Читать книгу ... kannst du mich lieben? - Barbara Namor - Страница 10

Kapitel 8: Samstag, 28.7. – 10 Uhr 23

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Puls 122 Schläge pro Minute, Blutdruck 87 zu 62, Temperatur 39,7.

Keine Werte zum Jubeln, aber ich bin hochzufrieden damit. Außerdem spüre ich am ganzen Körper, wie anstrengend es war, sich gemeinsam mit Joe so weit ins Leben zurückzukämpfen. Ich fühle mich zerschlagen, bin heilfroh, dass Blend immer noch tief und fest schläft, denn neben einem kräftigen Frühstück habe ich mittlerweile fast drei Flaschen Cola getrunken und musste selbst mehrmals die Blase entleeren. Ich bin in der ganzen Zeit nicht gestört worden. Vor der Tür höre ich gelegentlich Räder rollen oder Füße trappeln; offenbar läuft der Betrieb auf der Station über den Flur vor Joes Zimmer einfach an mir vorbei – nur ist die Anspannung, die bei jedem Geräusch von dort in mir hochzuckt, gewaltig. Das schlaucht. Ich bin mir ziemlich sicher – lange wird man mich nicht mehr einfach so gewähren lassen. Eine Geiselnahme ist schließlich keine Lappalie, auch wenn ich mich sehr bemüht habe, so rücksichtsvoll wie möglich vorzugehen. Ich betrachte Joe kritisch. Er sieht unverändert aus. Es ist trotzdem an der Zeit, dass ich mir eine Pause gönne und an mich selbst denke.

Deshalb zücke ich mein Handy. Es ist das Gerät, das mir der Chef des Stützpunktes in Florida gab, auf dem Toms und Joes Truppe, unser Dienst, denn eigentlich gehöre ich ja dazu, ihr Hauptquartier hat. Nachdem ich aus dem Gedächtnis mehrere Codes eingegeben habe, wählt der Apparat selbstständig eine Notfallnummer. Ich weiß, meine Nachricht wird aufgezeichnet und weitergeleitet, ich brauche meinen Namen nicht zu nennen, denn ich werde über mein Handy identifiziert. Knapp schildere ich leise, aber so präzise wie möglich, was bisher passiert ist und schließe mit den Worten: „Joe lebt noch. Ich habe recht gehabt, meinen Versuch zu starten, denn es geht ihm etwas besser. Aber ich bekomme einen Riesenärger wegen all dem hier, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es wäre toll, wenn sich jemand etwas ausdenken könnte, um mir zu helfen.“


Kaum bin ich fertig, ertönt von draußen eine Stimme: „Monika hier. Ich bin in Begleitung eines Mannes von der Polizei, der mit Ihnen reden will.“

Ich seufze. Da draußen wird man offenbar ungeduldig. Das habe ich doch ziemlich präzise vorhergesehen. Ich entscheide mich dafür, mit dem Mann zu reden, und rufe: „Sind Sie unbewaffnet?“

„Ja.“

„Tragen Sie Mikrofone?“

„Nein.“

„Sie lügen. Legen Sie die Dinger ab, bevor Sie hereinkommen. Und machen Sie nicht den Fehler, meinen technischen Sachverstand zu unterschätzen. Tragen Sie eine Kamera?“

„Nein.“

„Sie lügen ja schon wieder. Ich mag das nicht. Tragen Sie Unterhosen?“

„Eh … ja …“

„Ziehen Sie sich bis auf die Unterhose aus, falls Sie eine Brille tragen, bleibt die ebenfalls draußen.“ Ich warte etwa dreißig Sekunden. „Fertig? Sind Sie jetzt sauber bis auf Ihre Unterwäsche?“

„Ja.“ Das klingt äußerst unbehaglich.

„Jetzt sagen Sie endlich die Wahrheit. Kommen Sie rein und bringen Sie Monika mit.“

Der Mann trägt Schießer-Feinripp mit Eingriff in einer Slipform, von der ich gerne geglaubt hätte, sie sei schon vor fünfzig Jahren aus der Kollektion genommen worden. Es fällt schwer, ihn ernst zu nehmen in der Aufmachung.

