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William Shakespeares Hamlet ist Weltliteratur. Die Hauptfigur, der junge dänische Prinz Hamlet, gehört zusammen mit Odysseus, Don Quichotte, Sherlock Holmes und einer Handvoll anderer Schlüsselgestalten zu den wichtigsten Figuren des abendländischen Literaturkanons und ist auch über europäische Grenzen hinweg bekannt. Das ist insofern bemerkenswert, als Hamlets Abenteuer im Vergleich zu den Taten anderer Helden des Literaturkanons bescheiden sind: Sein Siegeszug über seine Feinde geht eher stümperhaft, zögerlich und planlos vor sich, und wenn Hamlet seine Feinde vernichtet, so gelingt ihm dies eher aus Versehen als aus Berechnung. Ja, das Wesen des Dramas scheint gerade in Hamlets Unfähigkeit, ohne Zögern zu handeln, in seinen Grübeleien und Zweifeln zu bestehen. Hamlet, so könnte man sagen, fehlt es anscheinend an Mut und Durchsetzungsvermögen.


Abb. 1: Die erste Seite des Hamlet in der 1623 erschienenen First Folio, der ersten Stückesammlung Shakespeares

Das elisabethanische Publikum wird in Hamlet einen Zeitgenossen erkannt haben: einen jungen Mann mit vielseitigen Interessen und Begabungen, der unter den widersprüchlichen Tendenzen seiner Zeit leidet. Und Hamlet – immer aktuellauch mehr als 400 Jahre später können wir uns ohne Weiteres mit ihm identifizieren. Das Besondere an Hamlet besteht darin, dass jede Epoche Hamlet neu entdeckt. Man erkennt in ihm den nachdenklichen Menschen, den Zauderer, den Melancholiker, den Intellektuellen, den Schwärmer oder sogar den Revolutionär. Als der Schauspieler Ethan Hawke, der in einer Verfilmung aus dem Jahr 2000 die Rolle des Prinzen spielte, Hamlet charakterisierte – »Er hat Probleme mit seinen Eltern, eine Identitätskrise und eine schwierige Freundin. So geht es doch allen Jungs, oder?« –, setzte er diese lange Tradition von Aktualisierungsversuchen fort und bewies erneut, dass die Faszination, die von dem dänischen Prinzen ausgeht, nicht nachlässt. Schließlich können sich alle, deren Herzensangelegenheiten plötzlich von anderen durchkreuzt werden, in Hamlet wiedererkennen. Alle, die unter intriganten Personen leiden; alle, die eigentlich wissen, was sie tun müssen, aber es nicht tun wollen oder nicht tun können; alle, die sich plötzlich fragen, welchen Sinn Leben und Tod eigentlich haben; alle, die ihr näheres Umfeld für unerträglich unehrlich halten; alle, die von Selbstzweifeln geplagt sind, können sich in Hamlet wiedererkennen.

Hamlets Geschichte ist keine Erfindung Shakespeares, sondern geht auf eine dänische Legende zurück. Der erste Beleg für den Rachezug eines jungen dänischen Prinzen stammt aus dem 12. Jahrhundert. Der Däne Saxo Grammaticus (um 1150 – um 1220) berichtet in seinem Werk Gesta Danorum (›Die Taten der Dänen‹) von den Abenteuern des Prinzen Amlethus, der als ›Mann der Tat‹ handelt. Diese Geschichte erscheint 1514 in Druckform als Historia Danica in Paris; François de Belleforest übersetzt sie ins Französische und ergänzt sie in seinen 1570 erscheinenden Histoires Tragiques. In seiner Fassung ist von einer »weise erdachten und mutvoll ausgeführten« Rache die Rede.1 (Diese Version der Geschichte ist im Wesentlichen die Grundlage für Shakespeares Hamlet.) In den 1590er Jahren wird in London ein Hamlet-Drama erfolgreich aufgeführt, über dessen Urheber wir nur spekulieren können, und irgendwann zwischen 1598 und 1601 verfasst Shakespeare sein Hamlet-Drama. Er ergänzt die Vorlagen um Entscheidendes: Die Kontrastfiguren Laertes und Fortinbras sind Shakespeares Erfindung; ebenso die enge Freundschaft zwischen Hamlet und Horatio; die Rollen der Frauen (Ophelia und Gertrude) sind nun wesentlich für das Drama; und die Rache selbst wirft in Shakespeares Version eher Fragen auf, als dass sie die Geschichte überzeugend abschließt. Hamlet rächt sich … wofür eigentlich? Für seine Mutter? Für sich selbst? Für seinen Vater?

Shakespeares Hamlet ist kein Mann der Tat mehr, er ist ein gebildeter, zurückhaltender junger Mann. Nachdem er vom Mord an seinem Vater erfährt, greift Hamlet nicht etwa zuerst zum Schwert – sondern zu Stift und Papier, um einen wichtigen Gedanken aufzuschreiben. Er gilt nicht als Handelnder, sondern als Intellektueller. Hamlet ist mal warmherzig und leidenschaftlich, mal kaltblütig und berechnend. Er führt, gefangen zwischen den politischen Anforderungen des Hofes, der Familie und den Bedürfnissen seines eigenen Herzens, alle anderen an der Nase herum, manipuliert sie, brüskiert sie, zuweilen mit einer großartigen Energie und mit Witz. Aber am Ende geht er zugrunde.

Shakespeare schafft mit Hamlet eine der komplexesten und faszinierendsten Figuren, die je auf der Bühne aufgetreten sind – und eine der anspruchsvollsten: Zusammenbrüche vor, während oder nach der Aufführung sind keine Seltenheit.2 Trotzdem wird Hamlet noch immer sehr oft aufgeführt. 2014 bis 2016 reiste eine Truppe von Schauspielerinnen und Schauspielern mit dem Ziel, Hamlet in jedem Land der Erde aufzuführen, um die ganze Welt – was ihnen mit Ausnahme von Nordkorea auch gelang (da Syrien nicht zugänglich war, wurde das Drama in einem Flüchtlingslager aufgeführt). Die letzte Aufführung dieser Welttournee, mit der man den 400. Todestag Shakespeares beging, fand in London statt, im nachgebauten Globe Theatre. Das ist ein eindrucksvoller Beweis für die zentrale Stellung von Hamlet innerhalb des Gesamtwerks Shakespeares und für die überzeitliche Bedeutung des Stücks, die sich aus den in allen Kulturen zentralen Themen ergibt: Brudermord, Ehebruch, und natürlich der Tod selbst.

Hamlet von William Shakespeare: Reclam Lektüreschlüssel XL

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