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„Gebrauchsanweisung“

Die alten Chinesen hatten ein kompliziertes und langwieriges Ritual, um das Orakel zu befragen. Die dabei verwendeten Schafgarbenstengel und der I Ging-Foliant wurden in Seide eingeschlagen und nur zu ganz besonderen Momenten unter tiefen Verbeugungen hervorgeholt. Sie durften keinesfalls durch profane Handlungen entweiht werden.

Ich persönlich meine, dass wir nicht Inhalt und Form verwechseln sollten. Ein Buch ist nicht mehr als Papier und Pappe, und wenn hier etwas „heilig“ ist, kann das nur die Begegnung mit der kosmischen Intelligenz sein. Es ist zwar völlig in Ordnung, wenn sich jemand ein persönliches Ritual gestalten möchte, doch sollte er es mit der Verehrung der I Ging-Utensilien nicht übertreiben. Gott sei Dank ist es auch gar nicht mehr nötig, eine Stunde lang Schafgarbenbündel immer wieder neu zu gruppieren, um das Orakel zu befragen. Stattdessen wird heutzutage fast durchgängig die einfache Münzmethode angewandt. Ich werde Ihnen hier nur diese eine Methode vorstellen, und auch das auf sehr pragmatische Weise, ohne überflüssigen Hokuspokus.

Bei aller Zwanglosigkeit spielt es dennoch eine große Rolle, dass wir uns für eine Befragung Zeit nehmen und dafür sorgen, dass wir nicht gestört werden. Unser Geist kann sich nur öffnen, wenn wir einen geschützten Raum haben – so wie bei der Meditation oder beim Gebet.

Die Frage

Am Anfang einer I-Ging-Sitzung steht die Frage. Je klarer wir sie fassen können, desto einleuchtender wird unsere Kommunikation mit dem Orakel. Doch unser Kopf ist oft so verwirrt von der Unzahl der Gedanken, die um ein Konfliktthema kreisen, dass wir besser bei unseren Gefühlen nachspüren sollten. Sie zeigen uns, wo sich die Energie staut, wo wir Unterstützung brauchen.

Viele Autoren empfehlen, dass wir die Fragen, die wir an das I Ging richten samt der erhaltenen Antworten möglichst genau notieren, vielleicht sogar archivieren. Das hat gewiss seine Vorteile, schon einmal, weil wir uns auf diese Weise intensiver auf unser Thema einlassen und mehr Ordnung in unserem Geist schaffen. Außerdem vergessen wir schnell und bringen unsere Erinnerungen durcheinander. Da so manche Antwort erst im Nachhinein Sinn ergibt, wäre es schade, wenn wir dann nicht mehr genau wüssten, wie damals eigentlich unsere Frage war. So gesehen empfehle auch ich jedem I Ging-Anfänger, sich zumindest stichpunktartig Frage und Antwort in einem kleinen Notizbuch aufzuschreiben oder ein I Ging-Tagebuch anzulegen.

Andererseits wird auch immer wieder betont, wie wichtig die Formulierung der Frage sei. Diese Meinung teile ich nicht ganz. Das I Ging versteht, worum es uns geht, auch ganz ohne Worte. Es ist gewiss wertvoll, darüber nachzudenken, welcher Aspekt unserer Frage uns am meisten bewegt, da eine kluge Frage die Antwort oft schon in sich birgt. Und gewiss sind gedankenlose, unbewusste Fragen dazu geeignet, uns in noch größere Verwirrung zu stürzen, etwa wenn wir fragen: „Was ist besser, dieses oder jenes?“. Aber ganz abgesehen davon zielt die Antwort des I Ging immer genau ins Schwarze, selbst wenn unsere Frage vielleicht aufgrund eigener Vermeidungstendenzen nur am Rande blieb. Ich selbst formuliere meine Fragen weitgehend sehr offen, wie etwa: „Was ist der nächste Schritt?“, „Was ist im Augenblick besonders wichtig?“, „Was muss ich zu diesem Thema wissen?“… Wenn wir so vorgehen, brauchen wir allerdings eine geistige Flexibilität, die erspürt, wohin die Antwort zielt. So manches Mal wird uns erst durch die Antwort unsere eigentliche Frage bewusst werden.

