Читать книгу ... kannst du mich lieben? - Barbara Namor - Страница 8

Kapitel 6: Samstag, 28.7. – 6 Uhr 17

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Ich setze mich neben Joes Bett, greife nach seiner Hand und schalle ihn wirklich gründlich. Unter seinen Augen liegen jetzt tiefe Schatten, die Wangen wirken eingefallen und anstelle der grauen Gesichtsfarbe ist eine durchsichtige Blässe getreten. Unter den Narkotika spüre ich als Erstes Angst, die ihn durchdringt. Gleichzeitig erkenne ich daneben einen verbissenen Willen, es mit dem Gegner aufzunehmen und nicht kampflos aufzugeben. Ich beginne zunächst, Joes Angst zu dämpfen. Lebensmut, das ist es, was er jetzt braucht. Und er benötigt Hilfe gegen das Fieber, gegen die Entzündung, die sich in seinem Bauchraum breitgemacht hat. Ich lege meine linke Hand mitten auf seinen heißen Leib und beginne, ihn lautlos zu unterstützen.

Nach sieben Minuten und dreiundfünfzig Sekunden kehrt Schwester Monika zurück. Ich fahre regelrecht zusammen, so sehr erschreckt es mich, als sie vom Flur aus ruft: „Monika hier. Und ich bin allein.“

Wenn jetzt ein Überfallkommando hereingestürmt wäre – ich hätte es nicht verhindern können, so vertieft war ich in die Aufgabe, Joe zu helfen. Ich darf in den kommenden Stunden auf keinen Fall aus den Augen verlieren, permanent wachsam zu bleiben und auch nach Geräuschen auf dem Flur zu lauschen. Immerhin habe ich wahrgenommen, dass die Stimme vor der Tür nicht lügt.

„Kommen Sie rein“, fordere ich sie auf und unterbreche widerstrebend Joes Behandlung. „Was tut sich draußen? Ist schon ein SEK in Stellung gegangen?“, erkundige ich mich.

Sie schüttelt den Kopf. „Kann aber nicht mehr lange dauern. Da herrscht mächtig viel Aufregung im Haus und die Polizei ist schon da. Man berät. Aber ich weiß nicht was. Zunächst hat man mir erlaubt, Ihren Anweisungen zu folgen.“

Ihr Blick fliegt hinüber zu dem Monitor, der Joes Körperfunktionen darstellt. Ihr Mund öffnet sich ungläubig. Dann tippt sie auf den Bildschirm: „Der Blutdruck fällt nicht weiter. Der ist sogar ganz leicht angestiegen. Was haben Sie ihm gegeben?“

„Mich“, erwidere ich knapp. Dann fällt mir auf, dass der Blick des Arztes wie gebannt an mir hängt. Nachdem er verpflastert worden ist, hat er mich wohl die ganze Zeit so intensiv beobachtet. Ich werfe ihm wieder das Handtuch über den Kopf und mache Schwester Monika ein Zeichen, dass sie näherkommen soll. Sie schaut mich sehr skeptisch an. Ich lege das Messer beiseite auf eine der Ablagen und zeige meine leeren Hände vor, um zu beweisen, dass ich ungefährlich bin und ihr vertraue. Schließlich kommt sie zögernd auf Zehenspitzen näher. Dumm ist sie nicht. Ihr ist klar, dass meine Geisel besser nicht mitbekommen sollte, wenn sie mit mir kooperiert.

Dann flüstere ich ihr ins Ohr, sodass Blend uns nicht verstehen kann: „Bitte helfen Sie mir. Sie haben ja gesehen, dass ich etwas bewirken kann. Blend wollte das nicht glauben, der wollte mich nicht hier hereinlassen. Ich bin nicht kriminell, aber ich darf doch nichts unversucht lassen, meinem Freund zu helfen!“

Erstaunt sieht sie mich an. Dann nickt sie nochmals nachdrücklich und ich flüstere weiter: „Bitte halten Sie mir die Polizei vom Hals, bis ich Joe stabilisieren kann – wann auch immer das sein wird.“

Sie nickt nochmals.

Laut befehle ich: „Lassen Sie die Vorhänge, wo sie sind – ich möchte nicht durch die Fenster beobachtet werden. Ich werde Sie über den Alarmknopf wieder herholen, wenn ich Sie brauche. Bis dahin keine Störungen oder ich werde ungemütlich.“

„Ich habe verstanden“, erwidert sie anscheinend ängstlich, lächelt aber herzlich dabei. Und mich tröstet das Gefühl, dass ich jetzt tatsächlich eine Verbündete gefunden habe.

Dann wende ich mich Joe wieder zu. Bevor ich allerdings meine Hände erneut auf seinen Körper lege, trinke ich eine halbe Flasche Cola leer. Das fehlte noch, dass ich jetzt zusammenklappe!


In den nächsten siebzehn Minuten kann ich ungestört arbeiten. Der Monitor sagt mir, dass Joes Blutdruck nicht weiter fällt. Plötzlich steigt er sogar systolisch und diastolisch um zwei weitere Punkte. Gut!

