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Stuhl & Eimer

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Nathan setzte Jasmin in der Tiefgarage des Präsidiums ab. Vorher hatte sie sich auf dem Beifahrersitz zusammengerollt, damit sie keiner sehen konnte. Mit ihrem eigenen Dienstfahrzeug fuhr sie schließlich zu ihrem alten Bekannten.

Nathan schlurfte nach oben, wo er Kurz und Klein in der IT-Abteilung vorfand. Die beiden Kripos machten ihren Namen alle Ehre. Kurz war kurzsichtig, im Rahmen der Polizeidienstvorschrift 300, die die körperlichen Mindestattribute der Beamten festlegte. Seine antiquiert wirkende, aufdringliche Hornbrille machte aus einem Mittdreißiger eine Parodiekopie von Clark Kent, Supermans schüchternem Alter Ego, und Buddy Holly, Rock-´n´-Roller aus den 50ern, den der Erfolg zum Frauenschwarm machte und nicht das Aussehen. Klein erreichte geradeso die Mindestgröße von einem Meter 60, die ihn für den Polizeidienst in Hessen tauglich machte. Er wirkte wie der langweilige Sidekick von Kurz, der selbst eine Aura von Briefmarkensammler versus Staubsaugerverkäufer versprühte. Hätten sie Dienstmarken und Dienstausweise nicht bei jeder Gelegenheit aus dem Revers gezogen, hätte man sie als schwules Serienkillerpärchen abgestempelt.

Der abgedunkelte, partiell erhellte Raum, gefüllt mit flimmernden Bildschirmen und futuristischen Bedienelementen, empfing Nathan abweisend, ebenso wie die beiden stehenden Kollegen, die nicht die Hauptakteure in dem digitalen Hinterzimmer waren. Hauptakteure waren zwei vor den Bildschirmen sitzende Computerspezialisten. Wáng, ein athletischer Chinese, den man eher in einem Fitnessstudio als Instruktor verorten würde, interagierte mit den Beamten ebenso wie mit seinem technischen Werkzeug. Dahinter verkroch sich Smirnow, der wortkarge Russe, dem die Frauenherzen wegen der ebenmäßigen, in Holz geschnitzten Model-Züge verfielen, bis sein Akzent und seine Introvertiertheit an den knechtenden Ehering erinnerten, den die zarten Damenfinger fingerten.

»Gude!«, schleuderte er so neutral wie möglich hinein.

Die Kommunisten vor den Kisten hoben fokussiert die Hand. Kurz machte keinen Ton. Klein schnaubte abfällig, gleich einem Stier, der das rote Tuch wedeln sah – ein kleiner, nicht gerade angsteinflößender Stier, in der Tat.

»Was habt ihr gefunden?« Nathan wollte die persönlichen Differenzen zugunsten der Aufklärung hinter sich bringen.

»Nicht viel«, erwiderte Wáng mit latentem, hessischem, Dorfdialekt und zeigte dem neuen Kommissar die zusammengeschnittene Bildsequenz der Brückenkameras. »Hier wird er angespült und wenig später von zwei Personen aus dem Wasser gefischt«, richtete er den Finger auf das Video, das die frühen Morgenstunden am Westhafen dokumentierte.

Nathan erkannte den Rentner mit Dackel, weil er den Rentner mit dem Dackel vor Ort gesehen hatte. Andernfalls wäre das Bündel an Mensch, Tier und Leine nicht von einer dunklen Parkbank zu unterscheiden gewesen. Den Jungspund daneben deutete er an den farbenfrohen, reflektierenden Klamotten heraus. Mehr war nicht zu erkennen. Die Aufnahme war sehr undeutlich. Die Kamera musste weiter entfernt gewesen sein. Auf dem nächsten Bildabschnitt sah man etwas durchs Wasser treiben, doch die Dunkelheit und die starke Reflexion der städtischen Beleuchtung machten genauere Erkenntnisse unmöglich. Wáng hatte eine Bildcollage vorbereitet, die den Hergang rückwärts abspulte.

»Das könnte euer Toter sein«, kommentierte Klein, was sowieso jeder dachte. »Könnte aber auch eine Ente sein.«

Nathan behielt den derben Konter für sich. Er merkte, dass Klein auf einen Zwischenruf wartete, um weiter anzustacheln, wie ein übermütiger Yorkshire Terrier. Nathan wollte ihm nicht den Gefallen tun.

»Und hier sehen wir gar nichts mehr«, führte Wáng einen weiteren Flussabschnitt vor. Die zusammengespulte Zeit offenbarte lediglich ein paar Fähren und Lastkähne. Dann trat die Abenddämmerung zum Vorschein. Viele verschiedene Kameraeinstellungen stellten die übliche Schifffahrt dar, die nachmittags und abends den Fluss frequentierte.

Der zweite Mann an den Hebeln, Smirnow, arbeitete in der Zwischenzeit still an den Naheinstellungen vom Gewässer. Soweit Nathan das allerdings beurteilen konnte, ohne bahnbrechende Ergebnisse.

»Und weiter?« Nathan registrierte, dass man ihm etwas verschwieg. Kurz und Klein behielten etwas in der Hinterhand, damit sie überraschend auftrumpfen konnten.

Kurz drehte sich theatralisch zum Kommissar. Das erste Mal, dass er ihn heute mit Blicken würdigte. Fehlte nur noch, dass er oberlehrerhaft die wuchtige Brille vom Nasenrücken schob. Sein Partner Klein äffte ihn nach. Wie zwei Orgelpfeifen hatten sie sich zu Nathan gewandt.

»Wir haben noch was Interessantes gefunden«, gab Kurz den gewieften Detektiv.

Aufs Stichwort holte Wáng einen Kameraausschnitt auf den Bildschirm, worauf Kurz nickte.

»Die Alte Brücke«, intonierte der kehlige Kommissar stimmungsvoll und ließ Nathan Zeit zur Orientierung. »Film ab!«

Nathan starrte auf eine Kreuzung, die am oberen Bildschirmrand in die Alte Brücke überging. Die Menschen und Fahrzeuge bewegten sich schneller. Vögel flogen hurtiger vorbei. Die Ampeln sprangen nur so von Rot auf Grün. Schatten wanderten zügig. Dann stoppte die Aufnahme. Er blinzelte ungehalten. »Was soll ich da bitteschön gesehen haben?«

Kurz und Klein kicherten, was Nathan erzürnte, doch er drückte die Wut in seiner Faust aus. Seine Knöchel knackten leise und seine Fingerkuppen färbten sich weiß.

»Nochmal langsamer«, wies Kurz den Deutschchinesen an der Steuerung an. Es schien ein abgesprochener Scherz gewesen zu sein.

Jetzt lief die Aufnahme in Echtzeit ab. Wieder bis zum Ende. Wieder stand Nathan da wie das erste Auto. »Sagt mal, wollt ihr mich verarschen?«

Kurz zeigte belustigt auf den Bildschirm. Sie genossen die Vorführung und das Vorführen des geschätzten Kollegen. »Oben links.«

Nathan blickte zu einem dunkel gekleideten, leicht verpixelten Mann, der scheinbar einen okkupierten Rollstuhl vor sich herschob. »Könntet ihr mir gefälligst mehr Kontext geben!«

»Hier«, sprang der gelbhäutige Informationstechniker ein, »sehen wir den Unbekannten einen anderen Unbekannten im Rollstuhl schieben.«

Eine weitere Kameraeinstellung kam ins Bild. Zu sehen war eine zweite Kreuzung, allerdings auf der anderen Seite der Brücke.

