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Schlangen-Cocktail

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Es gibt tatsächlich Schlangen, die es schaffen, zu Menschen zu mutieren. Als Frau getarnt zischen sie mit ihrer Zunge und häuten ihre Meinungen, wenn es gerade passt. Es ist kaum zu glauben, wo diese Mutanten im täglichen Leben überall anzutreffen sind. Selbst an harmlosen, ganz banalen Orten oder Situationen, wie bei einem Restaurantbesuch.

Ich gehe mit meinem Mann recht gerne im Bürgerhaus essen: Gute deutsche Küche, Schnitzel mit Pommes und Salat. Aber seit Neustem gibt es hier einen anderen Pächter, einen Italiener, der frischen Wind in die Speisekarte gebracht haben soll. Wir wollen das testen. Es ist Freitagabend, 18.30 Uhr, das Restaurant ist noch nicht ganz voll. Die Leute kommen nach und nach. Wir sitzen gegenüber vom Eingang in einer Nische, ich mag diese Ecke, sie gibt einen unterhaltsamen Überblick.

Zur Tür herein kommt eine Frau mit ihrem Mann und wählt den Tisch neben uns. Sie zieht ihre Fellstola von den Schultern und bestimmt ganz klar, wer sich wo hinsetzt. Er auf der Bank, sie auf dem Stuhl. Sie nehmen sich beide die Speisekarte und vertiefen sich in die Auswahl. "Wir nehmen zum Essen einen Grillo, was meinst du?" "Ja, mein Schatz." Und dir bestelle ich Schweinemedaillons Scaloppine, die sind mager, das ist gut für deine Figur." "Ja, mein Schatz." "Und als Vorspeise Antipasti und einen Cocktail Camberetti, einverstanden?" "Ja, mein Schatz." "Und sag nicht immer ‚Ja, mein Schatz'." "Ja, ist gut."

Der Ober kommt. Sie bestellt. Für sich noch zusätzlich Spinaci al Forno als Hauptgang. "Spricht man hier eigentlich kein richtiges Deutsch?" "Warum fragen Sie, Signora?" "Weil in der deutschen Übersetzung von Spinaci al Forno ‚Speinat überbacken' angegeben ist." Sie schaut triumphierend und deutet mit dem Finger auf die fehlerhafte Stelle. Der Ober sieht sie an und kontert: "Damit der Gast weiß, dass er Spinat mit Ei bekommt, Signora." "Und Omelette wird übrigens mit zwei T geschrieben." Der Ober notiert auf seinem Block "… und ein Omelette mit zwei Tee, ausgezeichnete Wahl, Signora." "Nein, lassen Sie es gut sein. Sie haben unsere Bestellung ja bereits."

Ich sitze neben meinem Mann und grinse in mich hinein. Na, das ist ja eine tolle Nummer neben mir. Witzig. Sie spricht so laut, dass man gar nicht anders kann, als hinzuhören. "Hast du das mitbekommen?", fragt sie ihren Begleiter, "der wollte sich doch wirklich mir gegenüber als intelligent aufspielen. Unglaublich."

Wir haben noch nicht bestellt und ich frage meinen Mann, was er mir empfehlen würde. "Wenn ich ganz ehrlich bin, das Restaurant zwei Häuser weiter", meint er. Aber ich kenne seinen Humor und wir wählen das, was wir am liebsten essen, ich einen Salat ‚a la Chef' und mein Schatz ein italienisches Pfeffersteak, dazu einen guten, dunklen Rotwein. Und als Vorspeise frisch überbackene Bruschetta.

Am Tisch neben uns wird der Wein gebracht. Der Ober öffnet die Flasche gekonnt, gießt einen kleinen Schluck in ein Glas und lässt die Dame probieren. "Der riecht korkig. Bitte nehmen Sie eine neue Flasche." Er geht und kommt mit einer zweiten Flasche zurück. "Der ist übergegangen. Haben sie in ihrem Weinsortiment keine anständigen Weine? Bringen sie uns besser einen Pinot Grigio. Ist ja nicht zu fassen." Der Ober platzt fast, hat sich aber noch gut im Griff und geht. "In dieses Restaurant gehen wir nicht mehr, die haben hier eine ganz schlechte Auswahl." "Ja, mein Schatz."

