Читать книгу Amuria - Bettina Belitz - Страница 10

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Sitzkreis

Eine zarte Berührung an meinem Feuermal riss mich schlagartig aus meiner Ohnmacht, doch als ich sie abzuwehren versuchte, griff ich ins Nichts. Verwirrt öffnete ich meine Augen – und schloss sie sofort wieder.

Vier Gesichter schauten auf mich herab, nur ein paar Zentimeter von mir entfernt, und ich war mir sicher, dass ihre Blicke meinem Mal galten. Deshalb hatte es sich also angefühlt, als wäre es berührt worden.

Starr blieb ich liegen und regte mich auch dann nicht, als mir Wasser auf die Wangen geträufelt wurde und eines der weiblichen Wesen kühlende, glatte Steine in meine Handflächen legte und meine Waden mit feuchten Blättern bedeckte. Sofort fühlte ich mich wacher und von Kopf bis Fuß erfrischt, als hätte ich tagelang geschlafen. Selbst die Blasen an meinen Zehen spürte ich nicht mehr.

Die Wesen sprachen nicht, weder mit mir noch untereinander. Außer dem leisen Rascheln der Blätter auf meinen Füßen hörte ich nur das ständige Plätschern und Rauschen des Wassers und das Singen der Vögel. Die Welt, in der ich gelandet war, war alles andere als still, aber ich vermisste sehnlichst menschliche Stimmen. Sprachen diese Wesen nicht mit mir, weil sie nicht wollten, oder konnten sie es nicht? Vielleicht sollte ich den Anfang machen?

Ich musste mich räuspern, um meine Kehle freizuputzen, und noch im gleichen Moment wichen die Gesichter vor mir zurück. Na endlich. Genau darum hatte ich sie bitten wollen. Mein Mal hatte schon zu brennen begonnen.

»Danke.«

Entschlossen versuchte ich, mich aufzusetzen. Sofort griff die Frau, die mir die Steine in die Hand gelegt hatte – ihre silbernen Locken tanzten wie ein Heiligenschein um ihr Gesicht –, sanft in meinen Rücken, um mich zu stützen. Ihre Geste fühlte sich an, als berührten mich Schmetterlingsflügel. Doch die Kraft in ihrer Hand ließ mir einen Schauer über den Nacken rieseln. Diese schillernden Wesen mochten aussehen wie aus einem Elfen-Stickerbogen, aber zerbrechlich waren sie nicht. Ich konnte gar nicht begreifen, wie eine solch zarte Berührung meinen gesamten Körper halten konnte, aber ich selbst war immer noch viel zu schwach, um mich aus eigener Kraft zu stabilisieren.

Also wehrte ich mich nicht gegen die Hilfe der Frau. Auf keinen Fall wollte ich liegen bleiben, während diese Erscheinungen mich anschauten. Denn das taten sie un- unterbrochen, wie vorhin bei dem Nebeljungen, der nun abseits auf einem Stein saß und missmutig zu uns her- überstarrte.

Lichtkreise konnte ich keine mehr erkennen. Die Wesen wirkten auch nicht mehr ganz so flimmernd und unscharf auf mich. Trotzdem waren es keine Menschen wie ich, obwohl ihre Gesichter menschliche Züge hatten: Augen, Nase, Mund, Ohren, Zähne, alles da. Sie lächelten mich an, als würden sie in ihrem Leben gar nichts anderes kennen als Freude und Glückseligkeit.

Verwundert beobachtete ich, wie ein grünlicher Lichtstrom von ihrer Brust in ihre Kehle wanderte. Doch immer, wenn ich ihn zu fixieren versuchte, verschwand er.

»Könnt ihr mich hören? Sprecht ihr meine Sprache?«, fragte ich sie langsam und so deutlich, wie ich es mit meiner trockenen Zunge konnte. Ich klang trotzdem ein wenig zahnlos und holte deshalb tief Luft. »Helft ihr mir bitte, zurück nach Hause zu finden?«

Nun kam mir meine eigene Stimme zu laut vor, ich zuckte selbst vor ihrem Klang zurück – und die Wesen um mich herum ebenfalls. Nur der Mann mit dem weißen, dreigeteilten Bart blieb ruhig hocken und schaute mich unverwandt an. Noch nie hatte mich ein Mensch auf solch intensive, gründliche Weise angeguckt, und es gefiel mir gar nicht. Was sah er nur in mir? Blinzelnd versuchte ich seinem Blick standzuhalten, doch das Licht in seinen Augen blendete mich.

»Ich bin Maja«, nahm ich einen neuen Anlauf. »Ich habe mich verirrt und brauche etwas zu essen. Könnt ihr mich denn gar nicht verstehen?«

Nun sahen mir auch die zwei Frauen und der andere Mann – er hatte sanfte Gesichtszüge und weiches, welliges Haar – in die Augen, tief und forschend, und in meinen Ohren begann es, leise zu summen.

»Bitte sprecht doch mit mir, bitte!«, rief ich flehend.

Wieder zuckten alle vier vor mir zurück.

»So laut war ich nun auch wieder nicht«, setzte ich gereizt hinterher und sah zu dem Nebeljungen hinüber, der immer noch finster vor sich hin schaute, aber inzwischen Gesellschaft bekommen hatte. Eine pechschwarze Krähe mit azurblauen Augen saß auf seiner Schulter und knabberte verspielt an seinem Ohr.

