Kinder. Sie waren in diesem Zustand auch nicht vom Himmel gefallen, sondern sie werden in Spezialdemokratien planmäßig konstruiert und hergestellt. Sie laufen dort wirklich vom Band - buchstäblich wie Massenware. Es ist verdammt gespenstisch. Natürlich ist es unter solchen Voraussetzungen nur logisch, dass alle möglichen Banausen und Despoten und sonstige Poser daherkommen können und behaupten dürfen, die Welt ändern und die ideale neue Gesellschaft errichten zu wollen. Solche Massenverführer können sicher sein‚ dass die von klein auf unterdrückte und bevormundete Bevölkerung sich gradezu überschlägt, um solche Schwindler in Positionen zu befördern, von wo aus sie ihre irrsinnigen Ideen auf die Menschen loslassen können. Am liebsten wählt man sie natürlich auch in politische Ämter. Oder sie werden Journalisten, etwa Redakteure beim Spezialdemokratischen Rundfunk. Oder Kulturfunktionäre. Und die vielen Pä-da-go-gen nicht zu vergessen. Alle wollen nur das Beste und kriegen es auch. Jedenfalls ist es weiter kein Wunder, dass jemand wie der Feuerwehrhauptmann Beatty dort den roten Teppich ausgerollt bekommt. Und dass sämtliche Leute, denen ich in Spezialdemokratien über den Weg lief, mich zwingen wollten, für ihn zu arbeiten. Ich sollte meinen Anteil leisten und an der Herstellung der Strichmännchen-Paradieswelt mitwirken. Alle waren einstimmig der Meinung, ich sei ganz großartig dafür qualifiziert - sowohl als Wissenschaftler als auch als Schriftsteller. Alle waren schon so an ihre Manipulation gewöhnt‚ dass Sie automatisch davon ausgingen, ich würde mich in meiner Haut genauso wenig wohlfühlen wie sie. Sich selbst zu hassen war immerhin AUCH eine Grundvoraussetzung, um im spezialdemokratischen System zur Führungsetage aufzusteigen. Und schon allein diese eine Voraussetzung erfüllte ich eben NICHT - ich war viel zu intakt, mental und psychisch und so weiter, um bei den Spielchen in diesem Musterland mitzumachen.

Wahrscheinlich hatte Miss Bildung, als ich ihr anfangs bei Drake & Drake begegnete, angenommen, die Trennung von meiner einzigen Freundin und vorher der Verlust von Prof senior hätten ausgereicht, um mich so fertigzumachen, dass ich qualifiziert gewesen wäre, bei einer verdammten Politik mitzumachen, deren Ziel darauf angelegt ist, dass eines nicht allzu fernen Tages jeder Mensch mit dem Kopf unterm Arm herumläuft und von Hass und Neid und Blödheit aufgefressen wird. Weil ich mich dafür entschieden hatte, als Autor arbeiten zu wollen, sollte ich einen dieser großartigen Kulturmaschinisten abgeben, die von Spezialdemokratien aus, aber auch sonst überall in Deutschland nichts anderes zu tun haben als die naiven Massen zu ideologisieren. Ich sollte mithelfen, den Boden vorzupflügen, damit der Feuerwehrhauptmann Beatty seine Saat darin aufgehen lassen kann. Zuerst sollte ich behaupten, die Bundesrepublik sei ein Saustall - nur Spezialdemokratien nicht. Ich sollte sagen, die meisten Deutschen seien kryptofaschistoide Reaktionäre - nur die Bewohner von Spezialdemokratien nicht. Man erwartete, dass ich in diesem Halleluja-Chor mitsang, den die 68er Nazikinder - ab den frühen 70er Jahren mit der Stasi-Abteilung für Propaganda und Desinformation als Sponsor - eingerichtet hatten, um die alten-neuen Lieder abzuleiern.

Natürlich hielten mich meine neuen Freunde nicht für perfekt, aber wenigstens gingen sie davon aus, ich hätte in meinen zehn Semestern Gesellschaftswis­senschaften die Grundlektionen verinnerlicht. Es muss sie wenigstens in der Frühphase ziemlich irritiert haben, dass es außerhalb ihres Bildungssystems auch noch andere Perspektiven gibt.

Vom DDR-Partnerland Spezialdemokratien aus sollte ich mitarbeiten, über Medien, die die 68er Nazikinder im Verlauf ihres „Marsches durch die Institutionen“ unterwandert und mehrheitlich gleichgeschaltet hatten, nach dem Vorbild der DDR-Propaganda in der Bevölkerung ein Weltbild und eine Wirklichkeitswahrnehmung zu vermitteln, wonach überall in der Bundesrepublik, wo nicht grade die Spezialdemokraten und die „Rettet die Welt!“-Partei das Sagen hatten, Nazis, Faschisten und Imperialisten an der Macht wären. Und dass sie selbstverständlich nur Krieg und Ausbeutung im Kopf hätten. Kriege und Ausbeutung überall in der Welt, aber natürlich auch im eigenen Land. Demzufolge waren nur diejenigen freie Bürger, die bereits durch die geniale Wirtschaftspolitik der Spezialdemokraten und der großartigen Retter der Welt von den Fesseln des Kapitalismus befreit worden waren: die Arbeitslosen. Und die Sozialuntertanen (wovon es in Spezialdemokratien, besonders im Ruhrgebiet, schon welche in der dritten Generation gab).

