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Zwischen Mond und Erde

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*** 06:00 Uhr ***

*** Mondorbit, Skyrock-Central, Deck 345 ***

Nevis Korvalinski beendete das Gespräch, sprang auf und drehte Runden in seinem Büro – die Nervosität hatte ihn in der Mangel.

Diesmal machte er sich ernsthafte Sorgen um die Zukunft seiner Firma. Gegenüber den eigenen Angestellten würde er das nicht zugeben, aber er vermochte sich auszumalen, was geschah, wenn seine Auftraggeber zu der Überzeugung kamen, dass sein Unternehmen nicht mehr für den Schutz von Kap Rosa geeignet war: Sie würden die Konsequenzen, beziehungsweise den Stecker ziehen. Dann durfte er einpacken und gehen.

Und er wusste auch, welcher Druck in dem Zusammenhang auf seiner rechten Hand Simon Isherhill lastete, der sich in der Sol Guard-Zentrale unten auf dem Mond mit dem Skyrock-Inspektor herumschlug.

Hoffentlich, betete Nevis, kriegt Simon diesen Fatzke in den Griff. Aber nach dem, was er eben aus dem Gespräch mit Isherhills Sekretärin herausgehört hatte, standen die Dinge schlecht. Anscheinend wollte die Company ihnen etwas anhängen. Deswegen hatten sie ihren Wachhund von der Leine gelassen, damit er beißen konnte.

Doch Nevis weigerte sich mit anzusehen, wie seine Firma von Duquette zerfleischt wurde. Es gab Grenzen. Er war längst dabei, sich Gegenmaßnahmen und juristische Schritte zu überlegen, die den Mann davon abhalten sollten, während der Krisenzeiten ein zusätzliches Chaos zu provozieren. Natürlich alle in legalem Rahmen, denn schließlich wollte er der Company nicht weitere Gründe für eine Vertragskündigung in die Hände spielen, falls es zu einer Analyse seiner SuperMindCell-Aufzeichnungen kam. Eine Hexenjagd zeichnete sich hier ab, auf die er reagieren musste. Und er durfte sich nicht die Kontrolle über die Vorgänge nehmen lassen. Niemals.

Der Baulärm einige Abteilungen weiter riss Nevis aus seinen Gedanken. Er seufzte und blieb stehen.

Wie lange brauchen die, um diese gottverdammte Station auf Vordermann zu bringen?! Das geht jetzt seit Wochen so. Und morgen kann ich in das nächste Ersatzbüro umziehen. ›Nötige Renovierungen‹ … Pah!

Sein Blick fiel durch das Ovalfenster, welches von einer Wand zur anderen reichte. Er schweifte über die Schwärze des Weltalls und dessen Milliarden Lichtpunkte. Das Sternenmeer schien heute zum Greifen nah.

Langsam wanderte die Erde mit ihrem künstlichen Planetenring ins Sichtfeld.

Nevis vergrößerte den Fensterausschnitt.

Unzählige Raumschiffe umschwirrten den Ring, auf dem die Grundstücke von Politikern, Filmstars und anderen Prominenten zu erkennen waren. Dazwischen lagen Freizeitanlagen und Golfplätze, und ein paar Kilometer über dem Ring schwebte eine der vier Space-Beach-Anlagen. Geboren aus den Ideen eines Startup-Unternehmens und von cleveren Geschäftsleuten übernommen, durften sich die Gäste an den Kunstmeeren, Bilderbuchstränden und in den Luxushotels wie im Paradies fühlen. Das nötige Kleingeld vorausgesetzt.

Nevis hatte vor ein paar Jahren den ersten Urlaub seit der Gründung der Sol Guard dort verbracht, nachdem seine Frau wegen seines Gesundheitszustandes auf die Barrikaden gegangen war. Lange hatte er es jedoch nicht in diesem Irrenhaus ausgehalten, denn schon am zweiten Tag war er sich wie betäubt vorgekommen – ein Trauma, das in seiner Erinnerung in den lebendigsten Farben schillerte. Genau wie der »Viehtrieb«, bei dem man vom Buffet zum Strand, zu den Animateuren und zurück zum Buffet gescheucht wurde.

Kaviar hier, Blödelgehopse da, Massagen, Cocktails … zum Kotzen!

Nach einer Woche hatte er den Urlaub abgebrochen und war zurück in sein Arbeitsleben geflüchtet. Der Härte der Realität gab er allemal den Vorzug gegenüber einer solchen Dekadenzscheiße.

Nevis lachte bitter in sich hinein. Diesmal ist die Realität so hart wie selten zuvor … ganz nach deinem Geschmack, was alter Junge?

Über vier Jahre Kap Rosa-Überwachung, doch weshalb häuften sich in der jüngsten Vergangenheit die Ereignisse, wie seit den Anfangstagen nicht mehr? Vor einem Monat hatte der Ärger begonnen. Zuerst in Form kleinerer Zwischenfälle.