»Hey, kannst du mich denn verstehen?«, rief ich zu ihm hinüber und ignorierte das Zucken der erwachsenen Wesen um mich herum. »Du siehst anders aus als die hier … mehr wie ein echter Mensch und …«

Erschrocken verstummte ich, denn sein Blick war plötzlich so bohrend und feindlich geworden, dass ich es nicht wagte weiterzureden. Erst in der nächsten Sekunde kapierte ich, was das bedeutete. Er verstand mich! Ja, er hatte auf das reagiert, was ich gesagt hatte – ich hatte ihn mit einem Menschen verglichen, und das hatte ihn verärgert.

»Du verstehst mich. Stimmt’s?«

Wie in Zeitlupe drehten die Männer und Frauen ihren Kopf zu ihm, und sein olivbraunes Gesicht lief dunkel an. Ha, erwischt. Sie dachten das Gleiche wie ich. Vermutlich ging jetzt das Lichtkreisgedöns wieder los. Zähe Sekunden verstrichen, in denen der Junge und die Erwachsenen sich gegenseitig in die Augen sahen und schwaches Lichtgeflimmer über ihnen aufstieg, doch immerhin war dieses Mal die Farbe Gold dabei. Der Junge sprach mit ihnen.

Wenn er mich verstanden hatte, konnte er dann auch selbst reden wie Menschen? Oder war das hier etwa verboten? Obwohl mein Magen vor Hunger laut knurrte und dabei stach, als würden Messer in ihm stecken, blieb ich geduldig sitzen und wartete schweigend, bis die Wesen mit ihrer stillen Unterhaltung fertig waren.

Doch zu meiner Enttäuschung kam der Nebeljunge nicht zu mir. Stattdessen standen die Erwachsenen auf, griffen in die Taschen ihrer Gewänder und holten verschiedenfarbige Kristalle in der Größe von Tischtennisbällen heraus, aus denen sie im Abstand von einigen Metern einen exakten Kreis um mich herumlegten. Dann liefen sie lautlos dem Wald mit den lilafarbenen Blüten entgegen, wobei ihre Füße mehr über dem Moosboden schwebten, als dass sie ihn berührten. Nur der Junge blieb auf seinem Felsen sitzen, würdigte mich aber keines Blickes, sondern streichelte mit abgewandtem Gesicht das glänzende Gefieder der Krähe.

»Von mir aus, dann komme ich eben zu dir«, murrte ich, befreite mich von den Steinen und Palmblättern und wollte aufstehen, doch ich war so wackelig auf den Beinen, dass es mir erst beim dritten Versuch gelang. Trotzdem fühlte ich mich noch immer erfrischt und ausgeruht. Doch sobald ich mich den Kristallen näherte, war es, als würde ich gegen eine Wand prallen. Egal, an welchem Bereich des Kreises ich es versuchte, ich wurde sofort wie von einer mächtigen Welle zurückgedrängt, ganz gleich, wie harmlos die Edelsteine glitzerten.

Diese dauergrinsenden »Wie ist die Welt doch schön«-Wesen hatten mich tatsächlich in ihrem Steinkreis eingesperrt. Ich war ihre Gefangene!

»Was ist das jetzt für ein blöder Mist?«, wetterte ich und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich hatte diesen ganzen Kristallzauber so was von satt. »He, du, antworte mir gefälligst! Ich weiß, dass du mich hörst! Mag ja sein, dass ihr immer nur lächelt, den lieben langen Tag singend vor euch hin tanzt und Regenbogen pupst, aber wenn ihr mich ohne Nahrung in diesem Kreis lasst, werde ich sterben, hast du das kapiert? Sterben! Ins Gras beißen! Den Löffel abgeben! Abkratzen! Verrecken!« Mehr Wörter fielen mir auf die Schnelle nicht ein, doch eines davon musste der Junge verstanden haben. Sicherheitshalber machte ich eine eindeutige Geste vor meinem Hals und ließ mich übertrieben zuckend ins Moos fallen. »Tot. Klar? Ich brauche was zu essen, schnell! Jetzt rede doch bitte mit mir!«

Die Krähe schaute mich unverwandt aus ihren intelligenten blauen Augen an, als verstünde sie mich allzu gut, doch der Junge hatte die Hände auf seine Ohren gepresst und mir den Rücken zugedreht. Schreiende Menschen mochten diese Lichtweicheier offensichtlich gar nicht.

»Schöne heile Welt habt ihr hier«, stammelte ich erstickt und biss mir in den Handballen, um nicht zu weinen. Diesen Triumph wollte ich dem Nebelheini nicht gönnen. »Sieht alles aus wie gemalt, aber wenn ein Mensch zu euch kommt, lasst ihr ihn sterben. Ich scheiß auf eure Regenbogen und Wasserfälle und Wunderblumen …«

Jetzt musste ich doch heulen. Ich kam einfach nicht mehr dagegen an und vermisste Mama und Papa so stark, dass mein Herz schlimmer wehtat als mein Bauch.

Zitternd rollte ich mich in der Mitte des Kristallkreises zusammen, verbarg mein tränennasses Gesicht in meinen Händen und fiel schon nach wenigen Sekunden in einen hungrigen, traumlosen Schlaf.

Amuria

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