Ich schaue zu dem Paar am Nachbartisch hin und denke mir meinen Teil. Sie schaut mich an, ich schaue sie an. Zwei Augenpaare treffen sich. In Lichtgeschwindigkeit fällen wir unser Urteil. Dumme Nuss kommt von mir, arrogante Ziege von ihr. Die Fronten sind geklärt. Unsere Männer bekommen davon nichts mit. Scheinheilig dreht sie sich zu ihrem Partner um. "Es gibt Leute, die gehen beim Discounter einkaufen und haben es gar nicht nötig. Und dabei zeigen sie eine unglaubliche Arroganz. Das ist pure Falschheit. Das kann ich ja gar nicht leiden. Was meinst Du dazu?" "Wie du meinst, mein Schatz." Pause. Ich sehe meinen Mann an und sage scheinbar völlig aus der Luft gegriffen "Wer Klasse hat muss nicht unbedingt Lehrer sein, manche sind in ihrer Niveaulosigkeit besonders große Klasse!" Touché.

Der Ober kommt an den Nachbartisch und serviert den Pinot Grigio. Er fragt, ob dieser nun genehm sei. Die Frau verzieht den Mund nach der Weinprobe und sagt "Mit etwas Öl und Salat wäre er sicher nicht schlecht. Aber lassen Sie die Flasche jetzt hier."

Nun hat mein Mann die Situation am Tisch neben uns doch erfasst - Männer sind da manchmal etwas langsamer - und zitiert für mich, dennoch laut genug zu hören: "Für ein gutes Tischgespräch kommt es nicht so sehr darauf an, was sich auf dem Tisch, sondern was sich auf den Stühlen befindet. Sagte schon Walter Matthau."

Die Dumpfbacke neben uns schluckt. Sie hat es vernommen. Sie dreht sich zu ihrem Mann um. "Nun, mein Bärchen. Möchtest du nicht auch etwas an diesem schönen Abend sagen?" Aber das Bärchen schweigt. Das Bärchen ist etwas kleiner als sie und schweigt scheinbar des Öfteren. Ich stelle mir vor, wie sie zu Hause im Schlafzimmer anstelle von ‚mach mir den Hengst' wohl ‚mach mir den Bären' sagt. Und er sitzt dann vor ihrer Höhle und brummt. Dem Bärchen würde ein unabhängiges Adventure-Training im Wald mal gut tun, wo er seine Kräfte wieder findet, zum Bären wird und als richtiger Mann zurückkehrt.

In der Zwischenzeit wurden uns fast zeitgleich die Vorspeisen serviert. Sie hat zum ersten Mal heute Abend den Mund voll und schweigt. Fast fehlen mir ihre bissigen Kommentare. Die Teller werden abgeräumt. Es vergeht einige Zeit. Wir unterhalten uns leise. Bald darauf werden die Hauptgerichte serviert. Sie reckt den Hals und möchte wissen, was wir auf dem Tisch stehen haben.

Mein Mann fragt mich laut genug und in ihre Richtung gewandt: "Weißt du, was Bernd Stelter immer gesagt hat? Eine Ehe ist wie ein Restaurantbesuch, man denkt immer, man hat das Beste gewählt, bis man sieht, was der Nachbar bekommt." Wenn Blicke töten könnten.

Wir grinsen uns an. Die Frau am Nachbartisch grinst nicht. Sie hat verstanden. Immerhin ist sie doch intelligenter, als ich dachte. Mein Mann ist ein Genießer und bestellt zum Abschluss noch einen Espresso und einen Vecchia Romagna dazu. Ich möchte nichts. Ich bin satt und zufrieden. Die Leute neben uns bezahlen, stehen auf und wollen gehen.

Ich flöte ein freundliches "Auf Wiedersehen" hinterher. Da bleibt diese unglaubliche Frau stehen, dreht sich zu mir um und zeigt mit dem Finger auf mich. "SIE möchte ich bestimmt nicht wiedersehen!"

Es gibt Schlangen, zum Beispiel der Gattung Giftnatter, die gehören gut angerichtet schlicht und ergreifend in den Topf.

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