Konkretere Fragen könnten so aussehen: „Was geschieht, wenn ich … tue?“ „Welche Einstellung soll ich gegenüber XY einnehmen?“

Die Offenheit der Fragestellung ist wichtig, weil wir in konkrete Formulierungen oft unsere falschen Grundannahmen hineintragen, so dass eine passgenaue Antwort zu einem Ding der Unmöglichkeit wird. Das passiert etwa bei der beliebten Frage „Was soll ich tun?“, gerne gestellt von aktiven Feuermenschen, die meinen, das Leben immer im Griff haben zu müssen. Wenn es im Leben dieser Aktivisten aber gerade einmal wichtig wäre, in sich zu gehen, zu spüren und den Handlungszwang loszulassen, dann muss das I Ging die gestellte Frage umgehen. Genauso problematisch ist die Frage: „Wie soll ich mich verhalten, um … zu erreichen?“ – Und was ist, wenn es gar nicht im Sinn des Kosmos ist, dass wir diese begehrte Sache bekommen? Sie merken schon: nur mit beharrlicher Achtsamkeit können wir die vielen Fallen umgehen, die uns das Ego stellt.

Die Münzmethode

Um mit dem I Ging in Kontakt zu treten, brauchen wir nicht mehr als drei gleichartige Münzen. Hübsch sind natürlich die chinesischen Lochmünzen, die es im Handel gibt, aber im Grunde tun es auch drei banale Fünfzig-Cent-Stücke.

Jede Münze hat zwei Seiten, Bild und Zahl, die wir Yin und Yang zuordnen. Da die Zahl ein Symbol für die linke, logische Hirnhälfte ist, steht sie dem männlichen, leistungsorientierten Yang näher, während die Bildseite der rechten Hemisphäre entspricht und damit dem weiblichen Yin.

Im letzten Kapitel habe ich schon von den beiden Zuständen gesprochen, die Yin und Yang jeweils annehmen können. Diese spielen bei der Orakelbefragung eine wesentliche Rolle. Noch einmal zur Erinnerung: es gibt das ruhende Yang, das ruhende Yin, das bewegte Yang und das bewegte Yin, also vier verschiedene Möglichkeiten, die wir beim Münzenwerfen in bestimmten Mustern codieren.


Nachdem ich meine drei Münzen in der hohlen Hand geschüttelt habe, werfe ich sie gleichzeitig und betrachte, mit welcher Seite nach oben sie jeweils zum Liegen kommen. Dabei gibt es die gerade beschriebenen vier Alternativen:

Zahl, Bild, Bild: Wenn bei den drei Münzen zweimal Bild und einmal Zahl oben liegt, wird dieses Muster vom einzelnen Yang geprägt. Es steht für stabiles Yang.

Bild, Zahl, Zahl: Wenn zweimal Zahl und nur einmal Bild erscheint, handelt es sich analog um ruhendes, stabiles Yin.

Zahl, Zahl, Zahl: Wenn dreimal Zahl oben liegt, ist das Yang zur Vollendung gekommen und deshalb am Punkt, sich zu wandeln. In diesem Fall markiere ich die Linie mit einem Kreuz: das Yang ist bewegt, wir haben eine Yang-Wandellinie.

Bild, Bild, Bild: Dasselbe gilt, wenn dreimal Bild oben liegt. Dann handelt es sich um eine bewegte Yin-Linie, die sich ebenfalls wandeln will und wieder mit einem Kreuz markiert wird: es ist eine Yin-Wandellinie.

Jeder Münzwurf definiert eine Hexagrammlinie. Ich muss meine drei Münzen also sechs Mal werfen, um das vollständige Hexagramm zu finden. Dabei notiere ich auf einem Blatt Papier Linie für Linie von unten nach oben, so dass ich ein Muster aus sechs Linien erhalte. Die unteren Linien 1-3 bilden das untere Trigramm, die Linien 4 bis 6 das obere. Mit diesen Informationen kann ich in der Hexagrammtabelle am Anfang des Buches nachsehen, um welches Hexagramm es sich handelt. Wenn mein Antwort-Hexagramm keine Wandellinien besitzt, ist die Situation für eine Weile stationär, andernfalls befindet sie sich in unmittelbarer Bewegung. In diesem Fall muss ich auch noch das Ergebnishexagramm ermitteln – einfach, indem ich alle betroffenen Wandellinien in ihren Gegenpol verwandle und das so entstandene neue Hexagramm wieder nachschlage.


Das Ausgangshexagramm 59, Die Auflösung, verwandelt sich durch die zwei Wandellinien auf Platz 1 und 5 in das Ergebnishexagramm 41, Die Minderung

Also noch einmal ganz kurz:

 Ich werfe meine drei Münzen insgesamt sechs Mal und notiere dann jeweils von unten nach oben das Ergebnis: Yin oder Yang, ruhend oder bewegt.

 Anschließend identifiziere ich die beiden Trigramme.

 Mit dieser Information kann ich in der Hexagrammtafel nachsehen, welches Hexagramm ich als Antwort bekommen habe.

 Falls es im Ausgangszeichen bewegte Linien gibt, wandle ich sie um und finde auf dieselbe Weise das Zielhexagramm heraus.

