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1 Inoffizielles und Undefinierbares

Chong war am nächsten Morgen nicht zum Reden aufgelegt. Sie machten wie immer Halt bei der Bäckerei Mehlhase. Milli wartete draußen. Drinnen war es ungewöhnlich voll. Als Chong raus kam, zog er ein Gesicht. Die alte Bäckerin Mehlhase und ein weiterer Bäcker waren krank. Das Sortiment war geschrumpft. Das hatte es noch nie gegeben.

„Hoffentlich sind die Brötchen nicht infiziert“, dachte Milli laut.

„Du hast vielleicht Sorgen“, brummte Chong.

„Wieso? Wir müssen morgen Nacht schließlich fit sein.“

„Ich kriege meine Nussecke nicht und du zerbrichst dir den Kopf über Kleinigkeiten“, knurrte er und trat wild in die Pedale.

Verhuscht und leichenblass betrat Frau Breit den Klassenraum. Sie hatte eine schwarze Sonnenbrille auf der Nase, die viel zu groß für ihr Gesicht war. Ihre sorgfältig angemalten Lippen hatten die Farbe von dunklem Rotwein. Seufzend ließ sie sich in ihren Stuhl plumpsen und blickte betrübt Richtung Fenster. Dann wühlte sie lange und umständlich in ihrer Tasche und beförderte Bücher und Ordner auf den Tisch.

„Guten Morgen allerseits; wo waren wir stehen geblieben?“, sprach sie ohne aufzusehen.

„Zweiter Akt, Molière: Der eingebildete Kranke“, antwortete Sophie Bürger.

Frau Breit legte ihre Brille zur Seite und sah sich erstaunt um. Erst jetzt bemerkte sie, dass einige Plätze leer waren.

„Lisa, weißt du, was mit Julia ist? Ach, und da fehlen auch noch andere.“ Sie ging die Reihen durch. „Was ist los, eins, zwei … vier. Vier Schüler fehlen?“

„Julia hat Kopfschmerzen“, meldete sich Lisa zu Wort.

„Und die anderen?“

Die Antwort war allgemeines Schulterzucken und Geraune.

„Das muss am Wetter liegen“, sagte Frau Breit resigniert. „Oder der Weltstress … mir geht es heute auch nicht gut.“ Sie schlug eins ihrer Bücher auf und ging die Seiten durch. „Gut. Wir fangen gleich an. Wer liest Argan? – Philip, das machst du.“

Philip Adam stöhnte. „Kann das nicht jemand –“

„Nur den Anfang, dann wird gewechselt. Jeder kommt einmal dran. Wie sieht es mit dir aus Chong? Du löst Philip ab.“

Chong protestierte vergebens. Frau Breit sprach über seinen Kopf hinweg weiter, während ihre Augen den Klassenraum durchforsteten.

„Dann haben wir noch Argans Tochter Angelique und seine Frau Belinde – das machen Emily und Lukrezia. Und Wulf und Wido lesen den Doktor Purgon und den Apotheker Fleurant.“

Wulf und Wido murrten.

Milli erntete einen verächtlichen Blick von Lukrezia, konnte sich aber nicht erklären warum.

Laura Kutscher meldete sich zu Wort. „Wollten wir nicht zuerst über Molières Leben sprechen? Ich glaube, jemand wollte was vorbereiten.“

Lisa machte sich ganz klein. Zu spät. Frau Breit erinnerte sich. „Ach, das hatte ich vergessen – wer hält den Vortrag bitte?“

Keine Antwort.

Frau Breit wühlte in ihren Unterlagen und zog ein kleines Büchlein hervor in dem sie eifrig blätterte. „Was ist los mit euch? Hier steht es doch: Lisa Siebenrock und Julia Hutter.“

Sie sah auf und lächelte das erste Mal an diesem Morgen.

„Aber Julia ist krank“, sagte Lisa halblaut. „Wir können das nur zusammen machen.“

„Ich bin dafür, dass du deinen Teil jetzt vorträgst“, meinte Lukrezia. „Wer ist noch dafür?“

Sofort ging die Mehrzahl der Hände nach oben.

