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4 Ein Gefühl von Sicherheit

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Er fand das tatsächlich lustig. Maya konnte es kaum fassen. Hier saß er, neben ihrem Bett, fütterte sie mit Pasta und hatte seit einer gefühlten Ewigkeit ein Grinsen im Gesicht.

„Hätte ich gewusst, dass ich dir nur meinen Vornamen nennen muss…“

„Dann was?“ Maya war sich nicht sicher, was sie von der Sache halten sollte. In ihrem Kopf vernetzten sich gerade hunderte von Informationen. Vergangenheit prallte auf Gegenwart, Sebastian auf den Namen Mocovic. Nichts passte zusammen.

„Dann hätte ich ihn dir einfach früher gesagt“, antwortete er und rollte noch ein paar Spaghetti auf die Gabel. „Ich dachte, du weißt, wie ich heiße. Steht mein Name denn nicht überall in den Zeitungen? Oder hast du ihn nicht im Radio gehört?“ Seine Miene verfinsterte sich. „Wenn sie von den Brüdern des Grauens reden. Victor und Sebastian Mocovic.“

„Die Brüder des Grauens? Nein. Schließlich sind es doch eure Zeitungen und Radiosender, nicht wahr?« Den Mocovics gehörte bekanntermaßen das größte Verlagshaus in Oziljak. »Sie berichten nicht schlecht über deinen Bruder. Nur über Scar Mocovic. Kein Sebastian. Nirgendwo.“

„Hm.« Sebastian konzentrierte sich ganz auf die nächste Gabel voller Nudeln.

„Außerdem ist Sebastian ein ziemlich häufiger Name.“ Sie hatte das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen. „Ich meine, ich hätte dich auch dann nicht sofort erkannt, wenn du deinen Vornamen auf einem Schild um den Hals getragen hättest.“

Sebastian stocherte immer wieder mit der Gabel im Essen.

„Weil ich mich so verändert habe?“, spottete er.

„Ja, du siehst ziemlich anders aus als noch vor fünf Jahren“, bestätigte Maya.

Heftig knallte er die Gabel ins Essen. Seine Augen funkelten böse.

„Denkst du, das habe ich mir ausgesucht?“, fuhr er Maya an.

„Ich weiß es nicht. Wer hat dich denn gezwungen, deinen Schädel kahl zu rasieren oder dir eine Tätowierung drauf stechen zu lassen?“, gab sie schnippisch zurück. Für zwei Sekunden war er sprachlos.

„Hast du da nicht eine winzige Kleinigkeit vergessen?“, zischte er böse. Aber so schnell würde Maya nicht klein beigeben.

„Natürlich habe ich da noch etwas vergessen. Einiges. Dein ganzes Wesen, deine Körperhaltung…“

Mit einer plötzlichen Bewegung beugte er sich über ihr Bett und brachte sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter an ihres.

„Sieh genau hin. Sie ganz genau hin.“

Wieder war er ihr viel zu nah. Maya hatte Mühe zu atmen.

„Das ist das Einzige, was du zu sehen scheinst, oder?“

Wütend stand er auf und wandte sich von ihr ab.

„Diese Narbe“, Maya bemerkte, wie er bei dem Wort zusammenzuckte „sie ist nicht die größte Veränderung an dir.“ Es war vielmehr sein ganzes Auftreten. Diese bedrohliche Ausstrahlung, die dunkel in den Höhlen funkelnden Augen, seine Stimme, die wie ein Knurren klang, die Muskeln, der harte Panzer. Kein Wunder, dass die Leute vor ihm Angst hatten.

„Die Narbe ist vielleicht nicht die größte Veränderung“, flüsterte Sebastian, noch immer von ihr abgewandt „aber sie ist der Grund dafür.“

Maya biss sich auf die Lippen, um den Kalenderspruch zurückzuhalten, der ihr auf der Zunge lag. Vergeblich.

„Vielleicht sind es ja nicht die sichtbaren Narben, die uns verändern, sondern vielmehr die unsichtbaren.“ Oh weh. Sebastian drehte sich wieder zu ihr.

„Ist das dein Ernst?“, fragte er ungläubig.

„Entschuldige“, murmelte Maya und wich nun ihrerseits seinem Blick aus.

Eine ganze Weile herrschte Stille. Dann hörte Maya ein seltsames, glucksendes Geräusch. Als sie aufsah, musste sie zu ihrer Verwunderung feststellen, dass Sebastian lachte. Es war ein so fremder Anblick, dass Maya einen Moment dachte, er müsse völlig durchgedreht sein.

„Oh Mann!“, stieß er zwischen seinen Lachern hervor. „Oh Frau!“

Maya konnte nichts weiter tun, als irritiert auf den glucksenden Mann zu starren und zu warten, dass sich sein Anfall von Wahnsinn allmählich legte. Von den Geräuschen im Schlafzimmer angelockt, erschien ein ziemlich verwirrt aussehender Elias in der Tür.