»Und hier«, setzte der IT-Mann fort, »sehen wir den Unbekannten im Rollstuhl sitzen, ohne den anderen Unbekannten.«

»Woher wissen wir, dass das derselbe Mann ist?«, warf Nathan kritisch ein.

Ein Vergleichsstandbild beider Einstellungen erschien. Die Truppe war vorbereitet. Chapeau! Ein Eimer, den Rollstühlen zugeordnet, diente als Verbindungsmerkmal.

»Schwarzer Kapuzenpulli und hässliche Schuhe«, motzte Klein, auf den Eimer deutend, »Das sieht ein Blinder mit Krückstock.«

»Zu dem Zeitpunkt gab es keinen anderen Rollstuhl auf der Brücke«, ergänzte Wáng, um den Einwand des dünnhäutigen, garstigen Kommissars abzuschwächen.

»Gibt es einen Winkel, wo man die Brücke und den abhandengekommenen Unbekannten sieht?«, fragte Nathan, der direkt mit Blicken gestraft wurde.

»Was denkst du, was wir die ganze Zeit gemacht haben? Kaffeeklatsch?«, moserte Klein ungehalten.

Zum Beweis knurrte Smirnows Magen, der sich mittlerweile in irgendeiner Programmierung verlor. »´tschuldigung«, nuschelte er peinlich berührt mit russischem Akzent, sich wieder in die Nullen und Einsen vertiefend.

»Leider nicht«, antwortete Wáng besänftigend, »Aber wir simulieren gerade die Strömung«, rollte er mit dem Stuhl zu seinem schweigsamen Kollegen. »Wenn wir den Tatzeitpunkt eingrenzen könnten …«, er schaute zu Nathan.

Auch Kurz und Klein fixierten den Kommissar.

»Gestern Abend bis Mitternacht«, gab er grob zu Protokoll, sich der Tragweite bewusst.

Die beiden Orgelpfeifen schmunzelten verschmitzt. Sie wussten nun, dass die Obduktion durch die Rechtsmedizin bereits vollzogen worden war. Was sie nicht wussten, Todeszeitpunkt und Wassereintritt stimmten nicht überein.

»Wollt ihr uns nicht langsam einweihen?«, forderte Kurz mehr denn er fragte.

»Was wollt ihr wissen?«, pokerte Nathan.

Kurz schaute über den dicken Rand seiner Brille zu den Analysten, die mit den Zeitabständen experimentierten. »Ist die Sache unter Verschluss?«, ruderte er sogleich zurück. Er wollte keine schlafenden Hunde wecken oder sich in die Brennnesseln setzen.

So wie es aussah, konnte Nathan den Suizid nicht aufrechterhalten. Spätestens nach seinem Rapport bei Schmidt würde der Fall die Runde machen. Und sollte er die beiden an der Nase herumgeführt haben, dürften sich weitere Gefälligkeiten erledigt haben.

»Ich brauche Ausdrucke der Standbilder«, bat Nathan und erhielt eine braune Sammelmappe, die ihm Kurz reichte.

»Alles hier drin«, sagte dieser. »Weiß Schmidt schon Bescheid?«

»Ist meine nächste Station.« Er blätterte die Bilder durch und musste zugeben, dass hier gute Vorarbeit geleistet wurde.

»Wir kommen mit!«, plusterte sich Klein auf, doch Kurz bremste ihn mit einer Handbewegung. Die Brillenschlange hatte den Giftzwerg gut im Griff.

»Wenn es ernst wird, bezieht ihr uns doch ein?«, verhandelte Kurz stattdessen.

»Haben wir das nicht bereits?«, entgegnete Nathan.

Kurz und Klein beäugten sich. Man konnte meinen, sie kommunizierten telepathisch.

»Wenn es was Ernstes ist, wird uns Schmidt sowieso dazu holen«, stichelte Kurz, da dieser zu wissen schien, dass man sie gern hinterging. Beide grinsten hämisch.

»Gebt mir eine Viertelstunde Vorsprung«, forderte Nathan jovial und richtete das Wort an die Programmierer, »Was hat die Simulation ergeben?«

Der Rädelsführer Wáng rollte mit dem Stuhl hinüber zu einem großen Stadtplan an der Wand, der auch die umliegenden Kommunen aufführte. Dort tippte er auf die Autobahnbrücke weit im Osten, an der Grenze zur verschmähten Nachbarstadt. »Das dürfte die östlichste Sprungschanze sein. Alles dahinter wäre vorher gestrandet.« Er fuhr den Fluss entlang bis zum Westhafen. »Somit kommen zehn Brücken infrage. Autobahn, Bundesstraßen, Schienen, Fußgänger. Alles dabei. Wobei, Autobahn und Bundesstraßen können wir ausschließen – die sind kameraüberwacht, da haben wir nichts gefunden. Also sechs Brücken.«

»Warum versteifen wir uns auf Brücken?«, gab Kurz weitsichtig zu bedenken, »Was ist mit Kränen, Uferpromenaden oder Gebäuden?«

Alle schauten zu Nathan, außer dem Strömungssimulator.

Der Kommissar räusperte sich auffälliger als gewünscht. »Wir haben eine ungefähre Fallhöhe und können öffentlichkeitswirksame Bauten wie Kräne ausschließen. Da wären sicherlich Meldungen reingekommen. Und irgendwo müssen wir schließlich anfangen. Wie man sieht, haben wir eine gute Fährte«, hielt er die Mappe mit den Brückenbildern hoch.

»Also sechs Brücken«, repetierte Wáng, als wäre er selbst Ermittler.

»Schon gut!«, motzte Klein ihn an, »Das haben wir verstanden.«

Der Fachmann rollte zurück an seinen Arbeitsplatz und schaltete sich durch diverse Kameraaufnahmen vom Nahbereich des Flusses.

»Warum betreiben wir so einen Aufwand für einen Suizid?«, hakte Kurz nach, »Und das, obwohl Schmidt noch nicht Bescheid weiß!«

»Mein nächster Halt«, erinnerte Nathan. Er konnte die hungrige Meute nicht länger von der Beute fernhalten. »Ihr sucht weiter nach Auffälligkeiten«, instruierte er die Computerspezialisten, »Und ihr«, reckte er sein Kinn zu Kurz und Klein, »schaut euch die sechs Brücken an.« Er ging zur Karte, von West nach Ost: »Holbeinsteg, Untermainbrücke, Eiserner Steg, Alte Brücke, Deutschherrnbrücke, Osthafenbrücke.«

Kurz trat neben ihn und studierte den Plan. »Was ist mit der Honsellbrücke, hier neben der Osthafenbrücke, Richtung Riedgraben?« Eine Überquerung zur künstlichen Halbinsel des Osthafens, wonach sich die Bucht des Riedgrabens anschließt.

Nathan gab ihm Recht. »Da hätten wir beinahe eine übersehen.«

»Also sieben Brücken«, blaffte Klein den Spezialisten an, dem man ansah, dass er die Schultern einzog und sich auf seine Arbeit konzentrierte, oder versuchte, sich darin zu verstecken.

»Und was ist mit der Schleuse am Osthafen?« Der Hornbrille entging nichts.

