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Anne:

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Mein Telefon klingelte. Ich spürte den inneren Zwang ran zu gehen, obwohl ich schon beim Kinderarzt sein sollte und bereits Schuhe und Mantel an hatte. Vielleicht was Wichtiges? Man konnte nie wissen. Meine Absätze klackerten, als ich das Handteil des Telefons suchte.

Am anderen Ende schnaufte Robert irgendwas von einem merkwürdigen Vorfall mit Alma. Offenbar hatte sie Geheimnisse, aber ich keinen Nerv. Moritz war krank, ich musste zum Arzt und was sollte Alma auch für Geheimnisse haben. Vielleicht hat sie Probleme und sich mit ihrer Schwester besprochen. Wäre nicht das erste Mal. Moritz hatte Fieber. Schon seit zwei Tagen und ohne Fiebersenkung konstant über 40°C.

„Mein Moritz ist krank. Ich muss zum Kinderarzt.“

Im Moment hatte ich wirklich keinen Kopf für seine Probleme. Und was wird Alma schon für Geheimnisse haben? Vielleicht hat sie ihrer Schwester gemailt und wollte nicht, dass Robert das las.

Ich riet Robert, er soll nachschauen, dann würde sich alles schnell auflösen. Schließlich könne er zaubern. Wie oft schon saß ich sprachlos da, wenn seine Finger über die Tastatur glitten und irgendwas – was auch immer - machten. Ich traute ihm alles zu. Für mich war diese ganze Internetkacke ein Buch mit sieben Siegeln.

Ich spürte durchs Telefon hindurch, wie ihm das schmeichelte. Aber jetzt musste ich los. Ich wollte wieder zurück sein, bis Ina von der Schule da war – auch wenn Robert mir Hilfe anbot.

Ich hing das Telefon ein und schnappte Moritz. Oh Gott, der kleine Körper war überhitzt – und der letzte Ibuprofen-Saft war erst wenige Stunden her.

„Moritz, du glühst ja.“

Aber Moritz antwortete nur wirres Gebrabbel.

Oh Moritz, was hast du nur?

Schnell zog ich dem kranken Jungen seine Jacke über, gegen die eisige Kälte. Draußen lag Schnee. Selten für Anfang Dezember bei uns.


Der Weg vom Dachgeschoss in die Tiefgarage schien mir ewig weit. Und Moritz war mit sechs Jahren auch nicht mehr unbedingt der leichteste – auch wenn er für sein Alter eher klein und zierlich war.

Wie dringend nötig wäre eine helfende Hand. Aber Gerhard machte sich gerade Selbstständig. Von seinem alten Job war er freigestellt. Im Vorfeld meinte er, dass er sicher nicht mehr als ein oder zwei Tage die Woche etwas für den neuen Job tun könne, aber in der Realität sah es doch so aus, dass er ständig auf Achse war. Er traf sich permanent mit seinen zukünftigen Partnern, um dies und das zu besprechen.

Ich schnürte Moritz in den Kindersitz und stieg ein. Mit den Fingern klimperte ich auf dem Lenkrad. Dieses verdammte Tiefgaragentor schien sich heute langsamer als sonst zu öffnen.

Hoffentlich kam ich bei der Kinderärztin gleich dran.

Die fünf Kilometer schienen mir dank meines Gasfußes recht kurz. Hoffentlich gab es keine Polizeikontrolle.

Aber der da oben schien es gut mit mir zu meinen. Sogar einen Parkplatz fand ich unmittelbar vor der Praxis.

Da unklar war, ob Moritz‘ Krankheit ansteckend wäre, mussten wir in einem separaten Wartezimmer Platz nehmen. Ich schaute auf die Uhr, Moritz noch immer auf meinem Arm. Die Zeit würde knapp werden. Mit der freien Hand kramte ich das iPhone raus und schrieb Gerhard eine SMS.

„Bin beim Kinderarzt. Moritz glüht. Schaffst du es nach Hause bis Ina kommt?“

Ich klickte auf den Sendeknopf und starrte auf mein Display – und wartete, und wartete. Keine Antwort. Er war doch sonst schnell. Nur heute nicht. Auch telefonisch war er nicht erreichbar. Und er wusste doch, wie schlecht es Moritz ging. Wieso rief er nicht an und erkundigte sich?

Ich wurde nervös, wippte mit dem Fuß.

Endlich rief mich die Sprechstundenhilfe ins Behandlungszimmer.

Die Ärztin nahm Moritz Blut ab, denn außer konstant hohem Fieber schien ihm nichts zu fehlen. Kein Husten, keine Pusteln, nicht mal Schnupfen.

„Also Frau Johann. Einen bakteriellen Infekt kann ich ausschließen. Ein Antibiotikum bringt nichts. Schauen Sie, dass er viel trinkt und Ruhe hat.“

Ich nickte.

„Sollten sich das Fieber nicht deutlich absenken, kommen Sie morgen wieder.“

Ich bedankte mich bei der Ärztin und ging.


Kaum aus der Parklücke raus klingelte mein Handy. Endlich – Gerhard meldete sich. Ich schaute auf das Display. Oh je – meine Mama.