„Sie sollten nicht den Versuch machen, mich anzulügen. Dann wäre Ihnen dieser Auftritt erspart geblieben. Wer kauft eigentlich Ihre Unterhosen? Ihre Mutter?“, versuche ich, den sicher Vierzigjährigen in die Defensive zu bringen. Ich lasse ihn gar nicht erst zu Wort kommen, denn ich bin sicher, er will mich irgendwie in Verhandlungen drängen. Das möchte ich vermeiden. Er soll sich gefälligst mit meinen Forderungen auseinandersetzen. „Monika, würden Sie sich bitte einmal Joes Werte ansehen und dem Herrn dann bestätigen, dass es dem Patienten besser geht?“

Monika liest die Werte ab, greift nach Joes Stirn, dann nach seiner Hand und entfernt die Kühlakkus, die rechts und links seiner Beine liegen und mittlerweile warm geworden sind.

„Das ist wirklich erstaunlich. Alle Werte sind stabiler geworden. Der Patient fühlt sich auch nicht mehr kaltschweißig an – fiebrig ja, aber das ist nach der Vorgeschichte nicht weiter erstaunlich“, meint sie. „Ich weiß nicht, ob Ihnen das wirklich klar ist, Herr Haselbach, aber als der Mann hier in den frühen Morgenstunden auf die Station kam, war man sicher, dass er keine Stunde mehr zu leben hätte. Ich weiß nicht was sie“ – die Schwester deutet mit dem Kinn auf mich – „gemacht hat, aber sie hat ihm eindeutig geholfen.“

„Danke, Monika. Herr Haselbach, überzeugen Sie sich bitte, dass es meiner Geisel gut geht, aber wecken Sie Doktor Blend nicht auf.“

Als der Mann in der Unterhose barfuß zu Blends Bett tappt, um einen genaueren Blick auf ihn zu werfen, fahre ich fort: „Ich bin mir im Klaren darüber, dass Sie, beziehungsweise die Behörden, eine Geiselnahme nicht ignorieren können. Aber wenn Sie jetzt dieses Krankenzimmer verlassen, denken Sie bitte über Folgendes nach: Was würden Sie persönlich tun, wenn man Sie nicht zu einem guten Freund lässt, dem ausschließlich Sie durch Ihre Gegenwart das Leben retten können? So verhielt es sich für mich vor ein paar Stunden. Und Joes Zustand war zu diesem Zeitpunkt so ernst, dass da noch nicht einmal eine einzige Minute für längere, klärende Gespräche zur Verfügung stand. Alle, mit denen ich bisher in der Sache Kontakt hatte, werden Ihnen bestätigen, dass ich bis jetzt extrem rücksichtsvoll vorgegangen bin und versucht habe, niemandem Schaden zuzufügen, obwohl ich das durchaus hätte tun können. Lediglich Doktor Blend bekam einen Kratzer am Hals ab, weil er anfangs Probleme hatte, sagen wir mal, auf meine Pläne einzugehen.“

„Einen völlig unbedeutenden Kratzer“, mischt sich die Krankenschwester ein, die ungefragt Joes Kissen routiniert richtet. Ich lächle ihr zum Dank dafür zu.

„Herr Haselbach“, wende ich mich dann wieder an den Polizeimitarbeiter, „diskutieren Sie das, was ich Ihnen jetzt mitgeteilt habe, bitte mit Ihrem Stab. Ich bin grundsätzlich weder gefährlich noch kriminell. Aber ich werde es, wenn man mich meinem Freund nicht helfen lässt. Niemand sollte den Fehler machen, mich zu unterschätzen.“