Hektisches Tastaturgeklimper und Mausgeklicke kam von der Seite. Dann spulten sich Kamerabilder ab. Wáng wollte seinen Fauxpas gutmachen. »Wurde nichts aufgezeichnet«, erläuterte er nach einer schnellen Analyse. Gut, dass die neuralgischen Punkte der Stadt vom staatlichen Auge erfasst werden beziehungsweise unbürokratisch von privaten Firmenservern geladen werden können.

»Sieben Brücken«, fasste Kurz zusammen. »Und was sollen wir dort finden?«

Muss ich euch erklären, wie ihr eure Arbeit machen sollt?, wollte er ihm an den Kopf werfen, aber Nathan beherrschte sich. »Fragt euch durch. Vielleicht hat irgendjemand was gesehen. Ein Rollstuhl mit Eimer ist doch sehr auffällig. Fangt bei der Alten Brücke an.«

»Leitest du die Ermittlungen?«, grätschte Klein hinterlistig dazwischen.

Nathan musste sich erst noch die Zustimmung von Schmidt holen, ehe er die beiden Orgelpfeifen weitergehend einbinden konnte. Außerdem ärgerte ihn die Anspielung auf die übliche Hierarchie zwischen ihm und Jasmin, denn sie führte eigentlich ihr Team an.

»Ich bin Xanders verlängerter Arm«, hörte er sich sagen. Er hätte sich am liebsten gegen die Stirn geschlagen.

»Wohl eher Schoßhündchen«, lachte Klein, Kurz stimmte ein.

Nathan zog von dannen, zog sich zurück wie ein begossener Pudel.

Auf dem Weg zum Chef schickte er Jasmin ein Foto von dem Abzug vom Rollstuhlunbekannten auf der Alten Brücke. Dazu schrieb er: Roter Mainsandstein! Als Mainhatten-Urgestein wusste er, dass die Alte Brücke aus Rotem Mainsandstein gefertigt worden war – immerhin nutzte er sie öfter, um von der Kneipenmeile im sachsenhäuser Brückenviertel zur Straßenbahn zu torkeln, die ihn zum Willy-Brandt-Platz brachte, wo er mit der U-Bahn zur Adickesallee fuhr. Verknautscht stieg er immer aus, torkelte am Polizeipräsidium vorbei und suchte seine Wohnung im umliegenden Viertel. Er hatte sich den nahesten Wohnort für den Job ausgesucht, bezahlbar und einigermaßen in Schuss. Sein Fokus auf die Arbeit lenkte ihn von der lauten Nachbarschaft und der klopfenden Heizung ab. Dafür war er immer erreichbar und binnen weniger Minuten in der Dienststelle. Seinen zivilen Dienstwagen ließ er gleich in der Tiefgarage unterm Raumschiff stehen. Die Kosten für einen Parkplatz in gefragter Lage konnte er sich damit sparen.

Jasmin dürfte den Wink mit dem Baumaterial nicht verstehen, der sich auf den Obduktionsbericht bezog, wo eine Bauchwunde Roten Mainsandstein aufgenommen hatte, aber dafür wollte er sie ködern, sie an der kurzen Leine halten. Geheimniskrämerische Alleingänge, wie sie es manchmal pflegte und gerade wieder abhielt, den alten Bekannten aufsuchend, sollten gekontert werden.

Bevor er beim Chef antanzte, machte er einen Abstecher zu seinem Büro, das er sich mit Jasmin teilte, und dem PC, der Rücken an Rücken mit ihrem Arbeitsplatz korrespondierte. Die Datenbank, die er mit der Nummer aus dem rechtsmedizinischen Gutachten fütterte, spuckte ihm die erwartete Akte aus: Richard Wagner. Neben kleineren Delikten aus der Jugend fand Nathan einen Verweis vom Staatsschutz: bekannter Nationalsozialist; Kameradschaft Schwarze Rose Offenbach - unauffällig. Dazu standen ein paar Zeiträume, die Observationen belegten, die wiederum erfolglos beendet wurden. Viel entscheidender, weil hervorgehoben, war der Link zu einer anderen Person, dessen Stammblatt Nathan wegen einer erforderlichen Sicherheitsfreigabe nicht öffnen konnte: Rudolf Wolf. Nathan kombinierte, dass Name und Gesinnung nicht weit auseinander lagen. Er machte sich eine kleine Notiz in seinem handlichen Büchlein. Kurioserweise genau neben der Frage, wer der alte Bekannte sei, den Jasmin soeben aufsuchte. Eine Verbindung wollte sich auftun, doch Nathan verwarf den Gedanken, dass Rudolf Wolf der alte Bekannte sein könnte, vorerst.

Wenig später klopfte er an Schmidts Tür, nachdem er an dessen Sekretärin vorbeigehuscht war. Die gute Frau könnte seine Oma sein. Er redete sich ein, dass sein Schleichen immer noch so leichtfüßig von statten ging wie in Kindheitstagen, aber sie sah ihn aus den Augenwinkeln, sagte allerdings nichts, außer ihr Chef war wirklich beschäftigt. Spätestens das Klopfen hätte sie wahrnehmen müssen. Franz-Jürgen Schmidt, Kriminalrat, Leiter Mordkommission, stand auf einem Messingschild an der Tür.

»Herein!«, rief es von drinnen, freundlich, aber bestimmt.

Nathan trat ein, schloss die Tür und setzte sich auf den Besucherstuhl. »Ich will dich auf den neuesten Stand bringen«, begann er, nicht ohne einen Anflug von Nervosität. Er musste jetzt genau aufpassen, was und wie er es formulierte.

»Der Brückenspringer?«

Schmidt war mehrfacher, stolzer Opa. Fotos von seinen Kindern und Enkeln thronten auf dem Schreibtisch, der aufgeräumt und übersichtlich zum Arbeiten einlud. Der Kriminalrat hatte unzählige Jahre Erfahrung auf dem Buckel, ein ruhiges Gemüt und war nur noch einen Katzensprung von der Pensionierung entfernt. Trotzdem forderte er von seinen Leuten unentwegt Einsatz und Siegeswille, auch wenn die Aufklärungsquoten entmutigten.

Nathan nickte. »So wie es aussieht, könnte er nicht gesprungen sein, sondern wurde hinuntergeworfen.« Er wusste, dass sich Schmidt auf die Erzählungen seiner Mitarbeiter verließ. Gutachten anderer Dienststellen überließ er den zuständigen Ermittlern.

Schmidt brummte nachdenklich. Seine grauen Zellen ratterten unter den lichten Stellen der weißbeflaumten Platte. »Verstehe.« Er blickte zur Tür und wieder zu seinem Kommissar. »Wo ist Jasmin?«

»Das ist die Krux«, stammelte Nathan. »Der Tote ist ihr Ehemann.«

Die Polizisten stierten sich an. Jeder hing seinen Überlegungen nach. Der eine reflektierte; der andere spekulierte.

»Verflucht!«, stöhnte Schmidt nach einer Weile. Man sah ihm an, dass er die Nebenschauplätze im Auge hatte: Direktionsleitung, Pressestelle, Zeugenschutz. »Ich dachte, sie sei geschieden. Die Namensänderung.« Es hätte nichts an der Tatsache geändert, dass ein geliebter Mensch mutmaßlich ermordet wurde. Schmidt zeigte sich nur überrascht von den Geheimnissen, die eine seiner engsten Mitarbeiterin vor ihm verbarg. Die Plauderstündchen beim gemeinsamen Kaffee fassten wohl beide anders auf. Sie kam verkleidet; er öffnete sein Nähkästchen.

