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5. Stärken ausbauen/Schwächen reduzieren

In diesem Kapitel gehen wir der Frage nach, welche Themen überhaupt durch ein Digitalisierungsprojekt angegangen, verbessert oder gelöst werden sollen. Wir erleben eine immense Vielfalt an Projekten rund um die Digitalisierung in den meisten Unternehmen. Da werden Labs gegründet, agile Teams gebildet, und viele Produkte, Projekte oder Einheiten erhalten das Siegel »digital« vorangestellt. Auch die Umorganisation ganzer Unternehmensteile unterstreicht den Willen, im Umfeld der Digitalisierung nun deutlich voranzukommen. Daher mangelt es nicht an der Bereitschaft, sich neuen Digitalthemen zu widmen.

Die Technologieführer in digitaler Kundenzentrierung (Apple, Google, Amazon, Netflix, Tesla u. a.) werden – natürlich unabhängig von dem Unternehmen, in dem Sie tätig sind – laufend mit Innovationen produktiv, die mit enormem Forschungsaufwand Kundenvorteile bieten und/oder die Marktpositionierung des Unternehmens weiter festigen.

Für Digitalisierungsprojekte werden häufig Merkmale der oben genannten Technologieführer auf das eigene Unternehmen adaptiert. Dies kann entweder

■ durch Verbindung konkreter Features mit bestehenden Produkten des Unternehmens erfolgen oder

■ durch Erweiterung des eigenen Angebots um weitere Funktionen oder Produkte.

Nachfolgend einige Beispiele dafür:

■ Ein Schuhgeschäft bindet einen Sprachassistenten an das Onlineshop-System an, sodass die nächste Filiale erfragt oder der letzte Warenkorb vorgelesen werden kann.

■ Ein Gartenbau/Pflanzenvertrieb mit eigenem Onlineshop analysiert die Warenkörbe und bietet beim nächsten Besuch eine Vorbefüllung auf Basis des letzten Warenkorbs an.

■ Eine Arztpraxis bietet ein Formular zur selbstständigen Terminreservierung an, welches online durch bestehende und neue Patienten genutzt werden kann.

■ Eine Landesregierung unterstützt ehrenamtliches Engagement durch die Investition in eine eigenständige Internetplattform, auf der Vereine und Bedarfsträger für Ehrenamtstätigkeiten auf der einen Seite sowie Bereitwillige für die Übernahme von Ehrenamtstätigkeiten auf der anderen Seite sich finden und in Kontakt treten können.

■ Ein Hersteller von Kaffeevollautomaten integriert eine WLAN-Anbindung seines Produktes, sodass die Detaileinstellungen Milchmenge, Kaffeestärke, Temperatur, Bohnenwahl und Start auch per App angestoßen werden können.

Für alle diese Projekte werden in den Unternehmen erhebliche Ressourcen gebunden. Es liegt ja absolut im Trend, derartige Dinge anzubieten, und kaum ein Entscheider bringt seine Kritikpunkte ein. Wenn dann das Budget für diese Vorhaben freigegeben ist, wäre es ja ein Unding, wenn das Projekt nicht zum Erfolg führen würde. Wir können uns also bereits alle ausmalen, wie über die Erfolge der vorgenannten Beispielprojekte innerhalb und außerhalb des Hauses gesprochen wird:

■ Fallbeispiel Schuhgeschäft:

EXTERN: »Jetzt finden Sie immer zu uns – der Weg beginnt in Ihrem Wohnzimmer.« INTERN: »Noch mehr Kunden für unsere Shops, denn wir lenken den Kunden bereits zu Hause vom Onlineshopping auf unsere Filialen um.«

■ Fallbeispiel Gartenbau/Pflanzenvertrieb:

EXTERN: »Wir wissen, was Sie brauchen – sparen Sie sich das mühsame Zusammenstellen bei Ihrem nächsten Besuch.« INTERN: »Wir steigern die Umsätze durch die Vorbelegung mit Produkten, von denen wir wissen, dass sie für unsere Kunden hochrelevant sind.«

■ Fallbeispiel Arztpraxis:

EXTERN: »Sparen Sie sich lange Wartezeiten. Buchen Sie einfach und direkt zu der Zeit, die auch Ihnen passt.« INTERN: »Endlich hat unser Team mehr Zeit für die Betreuung unserer Patienten vor Ort. Und es kommt seltener zu vereinbarten Terminen, die vom Patienten dann nicht eingehalten werden (können).«

