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5 Gott, Mensch und Magier

Gott und Mensch

Zur Göttlichkeit des Menschen fällt mir das Gedicht eines Wissenden ein, mit dem Titel »Weltgericht«, dessen Anfang ich hier gerne einbringen möchte:

Menschen,

wisset ihr nicht,

dass ihr, vom Ursprung her,

Götter seid?

Von eurem göttlichen Urbild

durch Unbewusstheit getrennt,

irret ihr tastend umher,

während die Götter, wissend,

frei von Irrtum und Schuld,

erfüllen das Schöpfergesetz.

Auf, Menschen, auf!

Die Posaunen des Weltgerichts dröhnen!

Sie künden das Kommen des

Weltenerlösers,

der euch aus Wirrsal und Scheusal,

Elend und stumpfer Not

den Weg zur Vollendung eröffnet.

Menschen, erfühlet in euch

seiner stahlharten Liebe Geheiß:

eurer Gottheit bewusst zu werden,

den Weg zur Vollendung zu schreiten.

Wieder sitzen wir beisammen, nachsinnend, nachdem ich das Gedicht leise, einzelne Worte in Gedächtniswindungen suchend und übersetzend, ganz langsam gesprochen habe.

»Gott? Erklär mir Gott«, fordert er. Die Hand stützt den Kopf mit der blütenweißen traditionellen Bedeckung der Einheimischen.

»Ich will von der Bibel ausgehen, weil ich damit aufgewachsen bin. Das Bibelwort sagt, Gott ist Geist, und wer ihn anbetet, soll ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.«

Ich verfalle ins Dozieren.

»Da die Bibel den Begriff der Gottheit als etwas rein Geistiges in einen persönlichen Gott umgefälscht hat, werden die Verfasser der Bibel dem wahren Wesen der Gottheit, des Göttlichen, nicht gerecht. Es gibt keinen persönlichen Gott, der irgendwo auf einem Thron sitzt und regiert, der die Zügel in der Hand hat, die Milliarden Menschen persönlich lenkt und das gesamte Weltall dazu. Die Gottheit, das höchste Wesen, ist für den Menschen unfassbar, undefinierbar.«

»Das klingt wirr. Sind das alle Deine Gedanken dazu?« will er wissen.

»Keine Bange, es geht noch weiter. Denn meine Gedanken gehen weit über die Bibelvorstellungen hinaus, vor allem beschäftigt mich das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Der Mensch, hervorgegangen aus dem Urgeist, dem Urkraftzentrum, ist auch heute noch ein selbstschöpferisches Wesen. Unendlich groß ist das Potenzial der Steigerung zur Gottähnlichkeit, man kann über die Gesetze der materiellen Welt hinauswachsen, Krankheit und Tod überwinden.«

Gott und Magier

»Was aber ist des Magiers Idee von Gott?«, wirft er nun ein.

»Sag es!«, fordere ich ihn auf.

»Den normalen Leuten bleibt Gott stets unfassbar, unvorstellbar. Anders dagegen ist es beim Magier, er kennt seinen Gott in allen Aspekten, er zollt der Gottheit die höchste Verehrung, er weiß, dass er nach ihrem Bilde erschaffen wurde, Teil ihrer ist. Die Gottheit ist sein höchstes Ideal, sein heiligstes Ziel. Er will eins werden mit ihr, will Gottmensch werden.

Der Magier bekennt sich zu einer Universalreligion, mit offiziellen Dogmen einer Kirche gibt er sich nicht ab, er wird danach streben, tiefer in die Werkstatt Gottes einzudringen. Für ihn gibt es weder Himmel noch Hölle, diese Vorstellungen überlässt er den Priestern der verschiedenen Religionen, sollen sie damit ihre Gläubigen in Bann halten.«

»Nun sind wir beide uns doch aber darüber klar und einig, dass der Mensch als androgynes Wesen gewollt war. Wie also siehst Du das mit Gott und den Geschlechtern?«

»Kein Gott ist verantwortlich für unsere menschlichen Dummheiten, unsere eigensüchtigen Handlungs- und Denkweisen, auch nicht für die Verbrechen unter uns.