„Was ist los?“, fragte er. Und nach einem Blick auf Sebastian wandte er sich völlig perplex an Maya.

„Er lacht?“

„Ach, hör schon auf!“, antwortete ihm Sebastian, immer noch sehr amüsiert.

„Du kannst lachen?“ Elias deutet auf seinen Freund. „Maya, was hast du gemacht? Sebastian, was hat sie gemacht?“

Sebastian grinste.

„Sie hat gesagt, meine Narbe wäre nicht meine auffallendste Veränderung.“

„Na ja, sie hat ja auch nen ziemlich harten Schlag auf den Kopf bekommen.“

„Du willst einfach nicht, dass ich aufstehe!“ Diese Frau zeterte jetzt schon eine ganze halbe Stunde. Wie um ihm zu beweisen, dass sie längst wieder genug Kraft besaß. Wer den ganzen Morgen ausreichend Energie hatte, um zu diskutieren, wäre ja wohl in der Lage, die paar Meter ins Wohnzimmer oder ins Bad alleine zu laufen. Sebastian hatte eigentlich bereits klein beigegeben. Seiner Meinung nach war sie zwar noch nicht ganz so stabil, wie sie behauptete, aber lange würde sie im Bett nicht mehr zu halten sein. Sie wollte unbedingt aufstehen – bitte – sollte sie es versuchen. Nun war da aber noch ein anderes Problem. Eines, das Maya auch erst störte, seit sie in der Lage war, sich auf der Bettkante sitzend, einmal vollständig zu betrachten. Sie sah ihrer Meinung nach absolut unmöglich aus. Und was ihre Kleidung anging, musste Sebastian ihr auch Recht geben. Ihr bandagierter Oberkörper steckte immer noch in ihrem blutbefleckten Unterhemd und über ihren Slip hatte ihr Sebastian kurzerhand eine seiner Boxershorts angezogen. Und die drohte ihr von den Hüften zu rutschen, wann immer Maya aufstand. Sebastian musste sich zwingen, nicht an Mayas Hüften zu denken. Es war einfach zu verwirrend. Die Erinnerung an diese eine wundervolle Nacht wurde überlagert von den Bildern ihrer gequetschten, getretenen Seite am Abend des Angriffs. Als der Doc die blutende, bewusstlose Maya untersucht hatte, war Sebastian beim Anblick ihrer Verletzungen beinahe das Herz stehen geblieben. Zum Glück hatten sie sich nicht als zu schwerwiegend herausgestellt. Die Prellungen schmerzten sie noch und beinahe ihre gesamte rechte Seite war mit grünlich-dunkelblauen Flecken übersäht, aber sie hatte allem Anschein nach keine inneren Verletzungen erlitten. Was an ein Wunder grenzte, wenn er an die Wucht dachte, mit der Carl auf Maya eingetreten hatte. Und jetzt hingen an diesen Hüften seine Boxershorts. Es hätte sexy aussehen können, wäre ihr Körper nicht so geschunden gewesen. Resigniert griff er nach der Reisetasche mit ihren Klamotten.

„Meinetwegen, dann steh auf und versuch dich umzuziehen. Ich hoffe, da drin findest du was Passendes“, sagte er und stellte die Tasche neben Maya aufs Bett. Sie fing sofort an, darin herumzuwühlen.

„Seit wann hast du die Sachen denn?“ Bildete er sich das ein, oder schwang da ein Vorwurf mit?

„Ich habe Elias gestern nochmal losgeschickt. Er dachte, du würdest bestimmt nicht ewig in Unterwäsche herumlaufen wollen.“

„Na, da hat mal einer mitgedacht.“ Es war ein Vorwurf, eindeutig.

„Nur das Sanitärzeug hat er neu gekauft“, erklärte Sebastian knapp, als Maya den Kulturbeutel öffnete. „Es wäre zu auffällig gewesen, deine Zahnbürste und diesen ganzen Kram mitzunehmen.“

»Dafür hat er meine Pillen-Packung mitgebracht«, murmelte sie und Sebastian spürte, wie er errötete. Das war eindeutig mehr Information, als er brauchte. Eine Weile schwieg sie. Sie schien etwas zu überlegen.

„Geht ihr davon aus, dass noch jemand die Wohnung nach mir absucht?“

Davon musste er nicht ausgehen. Er wusste, dass es so war.

„Nicht nur nach dir, ehrlich gesagt.“ Er sah, wie sie eine Spur blasser wurde und sich am Betttuch festhielt. Sie dachte an diesen Kerl, der bei ihr wohnte. Sebastian kratzte sich am Kopf. Es juckte, wenn die Haare nachwuchsen.

„Du bist offensichtlich Teil einer Widerstandszelle. Deine Wohnung wird in unregelmäßigen Abständen kontrolliert, um zu sehen, ob du so dumm bist, dich dort noch einmal blicken zu lassen. Und ob dein Mitbewohner auftaucht.“

Besorgt blickte Maya ihn an. Mann, der Kerl musste ihr ja echt wichtig sein.