»Private Dinge legt sie nicht gern offen auf den Tisch«, versuchte Nathan zu begründen.

»Und wo ist sie momentan?«

»Zuhause«, log Nathan. Er hasste es, Schmidt anzulügen, der seine Schäfchen wie seine eigenen Kinder behandelte, sie vor Üblem abschirmte, ihnen den Rücken freihielt, sie einnordete, wenn es nötig wurde, ihnen Wind unter die Segel fächerte, wenn die Kompassnadel die Orientierung verlor, und nicht weniger als ein professionelles Miteinander vorlebte, auf allen Ebenen – fachlich, menschlich, ökonomisch, ökumenisch.

»Ist eine Streife vor Ort?« Schmidt machte sich sichtlich Sorgen um seine Kommissarin. Solange nichts weiter bekannt war, musste man damit rechnen, dass sie in irgendeiner Weise bedroht oder gefährdet war – und sei es auch nur die Verzweiflung, die einen mit Rotwein, Aspirin und dem Gemüsemesser in die leere Badewanne treibt, um sie zu fluten, ohne den Wasserhahn aufzudrehen.

Nathans große Augen verneinten. »Das hätte meine Befugnis überstiegen.«

Der Kommissionsleiter verstand und griff zum Telefon.

»Nein!«, hob Nathan die Hand. Sein Vorpreschen erntete irritierte Blicke.

Schmidts Finger ruhten über den Tasten. Das Freizeichen tönte aus dem Hörer. »Sie ist nicht zuhause?«

Nathan schüttelte zur Bestätigung den Kopf, auf Nachsicht hoffend.

Der Kriminalrat legte den Hörer wieder auf, faltete die Hände ineinander und durchbohrte seinen Schützling mit Blicken, die weitere Abweichungen von der Wahrheit drakonisch bestrafen würden.

»Alles, was wir wissen, ist«, öffnete Nathan die Schleusen, »dass Richard Wagner ertrunken ist und in den Fluss geworfen wurde. Vor dem Abwurf hat man seinen Rücken noch mit einem Hakenkreuz tätowiert, da war er anscheinend bereits tot.« Die Drogenrückstände kehrte er unter den Tisch. Jasmin war schon so in der Zwickmühle, da wollte er sie nicht noch über drei Ecken mit möglichen Enthüllungen konfrontieren. Das PCP würde er im vertraulichen Vieraugengespräch mit seiner Partnerin ansprechen. Ein kleiner Rest Zurückhaltung von Informationen schadete dem Verhältnis zum Chef nicht, kalkulierte er.

»Soll ich dich abziehen?«

Die Frage überraschte Nathan, obwohl sie vorhergesagt hatten, dass ihnen der Fall entzogen werden könnte. Doch er hechtete mit dem Schädel durch die Wand. »Ich übernehme die Leitung.«

Schmidt lehnte sich zurück, legte den Kopf schief und kreiste mit den Daumen. »Und Jasmin?«

»Ich kümmere mich um sie«, fuhr Nathan einen gefährlichen Slalom.

»Ich will sie umgehend sehen«, forderte der Goldfasan. Als er das Gesicht seines Gegenübers musterte, merkte er, dass ihn seine Schäfchen kannten. »Deshalb ist sie unterwegs«, betonte er unwirsch, »weil ihr wusstet, dass ich euch herbestellen und aus der Schusslinie nehmen würde.«

Der Kommissar bejahte.

»Ist sie erreichbar?« Schmidt blinzelte zum Telefon. »Ich müsste meine Nummer unterdrücken. Und selbst dann würde sie nicht abnehmen, weil sie wüsste, dass ich die Nummer unterdrücke.«

»Sorry«, mehr konnte Nathan dazu nicht sagen. Er fühlte sich schuldig, weil er sie deckte.

»Was wissen wir noch?«, kam Schmidt zurück zum Fall.

»Die Verbindung von Wagner und Jasmin ist nicht aktenkundig.« Er versicherte sich, ob Schmidt von einer möglichen Traverse zum Staatsschutz wusste. Doch der Kommissionsleiter machte keine Anstalten. Vielleicht konnte dieser auch ein gutes Pokerface innerhalb eines Lidschlages aufsetzen.

»Dann müssen wir uns darum schon mal nicht kümmern«, brummte Schmidt um einen Zentner erleichtert.

Nathan holte die Fotos aus der Sammelmappe. »Jasmin hat Kurz und Klein zur IT geschickt.« Er wartete eine Reaktion ab.

Schmidt schaute die Bilder und danach den Ermittler an. »Für einen Suizid, der keiner ist, und einen Polizistinnenehemann, der keiner sein darf, gibt es schon sehr viele Mitwisser und Beteiligte.«

»Wir mussten schnell handeln«, entschuldigte sich Nathan. »Außerdem wissen Kurz und Klein noch nichts.«

»Die zwei sind nicht dumm«, warnte Schmidt, »sie werden sich was zusammenreimen. Schlimmstenfalls das Falsche.«

Nathan nickte. »Deshalb will ich die beiden für diesen Fall unter meinen Fittichen.« Da könnte er sie am Schlafittchen packen, wenn es brenzlig werden würde.

Der Chef überlegte, wollte sich aber noch nicht dazu äußern. »Was sehe ich auf den Fotos?«, schwang er daher wieder um.

»Hier ein Unbekannter mit mutmaßlich Richard Wagner im Rollstuhl auf der Alten Brücke und hier allein auf der anderen Brückenseite. Ein Eimer als wiederkehrendes Erkennungsmerkmal. Würde mit Verletzungsmuster und Aufprallzeitraum übereinstimmen.«

»Bemerkenswert«, erkannte Schmidt die Sisyphusarbeit von Beamten und IT-Abteilung an, »Es ist ganz sicher keine Sackgasse?«

Nathan zuckte mit den Schultern. »Wáng und Smirnow müsste ich noch weiter einbinden.«

»Tu das«, genehmigte Schmidt. Er ahnte, dass Nathan bereits Anweisungen verteilt hatte. Dennoch machte er es offiziell. »Was machen Kurz und Klein?«

»Die sind schon auf Achse«, gab er kleinlaut zu.

Der Kriminalrat nickte, um zu verstehen zu geben, dass ihm das klar war, er es genehmigte, und um weitere Details zu erfahren.

»Sie kundschaften die infrage kommenden Brücken aus.«

»Hat die Rechtsmedizin noch mehr herausfinden können?«, verwies Schmidt auf die Textnachricht seines beichtenden Beamten, die lediglich knapp informierte.

