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Anne:

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Ich schlüpfte in meine Crocks und lief die Treppen runter. Endlose drei Stockwerke und ohne Aufzug. Für den Schneematsch auf der Straße trug ich die falschen Schuhe. Bemüht, meine Socken trocken zu halten, tippelte ich bis zum Nachbarhaus. Als ich klingeln wollte, summte es und ich drückte die Tür auf. Ich wurde erwartet. Robert wirkte angespannt und sein sonst so freundliches Lächeln fehlte. Ich zog meine Schuhe aus und trat ein.

„Ich hoffe, du hast was Wichtiges.“

Robert zerrte mich beinah ins Wohnzimmer. Dort stand sein Notebook aufgeklappt und vorbereitet auf dem Esstisch.

„Setz‘ dich und lies.“, wies er mich an.

Und ich setzte mich und begann zu lesen. Nur konnte ich nicht glauben, was ich da las. Die Buchstaben formten Worte, die ich nicht glauben wollte.

Mein Mann traf sich mit der Nachbarin.

Sie verabredeten sich zum Essen - offensichtlich schon öfters - dabei wurden intime Einzelheiten ausgetauscht.

Ich war sprachlos und fühlte mich, als würden zwei eiskalte Hände meinen Hals greifen. Gerhard traf sich mit einer anderen Frau. Und mir gab er vor zu arbeiten!

Ich war enttäuscht. Ich war traurig. Ich war hilflos. Meine schlimmsten Albträume waren nicht Furcht erregender. Tränen rannten mir über das Gesicht und ich wollte nur noch raus. Keinesfalls wollte ich Robert zeigen, wie sehr mich der E-Mail-Verlauf verletzte.

„Ich muss wieder zu Moritz.“, schob ich vor.

„Was sagst du? Was denkst du?“, fragte Robert.

„Ich kann gar nichts sagen. Höchstens den Arsch wird‘ ich ihm anzünden.“

„Nein, mach das nicht.“ Robert wirkte erschrocken. „Lass uns überlegen, was wir machen.“

„Ja, aber ich muss jetzt rüber zu Moritz.“


Kurz angebunden verabschiedete ich mich von meinem Nachbarn.

Raus.

Luft. Ich brauchte dringend Luft. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Wenn ich richtig gelesen hatte, dann waren sie wieder verabredet. Aber für welchen Tag? Vielleicht heute zum Essen? Ich fand das merkwürdig. Ständig war er unabkömmlich, schien Termine über Termine vorzuschieben, Besprechungen und sonst was. Und das, obwohl er der Meinung war, er hätte Zeit für uns. Gerade jetzt in der Phase zwischen freigestellt sein und Beginn der Selbstständigkeit. Er wollte so viel erledigen. Den Kniestock wollte er ausbauen für Stauraum und für eine Spielhöhle in die Wand. Mit mir wollte er wegfahren, vielleicht nach Paris. Viel mehr Zeit für seine Kinder wollte er sich nehmen. Sein bisheriger Job ließ das nicht zu, da kam er meist erst dann heim, wenn alles getan war, ich den Haushalt erledigt und die Kinder ins Bett gebracht hatte. Und dieser Pharisäer schob seine Karriere vor, um mit einer anderen Frau rum zu machen? Karriere. Auf die verzichtete ich zugunsten der Kinder. Damals verdienten wir gleich viel. In kürzester Zeit kletterte Gerhard die Erfolgsleiter nach oben. Die Familie musste zurückstecken und ich hielt ihm den Rücken frei, wie abgemacht. Und was machte dieser …

Auf den wenigen Metern zu meiner Wohnung kreuzten sich die Gedanken in meinem Kopf.

Moritz war eingeschlafen. Ich fühlte seine heiße Stirn. Schlaf würde ihm gut tun.


Erneut versuchte ich, Gerhard telefonisch zu erreichen – wieder nur die Mailbox. Jetzt erinnerte ich mich daran, dass er sich mit seinen Kollegen besprechen und dazu in angemietete Büroräume gehen wollte. Ein langes Meeting sei es. Die Räumlichkeiten seien wohl bei einer Firma, die auch einen Büroservice anbot. Aber: Sagte er nicht, dass dort nur langfristig vermietet würde und nicht ad hoc?

Ich rief Robert an.

„Kannst du mir die Nummer einer Büroservicefirma auf der Königsstraße raussuchen? Ich weiß leider nicht mehr wie sie heißt.“

Robert meinte, dass Google nur ein Suchergebnis ausspuckte. So erhielt ich schnell die gesuchte Nummer und legte auf.


Mein Anruf bei dem Serviceunternehmen war erfolglos.

„Tut mir leid, aber wir kennen weder einen Herrn Johann, noch die Firma, für die er arbeiten soll.“, sagte die Sekretärin.

Also war auch das gelogen. Für einen gläubigen Katholiken, der mit Tischgebet und allem aufwuchs, war das schon ein ganzes Bündel für die Beichte. Aber vielleicht war das Meeting auch wo anders? Wenn ich nur Gerhards Kollege erreichen könnte…

Ich suchte in unserem Wohnzimmerschrank nach der Visitenkarte und wählte die T-Mobilnummer, die handschriftlich notiert war. Nach dem zweiten Freizeichen meldet sich Gerhards Kompagnon.

„Herr Krämer, können Sie mir Gerhard geben? Er hat sein Handy ausgeschaltet und er trifft sich doch mit Euch.“

„Nein, da müssen Sie sich im Tag vertan haben. Wir treffen uns nicht, aber ich wollte ihn auch schon erreichen und krieg ihn nicht.“

Ich bedankte mich und hängte ein.

Ich war sauer auf Gerhard. Vielleicht sollte ich seine Eltern auf ihn loslassen!?