Der Gott, der jedes Haar, das von unserem Haupte fällt, kontrolliert, ist eine Erfindung der Schwächlinge, die zu keiner Selbstverantwortung fähig sind. Der Gott aller Welten und Galaxien des Universums gab uns den Verstand, damit wir ihn benutzen und nicht auf einen Weisen oder Unsichtbaren der vierten Dimension warten müssen. Nicht vergessen darf man, dass wir alle von einem großen Vater-Mutter-Prinzip, Gott genannt, abstammen. Rufen wir dieses Prinzip für unser Wollen zu Hilfe, können noch so zerstörerische Gedanken uns nichts anhaben. Es gibt keine Geistwertkurve des Mannes oder der Frau, es gibt nur eine solche des Menschen. Das in Intellektualismus ausartende Denken, das dem Mann eher als der Frau zu liegen scheint, ist ein Nachteil für unseren geistigen Fortschritt. Ein Wesen, das immer wieder als Frau über diesen Planeten wandelt, kann viel eher die Wiederkehr in die zwingende Materie abbrechen und sich in kosmischen Bereichen weiterentwickeln als der sich wieder und wieder Denkhemmnisse schaffende Mann. Alle sind wir aber im Grunde Dualseelen, es liegt an uns selbst, wie ähnlich wir uns werden können und werden wollen. Doch sind wir in unserem heutigen Jetzt alle mit mehr oder minder eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geschlagen und müssen gegen Rollenklischees angehen. Deshalb möchte ich Dich gerne fragen, ob Du es liebst, Frau zu sein?«

»Nun, wie Du selber sagst, es ist ein Fortschritt in der Inkarnation, also warum nicht. Auch für mich gibt es diesen Gott nicht, der Frauen nicht liebt. Die Frau hat für die Zivilisation mehr getan als der Mann, und nur, wenn sie gleiche oder mehr Rechte hat, wird der Mensch überleben. Überall ist die erste Schöpferin des Alls eine Göttin, und dass die Frau göttlich ist, wussten die Männer von einst.

Heute haben das leider auch die Frauen vergessen, sie haben ihre Göttlichkeit ins Verborgene gezerrt und sind der Göttlichkeit verlustig gegangen.«

»Bis auf ganz wenige vielleicht«, erwidert der Magier sinnend, »wenige wie Du.

Du hast diese Göttlichkeit in Dir, strahlst sie aus.«

Er verwirrt mich. Ich denke an meine oft boshaften Gedanken, meine wilden, diffusen Fantastereien, und schweige, ganz klein und beschämt. Er lächelt in meine Befürchtungen hinein und schüttelt leise warnend den Kopf, während er mich nicht aus seinem Blick entlässt:

»Als die Göttin der Gerechtigkeit dem Gott der Rache wich, wurde der Mensch grausam. Das Autoritätsprinzip trat an die Stelle des Mitfühlens. Eine Geschichte etwa wie die zu Anfang der Bibel mit der Schöpfung Evas aus Adams Rippe ist höchst verwunderlich, groteske Fantasie, monotheistische Maskerade.«

»Du lehnst den Monotheismus natürlich ab.«

»Er ist kurzsichtig, schädlich. Nimm nur diesen Synkretismus, den uns die seelenjägerischen Missionare der weltmachthungrigen Religionsschergen eingebrockt haben. Wir müssen doch jedem sein Gewissen lassen und auch die Chance, seiner inneren Stimme zu folgen.«

Ich wundere mich still, dass er sich fast in Hitze geredet hat, er, der so in sich Zurückgezogene. Aber er hat recht, ich weiß. Die Religionen verlangen ein Befolgen der Gebote irgendwelcher Leute, die von einem kleinkarierten, stets wütenden Vatergott predigen.

»Schon meine Kollegin Margret Mead schreibt, dass der Mann vielleicht unnötig ist. Und auch deshalb ist der Monotheismus eine Farce.«

»Du begehrst auf gegen Unterdrückung und Unrecht, und es ist gut, dass Du das nicht begräbst in Dir. Sag nur laut Deine Widerworte, eine Welt ohne Rufende hat keinen langen Bestand.«

Ich dachte über seine Worte nach und gab ihm recht.