»Flusswasser in Lunge und Magen deuten auf einen vorsätzlichen Sprung hin. Suizid durch Ertrinken – oder den Aufschlag. Andererseits wurde das gestochene Tattoo auf seinem Rücken posthum zugefügt, vor dem Wassereintritt. Möglicherweise hat man ihn erst ertränkt, dann tätowiert und schließlich in den Fluss geworfen. Jasmin ist gerade dran mit dem Tattoo eine Verbindung herzustellen«, rückte er sie ins rechte Licht. »Wir brauchen noch einen Gerichtsbeschluss für die Ortung des Handys von Richard Wagner.«

»Ich kümmere mich«, erwiderte Schmidt. »Auch für seine Social-Media-Accounts?«

Nathan war beeindruckt vom alten Haudegen, der die Moderne besser kannte als er selbst. »Die wird Smirnow hacken können.«

Schmidt mahnte zur Vorsicht. »Nimm lieber den gerichtsverwertbaren Weg, sonst kannst du die Sachen vergessen, die online sind.«

Der Kommissar nickte. Schmidt würde einen umfassenden Beschluss über die Staatsanwaltschaft anfordern. Die Staatsanwaltschaft! »Weißt du, wer die Obduktion angeordnet hat?«

»Oberstaatsanwalt Pistorius«, sagte Schmidt unaufgeregt, bis er Nathans kritischen Blick bemerkte. »Warum?«

»Es geschah vor unserer Ankunft am Fundort. Die Bestatter waren schon da, als wir kamen.«

Schmidt ging in sich. »Ungewöhnlich für einen Suizid, auch wenn wir mittlerweile vermuten, dass es keiner ist. Vielleicht haben die Beamten vor Ort Wagner oder ein unnatürliches Verletzungsmuster erkannt?«

Nathan zweifelte. »Aber warum sollte Pistorius dann so ein Fass aufmachen wollen? Uns übergehen?« Es wäre nicht das erste Mal gewesen.

»Oder er wollte euch vorführen«, warf Schmidt ein. Seine Mimik dechiffrierte, dass er den einen oder anderen Zwist zwischen Jurist und Polizist mitbekommen hatte.

Nathan schnaufte aus. Das würde den Anruf der Leitstelle bei ihm erklären. Jasmins Nummer wurde sonst immer gewählt. Sie war die Teamleaderin. Er lenkte sich mit den weiteren Erkenntnissen ab.

»Außerdem haben wir zwei Personen, die Wagner aus dem Fluss gezogen haben. Eine Person konnten wir vernehmen. Die zweite suchen wir noch.«

»Was erhoffst du dir davon?«

Nathan schürzte die Lippen. Eine derart kritische Nachfrage hätte er nicht erwartet. Vor allem, weil das Gehörte nicht zur freundlich-neutralen Mimik passte. Mehr als Schulterzucken war nicht möglich.

»Genügt mir dann auch für den Anfang. Ich will dich nicht von der Ermittlung abhalten. Wenn du weitere Befugnisse brauchst, ruf mich an«, zwinkerte Schmidt. Auch so ein abgestumpfter Polizist, den die Nähe zu Gewalt, Abgrund und Tod die empathischen Synapsen verlötet hatte.

Nathan war drauf und dran das Angebot der Befugniserweiterung anzunehmen. Die fehlende Sicherheitsfreigabe für die Akte Rudolf Wolf käme ihm gelegen. Andererseits würde das Wellen schlagen und wahrscheinlich den Staatsschutz auf den Plan rufen. Erst wenn sich alle anderen Spuren verlaufen hätten, würde er darauf zurückkommen.

»Und schütze Jasmin, vor sich selbst und vor anderen«, schob Schmidt besorgt nach. »Ich überlasse es ihr, wann sie zu mir kommen will. Aber ich muss hoffentlich nicht sagen, dass sie sich nicht allzu viel Zeit damit lassen sollte.«

Auf dem Weg zum Büro schneite Nathan nochmal im Technikraum vorbei, ließ sich von keinen neuen Erkenntnissen berichten, bekräftigte den Auftrag, der nun auch von oben abgesegnet war, und zapfte sich ein Wasser am Spender auf dem Flur. Wáng hatte er noch eingebläut, dass der nach dem bunt gekleideten Jungspund Ausschau halten solle, der vielleicht auf irgendeiner Kamera im Umkreis auftauchte.

Auf seinem Schreibtischstuhl schaute er auf sein Mobiltelefon. Er hatte sich nicht getäuscht, Jasmin ließ auf sich warten. Also rief er zuerst Kurz an. Die umsichtige Brillenschlange wurde meistens vom Giftzwerg Klein chauffiert, sehr zum Leidwesen des übrigen Verkehrs. Der selbsternannte Sheriff bremste auch schon mal einen Schulbusfahrer aus, der die Warnblinkanlage an der vorangegangenen Haltestelle vergessen hatte. Dass damit auch der nachfolgende Verkehrsfluss zum Erliegen kam, nahm Klein gern in Kauf, wenn er sich aufspielen konnte. Manchmal flatterte dann eine Beschwerde ins Präsidium, wegen unangemessenen Aussagen eines gewissen Kriminalkommissars in der Öffentlichkeit oder wegen Kompetenzgerangel, weil die Kriminaldirektion plötzlich Verkehrspolizei spielte.

Nathan zählte die Anklopftöne. Kurz nahm absichtlich nicht ab, war er sich sicher. Erst kurz bevor Nathan wieder auflegen wollte, meldete sich der Kollege. Nathan hörte das Radio im Hintergrund, und einen zeternden Klein. Sie befanden sich offensichtlich mitten im täglichen Verkehrskollaps.

»Ja?« Kurz verschwendete selten Silben für das andere Team der Mordkommission.

»Schmidt weiß Bescheid«, legitimierte Nathan den Einsatz der Orgelpfeifen, »Meldet euch bei mir, sobald ihr was herausfindet.«

»Ok.«

»Wir gehen von einem Mord aus«, ergänzte Nathan, obwohl er es eigentlich nicht hätte extra erwähnen müssen, aber er glaubte, es seinen Kollegen schuldig zu sein, wenn er geeignete Ermittlungsergebnisse erwarten wollte.

»Ok.«

Gespräch beendet.

Als die abgelaufene Gesprächszeit vom Display verschwunden war, poppte eine Nachricht von Jasmin auf. Sie informierte ihn, dass er, wenn er etwas von ihrem Mobiltelefonspeicher und aus dem Posteingang löschte, auch die weitergeleiteten Nachrichten löschen sollte, wo sie den digitalen Autopsiebericht nach einer längeren Suche fand. Ein böser Smiley rundete die Tirade ab. Wenigstens das, wenn sie sich schon nicht anderweitig meldete, dachte er.

Nathan gesellte sich zu den Computerspezialisten und weihte sie umfassend in den Fall ein, bis auf die Ehe der Kollegin Xander und das Drogenproblem des Gatten. Das eigens geschwärzte Gutachten der Rechtsmedizin sendete er beiden. Geschwärzt waren ein paar irrelevante Details, die nur die Ermittler wissen sollten, und die Identifikationsnummer, mit der man Richard Wagners Akte aufrufen konnte.

Nach wortloser Analyse des Gutachtens hob Wáng den Finger, auf die letzte Zeile in der Tabelle der Laborwerte zeigend: »Es wurden Spuren von Phencyclidin gefunden.«

Nathan wollte sich am liebsten gegen die Stirn schlagen. Auf der letzten Seite, dem toxikologischen Befund, hatte er geschlammt. Mit dem kleinen Bildschirm des Telefons und den sensiblen Berührungssensoren zu arbeiten, machte das Schwärzen eines unübersichtlichen Berichtes deutlich schwerer.

»Engelsstaub«, übersetzte der Deutschrusse Smirnow akzentuiert.

Nathan und Wáng schauten die Model-Visage verdutzt an.

