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Warum ist »Nano« so speziell?

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Im Folgenden wollen wir erkunden, warum die Nanoskala so besonders ist und wie das Erkennen und Verstehen eines Nanoeffektes zu dessen technischer Nutzung führen kann. Wie also aus einem der Nanoskala eigenen Phänomenen Nanotechnologie wird.

Ein wichtiger Grund für das Anderssein der Nanoskala ist die riesige Oberfläche, die beim Zerteilen eines Materials in immer kleinere Partikel entsteht. Zur Veranschaulichung: Spaltet man einen Würfel von einem Zentimeter Kantenlänge mit der Oberfläche eines Zuckertütchens in Würfelchen von 1,25 Millimeter Kantenlänge, erhält man 512 Partikel, die zusammen die Oberfläche einer Spielkarte haben. Teilt man weiter, bis Würfelchen mit einem Nanometer Kantenlänge entstehen, ergeben sich eine Trilliarde Teilchen, deren gemeinsame Oberfläche einem Fußballfeld entspricht. Die Masse des Materials ändert sich dabei nicht.

Durch diese regelrechte Explosion der Oberfläche beim Zerkleinern verschieben sich gewissermaßen die Mehrheitsverhältnisse unter den Atomen, aus denen der zerkleinerte Stoff besteht: Jene Atome, die an den Oberflächen sitzen, werden von einer Randgruppe zu einer wesentlichen Partei. Bei einem Nanopartikel mit 20 Nanometern Durchmesser sitzen bereits 10 Prozent der Atome an der Oberfläche, bei einem Partikel mit nur einem Nanometer Durchmesser sind es 99 Prozent – die Oberfläche hat hier fast die absolute Macht übernommen (Abb. 2).

Weil die Oberflächenatome nun die Mehrheit besitzen, werden ihre Eigenschaften bestimmend für die Eigenschaften des Stoffes insgesamt. Beispielsweise erniedrigt sich der Schmelzpunkt dramatisch. Beim Schmelzen lösen sich die chemischen Bindungen, die einen Festkörper, etwa einen Goldkristall, zusammenhalten. Die Atome an der Oberfläche lösen sich am leichtesten aus dem Kristall, da sie wie ein Gnu, das am Rande seiner Herde steht, nur zur Hälfte von gleichartigen Atomen umgeben sind und deshalb durch weniger chemische Bindungen mit den Nachbar-Atomen im Stoffverband festgehalten werden als Atome im Innern des Kristalls.


Abbildung 2: Anteil der Atome an der Oberfläche in Abhängigkeit von der Größe eines Nanopartikels. Quelle: Auffan, M. et al.: Nature Nanotechnology 4, 634–641 (2009).

Der relativ simple Nano-Effekt der riesigen Oberfläche – der Fachterminus lautet »spezifische Oberfläche (Kasten 1, S. 37) – wird längst technisch genutzt und zwar in vielen Anwendungsbereichen. Etwa bei Autokatalysatoren, die Nanopartikel aus Platin enthalten, dadurch eine größere Katalysator-Oberfläche gewinnen und effizienter arbeiten. Weniger als zwei Gramm Platin-Nanopartikel im Autokatalysator verfügen über mehr als 200 Quadratmeter Oberfläche, an der Abgase reagieren können.

Auch die Kratzfestigkeit von Lacken wird durch den Effekt der großen spezifischen Oberfläche erzeugt. Dem Kunststoff, der die Lackschicht bildet, werden Siliziumdioxid-Nanopartikel zugesetzt. Dadurch entsteht Kratzfestigkeit wie folgt. Ein Kunststoff ist ein Netzwerk aus kettenförmigen Molekülen. Um die Siliziumdioxid-Partikel herum bildet sich ein weniger dichtmaschiges Netzwerk als im Rest des Lackes. Der Lack um das Partikel herum verhält sich daher wie ein Schwamm, der nach einer Belastung, die ansonsten zu einem Kratzer geführt hätte zurückfedert.

Dieser Mechanismus, der die Elastizität des Lackes erhöht, würde auch mit größeren Siliziumdioxid-Partikeln funktionieren. Doch da sich der Schwamm an der Grenzfläche zwischen Partikel und dem Kunststoff bildet, gewinnt der Effekt an Wirksamkeit, wenn diese Grenzfläche möglichst groß ist und sie wächst eben mit der Oberfläche der Siliziumdioxid-Partikel, und die wird bei der Nutzung von Nanopartikeln extrem riesig. Ergebnis: Ein Zusatz von nur zwei Gewichtsprozent Siliziumdioxid-Nanopartikeln führt zu einem großen Gewinn an Kratzfestigkeit. Der Autolack glänzt dann auch noch nach Jahren fast wie am ersten Tag, weil winzige Kratzerchen, die die Oberfläche matt erscheinen lassen, verhindert werden.

Die Kratzfestigkeit von Lacken ist nur ein Beispiel eines Prinzips, das sich aus der riesigen spezifischen Oberfläche von Nanopartikeln, oder allgemeiner gesagt, von Nanomaterialien (Kasten 1), ergibt: Mischt man Nanomaterialien in ein anderes Material, so kann man diesem neue Eigenschaften verleihen und somit gewissermaßen Zwitter-Materialien schaffen, die in sich widersprechende Eigenschaften vereinen. Wir haben das schon bei der Spinnenseide gesehen, die gleichzeitig dehnbar und dennoch mehr als stahlhart ist, sowie bei den Damaszener Schwertern, die extrem hart waren, ohne spröde zu sein. Das hat damit zu tun, dass die Nanomaterialien sich sehr fein im Material verteilen lassen. Mischt man Partikel mit 1000 Nanometer Durchmesser – also Teilchen, die deutlich größer sind als Nanopartikel – in einen Kunststoff, dann liegen die einzelnen Partikel mehr als 2000 Nanometer auseinander5. 20 Nanometer kleine Partikel haben aber nur einen Abstand von 45 Nanometern voneinander. Letztere durchdringen den Kunststoff also viel dichter, sind gewissermaßen allgegenwärtig, verschmelzen quasi mit dem Gastmaterial zur Einheit.