„Gut“, sagte Frau Breit und klang erleichtert. „Die Klasse hat entschieden. Lisa kommst du bitte nach vorn.“

„Kann ich nicht hier sitzen bleiben?“

„Lisa bitte! Wir haben es bisher immer so gehandhabt. Ihr sollt lernen, vor anderen zu sprechen.“

„Jeder muss mal nach vorne“, meldete sich Lena Wuttke und warf Lukrezia einen Anerkennung heischenden Blick zu.

„Danke Lena“, sagte Frau Breit ohne viel Enthusiasmus.

Aber Lisa machte ihre Sache gut. Zu jedermanns Erleichterung löste ihr Vortrag eine Diskussion aus, die bis zur Pause ging.

Es war eine kleine Pause und Milli musste sich beeilen, einen Kakao aufzutreiben. Vor dem Getränkeautomaten stieß sie unerwartet auf Wulf Keiler. Als er Milli erkannte, zeigte Wulf ein dünnes Lächeln. Er machte sogar Anstalten, sie vorzulassen und nuschelte etwas Verworrenes, das offensichtlich nett gemeint war. Milli war sprachlos.

Plötzlich eine durchdringende Stimme hinter ihr: „Ey Wulf, wie lange dauert das denn noch?“

Milli wandte sich um. Breitbeinig, mit verschränkten Armen, kurzem Rock, dunkelroten Strumpfhosen und Turnschuhen, die teuer aussahen, stand Lukrezia da. Der bescheuert grinsende Wido hinter ihr. Wulf fuhr sich durchs Haar und schmiss sich in Positur. Kurzerhand stieß er Milli aus dem Weg, die zu verblüfft war, um was zu sagen. Sprachlos beobachtete sie, wie er zwei Eistee und eine Melissenbrause zog und im Cowboygang zu Lukrezia stakste.

„Auf dem Weg nach draußen kam Milli Lena Wuttke entgegen, offenbar suchte sie Lukrezia. „Die ist mit ihren Cowboys da runter gelatscht“, fuhr Milli sie an und imitierte breitbeinig Wulf Keilers Gang.

Lena sah ihr verblüfft zu. Anscheinend begriff sie die Aufführung nicht, und Milli fühlte sich auf einmal unbehaglich. Lena hatte ihr ja nichts getan. „Ich verarsch dich nicht“, rief sie ihr hinterher, aber dann sah sie Lisa.

„Cooler Gang!“, rief Lisa schon von weitem. „Flirtest du mit Lena Wuttke?“

Milli fand das nicht lustig.

„Wir haben jetzt zweimal hintereinander Maxi Favola. Morales ist krank und die Feldherrin vertritt ihn“, sagte Lisa, sichtlich verstimmt von der Aussicht. „Komisch, was? Gleich mehrere Lehrer haben sich krank gemeldet.“

Milli seufzte und trank ihren Kakao. Sie musste an Chongs Nussecke und die kranke Bäckerin Mehlhase denken.

Militärischen Schrittes betrat Favola den Klassenraum und knallte ihre Tasche auf das Lehrerpult.

„Gut Leute, heute machen wir ein Experiment. Ich werde euch Achtklässlern eine Aufgabe aus der neunten Klasse geben. Wir haben den 1. Weltkrieg behandelt und im Moment die Weimarer Republik. Weiß jemand von euch, was am Donnerstag dem 24. Oktober 1929 geschah? Ein Ereignis, dass sich vor einigen Jahren so ähnlich wiederholt hat, obwohl keiner es für möglich gehalten hätte.“ Ihre Adleraugen suchten den Raum ab und blieben an Chong hängen.

„Äh – Donnerstag? … Keine Ahnung“, sagte Chong.

„Na kommt schon! Aufwachen! Wer weiß das?“

Lisa meldete sich zu Wort. Frau Favola beachtete sie nicht. Sie starrte die Klasse an und tappte mit dem linken Fuß auf den Boden.

„Emily! Was geschah 1929?“

Milli schluckte.

