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1 Der Schuppen

Am Ortsende musste man auf einen ungepflasterten Weg abbiegen, der zur Villa Apollo führte, einem fantasievollen Jugendstilbau. Der Name stammte von ihrem Erbauer, einem seinerzeit vielgelesenen Schriftsteller mythologischer Ausrichtung.

Über dem Eingang gab es eine gemeißelte Figurengruppe – der siegreiche Apollon mit einer Lanze über der erlegten Schlange Python, die aber eher einem Drachen glich. Apollon hatte seine Nase eingebüßt und der Drachenschlange fehlten Teile des Schwanzes und eine Kralle, aber die Szene wirkte immer noch eindrucksvoll.

Zu Zeiten der DDR war die Villa in fünf Wohnungen unterteilt gewesen. Batori hatte das Haus nach der Wiedervereinigung gekauft und renoviert. Das Erdgeschoss war wieder, wie ursprünglich, eine einzige Zimmerflucht. In der ersten Etage gab es leichte Schwingtüren aus Holz. Batoris Bereich lag im rechten Flügel und Millis Zimmer im linken. Sie hatte sogar ein Bad mit Badewanne für sich allein. Noch ein Stockwerk höher, im Dachgeschoss, wohnte Rippel.

Im Keller trainierte Chong mit Rippel Kung Fu und Karate. Auf diesen Raum hatte Milli bereits heimlich ein Auge geworfen. Sie tanzte leidenschaftlich gern, und an der Willi-Brandt-Schule gab es eine Tanz-AG. Dafür reichten die Räume in der Schule normalerweise nicht, oder sie waren überbelegt, das wusste sie aus Erfahrung.

Auf dem Anwesen gab es ein zweites Gebäude, ehemals Sitz der Gutsverwaltung. Es hatte während der Zeit als Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft gelitten, war aber ebenfalls wieder vollständig renoviert. Dort wohnte die Familie Dachs, Chong mit seinen Eltern und seiner niedlichen kleinen Schwester.

Kaum aus dem Auto ausgestiegen, wurden sie von Bello, dem schwarzen Jagdterrier, empfangen. Er war vor zwei Jahren zugelaufen und wich seitdem nicht mehr von Batoris Seite. Bello war ein großer Knurrer, trotz seines Namens, denn Bellen tat er kaum.

Am Eingang eilte ihnen Emma entgegen. Sie machte den Haushalt und wohnte im Erdgeschoss, und Milli betrachtete sie als Verbündete. Emma hatte ein freundliches Gesicht mit leicht slawischem Einschlag und schelmisch blickenden Augen. Ihr volles, von grauen Strähnen durchzogenes Haar trug sie zu einem lockeren Knoten gebunden.

Kurze Zeit später tauchte auch schon Chong auf. Er war inzwischen größer als Milli und war angezogen, als käme er vom Training. Die schönen Mandelaugen hatte er von seiner Mutter. Nur sah man sie kaum, seine schwarzen Haare fielen ihm bis aufs Nasenbein.

„Alles okay?“, fragte er, während er seinen Pony zur Seite wischte, der ihm gleich wieder ins Gesicht fiel.

„Deine Haare sind lang geworden“, sagte Milli, weil ihr nichts Besseres einfiel.

„Ist das schlecht?“

„Nein. Ich meinte auch nur, dass es deine Sicht behindern könnte.“

Chong machte eine ausladende Handbewegung und grinste.

„Und sonst … die Leute hier, wie findest du sie?“

„Wen? Batori und Emma?“

„Seine neue Mitarbeiterin.“ Chongs Stimme stieg eine Oktave höher. „Rosabella Schlips.“

„Die kenne ich noch nicht“, sagte Milli. „Batori sagt, sie ist verreist. Wieso?“

„Sie hat immer Röcke an und lange rote Haare, und ihre Haut ist so weiß wie die Kreidefelsen von Rügen.“

„Hmm ...“

Chong wühlte mit seinem rechten Fuß in der Erde herum.

„Sie und Emma streiten oft.“

Milli musste lachen und stupste ihn an der Schulter. „Wenn’s weiter nichts ist, ich lerne sie ja bald kennen. Aber mal was anderes –“, ihr Blick flog an ihm vorbei zum Hauseingang, „vielleicht kannst du mir sagen, was Rippel für eine Sorte von Anwalt ist? Ich habe nämlich kein Schild an der Tür gesehen.“

„Er vertritt keine Gauner“, sagte Chong prompt. „Er ist spezialisiert auf Internationales Recht und Wirtschaftsrecht. Batori und er arbeiten an Verträgen und Gesetzentwürfen. Die beschäftigen sich mit Wirtschaft und Umwelt und beraten Politiker, Wissenschaftler und Diplomaten.“

Im Wirtschaftsbereich keine Gauner?, dachte Milli, aber sie war bereit, in Erwägung zu ziehen, dass Rippel vielleicht doch nicht so schlimm war. Gemeinsam gingen sie nach oben, um ihr neues Zimmer in Augenschein zu nehmen.

Währenddessen kam der Möbelwagen an, gefolgt vom blauen Volvo, der von allen gemeinsam benutzt wurde, und den Rippel für die Fahrt nach Berlin genommen hatte. Dem Möbelwagen war in Neukölln ein VW-Bus in die Seite gefahren, und es war zu Tätlichkeiten gekommen. Rippel genoss jetzt den Respekt der Möbelpacker, da er den Kampf erfolgreich für ihre Partei entschieden hatte. Das hatte natürlich nichts daran geändert, dass alles furchtbar lange dauerte.