„Elias hat gestern jedenfalls niemanden dort gesehen. Und es scheint auch so, als wäre der Typ in der Zwischenzeit nicht zurückgekommen. Sein Kram liegt da noch genau so rum wie am ersten Tag.“

Plötzlich standen ihr Tränen in den Augen. Schnell wandte sie sich wieder ihrer Tasche zu.

Sebastian wurde es mit einem Mal zu viel. Er konnte nicht mehr für sie tun, als er ohnehin bereits tat. Er war kein Psychologe, kein Arzt, kein Freund. Sie vertraute ihm nicht und würde nicht einmal im Traum daran denken, ihm von diesem anderen Mann zu erzählen. Sebastian verließ Mayas Zimmer. Was würde er denn tun, wenn doch? Würde er versuchen ihn für sie zu finden? Oder würde er ihn ins offene Messer laufen lassen? Er zuckte mit den Schultern und schüttelte die Gedanken ab. Sebastian hörte die Badezimmertür ins Schloss fallen. Maya hatte es offensichtlich ohne Zwischenfälle dorthin geschafft.

Sein Handy klingelte. Auf dem Display konnte Sebastian erkennen, dass Carl versuchte, ihn zu erreichen. Über eine Woche lang hatte er nun jeden Anruf ignoriert. Aber er konnte sich nicht ewig verstecken. Es war an der Zeit ranzugehen.

„Was willst du?“

„Hey, Cousin! Dein Bruder fragt sich, ob du noch lebst.“

„Ja.“ Sebastian legte auf.

Keine Minute später klingelte es erneut.

„Mach sowas nicht nochmal, hörst du?“ Carl klang wie ein beleidigter Zwerg.

„Was willst du sonst noch?“

„Du hast jetzt lange genug den grüblerischen Eremiten gespielt. Victor möchte dich sehen. Es geht ums Geschäft.“

Klar, es ging immer ums Geschäft.

„Wann?“

„Heute Abend, acht Uhr in der Villa. Ein Geschäftsessen, wenn du so willst.“

„Ich werde da sein.“ Im selben Moment, als Sebastian das Gespräch beendete, hörte er im Badezimmer ein lautes Klirren, gefolgt von einem dumpfen Schlag.

„Ach du Scheiße!“

Mit wenigen, schnellen Schritten war er beim Badezimmer. Gott sei Dank hatte sie die Tür nicht abgeschlossen. Er fand sie, zwischen Waschbecken und Kloschüssel, bleich und zitternd auf dem Boden sitzend.

„… schwindlig“, nuschelte sie. Schweißtropfen standen ihr auf der Stirn. Sebastian schob seine Arme unter ihren Körper, um sie zurück ins Bett zu bringen.

„Nein“, protestierte Maya. „… hierbleiben.“ Sie lehnte ihre Wange an die kühlen Fliesen und atmete tief durch.

Sebastian betrachtete sie. So wie es aussah, hatte sie versucht, sich das Unterhemd auszuziehen um sich zu waschen, war aber nicht weit gekommen. Der Doc hatte ihr den rechten Arm vor den Körper und beide Schultern zurückgebunden. Das Unterhemd war darunter eingeklemmt.

„Kannst du mir helfen, bitte?“, flüsterte sie. Natürlich konnte er und natürlich würde er.

„Ich fühle mich so ekelhaft, so verschwitzt und dreckig.“ Sie würde so nicht einfach wieder ins Bett gehen, stellte er fest.

Maya suchte seinen Blick. Ihre Augen waren von einem glasigen Schleier bedeckt, aber der Wille dahinter war nicht zu leugnen. Sie räusperte sich.

„Ich muss mich waschen.“

Sebastian seufzte. Ohne zu zögern und ohne eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben, machte er sich an seine Aufgabe. Er hob sie sanft hoch, zog mit dem Fuß den hölzernen Badezimmerhocker heran und setzte Maya darauf. Er hielt sie an den Schultern fest, bis er sicher war, dass sie nicht erneut wegkippen würde. Vorsichtig strich er ihr die Haare aus dem Gesicht.

„Alles okay?“

Sie nickte. Plötzlich ging alles wie von selbst. Als hätte er solche Dinge schon hundertmal gemacht. Er wusch ihr Gesicht, kämmte ihre Haare und band sie in ihrem Nacken zu einem Zopf. Sie zuckte, als er die Strähnen straff zog und griff sich an die Schläfe. Jetzt, da die Haare zurückgebunden waren, sprang einem der große blaue Fleck, der sich von ihrer Stirn bis zum Wangenknochen zog, förmlich ins Auge.

„Entschuldige“, sagte er sofort.

„Schon gut“, antwortete sie.

Dann griff er nach der Schere.

„Ich hoffe, du hängst nicht zu sehr an diesem Unterhemd.“ Sebastian sah sie fragend an. Er bat sie um Erlaubnis.