„Äh, das war ja noch vor dem Dritten Weltkrieg ...“

Ben stieß sie mit dem Fuß an und flüsterte: „Zweiter – zweiter Weltkrieg.“

Niemand bemerkte den Versprecher, auch Maxi Favola war nichts anzumerken. Sie marschierte im Gang auf und ab und betrachtete dabei wohlgefällig ihre Schuhe.

„Ich meinte den Zweiten Weltkrieg“, verbesserte sich Milli.

Maxi Favola blieb kurz stehen und sah sie verwundert an.

„Ja – und?“

Milli bemerkte, dass ihre Hand einen Stift umklammerte und eine gezackte Linie aufs Papier zog. Da hatte sie eine plötzliche Eingebung: „Da wurde das Elektroenzephalogramm in Deutschland erfunden und das erste Mal Gehirnwellen aufgezeichnet“, sagte sie zu ihrer eigenen Verblüffung und hoffte, dass niemand ihre Unsicherheit bemerkte.

„Wie bitte?“ Favola riss ihre Augen auf und starrte Milli an. „Was hast du gesagt?“

„Das EEG zeichnet Hirnströme auf“, sagte Milli so laut, dass die ganze Klasse aufhorchte und hielt vor Schreck die Hand vor den Mund.

„Was! Am 24. Oktober 1929?“, bellte Favola zurück.

„Hm – vielleicht auch schon eher – im Sommer oder Frühling“, antwortete Milli vorsichtig.

„Doch, das kommt hin“, kam es von Ben neben ihr. „Der Erfinder hieß Hans Berger.“

„Was wird das hier? – eine Privatunterhaltung?“, sagte Favola und baute sich mit verschränkten Armen direkt vor Milli auf. „Was ist mit dir los, Mädchen, wir sind hier im Geschichtsunterricht.“

Milli hörte deutlich das dämliche Lachen von Wulf und Wido.

„Die Erfindung des EEG ist ein historisches Datum“, sagte Ben vorsichtig, aber Maxi Favola schien ihn nicht zu bemerken.

Lisa hatte ihre Hand schon wieder oder immer noch oben.

Plötzlich wanderten Favolas Augen über Milli hinweg nach hinten. „Lukrezia – unsere Wirtschaftsspezialistin“, sagte sie zuversichtlich.

„Der 24. beziehungsweise 25. Oktober 1929 ging als der schwarze Donnerstag oder Freitag in die Geschichte ein. An dem Tag brach die Börse zusammen, was zu der großen Weltwirtschaftskrise und schließlich zum Krieg führte“, verkündete Lukrezia.

„Sehr gut. Als künftige Führungskraft weiß man darüber Bescheid.“ Favola ging zum Tisch von Lukrezia und Lena Wuttke. „Und warum frage ich euch das? – Weil wir im September 2008 ebenfalls einen Börsencrash hatten“, beantwortete sie ihre eigene Frage. „Und jetzt passt gut auf! Das wird eure Hausaufgabe sein. Ich möchte, dass ihr selbstständig recherchiert – im Internet, in der Zeitung, fragt in eurer Familie, bei Freunden und Bekannten. Fragt sie, was sie denken, wie der Crash 2008 zustande gekommen ist und wie sie die Zukunft sehen. Es geht hierbei lediglich um Meinungen. Ihr müsst die Aussagen nicht bewerten.“

In der Klasse wurde es unruhig.

„Bildet Gruppen mit maximal vier Teilnehmern. Ihr habt vier Wochen Zeit. Dann erwarte ich von jeder Gruppe einen Bericht. Das wird benotet.“

Geraune und Geschnatter kam auf, und den Rest der Stunde waren alle damit beschäftigt, Gruppen zu bilden und Aufgaben zu verteilen. Frau Favola kündigte für die nächste Stunde ein wichtiges aktuelles Thema an und verließ fünf Minuten vor dem Pausengong den Klassenraum.

„Mann, verbreitet die immer eine Hektik“, sagte Lisa erschöpft.

„Warum nimmt sie dich nicht dran, wenn du dich meldest?“, wollte Milli wissen.