»Aber lass mich noch ein paar Dinge hinzufügen«, bitte ich. »Die Künstlichkeit und Wurzellosigkeit der olympischen Götter und auch des jüdischen, christlichen und moslemischen Gottes bestehen darin, dass sie erdacht wurden, absichtlich erfunden von Patriarchen, um die große Göttin zu verdrängen. Im Christentum wäre dann die einzige Wirklichkeit Maria, das weibliche Prinzip, die wiedergeborene alte Göttin. Denkt man an die patriarchalische Ehe, kann man sie nur als höchst unmoralisch bezeichnen, monsterhaft, ein Scheiterhaufen für die meisten Frauen, Einmannprostitution. Hier im Sudan wird der Gipfel erreicht mit der Verstümmelung der Frau durch Beschneidung.«

»Du weißt, das machen Frauen hier, damit keine ausschert, dem Pascha zur Lust.«

Ich bin erschüttert, es ist nichts Neues, trotzdem fühle ich mich beleidigt, beschmutzt, hilflos, blindwütend. Ich will sie schütteln, diese schwer schuftenden Opfer, aber mit welchem Recht?

»Der Mann«, klingt Mahmuds sanfte Stimme an mein Ohr, »ist sich über die Rolle der Frau im unklaren, und sie selbst, die Frau, müsste sie nicht wissen, dass sie die Kraft des menschlichen Fortschritts ist? Die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte war die Frau die Führerin. Im 21. Jahrhundert wird die außersinnliche die sinnliche Wahrnehmung an Bedeutung übertreffen, und hier wird die Frau dem Mann überlegen sein. Sie, die vom Mann der Vorzeiten wegen ihrer Fähigkeit, das Unsichtbare zu sehen, angebetet und verehrt wurde, wird erneut der Drehpunkt sein, nicht als geschlechtliche, sondern als göttliche Frau.«

Wir hängen beide unseren Gedanken nach, die er unterbricht:

»Wir haben noch so wenig zur Religion gesagt. Wie hältst Du es denn mit der Religion? Du bist keiner von den am Boden klebenden Schleichern, sonst wärst Du nicht mit mir und wolltest den Weg zur Vollkommenheit gehen lernen. Du bist kein lahmer Schmetterling, und Dein Gott ist in Dir, ist Dir nahe.«

»Schon seit ich weiß, habe ich den Strafnotorikergott, den kleinkarierten wilhelminischen Buchhaltergott mit Ärmelschonern abgelehnt, den kenne ich nicht.

Für mich ist Gott Allsonne, Allenergie und Allliebe. Dagegen scheint mir jede Religion die Apotheose der Unvernunft zu sein, gleichgültig, ob der Gläubige sich vor vielen oder nur einem Gott zu Boden wirft.«

»Wenn sich nun die Männer die Religionen zu ihrem eigenen Vorteil ausgesponnen haben, wie wir meinen, kluger weiser Geist«, droht mir Mahmud lachend mit dem Finger, »machen sie es dann genauso mit ihrem Gerede um die Liebe?«

Ich lächle süffisant. »Es gibt wohl gar keine Liebe«, beginne ich herausfordernd, »sie ist Zukunftsvision, redet heute einer davon, steht ihm der Sinn nach Kauf einer Abhängigen. Er will eine Dumme zum Gebärautomaten machen, ein billiges Dienstmädchen erwerben, ein Statussymbölchen an sich binden. Und im Gegensatz zu Deinen ›Kunden‹ hier weiß ich wenigstens« — ich grinse spöttisch — »dass Liebe nicht machbar ist durch Liebeszaubereien.«

»Der Glaube bringt die Machbarkeit. Und wenn es die vom Himmel fallende Liebe nicht gibt, wie Du sagst, dann ist doch der Weg der Menschen ein gangbarer — oder?«

»Man wird sicherer, verliert Hemmungen, baut Hoffnungen auf, entwickelt Gefühle.

Du würdest sagen: Miniquäntchengefühle. Aber das ist es, was sie haben. Kann das nicht ein Anfang sein zum Lernen von Liebe?«

»Du machst demnach Geschäfte mit der Hoffnung?«, frage ich herausfordernd, »vergleichbar diesen philippinischen Superbetrügern, die sich Geistheiler schimpfen.«

»Mein Übereifer tut mir leid, ich wollte nicht so übers Ziel hinausschießen, verzeih!«

Mein ungeduldiges Schweigen senkt sich in sein ruhiges, meditatives. Ich bin aufgerührt und zapple herum, mein Gewissen regt sich unter meiner Schroffheit.

Er hat die Augen geschlossen und sieht doch alles.