■ Fallbeispiel Internetplattform für Ehrenamtssuche:

EXTERN: »Wir unterstützen ehrenamtliches Engagement. Dafür stehen Investitionsmittel bereit – ein Beleg, dass wir es ernst meinen.« INTERN: »Wenn jeder das Internet nutzt, müssen auch wir in diesem Medium Menschen zusammenbringen. Wir können es mit Personal nicht leisten, Suchportale können das.«

■ Fallbeispiel Kaffeevollautomaten:

EXTERN: »Nicht mehr Sie warten auf Ihren Kaffee. Mit unserer App haben Sie den Barista in Ihrer Tasche. Treffen Sie sich mit dem fertigen Kaffee, wann immer Sie es wünschen.« INTERN: »Wir sind Technologieführer. Mit unseren Luxus-Kaffeevollautomaten sprechen wir die Enthusiasten an, die so von unserer Markenphilosophie abgeholt werden.«

All diese Beispiele machen deutlich, dass die Innovationsvorhaben tatsächlich als Vorteil verkauft werden können. Doch es ist auch ein anderer Blick auf diese Vorhaben möglich:

■ Fallbeispiel Schuhgeschäft:

Wer einen Sprachassistenten befragt, wird den bereits installierten verwenden. Ein eigener Assistent des Schuhgeschäfts leistet keinen Mehrwert.

■ Fallbeispiel Gartenbau/Pflanzenvertrieb:

Im Gartenbau werden entweder Geräte oder saisonale Pflanzen vertrieben. Ein voreingestellter Warenkorb zeigt somit entweder bereits getätigte Anschaffungen oder aktuell nicht zur Saison passende Pflanzen.

■ Fallbeispiel Arztpraxis:

Der Patient kann nicht mehr vorab erfragen, ob ein Besuch bei diesem Arzt für seine Beschwerden passend ist. Auch entsprechende Vorbereitung, wie z. B. das Mitbringen von Unterlagen, oder der Hinweis auf nüchternes Erscheinen wegen einer eventuellen Blutabnahme sind nicht mehr gegeben.

■ Fallbeispiel Internetplattform für Ehrenamtssuche: Durch kombinierte Suchbegriffe zu der Art des Ehrenamts und der Stadt lassen sich bereits Angebote und Möglichkeiten finden, ohne dass es einer zufälligen beiderseitigen Nutzung einer eigenen Suchmaschine bedarf.

■ Fallbeispiel Kaffeevollautomaten:

Die Digitalisierung des Kaffees endet bei der fehlenden Tasse unter dem Auslauf oder dem nicht ausreichenden Wasser, der zu leerenden Tropfschale oder der nicht ausreichenden Menge an Kaffeebohnen.

Wir sollten uns an dieser Stelle den Spaß an und den Optimismus für Digitalisierung nicht nehmen lassen. Ich möchte auf eine andere Sicht hinweisen. Alle hier aufgeführten Unternehmen und Einrichtungen

■ haben ihre Stärken und Schwächen und

■ sind weder von der Marktmacht noch von ihrer Präsenz und den Fähigkeiten zur Umsetzung von Digitalisierungsprojekten mit den oben genannten Technologieführern zu vergleichen.

Somit sollte man sich in dem jeweiligen Unternehmen selbst die Frage stellen, wo denn Digitalisierung einen wirksamen Beitrag leisten kann. Wirksam wäre die Digitalisierung doch dort, wo

■ Stärken weiter ausgebaut werden und

■ Schwächen reduziert werden könnten.

Es wundert mich immer wieder, dass Unternehmen diese Chancen nicht ergreifen, sondern nahezu spontan, blind, mit Allgemeinsätzen belegt, sich für Investitionen entscheiden, ohne auf den Ausbau individueller Stärken bzw. die Reduzierung individueller Schwächen ein besonderes Augenmerk zu legen. Daher zum Ende noch ein letztes Screening der Unternehmen im Hinblick auf mögliche Vorhaben:

■ Fallbeispiel Schuhgeschäft:

STÄRKEN AUSBAUEN: Bei Wiederbesuch des Onlineshops werden nur verfügbare Modelle in der bisher überwiegend bestellten Größe angezeigt, selbst wenn sie in der Filiale mit Kundenkarte gekauft wurden. Modelle im bisher gekauften Stil werden – nach Jahreszeit angepasst – als erste präsentiert. SCHWÄCHEN REDUZIEREN: Die Filiale alleine kann die Power aus der Digitalisierung nicht aufheben. Beim Besuch in der Filiale haben die Mitarbeiter Einsicht in zuvor im Shop betrachtete, aber nicht gekaufte Schuhe. Darauf kann der Kunde gezielt angesprochen werden. Die Filiale wird so zu einem Partner des Onlineshops.