Lisa stöhnte grimmig. „Favola hat’s mit Lukrezia. Weißt du, die Antwort auf die Frage stand ganz fett auf Seite zweihundertachtzehn im Geschichtsbuch.“

Milli und Lisa verdrückten sich auf eine Bank im hinteren Schulhof. Milli öffnete den Fruchtsaft und probierte ihr Laugenbrötchen. Lisa packte einen selbstgebackenen Gemüsekuchen aus. Er war sorgfältig in eine Serviette mit Salz- und Pfeffertütchen eingewickelt.

Als Chong und Ben sich ihnen zugesellten, trug Ben seine Brille in der Hand. Seine Augen waren rot und geschwollen.

„Allergie“, jammerte er.

„Wer fängt an?“, meinte Chong mit einem Seitenblick auf Ben.

„Wie – was?“

„Du wolltest doch was sagen.“

„Achso – ja.“ Ben sah sich nervös um und stellte sich ganz dicht zu ihnen. „Das mit der Mikrowellenwaffe kriege ich nicht hin.“

„Wusste ich’s doch!“, rief Milli aus und stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass sie irgendwo doch heimlich gehofft hatte, dass es klappen könnte und nun wirklich enttäuscht war.

„Nicht so, wie du denkst“, sagte Ben. „Ich hab im neuen Haus bloß noch keine Werkstatt. Meine Sachen sind noch verpackt und im Haus verstreut. Und der Ofen, den ich ausschlachten wollte, ist leider beim Umzug verschwunden.“

„Na toll. Und was machen wir jetzt?“

„Wir gehen doch morgen Nacht zu Ziggedorn“, sagte Ben leise und rückte noch näher heran.

„Uns hört schon keiner“, beruhigte ihn Chong.

„Ich weiß, dass es dort inoffiziell HPM-Waffen gibt, vermutlich unterschiedliche Modelle. Die sind kleiner und handlicher als eine selbstgebaute aus einem Mikrowellenherd.“ Wie in Vorfreude auf einen großen Gewinn rieb er die Hände aneinander und grinste zuversichtlich. „So eine Waffe müssen wir uns beschaffen.“

„Ätsch-pi – was?“

„High Power Microwave. Hochleistungsmikrowellenwaffen.“

„Einfach so beschaffen?" Milli starrte Ben entgeistert an, drehte er jetzt vollends durch?

Chong winkte ab. „Okay. Und wie besorgen wir uns so was?“

Lisa schüttelte energisch den Kopf. „Erst soll er uns sagen, woher er das weiß.“

„Eigentlich hab ich’s zufällig mitbekommen“, brachte Ben mühsam heraus. „Meine Mutter hat meinem Vater erzählt, dass Grabbauer und sein Assistent damit experimentieren.“

„Und deine Mutter irrt sich nicht?“, sagte Milli ungläubig.

„Tut sie nie bei so was“, beteuerte Ben mit komisch wirkender Unschuldsmiene. „Ich hab sogar ’ne Skizze gesehen.“

„Von den Waffen?“

„Nein, von den Kellern.“

„Du meinst einen Lageplan von den Kellern auf dem Ziggedorn-Gelände?“

„Genau. Die Waffen müssten im hinteren Bereich sein. Ungefähr dort, wo oberirdisch die Ytong Steine liegen.“

„Gut. So eine Waffe holen wir uns“, sagte Chong siegesgewiss. „Noch irgendwelche Fragen?“

„Wart mal“, Milli packte Ben am Arm. „Du behauptest doch, da sind die Labore?“

Ben wurde rot und überlegte einen Moment. „Also – nach dem Lageplan gibt es ganz hinten einen großen, sehr hohen Keller, eine Art inoffizieller Lagerraum. Dort müsste eine kleine Anzahl ausgewählter Waffen lagern. Waffen, die bei Ziggedorn entwickelt werden, aber noch nicht in Serienproduktion gegangen sind.“

„Ich verstehe“, Chong grinste, „so ein kleines, inoffizielles Privatlager für ganz spezielle Kunden.“

„Exakt.“

Milli versuchte sich die Keller vorzustellen und war skeptisch. „Da reinkommen? Die haben bestimmt eine Alarmanlage.“

„Werden wir ja sehen“, antwortete Ben ein bisschen verhuscht. „Und was Alarmanlagen angeht, da hab ich ein spezielles Programm.“

Chong hüpfte auf der Stelle wie beim Aufwärmtraining. „Was ist mit Werkzeug?“, fragte er.