„Es ist schon alt“, sagte sie nur. In ihrer Stimme lag eine seltsame Ruhe. Sebastian ließ die Schere durch den Stoff gleiten und befreite Maya von dem verfärbten, dreckigen Hemd. Er dauerte eine Weile, denn der Stoff steckte zum Teil unter ihren Verbänden und Sebastian musste sehr behutsam vorgehen, um ihre Prellungen nicht unnötig zu berühren. Dann tauchte er erneut den Schwamm ins warme Wasser und wusch ihren Rücken, ihre Arme, ihre Brust. Mayas Blick folgte ihm stumm. Nicht einen Augenblick versuchte sie, ihn von etwas abzuhalten. Sebastian trocknete sie ab und ließ das Handtuch wärmend über ihren Schultern hängen. Er bat sie aufzustehen und Maya folgte seiner Aufforderung langsam, jedoch ohne zu zögern. In ihrem Blick lag so etwas wie stille Verwunderung, als er nach der Boxershort griff. Aber Maya sagte kein Wort. Also machte er einfach weiter, zog sie aus und wusch ihre Beine, ihre Füße, ihre Hüften, trocknete sie ab und kleidete sie neu ein. Immer noch ging alles wie von selbst. Das weite, schwarze Shirt zog er über ihren Verband.

„Der Doc soll dir einen neuen Verband machen. Einen, mit dem du auch die andere Hand bewegen kannst“, sagte er, als sie ihren linken Arm durch den Ärmel schob. Maya nickte kurz. Sebastian musterte sie noch einmal von oben bis unten.

„Ich denke, das war’s“, bestätigte er ihr.

Maya warf einen Blick in den Spiegel. Entsetzt weiteten sich ihre Augen. Auch sie konnte – nun, da die Haare aus dem Weg waren – den großen Bluterguss an ihrer Schläfe deutlich sehen. Sebastian beobachtete, wie ihre Finger vorsichtig über die violetten Flächen glitten. Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Etwas Tröstendes.

„Es wird bald besser werden. Und dann bist du wieder ganz gesund.“

Maya wandte den Kopf und sah zu ihm auf. Dann, ganz langsam und zart berührten ihre Fingerkuppen sein Gesicht. Seine Narbe. Sebastian spürte einen scharfen, stechenden Schmerz in seiner Brust. Ein Schmerz, der ihm den Atem raubte und ihn wieder in die Realität riss. Er schnappte nach Luft und wich zurück. Es kostete ihn Kraft, die Lippen zu öffnen und zu sprechen. Seine Stimme klang heiser und fremd in seinen Ohren.

„Der Ausflug ist beendet. Ich bringe dich zurück ins Bett.“

Sebastian merkte, wie sein Innerstes in Aufruhr geriet. Sie hatte etwas berührt, das jenseits seiner sorgfältig gezogenen Barriere lag. Er spürte förmlich, wie sich tiefe Risse bildeten. Als er sie ins Bett brachte, registrierte er bestürzt, wie seine Hände zu zittern begannen.

„Sicher bist du jetzt ziemlich müde“, brachte er mühsam hervor. Maya lächelte ihn an.

„Danke“, sagte sie. Und mit diesem einfachen Wort fiel Sebastians Panzer vollständig in sich zusammen. Er verlor die Kontrolle.

„Ich…“, brachte er noch heraus, dann nichts mehr. Ohne sie noch einmal anzusehen floh er aus dem Zimmer und konnte erst erleichtert aufatmen, als sich die Tür hinter ihm schloss.

Schwer atmend und am ganzen Körper zitternd lehnte er sich dagegen. Musik, er brauchte jetzt dringend Musik! Fahrig durchwühlte er das CD-Regal. Es war alphabetisch sortiert. Bach. Er suchte ein bestimmtes Klavierkonzert. Als die vertrauten, regelmäßigen, planvollen Klänge durch sein Wohnzimmer drangen, beruhigte er sich allmählich. Die Musik half ihm, sich zu ordnen, brachte seine Gedanken in die richtigen Bahnen. Er stand am Fenster, starrte ins Nichts und ließ die Sonaten durch ihn hindurchfließen. Was war passiert? Was hatte ihn so aufgewühlt? War es ihr Körper gewesen? Sie hatte ihm schon einmal gestattet, sich mit ihrem Körper vertraut zu machen. Er hatte ihn mit seinen Händen und seinen Lippen erkundet, ihn genossen, seinen Duft und seine Wärme in sich aufgesogen. Doch das eben im Badezimmer war mehr gewesen. Weit mehr, weit intimer als Sex. Sie hatte ihm vertraut. Sie hatte sich ihm anvertraut. Das hatte ihn geknackt.