»Wilde Jugend«, rechtfertigte Smirnow.

»Möglicherweise das Bahnhofsviertel«, schlug Wáng vor, »Der Umschlagplatz für Drogen.«

Und Prostituierte.

Das musste man ihm nicht sagen, aber Nathan tat so, als würde er den Einwurf dankbar zur Kenntnis nehmen. Hatte Wagner doch kein Drogenproblem, sondern kam nur mit kontaminierten Personen oder Nadeln im Bahnhofsviertel in Kontakt? Die Gegend passte jedenfalls zu dem einen Stichpunkt, den Nathan noch nicht durchgestrichen hatte: Rotlicht.

»Komisch«, ergänzte Wáng und erhaschte Nathans volle Aufmerksamkeit.

»Was denn?«

»Die PCP-Werte sind in der Lunge höher als im Blut.«

Nathan dachte an das Wasser, das die Lungenflügel gefüllt hatte. »Ist der Main verseucht?«

Wáng und Smirnow schauten sich an. Keiner war dieser Meinung.

»Ich denke, es wurde vielmehr über die Atemwege aufgenommen«, korrigierte Wáng die Richtung. Die Blicke des Kommissars nötigten ihn zu weiteren Ausführungen. »Zwei Semester Medizin«, erklärte er sich, bevor er einen Moment im Internet recherchierte und sich bestätigt sah. »Es war aber keine Überdosis. Die Höhe dürfte für eine gute Betäubung gereicht haben.«

Nathan öffnete den Obduktionsbericht auf seinem Mobiltelefon. Beim toxikologischen Befund standen ähnliche Worte, nur etwas medizinischer. Kein Wunder, dass er das überlesen hatte. Er vervollständigte die Angaben in seinem Notizbuch, das Telefon dazwischen jonglierend. In derselben Sekunde vibrierte der Kompagnon – eine Nachricht. Schmidt hatte den Gerichtsbeschluss besorgt. Das Fax lag im Büro. Ein Foto davon befand sich nun auf Nathans Speicherkarte. Jetzt musste er nur noch an Wagners Rufnummer kommen.

»Versucht mit den öffentlichen Kameras den Weg des Unbekannten von der Alten Brücke nachzuverfolgen. Entweder wo er her kam oder wo er hin ging, am besten beides. Und vergesst den Sportler vom Westhafen nicht.«

Auf dem Flur wählte er Jasmins Nummer.

»Ich wollte dich gerade anrufen«, begrüßte sie ihn.

Ihr war nichts passiert. Nathan musste seine aufkeimende Fürsorge bremsen, damit sich kein Gefühlsschleier auf seinen kognitiven Hirnstamm legte. Sie brachten sich gegenseitig auf den neuesten Stand. Zuerst lauschte Nathan ihren Ausführungen, die besagten, dass die Tätowierung höhere Fähigkeiten verlangte, und dass diese abstrakte, kantige Art im Rhein-Main-Gebiet nur von wenigen Alteingesessenen praktiziert wurde. Gastkünstler könnten sich natürlich auch in den Reigen einreihen. Nathan verkniff sich den Kommentar, dass ihr alter Bekannter ein ausgezeichneter Ermittler wäre. Immerhin hatte dieser die Namen der Tätowierer aufgezählt, die nach dessen Meinung zu dem Motiv passten. Über die Aktion mit der gelöschten Datei schwiegen beide. Hätte Jasmin nachgelesen, sähe sich Nathan mit dem PCP-Fund konfrontiert, den er vorher ausgelassen hatte.

Erst im Büro mit geschlossener Tür informierte er sie über den Datenbankeintrag zu ihrem Ehemann, die laufende Auswertung der Stadtkameras durch Wáng und Smirnow und die anstehende Ortung des Mobiltelefons, wofür er die Nummer benötigte. Er notierte die Zahlen, die sie ihm durchgab. Außerdem unterrichtete er sie, dass Kurz und Klein den Flusslauf unter die Lupe nahmen.

»Gut, dass Schmidt dir die Leitung übertragen hat«, sagte sie ehrlich. »Was hast du gemeint mit Roter Mainsandstein?«, fragte sie danach.

»Die Alte Brücke ist aus Rotem Mainsandstein.«

»Das erklärt deine kryptische Nachricht, und die Spuren in seiner Bauchwunde. Dann wurde er vermutlich von der Alten Brücke gestoßen.«

»Wen hast du aufgesucht?« Nathan konnte es sich nicht verkneifen, nachzuhaken.

»Einen alten Bekannten«, bekam er erneut zur Antwort nach einer verkünstelten Pause, die sie sich herausgenommen hatte.

»Rudi?«, versuchte er einen Köder zu werfen. Sicherlich verwendeten seine Bekanntschaften die Kurzform für Rudolf.

Wieder schwieg Jasmin einen Augenblick. »Nein«, sagte sie zögerlich. »Woher kennst du Rudi?«

»Ich kenne ihn nicht, aber scheinbar der Staatsschutz.« Offene Karten. Er hörte Jasmin atmen.

»Rudi ist Richards Stellvertreter in der Kameradschaft«, gestand sie.

Da Richard die unbedeutende Saufkompanie angeführt hatte, ergab sich plötzlich ein Motiv. Aber einen Mord für den Vorsitz einer nationalistischen Schrebergartentruppe? Und warum benötigte man eine Sicherheitsfreigabe für die Akte eines Stellvertreters? Nathan kritzelte in seinem Büchlein herum. Ein paar große Pfeile stellten Verweise infrage. Schmidt musste ihm wohl doch noch weitere Befugnisse verschaffen.

»Aber ich war nicht bei Rudi. Ich war bei einem alten Bekannten, der den Kontakt zur Polizei vermeiden will.«

Nathan beließ es dabei. Er musste ihr dabei in die Augen sehen, wenn er sie subtil verhörte. »Schmidt will dich dringend sehen, wie du dir vorstellen kannst.«

»Ich weiß«, entgegnete sie trocken. »Eine Streife hat meinen Sohn von der Schule abgeholt.«

Verdammt! Schmidt hatte doch weitere Hebel in Bewegung gesetzt.

»Ist er zuhause?«

»Er hockt auf dem Revier. Ich wurde angerufen, dass ich ihn abholen soll. Ist Schmidt noch im Büro?«

Nathan drückte die Schnellwahltaste auf dem Festnetztelefon. Es klingelte einmal, dann erfolgte eine Rufumleitung zu Schmidts mobiler Nummer, wonach Nathan den Anruf quittierte. »Nein.«

»Mist! Dann wartet er auf dem Revier auf mich und will mich in Empfang nehmen, wenn ich Jonas abholen komme.«

»Ist doch nicht so schlimm. Wir haben einige Anhaltspunkte, die wir abarbeiten können. Apropos, kannst du deiner Bekannten, Staatsanwältin Meier, einschärfen, dass die Staatsanwaltschaft erstmal die Füße stillhalten soll? Sonst weiß bald jeder von deinem Verlust.«

»Wir haben schon telefoniert«, gestand Jasmin beiläufig.

Er ärgerte sich, dass sie ihn länger als nötig im Ungewissen ließ. Ständig musste er ihr neuerdings die Fakten aus der Nase ziehen. Sie und Schmidt tricksten ihn zu oft aus, stellte er resigniert fest. Aber auch Nathan hielt einige Dinge zurück. So zum Beispiel die mögliche Verbindung ins Rotlichtmilieu des Bahnhofsviertels oder Engelsstaub. Ein ausgeglichener Schlagabtausch.