■ Fallbeispiel Gartenbau/Pflanzenvertrieb:

STÄRKEN AUSBAUEN: In Abhängigkeit von Jahreszeit, Klima am Wohnort des Kunden und vergangenen Käufen wird der Kunde per E-Mail erinnert, dass es für seine favorisierten Pflanzen nun an der Zeit wäre, mit dem Pflanzen zu beginnen. SCHWÄCHEN REDUZIEREN: Geräteanschaffungen sind nicht laufend wiederholbar. Daher bekommt der Kunde im Onlineshop aktiv Ergänzungsgeräte und Zubehör zu seiner Ausstattung. Ein Klick – und er kann sich diese Objekte im Laden zur Ansicht zurücklegen lassen.

■ Fallbeispiel Arztpraxis:

STÄRKEN AUSBAUEN: Nach digital erfasster Terminvereinbarung erfolgt eine Erinnerung per Push. Beim Öffnen der Nachricht wird auf die notwendigen Unterlagen und/oder Vorbereitungen für den anstehenden Termin hingewiesen. SCHWÄCHEN REDUZIEREN: Häufig entstehen teils erhebliche Wartezeiten, die gerade für Berufstätige ärgerlich sind. Die digitale Terminvereinbarung wird daher nicht nur für die Initialvereinbarung verwendet, sondern – analog Flug- und Bahnreisen – wird über Verzögerungen im Ablauf per Push hingewiesen. Der Patient spart wertvolle Zeit und die Wartezimmer werden von weniger Menschen für eine kürzere Zeit belegt. Weniger Ärger beim Warten führt auch zu einem angenehmeren Klima bei der Behandlung durch den Arzt.

■ Fallbeispiel Internetplattform für Ehrenamtssuche: STÄRKEN AUSBAUEN: Erfahrung und breites Wissen, welche Organisationen welche Skills benötigen, können auf einem Portal eingebracht werden. Dass z. B. Sportvereine und Betreuungsvereine auch ehrenamtlich Engagierte für die Pflege und Unterhaltung der Vereinsanlagen benötigen, liegt nicht sofort auf der Hand. Hier könnte eine solche Plattform nach Erfassung von Ausbildung, Neigungen und Fähigkeiten bestimmte Einsatzfelder vorschlagen. SCHWÄCHEN REDUZIEREN: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich suchende Organisationen und Einrichtungen sowie anbietende Ehrenamtliche auf einer solchen Plattform treffen, ist gering. Eine Beratungsstelle in städtischen Gemeinden für Verein und Ehrenamt könnte dies lösen und Best Practices verbreiten, sowohl wie Webseiten von Vereinen und Organisationen aufzusetzen sind als auch wie Suchen im Web abzusetzen sind, wenn man ein konkretes Profil anbieten möchte.

■ Fallbeispiel Kaffeevollautomaten:

STÄRKEN AUSBAUEN: Wenn die Vernetzung mit einer App möglich ist, können die Lieblingsgetränke einzelner Menschen oder Gäste im Haushalt per App personalisiert, mit Namen versehen und diese Konfiguration dann abrufbereit an die Maschine übertragen werden. SCHWÄCHEN REDUZIEREN: Kaum ein Nutzer weiß mit den unendlich vielen Variationsmöglichkeiten an Einstellungen umzugehen. Über Versuche nähert man sich der idealen Einstellung. Über die App könnte ein Portal mit Konfigurationen verfügbar sein, die per Klick an die Maschine übertragen werden. Bewertungen der Nutzer nach Verwendung ranken diese Konfigurationen.

Aktivitäten und Investitionen alleine, um den Begriff der Digitalisierung im Unternehmen zu füllen, führen nicht zum Erfolg.

Entscheidend für Digitalisierungsprojekte, die Ihr Unternehmen wirkungsvoll voranbringen, ist eine Fokussierung auf den Ausbau bestehender Stärken UND die Reduzierung bestehender Schwächen.

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