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05 – Sucht und Alkoholismus

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Wer je den Durst mit Bier gelöscht, wird wieder danach streben“

Man könnte annehmen, dass das Wort „Sucht“ etymologisch mit dem Begriff „suchen“ zu tun hat – weit gefehlt. Es hat seinen Ursprung im Wort „siechen“, also an einer Krankheit leiden.

„Sucht ist ein unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen des Individuums.", so Klaus Wanke, mittlerweile verstorbener, früherer Sprecher des Wissenschaftlichen Kuratoriums der Deutschen Hauptstelle zur Abwehr der Suchtgefahren (39).

Süchtiges Verhalten kann ein jeder von uns entwickeln, denn jeder wiederholt gern, was ihm Wohlgefallen bereitet. Substanzen wie Tabak, Coffein, bestimmte Beruhigungs- und Schlafmittel wie Benzodiazepine oder Barbiturate, flüchtige Lösungsmittel und illegale Drogen wie Cannabis, Ecstasy, LSD, Kokain und Heroin (Opioide), und eben auch Alkohol besitzen allesamt ein Suchtpotenzial. Das bedeutet, dass möglicherweise bereits ihr einmaliger, in jedem Fall aber ihr mehrmaliger Konsum der erste Schritt in eine Abhängigkeit sein kann.

Aber warum wird man nach diesen Substanzen süchtig?

Kurzfristig wird mit dem Konsum eines Suchtmittels eine positive Wirkung erzielt, die oft als unbefriedigend empfundene Ausgangssituation wird scheinbar gebessert. Die anschließende „Ernüchterung" lässt einen Teufelskreis entstehen, der Wunsch nach einem erneuten Rausch rückt für den Betroffenen immer mehr in den Lebensmittelpunkt.

Eine Suchterkrankung basiert auf einer Fehlsteuerung des Belohnungssystems im Gehirn. Suchtmittel aktivieren verschiedene Botenstoffe, die zum Beispiel Wohlbefinden oder Euphorie auslösen. Dadurch lernt das Gehirn relativ schnell, ein bestimmtes Suchtmittel als positiven Reiz wahrzunehmen. Fehlt dieser Reiz, empfindet es eine Art Belohnungsdefizit – mit der Folge, dass der unkontrollierte Wunsch nach dem Suchtmittel entsteht.

Fast jede Sucht entwickelt sich über die psychischen Prozesse Erfahrung und Wiederholung an die sich der physiologische Prozess der Gewöhnung oder biologischen Toleranz anschließt. Unter biologischer Toleranz versteht man die Abnahme der Drogenwirkung bei wiederholter Einnahme. Sucht-Patienten kompensieren diesen Wirkungsverlust mit immer höheren Dosen. Ein weiterer Aspekt bei Süchten ist das Eintreten einer Gewohnheit: Der Substanz-Konsum gewinnt immer mehr Bedeutung und Funktion in verschiedenen Lebenslagen und Gemütszuständen. Sucht ist also keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit, die im Gehirn nachgewiesen werden kann.

Neben den erwähnten stoff-gebundenen Süchten existieren auch „Nicht-stoffgebundene Abhängigkeiten" wie Glücksspiel, Computerspiel- oder Internetsucht, aber auch Arbeitssucht oder Sexsucht. Krankhaftes Stehlen (Kleptomanie) oder Brandstiften (Pyromanie) werden medizinisch nicht zu den Suchterkrankungen gezählt. Diese Verhaltensauffälligkeiten werden als Störungen der Impulskontrolle zusammengefasst, der Patient kann seine Handlungen nicht bewusst steuern. Körperliche Abhängigkeitsanzeichen treten im Gegensatz zu den meisten Suchterkrankungen hier nicht auf (40).

Soviel zu Sucht und Abhängigkeit als solchen. Wie steht es aber nun um den Alkoholismus, eine spezielle Form der Sucht?