Sebastian atmete tief durch. Was jetzt? Schnelle, geradlinige Achtel umkreisten ihn. Vom Fenster aus blickte er in den makellosen, blauen Sommerhimmel. Es war früher Nachmittag. Sebastian ballte seine Hände zu Fäusten und wünschte sich, er könnte dasselbe mit seinen Gedanken tun. Ihre Hüften, ihre Brüste! Heilige Scheiße, er hatte ihre Brüste gewaschen und sie war nicht einmal zurückgewichen! Er war ihr zu nah gewesen. Eindeutig viel zu nah! Sein ganzer Körper spannte sich an, wie um die Wucht der Gefühle abzuwehren, die ihn zu ersticken drohte. Er musste etwas unternehmen. Jetzt gleich. Irgendetwas Greifbares. Hektisch fingerte er in seiner Jeanstasche nach seinem Handy. Er wählte blind. Nach drei endlosen Freizeichen hob Elias endlich ab. Sebastian hielt sich nicht lange mit Floskeln auf.

„Eli? Ich brauche dich heute Abend hier. So gegen halb acht? Und bring den Doc mit.“

„Was ist los?“ Elias war nicht blöd. Natürlich hatte er bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber Sebastian würde den Teufel tun und ihm davon erzählen. Das ging niemanden etwas an.

„Mein Bruder verlangt nach mir, und Maya…“ er brachte den Namen kaum über die Lippen „… sie braucht einen anderen Verband.“

„Sebastian, was ist los bei dir?“ Elias klang alarmiert.

„Kriegst du das hin? Der Doc und du, hier um halb acht?“

Eine kurze Pause am anderen Ende, dann ein Seufzen.

„Das krieg ich hin.“

Sebastian legte auf, drehte die Musik noch etwas lauter und starrte weiter in den wolkenlosen Sommerhimmel bis seine Hände nicht mehr zitterten.

Eine Zeit lang hielt Maya die Augen geschlossen. Sie schlief nicht. Selbst die Beruhigungsmittel des Docs hätten sie jetzt nicht einschlafen lassen. Es war, als würde ihr ganzer Körper summen, als hätte Sebastian eine Saite in ihr zum Klingen gebracht. Vielleicht stellte sie diese Verbindung auch nur her, weil Sebastian nebenan laut Klaviermusik hörte. Das war im Prinzip nicht ungewöhnlich. Sebastian hatte ständig Begleitmusik laufen. Die Bandbreite war groß. Doch Klaviermusik war bisher noch nicht darunter gewesen. Irgendwie passten diese auf- und abklingenden, schnellen Tonfolgen perfekt zu dem, was gerade passiert war. Oder vielmehr zu der Klarheit, die sie überkommen hatte, als sie mit Sebastian im Badezimmer gewesen war. Plötzlich war es da gewesen, dieses Gefühl. Sicherheit. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sich Maya so bewusst so sicher gefühlt. Kein Zweifel. Nichts. Maya hatte gewusst, dass er ihr nicht wehtun würde. Und nicht einen Moment war ihr der Gedanke gekommen, er könnte die Situation ausnutzen. Sie hatte ihm vertraut. Einem Mocovic, einem Lügner, einem Verräter, einem brutalen Killer. Maya zwang sich, den Namen wieder und wieder zu denken. Mocovic. Scar Mocovic. Sebastian Mocovic. Doch das änderte nichts. Sie war bei ihm in Sicherheit.

Als die Musik vor der Tür verstummte, lag sie immer noch wach. Einem Impuls folgend, schlug sie das Laken zurück und stand unbeholfen auf. Was zur Hölle war nur mit ihrer Hüfte passiert? Ihre rechte Seite war wirklich in einem miserablen Zustand. Maya sah sich um. Sie konnte sich auf dem Weg ins Wohnzimmer nirgendwo abstützen. Aber sie wollte diese paar Schritte einfach schaffen. Es ging besser als gedacht. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Wohnzimmer und lehnte sich gegen den Türrahmen. Ha, sollte er doch mal sehen, wie es war aus so einer Pose beobachtet zu werden. Ihre Augen suchten das Zimmer nach ihm ab, konnten ihn aber nirgends entdecken. Dafür drangen aus dem Raum dahinter scheppernde Geräusche und Maya war sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um die Küche handeln musste. Ihr fiel auf, dass das Wohnzimmer außerordentlich aufgeräumt war. Seit sie sein Bett beanspruchte, schlief Sebastian hier auf der Couch. Doch nirgends waren verknautschte Kissen oder Decken zu sehen. Der große, hohe Raum war ohnehin sehr spärlich eingerichtet. Eine ausladende, dunkle Couch mit einem niedrigen Tisch davor, ein Fernseher, die Musikanlage, ein großer, alter Esstisch mit mehreren ebenso alten Stühlen. Dafür waren beinahe sämtliche Wände bedeckt mit einfachen Regalen voller Musik und Bücher. Ordentlich sortiert und ohne jeglichen Nippes-Kram oder Pflanzen. Kein Bild an der Wand. Maya warf einen Blick zurück ins Schlafzimmer. Auch hier hing kein Bild an der weiß gestrichenen Wand. Das Schlafzimmer war sogar noch spartanischer eingerichtet. Kein Wunder, dass Maya in den vergangenen Tagen so viel gegrübelt hatte. Es gab ja im ganzen Raum – wahrscheinlich sogar in der gesamten Wohnung – nicht ein bisschen Ablenkung.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Sebastian war ins Wohnzimmer zurückgekehrt, eine große schwarze Tasse in der Hand. Als er sie entdeckte, erstarrte er mitten in der Bewegung und sah sie mehrere Sekunden lang nur an. In seinen Augen leuchtete etwas auf und er atmete tief durch. Maya hatte das Gefühl, ihm helfen zu müssen.