Ich sollte mithelfen, der Bevölkerung einzureden, alles, was sie für ein gutes Leben brauchte, seien Brot und Spiele. Jedem einzelnen standen jetzt schon mindestens hundert TV-Programme zur Verfügung, und in jeder größeren Stadt wurden neue, riesige Sportstadien hochgezogen (hauptsächlich natürlich für Fußball, dem Opium für die Massen). In einer Stadt mit fünfhunderttausend Einwohnern, von denen fünfzehn Prozent bereits vom Leiden am Leben befreit worden waren, erhielt das neue Stadion selbstredend siebzig­tausend Plätze - statistisch für jeden neuen Mustermenschen ein Platz. In Ladengeschäfte, von denen immer mehr leerstanden, zogen Sozialstationen oder jede Menge Spielhallen und Videotheken. Nicht zu vergessen die Einheitspreisläden mit Ramschware.

Ich sollte mir eine goldene Nase verdienen und mich womöglich sogar noch für eine Politkarriere qualifizieren, wenn ich dabei mitgeholfen hätte. Miss Handlungs Jugendredaktion wurde ich anfangs nur deshalb zugeteilt, weil ich damals jünger aussah als ich war (dachte ich zuerst) - kann aber ebenso gut sein, dass für die Bearbeitung der Kindergehirne besonders viele Aktivisten gebraucht wurden. Immerhin: Wer die Kinder hat, hat die Zukunft. Und wenn erst die Kinder im Sack sind, ist die Zukunft garantiert im Eimer. Ich ging jedenfalls nicht her, den lieben Kleinen zu erzählen, es sei für alle und alles am besten, ein Kind mit einem IQ von 120 möglichst lange in einer staatlichen Einheitsschule neben ein Kind mit einem IQ von 80 zu platzieren, damit am Schluss der Schulzeit beide über einen IQ von 100 verfügten (der für die Gestaltung der großartigen Zukunftsgesellschaft angestrebte Durchschnittswert).

Ohjunge, sie träumten damals sogar davon, die Sprache, also das Denken und die Verständigung der Menschen untereinander, zu verändern. Und zwar wollten sie ihre Rechtschreibung und die Grammatik reformieren. Immer mehr Menschen, vor allem Schulkinder, konnten nicht mehr richtig lesen und schreiben; weil deshalb, wenn man die alten Standards beibehielt, die Kinder immer schlechtere Noten bekommen hätten, sollte die Sprache vereinfacht und das, was vorher als Fehler gewertet worden war, zukünftig für richtig erklärt werden. Sinnentstellungen und Verdrehungen - NULL PROBLEMO! Schließlich hockte sowieso fast jeder nur noch vor irgendeinem Flimmerbildschirm und war drauf und dran, zu einem stummen Autisten zu mutieren. Wozu noch kompliziertere Gedanken im Kopf haben? Oder sie auch noch aussprechen oder aufschreiben? Man muss überhaupt keine Bücher mehr verbrennen, so wie die Nazis und die Feuerwehr von Hauptmann Beatty, wenn nur die Kinder nicht mehr richtig Lesen und Schreiben lernen - BINGO!

Ich bekam später erklärt, das alles wäre ein Privileg gewesen. Nichts weniger als ein verdammtes Privileg - an der Zukunft mit zimmern zu dürfen, aber ich hätte nichts Besseres mit dieser Vorzugsbehandlung anzufangen gewusst, als alles demonstrativ in den Sand zu setzen. Und in den Dreck zu ziehen.

Dabei hätten sie immer nur mein Bestes gewollt - aber genau das wollte ich ihnen ja nicht überlassen. Was auch nur wieder mit der Kindheit zusammenhängt. Ich wusste genau, woher ich kam, als ich damals Miss Bildung über den Weg lief. Und ich wusste genauso gut‚ wo ich hinwollte. Nur Menschen wie die 68er Nazikinder können sich so etwas überhaupt nicht vorstellen - sie wollten nicht sein, was sie sein sollten, und was sie sein wollten, konnten sie nicht sein. Mit ihrem phänomenalen Identitätsproblem mussten sie einfach schizophren werden.