Sein Gezappel machte Milli nervös. Stirnrunzelnd trat sie einen Schritt zurück.

„Wenn der Körper im Fluss ist, kommt Fluss in die Gedanken“, erklärte Chong. „Probier mal. Du kannst –“

„Das Werkzeug“, ging Ben dazwischen. „Ganz wichtig: USB-Stick, eventuell Tablet. Dein Pickset, Taschenlampen, Handys sowieso, Frequenzmesser, und das Mittel für die Hunde hab ich schon gesichtet.“

„Die Aluleiter bringe ich hin und verstecke sie dort“, sagte Lisa.

„Milli und ich kaufen das Hackfleisch und bringen die Matte für die Metallzacken mit“, sagte Chong abschließend.

Sie berieten ein Weilchen hin und her und einigten sich auf Mitternacht. Treffpunkt: das verwilderte Kornfeld bei Ziggedorn an der Antennenbaustelle.

Der Unterricht hatte schon begonnen und Maxi Favola empfing sie schlecht gelaunt. „Was hat das zu bedeuten?“, schnauzte sie Ben an, während sich ihr Laserblick in seinen Schädel bohrte.

„Ich fürchte, darüber kann ich nicht sprechen“, gab er höflich zur Antwort.

Favola trat einen Schritt näher. „Sieh an. Und weshalb nicht?“

„Es ist privater Natur.“

Favola schob ihren Unterkiefer vor und ging einmal um ihn herum. Mit wackelndem Kopf und unangenehm lächelnd ließ sie ihren Blick durchs Klassenzimmer wandern. „Privater Natur – soso. Deine Mitschüler würden es sicherlich auch gern erfahren.“

Sie hatte ins Schwarze getroffen. Jeder wollte es erfahren. Alle Blicke richteten sich auf Ben, der verlegen seine Brille zurechtrückte.

„Wir haben schon mit unserer Recherche zur Wirtschaftskrise begonnen“, sprach Milli aufgeregt an Bens Statt. „Wir dachten, dass die Banken das nächste Mal total Pleite gehen und bevor alles Geld weg ist, wollten wir noch schnell eine erleichtern.“

Gekicher und das Wort Bankräuber tönte durch den Raum.

„Primitive Methoden“, spottete Lukrezia. „Um eine Bank auszurauben bricht man nicht mehr ein.“

„Wer spricht denn von Einbruch“, entgegnete Milli mit gespielter Scheu und lächelte geheimnisvoll. Sie wunderte sich zwar, wie sie auf diese komische Idee kam, aber Hauptsache, es hörte sich interessant an.

Chong lehnte sich lässig zurück und schaukelte mit seinem Stuhl hin und her. „Wir konnten uns noch nicht endgültig über die Vorgehensweise einigen“, erklärte er mit ausdrucksloser Miene. „Daher auch die Verspätung. Kommt aber nicht wieder vor.“

Lisa wirkte ein wenig verstört, sie begriff nicht, worauf Milli und Chong hinaus wollten.

„Lisa!“, schoss Favola durchs Klassenzimmer. „Du siehst so unzufrieden aus?“

Chong wollte weiter sprechen, aber Favola schnitt ihm das Wort ab. „Lisa kann für sich selber sprechen.“

„Das ist verrückt“, sagte Lisa mit einem flehentlichen Blick auf Chong, dessen Mundwinkel zuckten, aber dann hatte sie einen Einfall: „Nein. Eigentlich meine ich, dass ich fürchterlich aufgeregt bin. Es ist natürlich unser erster Coup. Hoffentlich kriegen wir alles hin, ohne jemandem wehzutun.“ Die Klasse brach .“

Die Klasse brach in schallendes Gelächter aus. Lukrezia starrte Milli an und formte mit den Lippen lautlos unaussprechliche Wörter, während Lena Wuttke sich bemühte, nicht laut zu lachen.