Beispielsweise die Geschichte in der Gleiterbahn. Laut den Aussagen von zwölf Personen hatte sich ein Werbe-Hologramm vor einem Fahrgast gebildet, welches das exakte Aussehen des Mannes besaß. Der Doppelgänger stürzte sich auf den Mann und drang in ihn ein, woraufhin dieser schreiend kollabiert und von Zuckungen gepeinigt worden war. Momente später stand er auf, produzierte insektenhafte Klicklaute und begann sich in aller Seelenruhe die Augen auszudrücken. Nachdem er damit fertig war, griff er die anderen Fahrgäste an und versuchte dasselbe bei ihnen. Die Leute überwältigten den klickenden Mann und lieferten ihn bei der Sicherheit ab, wo er im Laufe der nächsten Stunden unter Qualen starb. Der Autopsie zufolge hatten sich in den Augenhöhlen des Mannes neue Sehorgane gebildet, die auf vierdimensionales Sehen ausgelegt waren, wobei die vierte Dimension eine verzerrte Zeitkomponente darstellte.

Was jedoch die Hologramm-Emitter in der Bahn projiziert hatten, blieb ein Mysterium.

Zwei Tage darauf hatte sich ein Vorfall in einem Erholungsgarten ereignet, wo urplötzlich Pflanzenranken aus den Beeten geschossen waren und faustgroße Blütenkapseln bildeten. Als sich Neugierige näherten, öffneten sich die Blüten, stießen Sporenwolken aus und verursachten bei den Personen geschwürartige Hautveränderungen und Schüttelfrost. Auf der Krankenstation diagnostizierten die Ärzte ein Absinken der Körpertemperatur der Betroffenen, das selbst durch die Zufuhr großer Hitze nicht zu stoppen war und zur Erfrierung der Menschen in ihren Regenerationskammern bei 130 °C führte. Eine Analyse der Pflanzen war nicht mehr möglich, da sie zu Staub zerfallen waren.

Und Nevis fiel die verrückte Sache mit den Nahrungsverteilern ein. In drei Restaurants spuckten die Geräte literweise Nahrungsgel in Form der Rohmasse aus, die fluoreszierende Klümpchen enthielt. Er hatte die komischen Dinger von zwei Labors untersuchen lassen, und man sagte ihm, es handele sich um Energieansammlungen auf einer noch nie da gewesenen Protein-Brymm-Basis.

Im Gegensatz zu diesen »gemäßigten« Vorfällen, von denen ein weiteres Dutzend auf seinem Schreibtisch gelandet war, wogen die Vermisstenmeldungen schwerer. Fast neunzig Bürger, die im Laufe der letzten acht Wochen verschwunden waren – an einem Tag noch da, am nächsten unauffindbar.

Vor kurzem aber hatte sich etwas ereignet, worauf die Company höchst empfindlich reagierte: abhanden gekommene Kristalltransporte. Mehrere Ladungen, die unterirdisch von den Minen durch das Transporttunnelsystem nach Luna-Space-Port hätten gelangen sollen, waren einfach weg. So, als wären sie nie abgeschickt worden. Die Nachforschungen liefen.

Und jetzt auch noch die Geschichte in Mine C! Eine tote, unbekannte Person mitten in einem Hochsicherheitsbereich – das Katastrophalste, das sich Nevis vorstellen konnte.

Wurden jene Zwischenfälle wirklich von den Aktivitäten der Crystal-Jackers ausgelöst? Er glaubte zwar an die Existenz der Kristalldiebe. Und im Gegensatz zu Benx las er in den Aktionen die Handschrift von Amateuren heraus, deren Motive man nicht unterschätzen durfte. So unpräzise und weitab vom Schürfbetrieb umgesetzt, ergaben sie jedoch kaum einen Sinn. Sie waren höchstens geeignet, um die Behörden an der Nase herumzuführen. Um … Verwirrung zu stiften. Ein Ablenkungsmanöver?

Vielleicht war es das. Simpel. Effektiv. Die Brymm-Diebe warteten auf das Weihnachtsdurcheinander, beschäftigten die Sol Guard und machten sich mithilfe eines Minensektionsleiters an die Kristalltransporte heran. Und die Leiche in der Fördereinrichtung war wahrscheinlich ein Mitglied der Bande.

Aber wie zur Hölle haben die Mistkerle die Überwachungsanlagen ausgetrickst? Schon in den Frachthafen im Zentrum Kap Rosas reinzukommen, ist unmöglich. Das Eindringen in eine Mine grenzt an Hexerei!

Und wie passten die verschwundenen Personen ins Bild? Gingen den Jackers die Leute aus, und handelte es sich infolgedessen um Entführungen? Den Kriminellen mussten Technologien zur Verfügung stehen, mit denen man Menschen nach Belieben verschwinden lassen, sprich, deren MindCell-Signale man unterbinden konnte. Ein Hacken der modernsten Sicherheitssysteme des Sonnensystems wäre dazu nötig.

Scheiß bewundernswert! Ich sollte die Truppe engagieren.

Wie auch immer die Wahrheit aussah, das alles war unglaublich schlecht für Nevis’ Geschäft.

Die Silhouette des Sol Guard-Chefs zeichnete sich vor dem sternenreichen Weltraum ab. Längst war die Erde an dem Fenster vorbeigewandert, und durch die Rotation von Skyrock-Central rückte der in Wolken gehüllte Mond in den Sichtbereich.

Das Licht des Erdtrabanten umspielte Nevis Korvalinskis Gesichtszüge, sein prägnantes Kinn und die Hakennase. Es berührte die Haut seines Schädels, bis er sich mit einer schnellen Drehung vom Fenster abwandte.

Er musste endlich handeln.

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