Ein lautes Piepen lässt mich plötzlich zusammenschrecken. Mir fällt auf, dass einer der Infusionsbeutel für Joe leer ist. Ich ziehe Blend das Handtuch vom Kopf und die Mullbinde aus dem Mund. „Ihr Fachwissen ist gefragt. Was mache ich, wenn das Piepen kommt?“

Blends Augen überfliegen die Anzeigewerte. Seine Augenbrauen heben sich erstaunt. „Ich hätte ihm keine Stunde nach der OP gegeben. Und der Blutdruck ist nicht nur stabil geblieben, der ist wieder gestiegen“, murmelt er ungläubig.

Es macht mich wütend, dass der Mann einfach nicht daran glaubt, dass Joe eine Chance haben könnte. „Wen interessiert Ihre Meinung, Blend? Warum piept die Kiste hier?“

Arrogant kommt zurück: „Ich bin Chirurg, kein Intensivmediziner.“

Ich drücke die Mullbinde wieder an ihren Platz und den Alarm für das Schwesternzimmer.

Fast umgehend meldet sich die Stimme von Monika vor meiner Tür: „Ja, bitte?“ Sie klingt sehr angespannt.

„Ist der Flur frei?“, will ich wissen.

„Ja.“

Ich höre sofort, dass sie lügt, und brülle, so mutig ich kann: „Falsch! Der Flur ist nicht frei. Wer auch immer sich da aufhält, soll sich sofort vom Acker machen. Ich frage in fünf Sekunden noch einmal, ob Sie da draußen allein sind und wenn nicht …“

Laufgeräusche von etlichen Füßen, die ich nicht habe kommen hören, sind zu vernehmen. Die Töne entfernen sich zügig – zum Glück!

Mit möglichst fester Stimme frage ich noch einmal nach Ablauf der von mir gesetzten Frist: „Monika? Ist der Flur jetzt frei?“

„Ja. Sie sind alle weg.“ Die Krankenschwester klingt so erleichtert, wie ich mich fühle.

„Reinkommen!

Kaum betritt Monika erneut Joes Zimmer, fragt sie neugierig: „Woher wussten Sie, dass vor der Tür ein SEK mäuschenstill in Stellung gegangen war?“

Ich gehe überhaupt nicht auf ihre Frage ein, denn es piept nach wie vor. Ich zeige nur fragend auf den leeren Beutel.

Monika erklärt mir, was Joe derzeit für Medikamente bekommt. Dann fügt sie hinzu: „Die Verordnung stammt von dem Intensivmediziner, der die Nachtschicht hier hatte. Vielleicht sollte noch einmal ein Arzt nach Ihrem Freund sehen, um sich Gedanken über die weitere Medikation zu machen. Schließlich hat sich die Situation verändert.“

„Sara, bitte nennen Sie mich einfach Sara. Rufen Sie mir bitte jemanden, der gut ist?“

Die Schwester benutzt das Telefon, das neben der Tür an der Wand hängt. Kaum hat sie darum gebeten, dass eine Frau Doktor Marschall kommen soll, lässt Blend die Verbandsschere fallen. Sofort reiße ich die Mullbinde aus seinem Mund; ich will ja nicht, dass der Mann mir erstickt.

Als ich ihn fragend ansehe, verkündet er nur ziemlich kleinlaut: „Ich fürchte, ich muss mal.“

Beinahe beginne ich zu lachen, als Monika eiskalt fragt: „Bettpfanne oder Urinflasche?“ Sie mag ihn wirklich nicht.

Erfreulicherweise verlangt Blend nur nach einer Urinflasche. Taktvoll drehe ich mich von ihm weg. Ich muss die Dinge ja nicht auf die Spitze treiben, die Situation ist verworren genug. Hinter mir höre ich Flüssigkeit in ein Gefäß rinnen, als vor der Tür eine Stimme verkündet: „Mein Name ist Marschall. Ich bin die Intensivmedizinerin, die Sie haben wollten. Darf ich eintreten?“

„Sind Sie allein? Befindet sich niemand außer Ihnen auf dem Flur?“

„Ja.“

„Sind Sie unbewaffnet?“

„Sicher.“

„Kommen Sie rein.“

Die Frau erinnert mich an Kate, die Ärztin vom Geheimdienst, die mich schon mehrmals betreut hat. Graue Haare, hinter denen ich Erfahrung vermuten darf, energisches Auftreten. Sie lässt sich nicht von der bizarren Situation und der Tatsache, dass Monika mit einer halb gefüllten Urinflasche in einer Hand gelassen dem Arzt im Hintergrund die Hose schließt, irritieren. Fast fliegt der Hauch eines Lächelns über ihr Gesicht, als ihr klar wird, was da gerade passiert ist. Sie nickt mir grüßend zu, bevor sie sich Joe zuwendet. Mit einer fast mütterlich wirkenden Bewegung greift sie nach seiner Stirn, streicht darüber, nimmt sich Zeit, den Monitor über Joes Bett zu studieren. Dann dreht sie sich zu mir um und will wissen: „Was haben Sie ihm gegeben? Er stabilisiert sich vielleicht wieder. Damit war nach dem Eingriff nicht zu rechnen.“

„Das werde ich Ihnen nicht verraten. Aber was immer es ist, ich kann es ihm weiterhin geben. Was können Sie für ihn tun?“, frage ich zurück.