„Nachdem der morgendliche Ausflug schon so ein Erfolg gewesen ist, hab ich mir gedacht, ich schau mal, ob ich es bis zur Couch schaffe.“ Sie lächelte ihn an und sein Gesicht entspannte sich. Er warf einen Blick auf die Tasse in seiner Hand.

„Kaffee?“, fragte er.

„Gern.“

„Dann komm, und hol ihn dir“, neckte er sie mit einem Grinsen und stellte die Tasse auf den Couchtisch.

Maya platzierte die leere Tasse auf ihrem angewinkelten Knie und machte es sich auf der Couch so bequem wie möglich. Allmählich ließen ihre Schmerzmittel nach. Aber um nichts auf der Welt hätte sie das jetzt zugegeben. Sebastian würde sie sofort wieder zurück ins Bett scheuchen und ihr ihre Medizin einflößen, die sie zwar überwiegend schmerzfrei, aber auch müde machte. Maya wollte jetzt nicht müde werden. Sie fühlte sich das erste Mal seit Tagen wieder wie ein Mensch. Auf einer Couch sitzen und über Belanglosigkeiten reden. Musik, Bücher, oder die Art, wie sie ihren Kaffee trank. Vielleicht war das bereits in ein paar Stunden wieder vorbei. Seit sie hier bei Sebastian war, hatte sie eine wahre Achterbahnfahrt hinter sich gebracht. Wer wusste schon welche gemeine Wendung oder welcher Abgrund als nächstes kam?

„Kann ich noch einen Kaffee haben, bitte?“, fragte sie stattdessen.

„Wenn du meinst, dass du noch einen vertragen kannst“, gab Sebastian zurück, erhob sich aber noch im gleichen Augenblick und griff nach ihrer Tasse.

„Natürlich kann ich das! Ich bin ja noch keine 70!“, rief sie ihm nach, als er in der Küche verschwand.

„Meinetwegen. Du kannst dich später vor Elias rechtfertigen, wenn du die halbe Nacht wachliegst und ihn davon abhältst seine Lieblingsserie anzusehen.“ Sebastian reichte ihr ihre Tasse, die bis zum Rand mit dem heißen, schwarzen Getränk aufgefüllt war. Er setzte sich neben sie auf die Couch, einen Fuß untergeschlagen und beobachtete sie aufmerksam. Wie so oft war er nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet. Er war barfuß und unter den Ärmelsäumen seines Shirts krochen dichte, verschlungene grünlich schwarze Tätowierungen hervor, die bis zum Handrücken reichten. Maya konnte Flammen erkennen und verschlungene Symbole.

„Elias kommt noch vorbei?“, fragte sie. „Musst du denn weg?“

„Mein Bruder will wissen, wo ich abgeblieben bin.“

Er sah nicht so aus, als würde er sich auf das Treffen freuen.

„Was wirst du ihm sagen?“ Mayas Puls beschleunigte sich. Vielleicht wirkte auch nur der Kaffee.

„Ich weiß es noch nicht. Mir wird schon etwas einfallen.“ Er fuhr sich mit der Hand über die kurzen Stoppeln, die mittlerweile auf seinem Kopf sprossen. Eine Angewohnheit, stellte Maya fest. Er machte das oft.

„Ich habe Eli gesagt, er soll den Doc mitbringen. Du brauchst einen neuen Verband. Du musst dich besser bewegen können. So hilflos kannst du nicht bleiben.“

„Wieso? Wollen das nicht alle Männer? Hilflose, wehrlose Frauen?“, scherzte Maya und beobachtete erstaunt, wie Sebastian errötete. Wieder kratzte er sich am Kopf.

„Du willst doch nicht ewig hier festsitzen, oder?“, murmelte er, den Blick von ihr abgewandt.

„Nein“, gab Maya zu und wunderte sich, woher der schwere Stein kam, der sich auf ihre Brust legte. Verdammtes Stockholm-Syndrom!

„Ich weiß, es ist eine Belastung für dich, mich hier zu haben.“ Maya versuchte, einen betont nüchternen Tonfall anzuschlagen, und es gelang ihr auch fast. Trotzdem schreckte Sebastian hoch.

„Was? Nein! Maya, du verstehst das falsch…“

„Ist schon gut, wirklich!“, beeilte sie sich zu sagen. Der Stein wurde immer schwerer. Was stimmte nicht mit ihr?

