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1 Lukrezia

Von fern sah Milli Dix und Batori auf der Baustelle herumgehen und schlenderte langsam Richtung Auto. An der Rückwand der Tankstelle, zwischen Dix’ Metallkunstwerken, huschte ein helles Fettknäuelchen mit eingedrückter schwarzer Schnauze und rotierendem Anhängsel herum. Aus der Nähe sah es aus wie eine französische Baby-Bulldogge. Sie kniete sich davor und streichelte das Hündchen, das sofort zu spielen anfing.

„Biggi, Biggi! Wo steckst du? Biggii … Biggii! Hierher – Biggi!“

Einen Augenblick später kam ein Mädchen in Millis Alter um die Ecke geflitzt. Sie war ziemlich dünn und hatte lange schwarze Haare. Ihre Nase war schmal und leicht nach unten gebogen und ihre Gesichtshaut war so glatt, weiß und seidig wie ein Babypopo.

„Lass meinen Hund los!“, befahl das Mädchen.

Milli blickte das Mädchen erstaunt an und schob den Hund sanft von sich weg, aber er lief tollpatschig zu ihr zurück. Sie unterdrückte ein Kichern, tätschelte das Hündchen und sagte: „Der ist ja süß. Eine Baby-Bulldogge … ich heiße übrigens Milli.“

Das Mädchen ging nun auch in die Hocke und erwiderte kühl: „Ich heiße Lukrezia und mein Hund ist ein Bostenterrier.“

Der Babyhund machte eine seltsame Umdrehung und verlor das Gleichgewicht; er kippte um, stand wieder auf und lief freudig sabbernd zu seinem Frauchen, wo er kleine Grummel- und Quieklaute von sich gab.

„Wohnst du hier in Koppelitz?“, fragte Lukrezia.

„Ja“, antwortete Milli. „Seit heute.“

„Achso – wo denn?“

„Am Ortsschild ... im Eichenweg.“

„Ich wohne hier am Ortseingang, da am Koppelitz See.“ Das Mädchen zeigte mit der Hand schräg über die Tankstelle hinweg.

„Hmm. Dann wohne ich wohl am Ortsausgang“, sagte Milli.

Lukrezia griff sich das Hündchen und rollte es drakonisch im Sand hin und her, bis das Knäuelchen knurrte und spielerisch in ihre Finger biss.

„Gehst du hier zur Schule?“, fragte sie.

„Nach den Osterferien in die neue Willi-Brandt-Schule“, antwortete Milli.

„So neu ist die auch nicht mehr.“

Milli lächelte ein bisschen und sah Lukrezia aufmerksam an. Ihr schmales Gesicht hatte etwas Madonnenhaftes, und ihre Lippen waren voll und rubinrot, aber ihre Augen blickten teilnahmslos und kalt wie der Nordpol.

„Luzia!“, rief eine dünne Frauenstimme hinter ihnen.

Die beiden Mädchen blickten hoch zur Tankstelle. Eine Frau, schlank und sagenhaft attraktiv, kam in ihre Richtung geschlendert. Sie trug aufwendige Schuhe mit hohen Absätzen, auf denen sie tadellos über den unebenen Boden balancierte. Ihr Pulli war laubfroschgrün, der enganliegende Hosenanzug schwarz. Ihr Gesicht war faltenlos. Sie hatte knallrote, kinnlange Haare und war stark geschminkt. Man musste unwillkürlich an eine Ampel denken. Ihre Ähnlichkeit mit Lukrezia war verblüffend.

„Madame, du wolltest doch im Auto warten“, sagte die Frau ärgerlich. „Und ich dachte schon – sieh doch, der Hund saut sich nur ein. Geh bitte schon vor zum Auto.“

„Geh mir nicht auf die Nerven, Mama“, antwortete Lukrezia grimmig. „Ich kann zu Fuß nach Hause gehen und Biggi nehme ich mit. Du wolltest doch was bei diesem Weber abholen.“

Milli war überrascht über den Ton, in dem sie mit ihrer Mutter sprach. Lukrezias Mutter achtete nicht auf ihre Tochter und wandte sich ohne die geringste Verlegenheit und mit trainierten Lächeln Milli zu: „Ja, hallo … und wer bist du?“

„Mama! Wir haben uns gerade erst kennengelernt“, ging Lukrezia blitzschnell dazwischen. „Du darfst jetzt zu Weber gehen.“

Milli versuchte aus der Mimik der Frau schlau zu werden, aber außer einem dünnen Lächeln verriet sie nicht das Geringste.