Beim letzten Wort greife ich ihn völlig überraschend frontal an, lasse ihn zu Boden gehen und setze meine Messerspitze an seine Kehle, bevor er auch nur einen halbwegs vernünftigen Reflex zustande bringt. Offenbar hat man ihn im Gegensatz zu mir nicht im Nahkampf ausgebildet. Es ist mir wichtig, ihn durch diese Demonstration wissen zu lassen, was ich kann. „Ich bin extrem wachsam, leistungsstark und verfüge über einige wirklich ungewöhnliche Fähigkeiten. Bedenken Sie das, wenn Sie draußen die Lage schildern und lassen Sie mich bitte einfach noch eine Weile in Ruhe hier meine Arbeit tun!“ Ich helfe dem reichlich aus dem Konzept gebrachten Mann wieder auf die Beine. „Und jetzt gehen Sie. Sofort und ohne Kommentar. Ich möchte mich nicht mit Ihnen unterhalten. Schwester Monika? Sie bleiben bitte noch.“


Doktor Blend schnarcht zum Glück unbeeindruckt weiter. Ihn haben die Ereignisse nicht geweckt.

„Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt?“, frage ich die Krankenschwester und stecke mein Messer wieder weg.

„Monika und du“, entgegnet sie nachdrücklich. Dann betrachtet sie mich aufmerksam und meint: „Ich glaube nicht, dass du irgendjemandem wirklich ernsthaft schaden willst. Das wirkt schon etwas mühsam, wenn du versuchst, bedrohlich zu aufzutreten.“

„So? Meinst du? Schade. Ich hatte mir solche Mühe gegeben. Behalt um Gottes willen deine Meinung für dich! Ich brauche dringend eine Pause. Kann ich dir so weit vertrauen, dass ich für fünfzehn Minuten schlafe, du verrätst mich nicht und achtest in der Zwischenzeit auf Joe?“

Sie nickt einmal wieder.

„Du musst es sagen, damit ich weiß, ob ich dir vertrauen kann.“

„Ich passe auf und du kannst schlafen“, antwortet sie ruhig.

Ich höre, dass sie die Wahrheit spricht. Ich setze mich einfach in eine Ecke des Raumes, lege den Kopf auf die Arme und Knie und schließe erschöpft die Augen.


Powernapping, also der kurze, aber tiefe Schlaf, soll angeblich sehr erholsam sein. Aber als ich nach fünfzehn Minuten wieder planmäßig wach werde, weil ich meinen inneren Wecker darauf eingestellt habe, spüre ich leider nichts davon. Sobald mein Blick sich klärt, sehe ich auf den Monitor über Joes Bett. Der Blutdruck ist geringfügig gefallen – 85 zu 61. Unwillkürlich stöhne ich leicht auf, wie ein Arbeiter, der wieder zu schaufeln beginnen muss, nachdem ihm klar geworden ist, dass ein Teil der Grube, die er gegraben hat, während seiner Pause erneut mit nachgerutschtem Sand gefüllt wurde. Monika macht ungefragt Platz auf dem Stuhl neben Joes Bett und ich setze mich, um meine Hände in Position zu bringen.

„Danke“, murmele ich leise.

„Wie lang hältst du das noch durch? Er ist noch nicht so weit, dass er es ohne deine Hilfe packt“, erwidert sie ebenso leise.

Ich zucke mit den Achseln. Ich darf Joe zuliebe einfach nicht aufgeben!

„Was denkst du, wie die Polizei sich verhält?“, erkundige ich mich.

„Na ja, ich bin mir nicht sicher, warum du den Betrieb der Station ausdrücklich erlaubt hast – aus Menschenfreundlichkeit oder weil das ein guter strategischer Schachzug war. Die Marschall hat jedenfalls den Einsatzkräften da draußen ganz klar gemacht, dass sie dich für harmlos hält, dein Vorgehen billigt, weil sie grundsätzlich der Meinung ist, wer heilt, hat recht. Schließlich geht es Joe besser. Sie sagt, der Laden hier sei einzig und allein dazu da, Menschenleben zu retten und nicht zu gefährden. Aber vor allem hat sie ihre Station verteidigt wie eine Löwin. Sie besteht darauf, dass die Patienten hier alle nicht zum Spaß liegen, nicht evakuiert werden können und eine große, aufregende Polizeiaktion deshalb schlichtweg nicht durchgezogen werden darf, wenn man nicht Menschenleben gefährden will. Für den Fall, dass doch gestürmt werden sollte, oder was auch immer, hat sie mit einem Riesenspektakel in den Medien gedroht. Klar, hier gibt es eine Geisel und das ist nicht wirklich schön, aber es besteht ja momentan für niemanden eine konkrete Gefahr, wie es scheint. Ich denke, die Situation ist so gründlich verfahren, dass man dich noch eine Weile in Ruhe lässt.“


Es piept wieder, weil eine Infusion durchgelaufen ist.