„Nein, hey!“ Sein bestimmender Tonfall ließ sie aufhorchen. Sebastians Hand griff sanft nach ihrem Kinn, drehte ihren gesenkten Kopf zu sich und zwang sie so, ihn anzusehen.

„Maya, du bist keine Belastung. Ich möchte, dass du bleibst.“ Seine Stimme wackelte und seine Ohren waren flammend rot. Er holte tief Luft.

„Was ich sagen will, ist: Du kannst so lange bleiben, wie du willst“, fuhr er in neutralem Tonfall fort. Aber seine Hand löste sich nur widerstrebend von ihrem Gesicht.

„Ich hatte nur den Eindruck, du möchtest so schnell wie möglich von hier verschwinden.“

Maya wusste nicht, was sie sagen sollte und nahm verlegen einen Schluck Kaffee.

„Ich bin hier nicht sicher, Sebastian.“ Nirgendwo hatte sie sich bisher sicherer gefühlt. Trotzdem: Sie war, wer sie war und er war ein Mocovic mit einem bösartigen Bruder. „Was ist, wenn plötzlich dein Bruder vor der Tür steht? Oder einer von den beiden anderen, die…“ Maya verstummte, als die Bilder dieser schrecklichen Nacht in ihrem Kopf aufblitzten. Dumpfes Pochen breitete sich aus und sie biss sich auf die Lippen. Sebastian hatte ihre Unruhe bemerkt. Wie selbstverständlich nahm er ihr die Tasse aus der Hand, bevor sie den Inhalt verschütten konnte, und stellte sie auf den Couchtisch.

„Carl und Shorty? Die sind noch nie hier gewesen. Und mein Bruder besucht mich höchstens einmal im Jahr. Er hält lieber Hof in seiner Villa. Außerdem“, fuhr er fort „ist vor der unteren Haustüre eine Videokamera angebracht. Ich sehe also jederzeit, wer bei mir klingelt.“

„Und wenn es jemand ist, der nicht wissen soll, dass ich hier bin?“ Unsicher sah sie Sebastian in die Augen und bekam einen beruhigenden Blick zurück.

„Dann gehst du ins Schlafzimmer und schließt die Tür hinter dir. Niemand wird da reinkommen. Niemand außer dir ist jemals in meinem Schlafzimmer gewesen. Und so lange…“ Er stockte, als er die Veränderung in ihren Augen bemerkte.

„Was ist?“

„Noch niemand ist jemals in deinem Schlafzimmer gewesen?“

„Niemand außer dir“, bestätigte er verwirrt. „Ja, klar, seit du hier bist, war natürlich auch der Doc da. Er musste dich ja verarzten. Und Elias selbstverständlich. Er…“

„Keine Frau?“, unterbrach ihn Maya.

„Was?“ Er starrte sie verständnislos an.

„Du hast nie eine Frau mit hier rauf gebracht?“ Warum interessierte sie das?

„Nein.“

Zu spät bemerkte Maya, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Es war, als würde Sebastian innerhalb weniger Sekunden eine zweite, harte Haut wachsen. Undurchdringlich und abweisend.

„Es tut mir leid“, versuchte sie, sich zu entschuldigen. „Natürlich geht mich das nichts an.“

Doch Sebastian war bereits aufgestanden, und hatte auch räumlich eine Distanz zwischen ihnen geschaffen. Als ob das nötig wäre, dachte Maya bitter. Die Kluft, die sich zwischen ihnen auftat, hätte nicht größer sein können, wenn er sich am anderen Ende der Welt befunden hätte.

„Es wäre natürlich von Vorteil, wenn du deine Sachen nicht überall herumliegen lassen würdest“, erklärte Sebastian sachlich und eiskalt.

„Lass sie am besten in der Reisetasche im Schrank. Ich würde tatsächlich in Erklärungsnot kommen, wenn jemand deine Haarbürste oder deinen BH hier finden würde. Also halt deinen Kram zusammen, klar?“

„Klar.“ Maya atmete tief ein und erntete ein böses Stechen von ihrer Schulter. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht kränken“, fügte sie noch hinzu, doch Sebastian hörte sie bereits nicht mehr. Er war in die Küche gelaufen und machte sich dort an irgendetwas zu schaffen. Es hätte Maya nicht überrascht, hätte sie Glas splittern gehört. Reglos blieb sie einen Moment auf der Couch sitzen. Mittlerweile meldeten sich ihre Verletzungen immer deutlicher. Es war wohl besser, wenn sie wieder ins Bett ging und ein paar von den Tabletten einwarf, die auf der Kommode lagen. Zentimeter für Zentimeter schälte sie sich aus der weichen Polsterung der Couch. Maya wappnete sich, bevor sie aufstand. Das hier würde wehtun. Der Schwung ihrer Bewegung war ein wenig zu gut bemessen. Die Balance stimmte nicht und mit einem lauten Poltern taumelte sie gegen den Wohnzimmertisch. Ihre halb gefüllte Kaffeetasse kippte um und die schwarze Brühe lief quer über den Tisch.