Nanotechnologie nutzt diesen Effekt zum Beispiel, um Folien elektrisch leitfähig zu machen. Dazu mischt man Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die Strom sehr gut leiten, in den Kunststoff. Die Röhrchen bilden ein durchgängiges Netzwerk, das elektrostatische Ladungen ableitet, aber die Transparenz der Folie nicht beeinträchtigt, da die Nanoröhrchen so extrem dünn sind und das Netzwerk somit unsichtbar bleibt. Folien, die sich nicht elektrostatisch aufladen, werden zum Verpacken von elektronischen Bauteilen gebraucht.

Die zuletzt besprochenen Nano-Effekte ergeben sich nur indirekt aus der geringen Größe von Nanopartikeln, da es eigentlich die große spezifische Oberfläche ist, die die Funktion erzeugt. Andere technisch nutzbare Nano-Effekte hingegen resultieren direkt aus der extrem geringen Größe. Zur Illustration kommt nun endlich die Erklärung, warum Gold-Nanopartikel eine rubinrote Farbe erzeugen. Licht ist eine Welle, deren variierende Stärke die Elektronen im Innern des Goldpartikels hin- und her treibt. Da die Elektronen synchron hin- und herwandern, verhalten sie sich wie ein Einzelobjekt: ähnlich wie ein Tiger, der im Käfig hin- und herläuft. Der Tiger wechselt umso öfter die Richtung, je kleiner der Käfig ist. Anders gesagt: je kleiner der Käfig, desto größer die Frequenz, mit der das Tier die Richtung wechselt. Das ist im Goldpartikel ähnlich: wegen dessen Kleinheit ist die Frequenz besonders hoch. Sie entspricht bei Gold-Teilchen von wenigen Nanometern Durchmesser etwa der Frequenz, mit der grünes Licht schwingt. Also wird grünes Licht absorbiert, rotes Licht hingegen reflektiert, weswegen das Partikel rot erscheint.

Die Größe kann sich nicht nur auf die Wechselwirkung zwischen Licht und einem Nanomaterial auswirken, sondern auf eine ganze Reihe von physikalischen Eigenschaften, wie etwa die Härte. Die Härte von Metallen hängt ab von der Größe der winzigen Metall-Körnchen, aus denen sich jedes Stück Metall zusammensetzt. Je nach Metall gibt es eine Größe, unterhalb derer die Körnchen sich nicht mehr verformen können6. Gelingt es, die Körnchen soweit zu verkleinern – etwa durch kontrolliertes Abkühlen oder eine gezielte Wärmebehandlung –, kommen sie dem theoretisch möglichen Maximalwert der Härte und Bruchfestigkeit nahe. Bei vielen Metallen liegt diese Grenze bei einer Partikelgröße von etwa 20 Nanometern.

Auch auf die Kristallform wirkt sich eine sehr geringe Partikelgröße von weniger als etwa 30 Nanometern aus – was nicht ohne Konsequenzen bleibt. Ein Nanopartikel ist selten perfekt rund, sondern die meisten haben Ecken und Kanten wie ein geschliffener Diamant. Wenn die Partikelgröße abnimmt, können sich die Anordnung der Atome im Partikel und damit die Form des Nano-Kristalles ändern.

Ein Beispiel dafür ist das Mineral Titandioxid, das als Weißpigment für Wand- und Fassadenfarben oder als UV-Filter in Sonnencremes eingesetzt wird. Ähnlich wie Kohlenstoff mit seinen höchst unterschiedlichen Kristallformen, dem weichen Graphit und dem harten Diamant, gibt es auch beim Titandioxid zwei Kristallformen, die Anatas und Rutil heißen. Die Anatas-Form ist gefragt, weil sie in Verbindung mit Sonnenlicht Luftschadstoffe zu harmlosen Verbindungen abbauen kann. Titandioxid-Nanopartikel besitzen einen größeren Anteil an Anatas, was sie zu einem attraktiven Zusatz für luftreinigende Fassadenfarben macht.

Dass Nanopartikel eine bestimmte Kristallform bevorzugen, ist ein Nano-Effekt, der sich anhand von Seifenblasen veranschaulichen lässt: Deren Oberfläche verhält sich wie eine gespannte Folie. Diese Oberflächenspannung setzt das Innere der Blase unter Druck. Der Druck ist bei kleinen Blasen größer als bei großen. Verbinden sich eine große und eine kleine Seifenblase, bläst die kleinere die größere auf und verschwindet in dieser. Auch Nanopartikel besitzen eine Oberflächenspannung, die mit abnehmender Größe wächst. Der aus ihr resultierende Druck im Innern der Partikel ist wegen deren Kleinheit enorm, er entspricht etwa dem Wasserdruck im Marianengraben, mit elf Kilometern die größte Meerestiefe. Kein Wunder, dass dieser Druck locker reicht, um die Kristallform zu verändern.

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