„Ich schicke dir die Marschall noch einmal und lasse sie frische Infusionen mitbringen. Vielleicht habt ihr gemeinsam eine Idee, wie das hier weitergehen kann“, schlägt Monika vor.

Die Ärztin sagt allerdings nichts anderes als die Krankenschwester. Auch sie ist besorgt, wie lange ich meine Therapie durchhalte. Nachdem sie die Infusionen gewechselt hat, bin ich wieder mit Joe und meiner schnarchenden Geisel allein.

Am frühen Nachmittag lassen meine Kräfte rapide nach. Aber Joes nehmen dafür wieder zu – das spüre ich und das kann ich auf dem Monitor ablesen. Auch ohne Rückendeckung durch Schwester Monika gönne ich mir nochmals eine Schlafpause, diesmal eine halbe Stunde. Als ich wieder wach werde, sind Joes Werte nicht wieder abgerutscht. Ich bin so erleichtert, dass mir ein paar Tränen aus den Augen sickern!

Dann klingelt mein Handy. Jason ist dran und er hält sich nicht mit einer Begrüßung auf: „Wie geht es Joe?“, will er als Erstes wissen.

„Ich habe eine halbe Stunde Pause gemacht, weil ich ziemlich erschöpft bin und seine Werte sind derweil nicht wieder schlechter geworden.“

„Das ist gut. Und wie geht es dir?“

„Ich fürchte, ich halte nicht mehr lange durch, es hilft mir nicht einmal mehr, literweise Cola zu trinken.“

„Kannst du genau beschreiben, wo du dich befindest?“

„Zentralklinik. Intensivstation, vierte Tür links auf einem langen Flur. Das müsste der fünfte Stock im Gebäude sein.“

„Trägst du deine Uhr mit dem Sender? Können wir dich anpeilen?“

„Sicher! Ohne die gehe ich nirgendwo hin.“

„Ich habe Kollegen in deine Richtung in Marsch gesetzt. Wir arbeiten an einer Lösung. Ich melde mich wieder, sobald ich dir konkret etwas mitteilen kann. Du weißt doch – ich kümmre mich um meine Leute. Und du gehörst dazu. Wir lassen dich nicht allein. Kopf hoch, Mädchen!“ Damit endet das Telefonat.


Es dauert ein bisschen, bis mir klar wird, dass meine Hände samt dem Telefon nass sind, weil jetzt meine Tränen in Strömen fließen. Ich bin so fix und fertig! Und ich fühle mich trotz Jasons Worten furchtbar allein. Außerdem habe ich einfach Angst, wenn ich daran denke, was meine Rettungsaktion wohl für Konsequenzen nach sich ziehen wird. Ausgerechnet jetzt! Bis zu den letzten Teilen der Abschlussprüfung für mein Studium dauert es nur noch zehn Tage. Ich sollte zurzeit irgendwo sitzen und lernen, aber mich ganz sicher nicht bei einer Geiselnahme um Kopf und Kragen bringen!

Doch die Dinge sind, wie sie sind – ich kann nichts daran ändern und deshalb setze ich mich wieder zu Joe ans Bett. Tränen hindern mich schließlich nicht daran, ihm weiter beizustehen. Noch ein paar Schlucke Cola und ich nehme meine Behandlung wieder auf. Allerdings sende ich Joe jetzt in Intervallen Signale: zehn Minuten Heilen für ihn, zehn Minuten Pause für mich. So will ich versuchen, meine Kräfte besser einzuteilen. In den Pausen bemühe ich mich um positives Denken, versuche, mich an schöne Dinge zu erinnern, die ich mit Joe erlebt habe.


... kannst du mich lieben?

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