„Verdammter Mist!“, zischte Maya.

Noch ehe sie zurück auf die Couch fallen konnte, war Sebastian an ihrer Seite und fasste nach ihrem linken Arm, um sie zu stützen.

„Maya, alles in Ordnung?“ Sein besorgter Tonfall kitzelte etwas in ihr. Was sollte das jetzt wieder?

„Natürlich nicht!“, fauchte sie und zog an ihrem Arm. Kleine, heiße Stiche fuhren durch ihre rechte Körperhälfte. „Der ganze Kaffee ist verschüttet.“

„Und jetzt ist der ganze Teppich versaut“, stellte Sebastian fest. Er klang absolut nicht wütend und zu ihrem Erstaunen reizte das Maya nur noch mehr. Die Schmerzen ignorierend, entzog sie ihm ruckartig ihren Arm.

„Dann lass ihn reinigen und schick mir die Rechnung“, blaffte sie ihn an.

Sebastian musterte sie überrascht. Er kapierte offensichtlich gar nichts.

„Was ist los? Geht es um den Kaffee?“

„Was los ist?“, schrie Maya ihn an. „Das fragst du mich? Was ist los mit dir? Das wäre doch die viel interessantere Frage!“

„Wie meinst du das?“ Sebastian wich einen Schritt zurück. Mit dieser Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet.

„Du denkst, ich mache mich über dich lustig, oder?“, begann Maya. „Du denkst, ich mache mich lustig, wenn ich dich frage, ob du wirklich noch keine Frau in deinem Schlafzimmer hattest, oder wenn ich dir sage, dass deine Narbe dich nicht auf eine solche Art und Weise entstellt, wie du glaubst.“

Maya konnte sehen, wie Sebastians Augen hart wurden. Die Muskeln an seinem Kiefer spannten sich an. Ganz wie erwartet, dachte Maya.

„Und jetzt tust du es schon wieder!“, warf sie ihm vor. „Du bist eingeschnappt.“

„Eingeschnappt?“

„Genau das! Wie ein bockiges, beleidigtes Kind reagierst du auf alles, was dir nicht in den Kram passt. Du weigerst dich, zu glauben, dass irgendjemand dich anders sehen könnte, als du dich selbst.“

„Das kommt daher, dass ich mich selbst am besten kenne, meinst du nicht?“ Sebastian funkelte sie böse an.

„Ich meine, du willst gar nicht, dass man dich als Sebastian sieht. Du willst Scar sein. Das Monster. Und dich darin baden.“

Sebastians Gesicht verlor alle Farbe. Mit einer schnellen Bewegung verkürzte er den Abstand zwischen ihnen auf wenige Zentimeter. Maya spürte die Hitze, die von seinem Körper ausging, obwohl sie sich nicht berührten.

„Ich bin Scar.“ Sein Atem kitzelte auf ihren Lippen.

„Nein“, sagte sie schlicht und musste schlucken, um den Aufruhr in ihrem Inneren zu unterdrücken. Es gelang ihr, ruhiger zu sprechen, als sie war.

„Du bist Sebastian. Und ich mache mich nicht lustig über dich, nur weil ich hinter dieser ganzen Fassade den Menschen entdecke, von dem du glaubst, dass ihn niemand sehen kann.“

„Maya, dieser Mensch ist tot.“ Seine Stimme war schneidend. „Dieser Mensch, mit dem du vor fünf Jahren für diese eine Nacht im Bett gelandet bist, der existiert nicht mehr.“ Jedes seiner Worte schickte einen pulsierenden Schmerz durch ihren Kopf. Maya musste sich zwingen, die Augen offen zu halten. Aber sie war noch nicht fertig.

„Doch, er existiert.“

„Und wie kannst du dir da so sicher sein?“ In seinem Blick lag etwas Abschätziges, aber auch die Verwundbarkeit, auf die Maya es abgesehen hatte.

„Weil ich wohl kaum noch am Leben wäre, würde dieser Mensch nicht mehr existieren.“ Maya sah in seinen Augen, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.

Unter normalen Umständen hätte Maya sich schwungvoll auf dem Absatz umgedreht und hätte den Raum verlassen. Aber ihre Schmerzen verhinderten so viel Lässigkeit. Sie biss die Zähne zusammen und machte ein paar vorsichtige Schritte Richtung Schlafzimmer. Warum war es nur auf einmal so weit weg? Sie spürte, wie Sebastian sich auf sie zu bewegte, eine helfende Hand nach ihr ausgestreckt.

„Unterstehe dich“, flüsterte sie über ihre Schulter hinweg.

„Unterstehe dich, mich anzufassen.“ Langsam humpelte sie weiter. Er kam ihr nicht hinterher.

Erben der Macht

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