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Florian Steiner und die Lage der Welt

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Sonntagmorgen. Da Camille an den Wochenenden gerne ihrem Langschläfer-Gen huldigt, widme ich mich der Frühstücksvorbereitung. Bevor ich meine Frau wecke, lasse ich den Blick ein letztes Mal über den Tisch gleiten, stelle sicher, dass alles da ist, was ihr Herz begehrt: eine Schraubkanne für vier Portionen Kaffee, eine Karaffe Orangensaft, zwei weichgekochte Eier, ein Korb mit Dinkel-Vollkornbrot, Butter, Himbeer-Rhabarber-Marmelade, verschiedene Käsesorten, Radieschen, zwei Schalen mit frischen Erdbeeren und Joghurt, Die Zeit und Le Monde. Früher lasen wir auch noch die New York Times, aber seit acht Jahre Trump und mehr als eine Dekade Republican Party die USA an den Rand des Bürgerkrieges und in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit geführt haben, sparen wir uns die Lektüre.

Camille und ich zelebrieren unser Sonntagsfrühstück-Ritual. Sie ist eine brillante Juristin und wir diskutieren mit Vergnügen das aktuelle Weltgeschehen über unserem Dejeuner. Das Weltgeschehen – beim Umblättern entfährt mir ein gequälter Seufzer.

»Na, die Zeitungsmeldungen verderben dir auch immer öfter die Laune, chéri«, stellt meine Angetraute treffend fest.

»Kein Wunder, bei solchen Nachrichten! Überfällige Reformen, die von feigen Politikern nicht angegriffen werden. Wahlen, die zur Zitterpartie werden, dass die rechtspopulistischen Demagogen die Mehrheit davontragen. Immer die gleiche Leier. Das alles steht mir bis hier.« Zur Verdeutlichung führe ich meine ausgestreckten Finger mit einer schnittigen Bewegung unter meiner Unterlippe vorbei.

Meine Frau schmunzelt. Sie weiß, wie sehr ich das westliche Europa liebe und wie tief es mich schmerzt, dass dieses seiner Probleme nicht Herr wird, sein Potenzial nicht ausschöpft.

»Mit den USA am Boden gibt es keinen Grund, warum Europa nicht die Vormachtstellung einnehmen und florieren könnte. Das einzige Hindernis sind wir selbst«, alteriere ich mich weiter.

»Was willst du dagegen tun?«, fordert Camille mich heraus.

Normalerweise kapituliere ich an dieser Stelle, aber nicht heute. Volksabstimmung über Kopftuchverbot in Kindergärten und im öffentlichen Dienst. Volksabstimmung über Mitspracherecht von Eltern und Schülern bei Lehrstoff und Notengebung. Steigende Arbeitslosenzahlen und dem gegenüber Betriebe, die händeringend nach Arbeitskräften suchen. Welche Meldung auch immer der Auslöser war, für mich ist eine Grenze überschritten.

»Da, hör dir das an: Neo-Faschisten in Italien wollen nach Wahlsieg Volksabstimmung über EU-Austritt einberufen. Aus Brüssel kommt bis jetzt nur geschocktes Schweigen. Die Demokratie versagt an allen Ecken und Enden. Das Volk entscheidet über Dinge, von denen es keinen blassen Schimmer hat, manipuliert von Propagandabombardement, Alternative Facts und picksüßen Wahlzuckerln. Wie lange wollen wir noch zuschauen, wie Zukunftsperspektiven und Gemeinwohl unter der Diktatur ignoranter Wutbürger geopfert werden?«

Le Monde senkt sich und Camilles grüne Bergsee-Augen blicken mir fragend entgegen.

»Höchste Zeit, dass irgendwer den Mumm aufbringt, offen über eine nötige Reform unseres demokratischen Systems nachzudenken.«

Ich kann die Fragezeichen in den Augen meiner Frau förmlich sehen. Mittlerweile wölbt sich auch eine Stirnfurche über ihren Brauen. Das lässt Widerspruch befürchten und ich beeile mich fortzufahren: »Platons Schiffs-Analogie trifft es auf den Punkt: Die Welt braucht einen fähigen Kapitän, unterstützt von Experten, anstelle laienhafter Passagiere, die angesichts eines Orkans im Sesselkreis über Navigationsmanöver abstimmen. Das kann nur zu Schiffsbruch führen.«

»Die Demokratie ist sicher nicht perfekt. Diese Entwicklungen beunruhigen mich genauso wie dich. Aber bis dato haben wir keine bessere Regierungsform gefunden. Oder hast du eine klügere Idee, mon cher?«

»Längere Legislaturperioden, ein mächtigeres Staatsoberhaupt mit einem Stab an Expertenberatern, was weiß ich. Auch die Gründerväter der USA hatten nie die Intention, das Wahlrecht jedem zuzugestehen. Ist es zu viel verlangt, dass Wahlberechtigte auch ein Verständnis über die Abstimmungs-Materie mitbringen und Zusammenhänge sowie langfristige Auswirkungen ermessen können?«

Le Monde liegt inzwischen feinsäuberlich gefaltet neben dem Teller und ich genieße die volle Aufmerksamkeit meiner Gesprächspartnerin.

»Wahlrecht nur für weiße Männer mit Landbesitz, wie zu Beginn der Vereinigten Staaten?«

Diese bewusste Provokation bringt mich zum Schmunzeln und ich kontere: »Vielleicht gar keine so schlechte Idee. In einigen Schweizer Kantonen bekamen die Weiberleut auch erst 1990 das Stimmrecht und so schlecht sind die Eidgenossen damit nicht gefahren.«

»Idiot«, zischt Camille, wirft ein Radieschen nach mir und verschwindet dann wieder hinter ihrer Tageszeitung.

Meine Laune hat sich zwar gebessert, aber die Problematik gärt innerlich weiter. In meinem Hinterkopf formiert sich die Idee zu einem Studentenexperiment.

Der Alpendiktator und Menschenfreund

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