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06 - Die Phantomsucht

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Ich sage zum Alkohol immer nein. Aber er will mir einfach nicht zuhören“

Als Tabu bezeichnet man ein Thema, über das nicht gesprochen wird, über das nicht gesprochen werden darf. Ein heikles Sujet, bei dem man Gefahr läuft, sich den Mund zu verbrennen, wenn man es verbalisiert.

Tummelfeld solcher Tabus sind die Gesellschaft oder auch das praktische Leben selbst, der Alltag.

Die Selbsterkenntnis, ein Problem mit dem Konsum von Alkohol zu haben, ist in diesem unserem Lande einer der letzten Tabus. Darüber spricht man nicht, allerhöchstens tuschelt man ein wenig.

Und so ist die Alkoholsucht als solche ein Mysterium, eine Fata Morgana, eine Schimäre, ein Phantom.

Man kriegt sie nicht gepackt, man kriegt sie nicht zu fassen. Sie versteckt sich, sie tarnt sich, sie gibt Rätsel auf, sich anfangs allenfalls undeutlich zu erkennen und sie kann oft nicht eindeutig identifiziert oder definiert werden.

Ein 'Outing' in diesem Bereich gibt es immer noch nur in Einzelfällen. Die überwiegende Mehrheit trinkt weiter – und schweigt.

Übermäßiger Alkoholkonsum wird gerne verharmlost und oft totgeschwiegen. Selbst den engsten Vertrauten gegenüber. Ich habe mich während meines ersten und einzigen mehrwöchigen Totalabsturzes im Jahr 2003 weder meinen Eltern noch den engsten Freunden gegenüber offenbart.

Lediglich eine gute Freundin wusste Bescheid, ich weiß nicht mehr, wie es dazu gekommen ist. Ich glaube, sie hatte mich damals spontan besucht und so von meinem bemitleidenswerten Zustand erfahren.

Offensichtlich ist es so, dass unterschiedliche Süchte in unserer Gesellschaft auch unterschiedlich bewertet werden. Weil sie mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen und Bildern verknüpft sind.

Bekennt jemand, dass er computerspielsüchtig ist, wird dies sogar bisweilen mit einem Lächeln abgetan und kaum ernst genommen

Über den überfüllten Aschenbecher im Büro sieht man hinweg, über den Kollegen, der unablässig Schokolade in sich hineinstopft und ob dessen kaum mehr in seinen Bürostahl passt auch, sogar der Bekannte, der einen am Ende des Monats um Geld bittet, weil er sein Salär für diesen Monat bereits am Automaten verspielt hat, wird mit Wohlwollen bedacht– nur, wer ein offensichtliches Alkoholproblem hat, wird geächtet.

Diese Ungleichbehandlung setzt sich auch dann fort, wenn der Suchtkranke versucht, seiner Sucht Herr zu werden.

Während Menschen, die ihre Nikotinsucht besiegt haben, Menschen, die ihrer Fresssucht Herr geworden sind und einen Zentner abgenommen haben, Menschen, die sich nicht länger die Nächte in Spielhallen um die Ohren schlagen bewundert werden, rümpft die Gesellschaft bei Menschen, die aufhören zu trinken oder ihren Alkoholkonsum reduzieren, die Nase.

Selbst der Konsum harter Drogen wird komfortabler behandelt als der Alkoholkonsum.

Kommt jemand von Koks oder Heroin weg wird er gefeiert, beim Alkohol sieht man die Bemühungen, den Konsum einzuschränken, eher kritisch.

Der Alkohol ist das einzige Suchtmittel, bei dem dies so ist. Nur, wer dem Alkohol verfallen ist, hat einen Makel und erntet Missbilligung von all' denen, die dieses Schicksal nicht, in vielen Fällen noch nicht, ereilt hat. Und auch von denen, die sich in der gleichen Situation befinden, sich dies aber noch nicht eingestehen wollen oder können.

Warum ist das so?

Warum löst der Satz „Ich trinke zu viel und versuche, es zu reduzieren“ Betroffenheit aus, und nicht etwa aufrichtige Bewunderung wie der ambitionierte Kampf gegen eine andere Sucht?

Warum geht man zu Menschen mit einem Alkoholproblem auf Distanz?

Vielleicht, weil das Wenige, was von einer Alkoholabhängigkeit sichtbar zu Tage tritt, eher abstoßend und unheimlich wirkt. Weil die Folgen des Trinkens oftmals offensichtlicher sind, als die anderer Süchte.

Der Clochard auf der Straße, der durch Alkohol bewirkte Kontrollverlust von Menschen im Umfeld, besoffene Eskapaden von Prominenten, die in den Medien breitgetreten werden.

So entsteht ein Image von Vieltrinkern, von dem sich die Gesellschaft abwendet.

Darüber hinaus glauben viele Menschen nach wie vor, dass ein problematischer Umgang mit dem Alkohol ein Ausdruck von Charakter- oder Willensschwäche, von mangelnder Disziplin oder Verwahrlosung ist. So wird gern ein Selbstverschulden unterstellt. „Wenn man wirklich will, dann kann man auch 'normal' trinken“.

Dabei ist der Alkohol vielleicht jenes Suchmittel, von dem die Entwöhnung am schwersten fällt.

Ich kann es nicht beurteilen, habe ich mit anderen Süchten doch nie zu tun gehabt, aber durchaus möglich, dass es so ist.

Die offen zur Schau gestellte Ablehnung erschwert den Umgang mit dem Alkoholproblem für den Vieltrinker immens und ist einer der Hauptgründe, warum es vielen Betroffenen so schwerfällt, sich und vor allen Dingen anderen gegenüber die Krankheit einzugestehen.

Der negative Nimbus der Alkoholsucht legt das Bagatellisieren derselben, legt ihr Negieren nah.

Auch, weil das Leugnen bei unsichtbaren Krankheiten leichter ist.

Genau deswegen gibt es anonyme Alkoholiker – meines Wissens existieren weder die „Inkognito-Kettenraucher“ noch die „nicht namentlich genannten Spielsüchtigen“.

Teufel Alkohol

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