Alkoholsucht, also die Abhängigkeit von der psychotropen Substanz Ethanol, gilt weltweit als eine behandlungs-bedürftige Krankheit, weil der Abhängige sich meist nicht selbst aus der Abhängigkeit befreien kann (41).

Nach der Definition im ICD-10, das von der Weltgesund-heitsorganisation (WHO) herausgegebenen wird, sollte die Diagnose Abhängigkeit, gleichbedeutend mit Sucht, nur gestellt werden, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien während des letzten Jahres vorhanden waren:

Starkes oder zwanghaftes Verlangen, Alkohol zu konsumieren (Fachterminus: Craving)

Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich der Menge, des Beginns oder Ende des Konsums. Es wird regelmäßig mehr oder über einen längeren Zeitraum konsumiert als geplant oder es bestehen der anhaltende Wunsch und Versuche, den Alkoholkonsum zu verringern oder zu kontrollieren, ohne dass dies nachhaltig gelingt.

Körperliche Entzugserscheinungen bei Konsumstopp oder

Konsumreduktion

Nachweis einer Toleranz, um die gewünschte Wirkung hervorzurufen, sind zunehmend größere Mengen an Alkohol erforderlich

Einengung des Denkens auf Alkohol, eine Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums

Anhaltender Substanzkonsum trotz gesundheitlicher und sozialer Folgeschäden für den Konsumenten, obwohl der Betroffene sich über die Art und das Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte. Beispiele hierfür sind Leberkrankheiten wie Leberzirrhose, eine Verschlechterung der kognitiven Funktionen, der Verlust des Führerscheins oder Arbeitsplatzes, die Trennung des Lebenspartners oder der Rückzug des Bekannten- und Freundeskreises (42).

Von psychischer Abhängigkeit spricht man, wenn der Alkohol vom Betroffenen zur Steigerung des seelischen Wohlbefindens eingesetzt wird. Er fungiert gezielt als Problemlöser. Es geht nicht mehr um das Genießen eines Gläschens Wein in geselliger Runde, sondern um die Wirkung des Getränks auf den Körper (43).

Die psychische Abhängigkeit birgt die Gefahr, dass der Betroffene es sich zur Gewohnheit macht, immer häufiger zur Flasche zu greifen, dass er immer mehr Anlässe findet, die es, seiner subjektiven Empfindung entsprechend, wert sind, mit Alkohol bekämpft zu werden.

Auf die psychische Abhängigkeit folgt meist die körperliche.

Nimmt man eine chemische Substanz wie den Alkohol über längere Zeit hinweg zu sich, gewöhnt sich der Körper daran, es kommt zur Toleranzerhöhung: Um die gleiche Wirkung im Körper zu spüren, muss mehr Alkohol getrunken werden (44).

Wird die Alkoholmenge stetig gesteigert, kommt irgendwann der Punkt, an dem der Körper den Alkohol nicht mehr abbauen kann. Fortan behandelt er ihn so, als wäre er eine körpereigene Substanz und baut ihn in seine chemischen Prozesse ein. Ein Absinken des Alkoholspiegels im Körper führt nun dazu, dass die chemischen Prozesse des Körpers aus dem Gleichgewicht geraten, eine Störung, die der Alkoholabhängige als intensives Verlangen nach Alkohol erlebt. Er spürt Entzugserscheinungen wie innere Unruhe, Ängste und Schweißausbrüche und bekämpft diese erneut mit dem Konsum von Alkohol (45).

So ist aus einem nur psychisch abhängigen Problemtrinker ein nun auch körperlich abhängiger Alkoholabhängiger geworden.

Wie schnell die Entwicklung von der einen zur anderen Abhängigkeit voranschreitet, ist individuell verschieden und die Übergänge sind meist fließend (46).

Alkohol trinken, um Stress abzubauen, sich glücklich zu fühlen oder Sorgen zu verjagen – manche Menschen sind anfällig dafür, manche eher nicht.

Die Anlagen zur Sucht sind nach aktuellem Stand der Wissenschaft abhängig von den Genen, der Sozialisation und der Psyche (47).