 Anschließend lese ich die entsprechenden Texte: bei einem ruhenden Hexagramm ohne Wandellinien nur die allgemeine Deutung, bei einem bewegten Hexagramm zusätzlich den Text der Wandellinie und die allgemeine Deutung des Ergebnishexagramms.

Kleines Glossar besonderer Begriffe im I Ging

Das Original-I Ging hat viele emblematische Ausdrücke, die uns Westlern nicht unmittelbar vertraut sind. Im Großen und Ganzen habe ich versucht, diese Symbolsprache bereits in den Deutungstexten aufzuschlüsseln, doch einige wenige sind so typisch, dass ich sie an dieser Stelle explizit erklären möchte (Wenn Sie sich ausführlich diesem Thema befassen wollen, werden Sie fündig bei Adrian). Darüber hinaus gibt es auch in dieser neuen Version des I Ging spezifische Begriffe, die einer genaueren Definition bedürfen:

Der Weise, der Edle, der Gemeine: Mit diesen drei häufig verwendeten Begriffen meint das I Ging unterschiedliche menschliche Reifestufen, die wir alle parallel ausfüllen. Der „Gemeine“ ist ein Bild unseres „kleinen Ich“, des Ego; der „Edle“ steht für unser spirituelles Streben, das sich an Ehrlichkeit zu uns und anderen ausrichtet; vom „Weisen“ ist in jenen Momenten die Rede, in denen wir unser höchstes Potenzial berühren.

Der große Mann: Hier sehen wir ein Bild für unseren weisen inneren Meister, für unser wahres Selbst, für unseren Wesenskern. Dieser Aspekt von uns hat nie den Kontakt zum Göttlichen verloren und stimmt mit seinem Willen überein. Da er sich nicht in unsere menschlichen Probleme verwickelt, besitzt er eine übergeordnete Urteilskraft.

Das große Wasser überschreiten: Wenn dieses vielsagende Wortbild erscheint, geht es darum, ein neues Ufer zu erreichen, das für unser spirituelles Wachstum entscheidend ist. Das ist immer ein schwieriger und folgenschwerer Schritt, der nur gelingen kann, wenn wir vom Ego zurücktreten und eine überpersönliche Sichtweise einnehmen.

Oben: Autoritätsfiguren, Vorgesetzte, Privilegierte, gereifte Menschen, tonangebende, maßgebliche Personen, „große Tiere“, Gewinner-Typen, geistige Führungsinstanz, Werte, geistiger Überbau, Top-down-Prozesse …

Unten: Untergebene, Bedürftige, unterprivilegierte oder unreife Menschen, Verlierer-Typen, kleine Leute, unentwickelte oder missachtete innere Anteile, Fundament, Körper und Instinkte, Grundbedürfnisse, materielle Grundlagen, Verbundenheit mit den Wurzeln und der irdischen Welt, Erdung, Bottom-up-Prozesse …

Kosmos: Tao, Universum, geistige Welt, das Große Ganze, Göttlichkeit

Zuschreibung: Urteil, mit dem wir uns identifizieren, oder das wir wie ein Etikett einem anderen anheften. Obwohl dieses Etikett zunächst von anderen kommt, wird es fatalerweise mit der Zeit ins Selbstbild übernommen. Jede Zuschreibung trennt uns von dem, was wir wirklich sind.

Projektion: Wer bestimmte innere Anteile an sich nicht wahrhaben will, dem kommen sie von außen entgegen, in Gestalt anderer Menschen und Ereignisse. Wir projizieren unseren eigenen Schatten wie ein Dia auf die Welt und machen damit die anderen zu Sündenböcken. Etwas Ähnliches geschieht mit unbewussten Glaubenssätzen. Solange wir nicht Bescheid wissen, was wir im Innersten für wahr halten, projizieren sich diese Überzeugungen in die Wirklichkeit, zuweilen mit fatalen Konsequenzen.

Innere Anteile: Unsere Persönlichkeit ist nicht aus einem Guss. Treffender ist ein Modell, das sie als System vieler Teilpersönlichkeiten betrachtet - darunter sind männliche und weibliche, kindliche und reife innere Persönlichkeiten. Sie alle besitzen jeweils ganz unterschiedliche Anliegen, Sichtweisen und Lebensstrategien, die sich oft gegenseitig bekämpfen. Da aber jeder einzelne dieser Anteile seine Daseinsberechtigung hat, ist unser Lebensglück davon abhängig, dass wir lernen, sie miteinander auszusöhnen.

Das kollektive Ego: Die herrschende öffentliche Meinung, „man“, unser inneres Bild der Gesellschaft, Über-Ich, Wir-Denken, Alltags-Mythen, Stammeslehren, kollektive Denk- und Handlungszwänge, kulturelle Matrix, jene verinnerlichte Gedankengemeinschaft, die unsere Konformität einfordert.