„Ich heiße Milli“, sagte sie freundlich und streckte die Hand aus. „Stimmt, wir kennen uns erst seit gerade eben.“

Die Frau nahm Millis Hand und sagte liebenswürdig: „Ich bin Eva Ziggedorn, die glückliche Mutter deiner neuen Bekanntschaft.“

Milli schluckte.

„Sie bringt kaputte Sachen immer zu diesem Ausgeflippten“, erklärte Lukrezia, als ihre Mutter weg war. „Dabei könnte sie alles in der Firma repariert kriegen, die gehört nämlich meinem Vater.“

„Von Ziggedorn habe ich auch schon gehört“, pflichtete Milli bei. „Wenn du die Tochter bist, kannst du mir bestimmt auch sagen, warum dein Vater überall Antennen hinbaut?“

Lukrezia starrte sie verblüfft an. „Steckst du mit Biobauer Jahn unter einer Decke?“

„Was?“ Milli schüttelte den Kopf. „Kenn ich nicht. Das dahinten ist mein Onkel, der hat mich vorhin aus Berlin abgeholt. Außer dir ist mir bisher noch niemand über den Weg gelaufen.“

Lukrezia folgte aufmerksam ihrem Blick. Batori und Dix waren damit beschäftigt, kleinere Kartons in einen größeren Karton zu packen. Lukrezias Mutter lehnte daneben an der Wand, die mit Graffiti besprüht war und zog an einer pinkfarbenen E-Zigarette. Die Szene hatte etwas Vertrautes, als ob sie dort schon oft gestanden hatte und sich ganz zu Hause fühlte.

„Was hast du?“, fragte Lukrezia und starrte sie an.

Milli besann sich. „Was ist mit diesem Biobauer Jahn?“, fragte sie zurück.

„Ach – der! Der hat einen Tick mit Antennen und geht meinem Vater auf die Nerven.“

Aus der Entfernung machte Batori ein Zeichen, dass sie los konnten. Milli sprang auf die Füße. Perfektes Timing. Sie fing sowieso gerade an, sich zu langweilen und ihr Magen knurrte.

„Okay, mach's gut ... vielleicht sehen wir uns nächste Woche in der Schule“, sagte sie und lief los.

Lukrezia nickte und lächelte undurchsichtig. Nachdenklich blickte sie Milli hinterher.

„Komisches Mädchen – diese Lukrezia Ziggedorn“, sagte Milli, als sie wieder im Auto saßen.

Ach was! Du bist Lukrezia begegnet. Ich habe sie gar nicht bemerkt, ich sah nur ihre Mutter. Und – habt ihr euch nett unterhalten?“, fragte Batori interessiert, „sie müsste ungefähr in deinem Alter sein.“

„Sie ist bestimmt älter“, antwortete Milli, „und irgendwie anstrengend … na ja, ziemlich misstrauisch eben.“

Batori schüttelte den Kopf und schmunzelte. „Vielleicht hat sie schlechte Erfahrungen gemacht. Ihr Vater ist reich und mächtig. Jemand könnte ihr vielleicht vormachen, sie zu mögen, um einen Vorteil daraus zu ziehen.“

„Wenn sie hässlich wäre oder dumm, dann vielleicht. Aber sie sieht total gut aus. Ihre Haare sind super lang und glänzen wie Lametta, und ihre Haut erst – kein einziger Pickel … die Jungs stehen bestimmt alle auf sie“, sagte Milli nicht ganz ohne Neid. Eine leise Stimme in ihrem Inneren riet ihr, vor Lukrezia auf der Hut zu sein. Ganz sicher nicht, weil sie sie fürchtete, sie wusste einfach nur, dass sie nie Freunde werden würden.

„Ist schon komisch“, füge sie nachdenklich hinzu, „dass ich ausgerechnet ihr begegnet bin.“

„Kismet“, sagte Batori und lächelte in sich hinein.

Milli sah ihn fragend an.

„Eine Redewendung, wenn mir nichts Besseres einfällt“, er lachte, „es bedeutet so was wie Schicksal oder Vorsehung.“

Four on Level 4

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