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Die Makrokosmos-Mikrokosmos-Parallele

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Der babylonisch-chaldäische Kulturraum wurde von der Idee einer engen und wirkmächtigen Verbindung zwischen der menschlich-irdischen Diesseitswelt und der von Göttern und gefährlichen Dämonen beherrschten Jenseitswelt geprägt. Die sichtbare und für jedermann begreifbare alltägliche Welt der Menschen war durch ein Netz von nur den Eingeweihten erkennbaren und nur ihnen verständlichen Wechselwirkungen mit allen anderen Geschöpfen und dem Kosmos insgesamt verbunden. Aus diesem Denken entwickelte sich die Magie als Mittel zur Vorhersage künftiger Ereignisse wie zur Lenkung des Schicksals. Die Magie beruht auf dem Glauben, dass die Kenntnis gewisser verborgener Zusammenhänge in einer Welt, in der alles mit allem verbunden ist, dem Magier eine über das normale Maß hinausreichende Fähigkeit verleiht, Menschen und Dinge nach Belieben zu beeinflussen. Dies kann wie in der Schwarzen Magie mit Hilfe von Beschwörungen von Dämonen und Teufeln durch Zauberformeln geschehen oder wie in der Naturmagie durch die richtige Anwendung geheimen Wissens ohne die Hilfe dämonischer Kräfte.


Anubis, der altägyptische Gott der Totenriten.

Das erwähnte verborgene System von Wechselbeziehungen, Symmetrien und Analogien nennt man Makrokosmos-Mikrokosmos-Parallele. Der einzelne Mensch wie die Menschheit als Ganzes werden dabei als Abbild des Kosmos – als »Mikrokosmos« – betrachtet, der mit dem »Makrokosmos«, der Schöpfung als Ganzes, die ontologisch auf den Menschen hin ausgerichtet ist, in Beziehung steht. Daraus ergibt sich, dass auch die Götter und Dämonen nicht willkürlich handeln können, sondern den von ihnen geschaffenen Gesetzen ebenfalls unterworfen sind. Kennt man diese, kann man nicht nur Voraussagen treffen, sondern unter Umständen Götter oder Dämonen auch zu bestimmten Handlungen zwingen. Das dazu nötige Wissen ist grundsätzlich erlernbar.


Zusammenhang zwischen Tierkreiszeichen und menschlichen Organen. Illustration aus dem prachtvollen Stundenbuch des Duc de Berry, entstanden 1411–1416.

Die Magie ist somit die erste Form der »wissenschaftlichen« Aneignung der Welt durch den Menschen. Natürlich war die Magie niemals eine Wissenschaft im modernen Sinne – sie war es jedoch im Sinne einer Metaphysik, die von der Existenz allgemeingültiger, sämtliche Wesen beider Welten einbeziehender Strukturen ausging. An die Stelle religiöser Verehrung oder rein empirischer Nutzung der Natur und Schöpfung im Ganzen rückt nun die Erforschung der Natur ins Blickfeld.

Eine sehr wichtige und bis heute nachwirkende Ausprägung der »Makrokosmos-Mikrokosmos-Parallele« ist die Astrologie. Da der Himmel ganz real als Sitz der Götter betrachtet wurde und sowohl die sieben Planeten des Altertums (zu denen auch Sonne und Mond zählten) sowie die den Monaten zugeordneten 12 Zeichen des Tierkreises als göttliche Emanationen bzw. als Götter angesehen wurden, lag der Gedanke nahe, dass eine Wechselwirkung zwischen diesen himmlischen Sphären und den Ereignissen auf der Erde bestehen müsse. Nachdem die Abläufe am Sternhimmel regelmäßig-periodisch verlaufen, sollten sich auch die Ereignisse auf der Erde demgemäß in bestimmten Zyklen wiederholen. Man musste also nur eine Konkordanz zwischen Gestirnkonstellationen und irdischen Ereignissen erstellen, um dann voraussagen zu können, was sein wird, wenn eine bestimmte Konstellation wieder auftritt. Die Astrologie beruht demnach auf einem zyklischen Zeitbegriff, der sich grundsätzlich vom linearen Zeitbegriff des christlichen Weltbildes unterscheidet. Außerdem schließt astrologisches Denken die Determiniertheit aller Geschehnisse ein; alles hat verborgene oder offenkundige Ursachen, nichts ist zufällig.

Die Astrologie und viele andere magische Vorstellungen aus der babylonischen Kultur finden sich im europäischen Kulturraum wieder. Sie gelangten zunächst nach dem nordöstlich gelegenen Medien (einem Teil des heutigen Iran), dessen Priester diese rezipierten und weiterentwickelten. Von deren Namen »Magi« leitet sich der Ausdruck »Magier« ab. (Die persischen Anhänger des Zoroaster (Zarathustra) lehnten Zauberei und Magie ab.) Nach der Eroberung Babyloniens durch Kyros im Jahr 539 v. Chr. vermischten sich beide Kulturen und medische und babylonische Magier kamen am persischen Hof zu großem Ansehen. Die Juden brachten aus ihrer »babylonischen Gefangenschaft« ebenfalls eine genaue Kenntnis magischer Begriffe zurück in ihre Heimat, was u.a. bei der Entwicklung der als »Kabbala« bekannten Geheimlehre eine wichtige Rolle spielte. In direkte Berührung mit der Magie der Babylonier kam Europa durch die Kämpfe der Griechen mit den Persern im 5. vorchristlichen Jahrhundert. Nach der Eroberung des persischen Großreiches und Ägyptens durch Alexander den Großen (331 bzw. 323 v. Chr.) gelangten persische, chaldäische und ägyptische Magier in großer Zahl nach Griechenland und fanden hier eine sehr aufnahmebereite Kultur vor. Aus dieser kulturellen Durchdringung entstand der »Hellenismus«, der wiederum der geistige Nährboden der Alchemie war.

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