Ego: Falsches Selbst. Die Illusion, wir seien vom Kosmos getrennt und stellten darin etwas Besonderes dar. Scheinbar abgegrenzte, isolierte Identität, die mit Angst und dem Gefühl, kämpfen zu müssen, einhergeht.

Selbstbild: Ein Aspekt des Ego. Das, was wir zu sein glauben. Jedes Selbstbild, egal ob positiv oder negativ, ist eine Reduzierung und Verzerrung unserer wahren Identität.

Das wahre Selbst: Die Buddhanatur, unser innerster Wesenskern, der nach wie vor im Einklang mit dem Ganzen ist. Er mag vom Ego überlagert, kann aber niemals zerstört werden.

Innere Wahrheit: Die persönliche Wirklichkeit unseres authentischen Fühlens und Empfindens, die sich oft beträchtlich von dem unterscheidet, was wir denken und für richtig halten. Sie zeigt uns, was für unseren Weg in diesem einzigartigen Moment stimmig ist. Die innere Wahrheit ist immer relativ und nicht auf andere Menschen und Situationen übertragbar.

Die Systematik der Deutungs-Texte

Ich habe meine Darstellung der Hexagramme in einer ganz bestimmten Weise aufgebaut, die ich knapp erläutern möchte:

An erster Stelle in diesem Deutungs-Gebäude finden Sie eine Reihe von Schlüsselwörtern, die assoziativ auf die Thematik des Hexagramms einstimmen. Darunter sind immer wieder auch Begriffe, die sich auf den ersten Blick gegenseitig auszuschließen scheinen. Der Widerspruch klärt sich auf, wenn wir uns klarmachen, dass die scheinbaren Gegensätze zum gleichen Bedeutungsspektrum gehören, das sich je nach Umständen so oder so äußert. Immer wenn es etwa um „Ehrlichkeit“ geht, geht es ja automatisch auch um die Möglichkeit der „Unaufrichtigkeit“ und umgekehrt.

Der Abschnitt Quintessenz ist hervorgehoben und bietet eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Ideen dieses Hexagramms. Er dient zur Orientierung und zum Überblick. So können Sie sich die inhaltlichen Schwerpunkte des Hexagramms rasch vergegenwärtigen.

Unter der Rubrik Naturbild wird zunächst die Trigrammstruktur des Zeichens aufgeschlüsselt. Diese acht Trigramme und die ihnen zugeschriebenen Naturelemente zu kennen, gehört zu den wenigen Voraussetzungen für die Anwendung des I Ging. Die beiden Trigramme, die im jeweiligen Hexagramm zusammenwirken, kreieren eine besondere innere Dynamik, die im Text zum Naturbild „ausgemalt“ wird und uns ein wenig nachvollziehen lässt, wie die chinesischen Naturphilosophen zu ihren Erkenntnissen gelangt sind. Eingangs zitiere ich jeweils die Übersetzung des Urtextes von Richard Wilhelm, anschließend folgt ein Kommentar.

Der folgende, zentrale Textabschnitt beschreibt die jeweilige Zeitqualität und wird mit dem Zitat des sogenannten „Urteils“ im Urtext eingeleitet. Er erläutert ausführlich den Bedeutungsrahmen des Hexagramms, so dass auch seine feineren Nuancen verständlich werden. Dieser Abschnitt ist zweigeteilt. Der erste Teil wählt die traditionelle Deutung als Ausgangspunkt, während der zweite neue Wege geht (hier habe ich mich von Anthony und Moog inspirieren lassen, die in ihrem Werk „Das kosmische I Ging“ hochinteressante Aspekte aufwerfen). Wir existieren ja auf zwei Seinsebenen mit jeweils völlig unterschiedlichen Weltwahrnehmungen – mal im Ego, mal im wahren Selbst. Dieser fundamental spirituelle Blickwinkel lenkt unsere Aufmerksamkeit auf besondere Aspekte des Hexagramms, die unser gewohntes Weltbild skeptisch hinterfragen. Zuweilen mag es aussehen, als ob der obere Abschnitt im Widerspruch zum unteren stünde, doch das ist eine Frage der Ebenen. Da der zweite Abschnitt noch tiefer in die Konstruktion unserer Weltwahrnehmung eindringt, konfrontiert er uns mit Wahrheiten, die über unsere Alltagsbewältigung hinausgehen. So kann gewissermaßen beides wahr sein – eine Paradoxie, ganz im Sinne der alten Chinesen.

Den letzten Abschnitt bilden die sechs Wandellinien, die wieder mit dem Zitat der Wilhelm’schen Übersetzung beginnen. Auch hier gibt es eine Unterrubrik („Tiefendynamik“) zur genaueren Beleuchtung der Egostruktur.

I Ging

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