»Solange kannst du die trauernde Witwe sein.« Er biss sich auf die Lippen und bereitete sich auf einen Angriff vor. Als sie nicht antwortete, schob er nach: »Dein Sohn wird jetzt die Zeit mit dir brauchen.« Er hörte, wie ihre Gedanken unterbewusste Ticks auslösten – Schmatzen, Kratzen, Schlucken, durch die Haare streifen.

»Schick mir noch die Liste mit den Namen der Tätowierer«, ergänzte er zurückhaltend.

»Du hast meine Nummer«, befahl sie unterschwellig, dass er sie über jeden Schritt und jede Erkenntnis auf dem Laufenden halten sollte.

Klick.

Kurz darauf erhielt er die Namen als Fotodatei. Er schrieb die Liste umgehend in sein Notizbuch. Sieben Namen. Nach knapper Internetrecherche hatte er die sieben Studios dazu.

Nathan war überzeugt, dass sich Jasmin dem Kriminalrat stellen würde. Dieser meinte es auch nur gut mit ihr. Besser Schmidt begradigte die Wogen als die Dienststellenleitung, oder die Presse.

Weil Nathan keine Lust auf ein monotones Gespräch mit Kurz hatte, schickte er ihm eine Nachricht: Alte Brücke priorisiert. Danach suchte er im Internet nach der Nummer des Stadtarchivs. Um sicherzugehen, wollte er sein rudimentäres Architekturwissen auffrischen und nachfragen, ob es noch andere Bauten mit Rotem Mainsandstein im fragwürdigen Bereich gab – der rötliche Schimmer vom Römer, etwa 200 Meter vom Main entfernt, und den Gebäuden in dessen Nähe kam ihm direkt in den Sinn. Er schaute auf die Uhr. Die erste Feierabendwelle würde gleich durch die Stadt rollen. Eine Frau mit dünner Stimme hob ab. Er trug sein Anliegen samt seiner Dienstnummer vor und wurde verbunden, wo er sein Anliegen samt seiner Dienstnummer erneut vortragen durfte. Nach einer Warteschleife, die ihm einen schlicht komponierten Jingle ins Ohr schellte, erhielt er die Auskunft, dass es eine Reihe von Bauten gab, die mehr oder weniger mit Rotem Mainsandstein im Verhältnis standen, vor allem in der Altstadt am Eisernen Steg – 200 Meter vom Römer entfernt -, der Fußgängernachbarbrücke zur Alten Brücke. Der Mann am anderen Ende der Leitung sprudelte vor Enthusiasmus und verzettelte sich in Schwärmereien für die Symbiose aus alter und neuer Baukunst im historischen Frankfurt. Praktischerweise wurde die Altstadt im Osten begrenzt durch die Alte Brücke. Der Kreis schien sich zu schließen. Irgendwo da wurde Richard Wagner bäuchlings über Roten Mainsandstein geschleift. Da ein oberkörperfreier Bußgang eines leblosen Körpers in der von Touristen und Globetrotter überlaufenen Altstadt aufgefallen wäre, sah Nathan den Verdacht bestätigt, dass sich die Brüstung der Alten Brücke in Wagners Wanst verewigt hatte. Die verdächtigen Kamerabilder schlugen in dieselbe Kerbe. Er bedankte sich für die ausführliche Auskunft. Dann schnappte er sich das Fax mit der richterlichen Anordnung für die Ortung eines Mobiltelefons und das Ausspionieren der Internetspuren. Die Tragweite des Dokuments bewies das Gewicht des Falles. Er war mittlerweile überzeugt, dass er im Verlauf der Ermittlungen auf den Staatsschutz treffen würde.

Wáng hatte sich schon verabschiedet, als Nathan nochmal nach der Auswertung schaute. Nur Smirnow saß noch vorm Rechner. In den geteilten Bildschirmfenstern sah Nathan ein paar Kameraeinstellungen öffentlicher Glasaugen und eine Stadtkarte mit gesetzten Markierungen. Daneben lief eine Folge einer Serie – russische Agenteneheleute, die sich im Kalten Krieg als amerikanische Staatsbürger ausgeben und für ihr Mutterland spionieren, wobei sie die eigenen Kinder und die Nachbarn hinters Licht führen.

Nathan schrieb Wagners Namen und dessen Telefonnummer auf einen Schmierzettel und legte diesen vor das hübsche Gesicht des Spezialisten. »Für die Ortung und den digitalen Fußabdruck.«

Smirnow schaute zum Kommissar. »Beschluss?«

Nathan hatte mit der Absicherung gerechnet und zeigte ihm den Gerichtsbeschluss. Zufrieden nickte dieser ab, wollte das Papier nicht einmal anfassen und widmete sich zuerst der Ortung. Nach dem Start eines Programmes, in das er die Nummer eintippte, erschienen mehrere kodierte Ortsangaben.

»Funkmasten«, bemühte er sich für den Kommissar zu transkribieren. Ein paar weitere Befehle und auf der Karte tauchten Standorte auf, in die sich das Mobiltelefon gestern eingewählt hatte. Smirnow zoomte heraus. Man konnte den Weg vom Haus der Wagners in der spießbürgerlichen Vorstadt, über die Autobahn bis zum Büroturm in der Frankfurter Innenstadt nachverfolgen. Wagner hielt sich den ganzen Tag in dem Tower auf. Smirnow filterte die Einwahlpunkte soweit heraus, dass nur noch ein halbes Dutzend Funkmasten übrig blieben – die, die die Investmentbank abdeckten.

»Und was ist dann passiert?«

»Verschwunden«, artikulierte Smirnow, was wie eine Drohung klang, aber eigentlich nett gemeint war.

»Wann?«, stocherte Nathan.

Smirnow verglich die Daten, die er dem Funkkreis entnehmen konnte. »Fünf Uhr 45. Letzte Nachricht an diese Nummer«, zeigte er auf den Wust von Zahlen, Symbolen und Buchstaben, den Nathan nicht verstand.

Der Kommissar verglich die Nummer. Es war Jasmins Nummer.

Smirnow holte noch mehr aus den vorübergehenden Daten des Mobilfunkbetreibers. »Bin unterwegs«, zitierte er die Nachricht.

»Kannst du mir diesen Ausschnitt ausdrucken?« Nathan deutete auf den Zeilenwust, der Orte, Nummer und Uhrzeiten beinhaltete. Schon sprang der Drucker an. Die technischen Möglichkeiten, mit der man die Menschen durchleuchten konnte, machten ihm keine Angst. Hätte er Frau und Kind gehabt, hätte er wahrscheinlich anders gedacht, aus Sorge um deren Persönlichkeitsrechte. Als Polizist händigte man seine Persönlichkeitsrechte spätestens bei der Vereidigung dem Staate aus – Faustpfand oder so ähnlich. Dafür wurde man aber auch geschützt, wenn hartnäckige Journalisten beharrlich bohrten oder oppositionelle Parteien Auskunft verlangten. Gegen Hacker wie Smirnow wäre das Behördensystem aufgeschmissen, aber Kreditkartendaten oder online verschlüsselte Intimfotos weiblicher Sternchen boten den stärkeren Anreiz.