Therapieren ließen sie sich schließlich auch nicht, und wenn doch einmal jemand, dann viel zu spät. Außerdem gab es für sie in den 50er und 60er Jahren, als eine Therapie noch geholfen hätte, viel zu wenig entsprechend ausgebildete Ärzte - die Väter der Nazikinder hatten sie doch alle aus dem Land gejagt. Damit sorgten sie für eine gespenstische Kontinuität. Für die Weiterführung extremer Verhältnisse braucht man immerhin Menschen, denen die innere Mitte fehlt. Entwurzelte Existenzen. Selbstentfremdete Identitäten. Eben jede Menge perfekte Strichmännchen. Auf der Suche nach sich selber machen sie den größten Blödsinn mit. Je älter sie sind, umso schlimmer benehmen sie sich, weil sie schon so lange chronisch gestört leben. Liebe spielt natürlich auch eine Rolle. Nehmen Sie irgendwelche Extremisten oder Fanatiker, die von irgendetwas besessen sind. Sie müssen gar nicht immer Schaum vorm Mund haben, wie Hitler, oder bis in die Knochen korrumpiert sein von Zynismus, wie Stalin. Es reicht schon völlig aus, wenn solche Leute eben die Welt retten wollen und alles. Was sie so krank im Kopf macht, ist unter anderem ganz einfach die fehlende Liebe. Eltern wie die der Nazitöchter, die einem Psychopathen und seiner Gewaltherrschaft dienten, konnten ihre Kinder natürlich nicht wirklich lieben. Sie gingen zwar her und behaupteten das Gegenteil, aber diese Verdrehung führte natürlich leider nur dazu, dass ihnen Ersatz, also Pseudoglücksgefühle, als „Liebe“ verkauft wurden - nur leider keine RICHTIGE Liebe. Mit diesem großartig qualifizierten Personal ließen und lassen sich methodisch alle möglichen Begriffe und ihre Bedeutungen verdrehen - einfach so lange, bis alles auf dem Kopf steht. Ich meine, wirklich ALLES UND ALLE!! Ganz wesentliche Dinge, die elementarsten wie Recht und Unrecht, Sinn und Unsinn, Vernunft und Unvernunft. Der Feuerwehrhauptmann Beatty lässt seine Headhunter in der ganzen Welt herum­laufen‚ um diese verdrehte Bande für seine Zwecke arbeiten zu lassen. Und in Deutschland und Japan finden sich natürlich besonders viele. Demnächst schickt er seine Headhunter auch noch nach China, denn in den asiatischen Massengesellschaften gilt ein Individuum schließlich aus Tradition nichts. In Deutschland standen sie noch nie besonders hoch im Kurs, und daran hat sich im Prinzip auch nichts geändert. Es überschlagen sich zwar alle und täuschen vor, als würden sie für Minderheiten alles tun, aber das läuft auch nur auf einen großen Schwindel hinaus, weil diese Minderheiten nur akzeptiert werden, wenn sie organisiert auftreten und ganz klar das Ziel verfolgen, irgendwann die Mehrheit zu stellen. Natürlich bekommen die Zombies mit psychosozialem Aids die größte Protektion. Die Zombiefraktion war zuerst gar nicht besonders groß, aber dann bestrahlte sie die orangefarbene Sonne, und in kürzester Zeit waren dermaßen viele Zombies los, dass sie jedem, der noch nicht mit dem Kopf unterm Arm herumläuft, den Hintern an die Wand nageln können.

Offiziell ist es zwar noch verboten - ich meine, der lustige Paragraph 1 der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland behauptet nach wie vor, die Würde des Menschen sei unantastbar und alles, aber in der Praxis ist man bereits um einiges weiter. Weiter fortgeschritten. Vor allem seitdem die Zombiefraktion in der Politik mitmischt und aus den verschiedenen Regierungsbeteiligungen heraus alles umgestaltet - so wie ein Haus von innen umgebaut wird, ohne dass sich an der Fassade etwas ändert. ENTKERNEN, nennt man das.

Was Miss Bildung und Miss Handlung in ihrer Rechnung schlie

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lich bezeichnenderweise auch v

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llig verga

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en, ist der Opfer-T

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ter-Faktor. Ich meine, bevor jemand zum T

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ter werden kann - an den eigenen Kindern zum Beispiel, oder eben an mir -

muss man erst einmal Opfer gewesen sein. So wie die Nazit

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chter Opfer ihrer Eltern waren, besonders ihrer V

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ter. Sie waren damit also ganz gro

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artig f

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r die Ordnung qualifiziert, in der sie alle seit so-und-so langer Zeit dahinvegetierten - ihre Familientradition und alles -

aber ich passte nicht zuletzt schon deshalb nicht in ihr ganzes System, weil ich fr

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her niemandes Opfer gewesen war. Im Gegenteil, alle m

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glichen Menschen, mit denen ich zu tun hatte, bevor ich nach Spezialdemokratien kam, hatten alles unternommen, um mich zu f

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rker werden zu lassen. Prof senior, meine einzige Freundin, alle m

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glichen Lehrer (abgesehen von den Strichm

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nnchen in dieser staatlichen Schule) - niemand versuchte, mich

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ter nannte. Wo Leute wie die beiden Nazit

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chter herkommen, werden traditionell alle Kinder in die Zwangsjacke gesteckt, damit die psychischen und sozialen Deformationen mit jeder Generation ein St

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ck schlimmer werden. In gewisser Weise ist das nat

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rt genug sein, damit ist jeder am Ende auch noch stolz, Opfer sein zu d

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uft wohl auch auf eine Art Generationenvertrag hinaus. Alle k

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nnen sicher sein, zu einer bestimmten Zeit systematisch fertiggemacht zu werden. Noch eine perfekte Maschine: die Opfer-T

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