Zunächst zu den Genen: Es gibt kein 'Abhängigkeitsgen'. Aber Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Alkoholismus zum Teil genetisch bedingt ist und vererbt wird. Menschen mit bestimmten Genveränderungen trinken mehr und häufiger, berichteten Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN). Sie entschlüsselten zwei Gen-Varianten, durch die Trinkgewohnheiten beeinflusst werden. Betroffene betränken sich im Schnitt doppelt so häufig wie andere Menschen und tränken bei jedem Anlass im Schnitt auch wesentlich mehr. Beide jetzt entschlüsselten Varianten im CRHR1-Gen sind nach Angaben der Forscher in der Bevölkerung weit verbreitet. Etwa jeder Fünfte beziehungsweise jeder Zehnte weise diese Veränderung im Erbgut auf.

Neben den CHHR1-Varianten gibt es noch viele weitere Gene, die, zusammen mit äußeren Faktoren, das Trinkverhalten beeinflussen.

Alkoholsucht wird zu 50-60% vererbt. Das zeigten auch Untersuchungen an Kindern, deren leibliche Eltern Alkoholiker waren, die aber in Pflegefamilien ohne Alkoholmissbrauch aufgewachsen sind. „Das Risiko, dass diese Kinder Alkoholiker werden, ist drei- bis viermal erhöht“, so Prof. Gunter Schumann, der am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim tätig ist (48).

In anderen Studien hat man herausgefunden, dass das Gen, welches für die Dopamin-Rezeptoren verantwortlich ist, bei Vieltrinkern aus der Reihe tanzt. Menschen mit in Unordnung geratenem Dopaminhaushalt sind kontinuierlich unterbelohnt. Was sie auch leisten, wie erfolgreich sie auch sind, das adäquate Wohlgefühl bleibt mäßig. Mit Alkohol hoffen Sie, eben diesem auf die Sprünge helfen zu können.

Neben den Genen ist auch die Sozialisation maßgeblich für eine Veranlagung zur Sucht. Von klein auf beobachtet man wie die Familie, wie das Umfeld, wie Menschen auf der Straße trinken und wie sich all' diese Menschen durch den Alkohol verändern.

Wird der Papa nach Bier und Schnaps kuschelig oder aggressiv? Sind die angetrunkenen 'Jecken' im Karneval lustig oder laut?

Findet man die beobachtete Wirkung erstrebenswert, steigt die Gefahr, dass Trinkverhalten nachzuahmen. Wirkt das, was man registriert hat, eher abschreckend, wird man eher Vorsicht um Umgang mit dem Alkohol walten lassen.

Nicht zuletzt kann auch die Psyche eine Veranlagung zur Sucht determinieren. Die häufigsten psychischen Merkmale bei Trinkern lassen sich dabei in drei Typen untergliedern.

Typ 1 ist zu schwach und feige, seine Interessen zu vertreten. Er ist ängstlich und verlogen. Manchmal platzt er nach innen (Depression) oder außen (Aggression), dabei will er eigentlich nur Ruhe&Frieden.

Immer schlecht behandelt fühlt sich Typ 2. Er sieht sich zu klein und zu machtlos, um das zu werden, was er gerne wäre. Trinkt er, ist er groß und stark.

„Ich bin super, aber keiner honoriert es“ rumort es in Typ 3. Er weiß, wo es langgeht, aber immer stellt sich ihm etwas oder jemand in den Weg (49).

Eine weitere wesentliche Determinante, die in die Abhängigkeit führt, ist das gewohnheitsmäßige Trinken.

„Alc as usual“ verändert die Nervenzellen im Lust- und Erfahrungszentrum des Gehirns so nachhaltig, dass das zentrale Nervensystem die Alkoholzufuhr nach einer gewissen Zeit zum Funktionieren braucht. Im Fachjargon bezeichnet man diesen Umstand als Neuroadaption.