»Und jetzt der Fußabdruck«, drängte Nathan.

Ehe der Kommissar eingreifen konnte, hatte sich Smirnow das Foto von Wagner aus der Datenbank geholt, inklusive Geburtsdatum, Adresse und Arbeitsplatz. Nathan versuchte die ebenmäßigen Gesichtszüge zu ergründen, doch der Russe schien weder Wagner noch dessen Adresse mit Jasmin in Verbindung bringen zu können. Lange könnte Nathan seine Kollegin nicht mehr aus allem heraushalten.

Nach ein paar schnellen Eingaben in diverse Suchfenster, einem biometrischen Abgleich des Fotos und einem Scan, kombiniert von Geburtsdatum und Wohnort, schüttelte Smirnow den Kopf. »Keine Treffer.«

»Was soll das heißen?«

»Keine Accounts.«

Nicht unter seinem Namen, dachte Nathan. Wagner könnte ein Pseudonym verwendet haben. »Mach nicht mehr so lang«, verabschiedete sich Nathan vom Russen.

Wie er über den Gang schleifte, begegneten ihm Kurz und Klein.

»Schon fertig?«, fragte Nathan frech nach.

Klein tippte gereizt auf seine Armbanduhr, »Feierabend!«, und passierte den Ermittlungsleiter im Stechschritt.

Kurz, dagegen, verweilte einen Moment. »Das 8. Revier hat gestern Abend einen Straßenkünstler auf der Alten Brücke wahrgenommen, der seine Kunst auf dem Rücken eines anderen Verrückten ausgelebt hat. Es blieb den Beamten in Erinnerung, weil sie selbst ein Faible für Tattoos haben und der Künstler ihnen zuwinkte. Unternommen wurde allerdings nichts.«

Nathan pendelte mit seinem Kopf vertikal. »Können die Kollegen den Straßenkünstler beschreiben?«

»Schwarzer Kapuzenpullover mit der Kapuze im Gesicht. Im Vergleich zu den asiatischen Touris ein Hüne. Da wir kein Englisch sprechen, haben wir aber die heutigen Touris gemieden.« Kurz rückte seine Brille zurecht. Der angesprochene Sachverhalt schien ihm unangenehm zu sein. »Ansonsten noch das bekannte Schweigen oder Wegschauen der braven Bürger. Das war´s.«

»Und die anderen Brücken?«

»Die anderen Brücken?«, echote Kurz angespitzt. »Der ausgiebige Spaziergang hat den ganzen Nachmittag verpuffen lassen. Wenn du alles ablaufen willst, musst du dir eine Hundertschaft holen.«

Nathan schluckte die spitze Bemerkung hinunter. »Wáng und Smirnow machen morgen mit den Kameras weiter«, fasste er zusammen, »Die letzte Handyortung ergab keine weiteren Hinweise.«

Die Toilettenspülung lärmte über den Gang. Klein hatte sich erleichtert und die Tür nicht richtig in die Zarge fallen lassen.

»Wir suchen einen Riesen, der tätowiert«, meldete sich Klein vorlaut zu Wort. »Morgen lasse ich mir einen ausgestreckten Mittelfinger auf den Oberarm tätowieren«, pochte er auf benanntes Körperteil und zersenste Nathan mit Blicken. Schnurstracks brachte er Meter zwischen sich und dem leitenden Kommissar. Kurz folgte seinem Kollegen, ohne Verabschiedung.

Allein zurückgelassen schnalzte Nathan mit der Zunge. Die Anfeindungen schienen zuzunehmen. Den beiden passte es gar nicht, dass sie seinem Kommando unterstellt waren. Er holte sein Telefon aus Tasche, zusammen mit dem Zettel, auf dem Wagners Nummer stand, und wählte.

Teilnehmer nicht erreichbar.

Entweder abgeschaltet oder zerstört. Eventuell liegt es auf dem Grund des Mains. Er überlegte. Derbe Musik drang aus dem Kabelbunker, dazu das Rascheln einer Chipstüte. Smirnow machte wohl Überstunden. Während das Schlagzeug unerbittlich wütete und den Schreihals unterstützte, der wie ein Schwein quiekte, das gerade abgestochen wird, dachte Nathan daran, die Bereitschaftspolizei zu alarmieren. Die Beamten könnten das Brückenumfeld absuchen. Wagners Oberbekleidung und seine Schuhe fehlten. Die Stadtreinigung war allerdings auf Zack. Sofern öffentliche Entsorgungsbehälter betroffen waren, wären diese schon längst geleert worden. Er könnte in der Mülldeponie anrufen, nachdem er sich durch Wagners Arbeitskollegen oder Jasmin gefragt hätte, was dieser gestern trug. Oder irgendein Obdachloser würde in dessen Klamotten auf dem Radar erscheinen, was sie nur weiter in die Irre führen würde. Ein endloser Rattenschwanz. Nathan verwarf den Ansatz. Zum Schluss könnte die Taucherstaffel den Fluss absuchen. Er wischte sich ohnmächtig über die Schläfe. Sie würden nasse Kleidung und, im besten Falle, ein defektes Mobiltelefon finden. Und was würde man daraus schließen können? Könnten Techniker noch etwas auslesen? Würde der Einsatzaufwand amortisiert werden? Eher nicht! Am nächsten Tag würde die reißerische Boulevardpresse wieder eine Steuergeldverschwendung der Behörden anprangern, auf der Titelseite – alle Jahre wieder. Eine großangelegte Suche würde sowieso erst über Schmidts Tisch laufen. In Anbetracht der bisherigen, mageren Ausbeute würde der Kriminalrat einmal mit der Augenbraue zucken und das Ansinnen dem Papierschredder zuführen.

Auf dem Weg zum Aufzug traf er noch Kommissarin Sofia Sowa vom Kriminaldauerdienst (KDD), die sich für die Nacht eingedeckt hatte - Convenience Food vom Feinsten: ein großer, gemischter Salat, ein Reisfertiggericht und geschnittene Ananas. Ihre gewölbte Jackentasche ließ auf eine zuckerhaltige Zwischenmahlzeit schließen, denn Sowa war eine kleine Naschkatze. Genauso zierlich und lautlos bewegte sie sich über den Flur.

Die Kollegen von der Bereitschaft verbrachten die Nächte im Präsidium, dazu noch die Wochenenden, sowie Feiertage und Tage mit erhöhtem Personalbedarf oder dünner Personaldecke. Sie hatten Einsicht in alle laufenden Ermittlungen und fuhren raus, wenn die anderen Kripodirektionen nicht erreichbar waren. Sozial ungebundene Notnägel.

Sowa übernahm die Bereitschaft in der Mordkommission, wie es aussah. Der Kriminaldauerdienst rotierte selten, um den Kollegen die Einarbeitung und die Zusammenarbeit zu erleichtern. Mord blieb bei Mord, organisiertes Verbrechen ebenda. Sowa war Nathan schon öfter über den Weg gelaufen. Trotz des Aromas von Tabak und Parfüm, das sie hinter sich herzog, hatte sie ein einladendes Gesicht. Aber auch eine ausladende Hüfte.

Nathan berichtete von den Geschehnissen. Sowa hörte emotionslos zu. Sie hatte Schwierigkeiten, ihre gekaufte Kost zu balancieren und sehnte die Einsamkeit herbei.

Hautmalerei

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