»Wir müssen noch so manches lernen«, sagt er freundlich. »Morgen reden wir über Deine Ängste, woher sie kommen, wohin sie führen, was sie machen. Nur, ich weiß auch so, dass Du lieben kannst. Ich fühle es, wenn Du hereinkommst, auch wenn Du nicht hier bist. Deine Aura ist Liebe. Dein Lachen, Deine innere und äußere ausgeglichene Schönheit ist Zeichen Deiner Liebe. Du hast in Deinen sicher nicht so zahlreichen Inkarnationen viel erlebt, erlitten und durchgestanden, dass Du jetzt bei mir schon so geläutert bist. Du bist einen weiten Weg gegangen, und ich bin voller Freude darüber, dass Du mich für wert erachtest, von mir zu lernen, und dass ich von Dir so viel Freuden nehmen darf. Du bist eine von denen, die die Sonne in sich tragen, die die Zelte betreten und die Sonne hereinbringen, auch wenn’s draußen sandstürmt. Eine von den Auserwählten, von denen, die in der Nacht leuchten dürfen. Du hast große Verantwortung, anderen zu helfen. Nimm sie an.«

Nach der für ihn langen Rede berührt er zart meine Wange und geht hinaus in die untergehende Sonne, ein Stück hinaus in die Wüste. Die gelben Wanderdünen nehmen ihn auf, und am Horizont ziehen Kamele wie schwebend dahin. Ich bleibe zurück, durcheinander, beschämt, seltsam angerührt.

Erst nach zwei Tagen sehen wir uns wieder. Ich berichte über meine Gedanken zu Leben und Tod und zu der Behandlung der krebskranken Frau.

»Du willst keine Macht ausüben.«

Der Magier nickt zustimmend und sagt: »Siehst Du, das ist weise, und das ist das kleine Zipfelchen vom Mantel Gottes, das Quäntchen Vollkommenheit — nämlich das Streben nach Macht über andere nicht zu haben.«

Nach Minuten des Schweigens fragt er: »Seit wann weißt Du um Deine Sensitivität?«

Nachdenken, kein langes freilich, und ich sage ihm, was mir spontan einfällt:

»Ich sehe das kleine, rot gekleidete Mädchen in Stiefeln — das mich immer an den gestiefelten Kater im Märchen erinnert — mit einem Kuchen zu einem Haus gehen. Es will hineintreten und zuckt erschreckt zurück. Und statt den Kuchen dort abzuliefern, läuft es mit ihm wieder heim. Die Großmutter verstand, denn sie wusste, dass im Haus dort ein übler Zeitgenosse sein Lebenslicht ausgeblasen hatte.

Und einmal, kurz danach, vielleicht passt es nicht hierher, ich will es dennoch erzählen, da war es heiß und ich sollte den Sonnenhut aufsetzen, aber ich wollte wie die Sonne werden und saß trotzig in Erwartung einer großen Verwandlung unter dem kleinen Baum, den Hut neben mich gelegt. Und schließlich hatte ich die Sonne bis zum Hitzschlag in mich aufgenommen.«

»Das ist Dir gut gelungen. Herrlich, diese Erinnerungen! Hattest Du damals Furcht?«

»Ich weiß gar nicht, was das ist, Mahmud. Wovor sollte ich mich ängstigen? Vor dem Leben, wie die anderen Leute, oder vor dem Tod? Nein. Auch für mich beginnt der Tod mit dem Anfang eines jeden Lebens. Allerdings gibt es für mich keinen Tod, es gibt nur eine Zeit des Übergangs in ein neues Dasein. Wo hätte da die Angst Platz?«

»Du sprichst so bestimmt von neuem Leben, Christina. Weißt Du denn von Deinen vergangenen Existenzen?«

»Intuitiv schon, genau nicht. Aber dazu könnten wir doch einmal eine Rückführung machen.«

»Noch nicht. Erst, wenn Du dazu bereit bist.«

»Wirst Du es mir sagen, wenn Du die Zeit dafür gekommen siehst?«

»Du wirst es wissen.«

Ich gehe wieder meiner Tagesarbeit nach und denke viel an seine Worte.

Ich versuche, nicht aus meinem Weg zu fallen. Ich denke daran, dass es Ziel des Magiers ist, ein Wissender zu werden, die Welt zu erobern, himmlische Kräfte zu erringen. Und wenn ich das alles in meinem Herzen bewege, dann sehe ich das Ziel oft in verzweifelter Ferne und werde müde und mutlos. Aber das sind Verzagtheitsmomente, die dann wieder der großen Freude weichen, die mich überkommt, wenn mir die Liebe einfällt des großen Menschen Mahmud, der sein Wissen und Sein mit mir teilt und mit mir arbeitet.

Der magische Weg - Erfahrungen mit afrikanischer Magie

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