Sofort rief ich bei meiner Schwiegermutter an.

„Weißt du, wo Gerhard ist?“

„Aber Mädchen, er trifft sich doch heute mit seinen Kollegen in Stuttgart.“

„Nein, Wanda, das ist nicht so.“

Hat er dich also auch belogen, wollte ich noch nachsetzen, aber ich verkniff es mir.

„Ich wollte ihn erreichen, denn Moritz hat hohes Fieber und ich muss noch in die Apotheke. Ich kann Moritz doch schlecht alleine lassen und wollte fragen, wann Gerhard kommt, aber seit Stunden erreiche ich ihn schon nicht.“

Ich schob das vor, weil ich schlecht sagen konnte, dass sich Gerhard vermutlich mit einer anderen Frau trifft. Das hätte uns nicht weiter gebracht, nur sie um den Verstand.

„Wo kann er dann sein? Ich weiß auch nicht, wo er sein könnte.“

Ihre Stimme klang wirr. Die Vorstellung, dass etwas vor sich gehen konnte, was nicht sein durfte, nahm sie gefangen.

„Wo ist er nur? Mir fällt gar nichts ein.“

Sie schien sich in etwas hineinzusteigern. Ich machte mir ernsthaft Sorgen um sie und ihr schwaches Herz.

„Naja, vielleicht kauft er Weihnachtsgeschenke.“, warf ich mehr als Stütze für meine Schwiegermutter in den Ring, als dass ich daran glauben würde.

„Das ist es. Er kauft ganz sicher ganz tolle Geschenke und will dich überraschen. Genau das ist es. Bin ich froh, dass sich das so auflöst.“

„Solltest du Gerhard erreichen, sagst du ihm dann bitte, er möge sich bei mir melden?“

„Das mache ich, Mädchen. Und mach dir keine Sorgen, wir wissen ja jetzt, was er macht. Ich spreche ihm auf die Mailbox, dass er sich bei dir melden soll.“


Ich musste lange auf seinen Rückruf warten.

„Hallo, du suchst mich?“

Ruhig bleiben. Nichts überstürzen. Cool und gelassen reagieren. Das hatte ich vor.

„Sag‘ mal, wo steckst du? Seit Stunden versuche ich dich zu erreichen.“

„Ich war im Meeting mit …“

„Das ist gelogen.“, unterbrach ich ihn, „ich habe bei der Bürovermietung angerufen, die kennen weder deine Firma noch haben sie dich je gesehen. Also lüg mich nicht an. Wo bist du? Was MACHST du?“

„Ja, ich …“

„Deine Kollegen suchen dich auch. Also wo bist du?“

„Ich bin in Stuttgart.“

Ach, mehr hatte der Herr nicht zu sagen?

„Sogar deine Mutter sucht dich und meinte, du kaufst bestimmt Weihnachtsgeschenke.“

„Genau das habe ich gemacht. Aber es sollte eine Überraschung sein.“

Mist. Jetzt hatte ich ihm die Steilvorlage geliefert und er stürzte sich drauf, wie Geier auf Aas.

„Und hast du wenigstens etwas gefunden?“, schob ich schnippisch nach, mehr auf mich selbst sauer, als auf ihn.

„Nein. Ich werde noch Mal los müssen.“

Seit sechzehn Jahren beschenkten wir uns zu Weihnachten.

„Vier Stunden irrst du in der Stadt herum und findest nichts? Das kannst du erzählen, wem du willst. Und außerdem schenken wir uns jedes Jahr etwas zu Weihnachten und nur weil du sagst, du kaufst etwas ein, heißt das noch lange nicht, dass ich weiß, was es ist. Also warum lügst du?“

„Ich wollte dir dieses Jahr etwas Besonderes schenken.“

Vielleicht lag ich doch falsch. Auf keinen Fall durfte ich das aber jetzt zugeben, klein beigeben.

„Ich sitze hier mit einem kranken Kind. Das scheint dir egal zu sein. Du fragst nicht mal nach Moritz.“

„Wie geht es denn Moritz?“, fiel ihm ein.

„Moritz hat 40°C Fieber und es geht ihm beschissen. Und frag mal wie es mir geht. Ich warte hier stundenlang und versuche dich zu erreichen. Und du suchst Weihnachtsgeschenke anstatt mir in dieser Situation zur Seite zu stehen, mir etwas ab zu nehmen. Das mit deiner Freistellung habe ich mir aber anders vorgestellt.“

„Ich auch“, antwortete er, „aber es gibt Vieles zu tun, damit wir irgendwann starten können.“

„Irgendwann. Du sagst es. Aber ich brauche dich JETZT. Also wann kommst du heim?“

Er schien kurz zu überlegen.

„Ich muss noch zu meinen Eltern ins Büro und dann komme ich heute Abend.“

„Hast du denn wenigstens etwas gegessen?“

„Eine Pizzaschnitte auf die Hand, mehr nicht.“

„Gut, dann koche ich dir etwas, wenn du nach Hause kommst. Kannst du Ina auf dem Heimweg vom Rollschuhsport abholen?“

„Ja, das mache ich. Wann hat sie denn aus?“

„Wie immer um 19 Uhr.“

„Okay. Also dann bis später.“

Nach dem Gespräch fühlte ich mich verunsichert. Vielleicht war er wirklich Geschenke suchen anstatt mit Alma zu Mittagessen. Ich rief Robert an.

„Ich habe Gerhard erreicht. Er war Weihnachtsgeschenke kaufen in Stuttgart, aber er hat wohl nichts gefunden. Mit Alma war er, glaube ich, nicht Mittagessen. Dafür reichte es ihm nicht. Er hatte lediglich eine Pizzaschnitte auf die Hand.“

Vervögelt

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