„Anne. Warst du bei beim Kinderarzt?“

„Ja Mama, ich komme gerade raus …“

Meine Mutter unterbrach mich: „Und was hat sie gesagt?“

„Sie weiß nicht was er hat. Wenn es nicht besser wird, dann soll ich morgen wieder vorbeikommen.“

„Wie, die weiß nicht was er hat. Für was hat sie denn studiert? Und dauernd diese Fiebersenker. Anne, das geht auf den Magen und auf die Leber und die Nieren. Da muss man doch was machen.“

Sie war in ihrem Element. Ich wagte kaum, sie zu unterbrechen. Am besten fuhr ich einfach weiter.

„Und koch ihm einen Fencheltee. Der Junge muss viel trinken, das ist wichtig. Die ganzen Giftstoffe müssen wieder aus ihm raus. Und überhaupt, wo ist denn Gerhard eigentlich?“

Ich verdrehte die Augen.

„Gerhard hat heute Termine. Ich weiß nicht wo er steckt. Er hat auch noch nicht auf meine SMS geantwortet. Sicherlich steckt er mit seinen neuen Partnern in einer Besprechung und es geht heiß her.“

Ich hörte meine Mutter aufschnaufen. Bestimmt kam jetzt wieder die alte Layer.

„Wieso macht er sich eigentlich selbstständig. Keiner gibt einen so gut bezahlten Job auf. Da bleibt man doch, wenn man einen sicheren Arbeitsplatz hat. Und Anne. Mal ernsthaft. Wer soll einem so jungen Schnösel sein Geld bringen in so unsicheren Zeiten. Da legen doch sowieso alle ihr Geld in Gold an. Wenn sie überhaupt noch Geld haben zum Anlegen. Seit wir Renter sind, haben wir ja auch nichts mehr. Das mit der Selbstständigkeit verstehe ich nicht. Er hat doch auch Verantwortung gegenüber seinen Kindern und gegenüber dir. Und jetzt wechselt er in kurzer Zeit zum dritten Mal den Job. Das macht sich doch auch im Lebenslauf schlecht. Und immer sind andere Schuld. Ach, hoffentlich war es die richtige Entscheidung. Weil wenn das nichts wird mit der Selbstständigkeit, dann wird es schwer wieder etwas zu finden. Wer nimmt ihn denn dann noch. Sicher nicht auf einer gleichwertigen Position. Da kann er wieder ganz von unten anfangen. Und er hatte so einen guten Job und gibt das einfach auf. Das will nicht in meinen Kopf.“

Ich quittierte immer wieder mit einem einfachen „ja“ oder einem „Ja, Mama“. Wenn sie sich so in Rage redete, dann war sonst kein Kraut dagegen gewachsen.

„Jetzt schau, dass du heimfährst. Und ruf mich gleich an, wenn du da bist.“

„Noch bevor Moritz im Bett ist oder kann ich das auch danach?“

„Der Junge muss ins Bett. Dann rufst du an“.

Die kleine Spitze schien sie nicht bemerkt zu haben.


Moritz musste in der kurzen Zeit beim Arzt zugenommen haben, denn meine Arme wurden länger und länger, als ich ihn bis ins Dachgeschoss trug. Der Kleine war total ruhig, kraftlos, ohne Anspannung. Wie ein nasser Sack.

Ich war noch nicht ganz oben angelangt, da hörte ich schon mein Telefon klingeln. Oh Gott – Mutter. Ich komme.

Schnell schloss ich auf und ging ins Wohnzimmer, um das schnurlose Telefon zu greifen. Ach, es war nicht Mama sondern Robert.

„Hallo? Ich habe das Postfach! Komm rüber! Setz Moritz vor den Fernseher! Los, zack zack.“

„Ich komme gleich…“ wollte ich sagen, aber Robert hatte schon eingehängt.

„Mama, ich friere!“

Ich setzte Moritz auf das Sofa und wickelte ihn in die Decke. Es sah richtig gemütlich und kuschelig aus. Ich schaute auf die Uhr. Seit dem letzten Ibusaft waren schon vier Stunden vergangen. Ich konnte also wieder etwas gegen das Fieber geben – nur eben kein Ibu sondern Paracetamol. Ich nahm das Fläschchen aus dem Küchenschrank und kippte die durchsichtige Flüssigkeit in den Messbecher. Es sah so ganz anders aus, als Ibuprofen.

Die Teekanne stand noch auf dem Frühstückstisch. Ich füllte eine Tasse mit dem abgestandenen Tee und ging zu Moritz ins Wohnzimmer zurück. Ich schob ihm den Messbecher mit Medizin zum Mund.

„Nimm das und dann kannst du mit Tee nachspülen.“

Ich griff nach der Fernbedienung für den Fernseher und schaltete Kika ein. Mit dem Ohrthermometer prüfte ich Moritz‘ Temperatur. 39.3°C – Gott sei Dank. Dann könnte ich kurz in die Nachbarschaft. Mal schauen, was der so wichtiges haben würde.

„Moritz. Ich geh schnell rüber zu Robert, aber ich komme gleich wieder, ja?“

Moritz nickte und kuschelte sich an das Kissen. „Geh mal aus dem Bild, Mama, ich will das sehen.“


Vervögelt

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