Die arme Johanna hatte alles vom Volvo aus mit angesehen und übers Handy die Polizei gerufen. In der Klinik gab man ihr dann ein Beruhigungsmittel und brachte sie ins Bett.

„Sind die Neuköllner ein bisschen blöd?“, fragte Chong mit erstauntem Gesicht.

„Nicht mehr als andere“, antwortete Milli. „Solange du nicht wie ein irres Landei durch die Gegend bretterst, passiert dir auch nichts.“

Es entstand eine Pause. Milli schnappte sich ein paar Kartons und trug sie planlos herum. Dann setzte sie sich auf einen und nahm zufrieden ihr neues Zimmer in Augenschein.

„Echt viel Platz“, sagte Chong anerkennend, „was denkst du … gehen wir noch zum Bootssteg runter?“

Milli überlegte kurz und stimmte dann zu.

„Nehmt den Hund mit!“, rief ihnen Emma hinterher. „Der Trubel war zu viel für ihn. Ich musste ihn einschließen.“

Draußen war es nicht besonders kalt. Milli musste mit einem Grinsen an ihre festen Schuhe und dicken Pullover denken und an ihre Vorstellungen vom Land. Der Abendhimmel leuchtete durch die noch unbelaubten Bäume und warf schwache Schatten auf die Gebäude. Zwischen den zwei Haupthäusern stand ein großer Schuppen, gut versteckt zwischen Kiefern und Tannen. Chongs Mutter züchtete hier seltene Nadelbäume. Das Gemäuer war massiv und hatte keine Fenster. Milli berührte die Steine und war überrascht. Sie fühlten sich irgendwie warm an.

Chong trat neben sie. „Den hat Batori vor ein paar Jahren renoviert und umgebaut und ein gutes Stück breiter gemacht – war ’ne ordentliche Aktion.“

Vom Wald tönte ein heiserer Vogelruf, und die rötlichen Farben am Horizont verloschen langsam. Bello beobachtete die zwei aus sicherer Entfernung. Hin und wieder blitzten seine Augen im Dunkeln auf. Plötzlich knurrte er leise. Chong und Milli sahen sich an.

„Ganz schön schräg“, flüsterte Milli und suchte mit den Augen die Umgebung ab. „Ich habe hier so ein Kribbeln am Kopf. Richtig unheimlich. Findest du nicht auch?“

„Alles Gewöhnung“, meinte Chong und grinste.

„Und warum knurrt der Hund?“

„Macht er hier oft“, sagte Chong. „Er mag den Schuppen nicht.“

Sie rüttelte an der Tür. Sie war verschlossen. Die Wände waren frisch verputzt, aber ein paar große alte Feldsteine hatte man freigelassen. Sie strich vorsichtig mit den Händen darüber und fragte sich, ob das eine Bedeutung hatte oder nur der Dekoration diente.

„Denke mal, die sind bloß Verschönerung“, sagte Chong unaufgefordert.

„So weit war ich auch schon“, entgegnete Milli. „Bei der Größe könnte es locker ein Ferienhaus sein, wenn da Fenster wären … und was ist da drin?“

„Der Schuppen ist leer. Batori testet hier seine kleinen Maschinen“, Chong machte eine Pause und betrachtete den Mond, der plötzlich hinter einer Wolke aufgetaucht war und fahles Licht auf die hellen Wände warf. Dann sagte er: „Die haben irgendein Metall oder Quarz in den Verputz eingearbeitet, damit im Raum eine bestimmte Atmosphäre für bestimmte Experimente herrscht … und Magnete sind da auch.“

„Du weißt nichts Konkretes?“

Chong ließ die Arme hängen und blies die Backen auf. „Batori redet nicht darüber, aber einmal habe ich gesehen, wie grelles Licht aus dem Schuppen kam.“ Er packte Milli am Arm und zog sie einige Meter weiter. „Sieh mal da –“, er zeigte auf das Verwalterhaus, „da oben ist mein Zimmer. Von dort kann ich sehen, wenn Batori hier seine Experimente macht. Einmal hab ich mich zwischen den Büschen versteckt und gewartet, bis er wieder raus kam. Da konnte ich sehen, dass der Schuppen fast leer ist.“

Millis machte ein unzufriedenes Gesicht. „Aber Bello knurrt hier doch nicht zum Spaß“, sagte sie und sah sich achselzuckend in der Gegend um, als könne sie bei dem schwachen Licht noch etwas entdecken, das einen Hund zum Knurren brachte. „Und du fühlst hier wirklich gar nichts?“

„Nein“, antwortete er und ging in die Hocke, ohne Milli aus den Augen zu lassen. Dann sprang er auf, wirbelte mit den Armen, machte einen Kampfsprung und stieß merkwürdige Laute aus. „Was soll’s“, sagte er schließlich, „wenn Hunde nicht fressen, bellen oder herumschnüffeln, dann knurren sie eben.“

„Aber er wittert doch was“, protestierte Milli schwach.

„Klar, das Unsichtbare. Aber wie es scheint, tut es uns nichts.“

Milli ließ die Schultern hängen und gab sich fürs erste geschlagen.

„Komm, wir machen einen Rundgang ums Grundstück“, sagte Chong und lief voraus.

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