Wie leicht man einer Droge verfällt, variiert von Substanz zu Substanz. Zigaretten haben mit 31,9% der gelegentlichen Raucher von allen Drogen die höchste Abhängigkeitsrate, gelegentliche Trinker werden zu 15,4% abhängig.

Alkohol zeigt dabei allerdings die mit Abstand größten negativen Folgen, angefangen von gesundheitlichen Problemen über psychologische Erkrankungen bis hin zu sozialen und ökonomischen Konsequenzen (50).

Aus medizinischer Sicht ist Alkoholabhängigkeit nicht heilbar, sie kann allenfalls erfolgreich behandelt und zum Stillstand gebracht werden (51).

Alkohol muss konsequent gemieden werden, bei erneutem Verzehr – auch nach jahrelanger Abstinenz- bricht die Abhängigkeit wieder aus. Alkoholkranke müssen zudem darauf achten, keinen versteckten Alkohol -zum Beispiel in Lebensmitteln wie Desserts und Pralinen, in Arzneimitteln, aber auch in Kosmetika- zu sich zu nehmen.

Auch alkoholfreies Bier und Malzbier enthalten Restmengen von Alkohol, zudem kann der Geschmack das Verlangen nach Alkohol wieder auslösen (52).

Das Suchtgedächtnis in den Hirnzellen kann auch nach langer Zeit der Abstinenz durch geringe Mengen Alkohol wieder aktiviert werden. Ein Schluck, das kann schon der Rotwein in der Soße sein oder sogar nur der Duft des Alkohols, und der Alkoholabhängige trinkt wieder.

Ein Abhängiger wird nie wieder zum normalen Umgang mit Alkohol zurückfinden, er kann das zweite Glas nicht stehen lassen. Das ändert sich auch mit langer Abstinenz nicht, es gibt Fälle, in denen Abhängige nach über vielen Jahren Trockenheit wieder angefangen haben, zu trinken (53).

Das Gehirn eines Trinkers lernt, dass Alkohol die Lösung ist. Immer. Wenn Sie Angst haben, frustriert sind oder gestresst - das Gehirn signalisiert Ihnen „Alkohol ist die Lösung“, schließlich hat das ja in der Vergangenheit meist bestens funktioniert. Wiederholt man dieses Spielchen jahrelang, so brennt sich das 'Allheilmittel' tief ins Bewusstsein ein. Das Gehirn greift folgerichtig automatisch wieder auf diese Lösung zurück, wenn ein Negativgefühl auftaucht. Es versucht damit schlicht und ergreifend, das Problem seines Menschen zu lösen.

Sucht ist somit womöglich nur eine 'kognitive Adaptation', eine Anpassung an die Umwelt. Was nichts daran ändert, dass sie eine in unseren Neuronen verankerte Wirklichkeit ist. Alkohol ist vor allem deshalb so suchterregend, weil er das Gehirn beeinflusst, ja, förmlich abrichtet und zu seinem Gefolgsmann macht (54).

Der Alkoholabhängige kann mit seiner Sucht zufrieden abstinent oder auch diszipliniert trinkend leben, aber er wird sie nie los.

Allein der Gedanke an eine lebenslängliche Abstinenz jagt vielen Vieltrinkern -mir auch!!!- einen riesengroßen Schrecken ein. Dies kann dazu führen, dass sie vor lauter Verlustangst beschließen, ihr Alkoholproblem zu negieren oder kleinzureden.

Um diese drohende Selbsttäuschung zu vermeiden, ist es geboten, rechtzeitig nach einer Strategie zu suchen, um den Alkoholkonsum zu disziplinieren.

Der alkoholgefährdete Vieltrinker hat nur zwei Möglichkeiten: Er kann aufhören, also sein Leben lang komplett auf den Alkohol verzichten, oder aber, solange er noch nicht abhängig ist, lernen, bewusst und womöglich gesundheitsverträglich mit dem Alkohol umzugehen.

Einen möglichen Weg, dies zu erreichen, möchte ich in meinem Buch aufzeigen.

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