Maxi Favola klatschte ein paarmal in die Hände, damit wieder Ruhe einkehrte. „Gut, ich erwarte eure Hausarbeiten mit dem Ergebnis eurer Recherchen. Und jetzt Schluss mit lustig!“, donnerte sie über alle Köpfe hinweg. „Wie ihr wisst, vertrete ich heute Professor Morales. Aus aktuellem Anlass ändern wir das Thema.“

„So stelle ich mir Napoleon vor“, flüsterte Ben Milli zu. „Klein, drahtig, brüllend.“

„Ruhe!“, brüllte Favola und blickte grimmig in die Klasse.

Das Thema zum aktuellen Anlass sollte Demokratie, Meinungsfreiheit und das Recht zu demonstrieren sein. Favola begann mit linken Randalierern und Rowdys, womit sie offensichtlich autonome Gruppen meinte. Lukrezia meldete sich als erste zu Wort. Sie wusste aus sicherer Quelle, dass sich die Autonomen aus arbeitsscheuen Asozialen, machtgierigen Versagern und unfähigen Arbeitslosen rekrutierten, und ihre Motivation wäre simpler Sozialneid.

„Da hilft nur Erziehungsanstalt oder Armee!“, rief Wido Bismarck.

„Oder ein Sitz im Bundestag“, flüsterte Ben diskret, um Milli an seinen Einsichten teilhaben zu lassen.

„Die machen mir Angst“, sagte Maria Frost. „Ich glaube, die wollen uns töten.“

„Oh Gott! Wo lebt ihr denn?“, schreckte Irma Boxer hoch, die geschlafen und die Diskussion verpasst hatte.

„Wido – Maria – Irma! Nicht durcheinander! Und bleibt sachlich“, ermahnte Favola. „Wie kommst du auf töten, Maria?“

„Ich dachte, wenn mal ein Schlag von denen oder der Polizei daneben geht, kann es aus Versehen einen Unschuldigen treffen“, sagte Maria gekränkt, und verblüfft, dass sie ihre Ansichten begründen sollte.

„Alles Klischees! Autonome oder ähnliche Gruppen töten niemanden!“, rief Tobias Rieke. „Die wollen Gerechtigkeit. Vielleicht sind sie nicht immer die Hellsten … sie sind einfach nur wütend; außerdem ist das immer noch besser als AFD oder Nazis.“

„Und ich glaube auch nicht, dass sie alle Asoziale und Versager sind“, sagte Ben und schaute verlegen um sich. „Die sind ja nicht viel älter als wir. Um ein Versager zu sein, muss man erst einmal alt genug sein, um zu sehen, ob man versagt hat. Und vielleicht müsste man Versagen auch erst mal genauer definieren.“

Geraune, Kichern und Glucksen ging durch den Klassenraum.

„Als Versager wirst du geboren“, kam es von Lukrezia. „Das hat man in den Genen.“

„Solche Typen sind gewalttätig“, sagte Lena Wuttke. „Leute, die Randale machen, die klauen und lügen und Drogen nehmen. Die ändern sich nicht mehr.“

Chong fletschte die Zähne. „Und wenn diese Menschen erfolgreich klauen und lügen, heißen sie Manager, Banker oder Politiker. Das finden wir dann gut. Diese erfolgreichen, guten Menschen stehen übrigens auf die Droge Kokain und Ritalin.“

„Gut Kinder“, unterbrach Favola sie, „wer erklärt uns noch einmal ganz genau, was ein Autonomer ist?“

Simon Leberhuhn meldete sich und hielt einen ausführlichen Vortrag über die autonome Szene. Milli hörte zu, bis es sie langweilte. Simon redete flüssig, lange und gerne, aber nicht besonders spannend. Ihr Blick glitt zum Fenster. Am Himmel klebten seltsame Wolken, wie Fabeltiere und fette Engel.

„Und heute“, sagte Favola, als es zur Pause klingelte, „was haben wir heute gelernt? Wir halten uns von gewalttätigen Gruppen und Pseudo-Demos fern und lernen erst zu denken. Habt ihr verstanden!“

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