„Ich würde seine Infusionen erneuern, zum Teil umstellen und versuchen, sein Fieber auch mit Eis zu dämpfen.“ Sie sieht mich kritisch an. „Und Ihnen würde ich empfehlen, etwas zu essen.“

Es beunruhigt mich, dass man mir die Anstrengung schon ansieht, die es mich kostet, Joe zu unterstützen. Andererseits, wem sieht man nicht eine Nacht an, die man voll Angst durchwacht hat? Vielleicht braucht mir die Bemerkung gar keine Sorgen zu bereiten. Aber ich sollte daran denken, dass ich selbst Hilfe brauche. Bald.

Die Intensivmedizinerin bitte ich betont höflich: „Wenn Sie freundlicherweise für alles Nötige sorgen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ach ja, und es wäre gut, wenn ein zweites Bett hier herein gerollt würde – ich fürchte, Doktor Blend ist sehr müde.“

Die Ärztin zieht nur erstaunt angesichts der letzten Information die Augenbrauen hoch, nickt und verschwindet. Ein paar Minuten später kehrt sie zurück. Auf einem Krankenhausbett, das sie gekonnt durch die Tür in den Raum manövriert, liegen diverse Beutel mit Infusionslösungen sowie Kühlakkus. Als wäre ich gar nicht da, bittet Frau Doktor Marschall Schwester Monika, ihr mit alledem behilflich zu sein. Ich rolle das leere Bett direkt ans Fenster und trenne die Fesseln von Doktor Blend auf. Mit einer Handbewegung lade ich ihn ein, zu dem Bett zu gehen und sich darauf zu legen. Sehr verunsichert sieht er mich an.

„Es ist für uns alle besser, wenn Sie jetzt schlafen. Schließlich haben Sie eine anstrengende Operation hinter sich“, erkläre ich ihm. Als er schließlich total verkrampft auf dem Bett liegt und ich seine Hände und Füße wieder mit Pflaster zusammengeklebt habe, bedecke ich sein Gesicht erneut mit dem leichten Handtuch; dann lege ich eine Hand auf seinen Kopf und opfere etwas von meiner kostbaren Energie, um ihn tief und fest innerhalb von zwei Minuten einschlummern zu lassen. Er wird nicht wissen, was mit ihm passiert ist, wenn er wieder wach wird, und versucht, sich zu erinnern.

Anschließend frage ich Frau Doktor Marschall: „Hat mein Freund eine Chance? Ich veranstalte den ganzen Zirkus hier nur, weil ihr Kollege mich daran hindern wollte, Joe mit meinen speziellen Mitteln zu helfen.“

Sie nimmt sich Zeit für die Antwort, studiert noch einmal den Monitor, hebt eines von Joes Augenlidern an und betrachtet seine blicklose Pupille. Dann erwidert sie ruhig: „Ihr Joe war eigentlich so gut wie tot, als er hier ankam. Er ist auf der Intensivstation gelandet, weil Chirurgen nur ungern einen ‚exitus in tabula‘, also den Tod auf dem OP-Tisch verantworten müssen. Seine Ankunft ist aber jetzt über drei Stunden her. Diese Zeitspanne hätte ihm nach dem Eingriff keiner gegeben. Ja, ich würde das eine Chance nennen. Seine Temperatur liegt jetzt bei 40,5. Das ist viel, aber er befindet sich in einem ausgezeichneten körperlichen Zustand. Sonst wäre er schon gar nicht mehr am Leben. Er wehrt sich. Aber er wird weiterhin Ihre Hilfe brauchen, worin auch immer die besteht.“

Erleichtert seufze ich auf. Eine Chance. Das ist doch etwas.

Seit Blend schlummert, schnarcht er.

„Bitte teilen Sie den Einsatzkräften, die sich da draußen gewiss versammelt haben, mit, dass Doktor Blend jetzt schläft. Ich werde Sie wieder rufen, wenn ich Sie brauche. Und herzlichen Dank für Ihre Hilfe.“

„Ich sehe zu, dass ich ein anständiges Frühstück für Sie auftreibe“, verspricht die Ärztin.

Mit einer weiteren Dosis Cola gestärkt, mache ich mich wieder an die Arbeit, nachdem ich mich erneut allein im Raum befinde. Die Werte für Puls, Temperatur und Blutdruck, die der Monitor anzeigt, habe ich mir gemerkt, damit ich etwaige Erfolge auch wahrnehmen kann.

An die Folgen meiner verrückten Aktion will ich lieber gar nicht denken. Joe hat sich immer so bedingungslos für mich eingesetzt, da kann er dasselbe wohl auch umgekehrt von mir erwarten.


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