Читать книгу Hautmalerei - David Goliath - Страница 9

Hafen & Kante

Оглавление

Mit dem Zivilfahrzeug samt Sondersignal, aufgesetztem Blaulicht, blitzenden LEDs in den heruntergeklappten Sonnenblenden und aus dem Gitter vorm Fahrzeugkühler heizten sie durch die Stadt. Für die fünf Kilometer benötigten sie gerade einmal zehn Minuten. Nathan beherrschte das Vehikel. Vorausschauend rechnete er stets mit der Überforderung der anderen Vehikel, inklusive unkalkulierbarer Kurzschlussreaktionen. Rote Ampeln, Abbiegespuren, Straßenbahnschienen und Fußgängerüberwege kreuzte er behutsam. Seine Pupillen flogen hin und her, und sein rechter Fuß schwebte bremsbereit über dem Pedal. Noch drängte sich der Berufsverkehr durch die überlasteten Straßenkapillaren der Großstadt, doch Nathan kurvte um die Hindernisse wie ein Rennfahrer. Jasmin hielt sich am Türgriff fest. Sie vertraute ihrem Partner, zweifelte seine Fahrkünste keineswegs an, aber ihrem kaffeegetränkten, ansonsten nüchternen Magen gefiel die urbane Rallye nicht.

Als sie den möglichen Tatort am Westhafen erreichten, mussten sie sich vorsichtig ihren Weg durch Schaulustige, Journalisten, Absperrungen und uniformierte Polizisten bahnen. Jasmin pflegte dabei die Angewohnheit, sich die Gesichter der Anwesenden einzuprägen, zumindest die derer, die in sozio-ökonomische Täterprofile passten. Der erzgebirgische Fotograf mit dem 70er-Jahre-Schnauzbart, wie man ihn aus Erwachsenenfilmen kennt. Der unrasierte Eisverkäufer aus dem Schwarzwald, der einen Zwischenstopp einlegt, obwohl die abschmierende Kühlung des vollgepackten Wagens die wertvolle Fracht gefährdet. Der berliner Ballonverkäufer mit dem Clownsgesicht. Der westfälische Trinkhallenstammkunde im Schlabberlook, der zu lang auf die gesicherte Dienstwaffe des Streifenpolizisten an der Absperrung schielt, weil er sein tägliches Pensum schon erreicht hat. Der friesische Student mit dem Fahrrad, der mit einem Werbegeschenkrucksack Ornithologie betreibt. Der frankfurter Möchtegerngangster, dem erst kürzlich die Ohrhärchen ausgebrannt wurden und der mit seinem goldenen Smartphone sich und das Ereignis im besten Licht ablichten will. Der fränkische Vollbärtige, dessen Name immer falsch ausgesprochen wird und der ständig unter Generalverdacht steht. Die meisten Täter sind Männer im zeugungsfähigen Alter mit deutscher Staatsbürgerschaft, wenn man von Taschendiebstahl absieht. Das ist nicht rassistisch, sondern statistisch.

Die schmale, künstliche Halbinsel war zum Glück schlecht einsehbar, abgeschieden und nur von zwei Seiten zugänglich – eine befahrbare Brücke vorn und ein begehbarer Steg am Ende. Das 4. Revier, einen Katzensprung vom Ort des vermeintlichen Verbrechens entfernt, hatte die Brücke mit zwei Beamten und einem blau blitzenden Streifenwagen probat gesperrt, mit Flatterband von beiden Spiegeln zu einem Laternenmast auf der einen Seite und zu einem Baum auf der anderen Seite. Der kleine Steg, 400 Meter gen Westen, konnte mit einem Beamten gesichert werden. Mittendrin, auf der Strecke zwischen Brücke und Steg, standen weitere Streifenwagen, ein längliches Fahrzeug eines Bestattungsunternehmens, ein Rettungswagen und ein Notarztwagen. Die zwölf Luxusapartmenthäuser, die man in Fluchtrichtung nebeneinander auf die Halbinsel gebaut hatte, müssten allesamt abgeklappert werden, zur Zeugenbefragung, sollte sich ein Verbrechen herauskristallisieren. Die Breite des Flusses an dieser Stelle genügte, damit die gegenüberliegende Uferseite nicht zu einer Aussichtsplattform verkam. Ein paar Voyeure dürften das Schauspiel mit Feldstechern oder guten Objektiven behelligen, aber mehr als einen provisorischen Sichtschutz aus schwarzer Zeltplane, den die Kollegen bereits um das Opfer gebaut hatten, bot sich nicht. Auch die Anwohner der drei Apartments direkt an der Fundstelle dürften sich über das Spektakel freuen, oder ärgern, weil sie die vorübergehende Ausgangssperre in die eigenen vier Wände kerkerte. Ein privater Sicherheitsdienst patrouillierte griesgrämig um Einsatzfahrzeuge und Absperrung herum.

»Der Mann wurde vor etwa 50 Minuten gefunden«, begrüßte sie ein Beamter des 4. Reviers, hochgerüstet mit Schussweste, Einsatzgürtel und weißem Plastikschallschlauch im Ohr, der die Gespräche vom Funkgerät heimlich in den Gehörgang übertrug.

Nathan staunte über den Fortschritt bei der Ausrüstung. Als er noch junger Kadett gewesen war, schickte man sie mit Freundschaftsaufklebern und gebügelten Anzughosen los. Schirmmütze und Lederjacke sorgten für ein schickes, repräsentatives Auftreten. Die Schutzwesten reichten nicht für alle Kollegen und die meisten verzichteten, angesichts von Wärmestau und fehlender Bewegungsfreiheit. Heutzutage setzte man die Schirmmütze nur noch bei offiziellen Anlässen auf. Die gebügelten Hosen waren praktischen Cargohosen mit Seitentaschen gewichen. Und Freundschaftsaufkleber ersetzte man durch Pfefferspray, Schlagstock sowie Kabelbinder. Einsatzhandschuhe, Messer, Achter und Taschenlampe vervollständigten den gefüllten Einsatzgürtel, der den Kollegen um mindestens fünf Kilogramm schwerer machte, inklusive der P30, einer 9mm-Selbstladepistole, samt Reservemagazin.

Nathan holte trotzdem seinen Dienstausweis hervor, auch stellvertretend für Jasmin, obwohl ihr blinkendes Zivilfahrzeug eigentlich zur Identifizierung reichte. Der Streifenpolizist nickte nur.

Bestatter, Rettungssanitäter und Notarzt warteten mit gebührendem Abstand bei ihren Fahrzeugen. Davor befand sich eine zweite Absperrung, der innere Ring sozusagen.

»Haben wir telefoniert?«, fragte Nathan den martialisch wirkenden Schutzmann.

»Die Leitstelle hat uns verbunden, ja«, bestätigte dieser, der sogleich zu einem Zivilisten zeigte, etwa eine Wurfweite entfernt, mit Dackel an der Leine und Polizeieskorte. »Dieser Gassigänger hat ihn gefunden.«

Jasmin schnappte die Information auf. Sofort begab sie sich zu dem Rentner, der trotz der Entdeckung einen gefassten Eindruck machte. Lediglich das Hündchen schien genervt von den vielen bunten Menschen und den blauen LEDs.

Der auskunftsfreudige Polizist begleitete Nathan zum Fundort. Sie zwängten sich durch einen engen, verwinkelten Durchgang, den der aufgestellte Sichtschutz offen ließ, ohne Einblick zu gewähren. Das Gelände war abschüssig. Die Ständer, an denen die Plane hing, waren in den Boden getrieben und verzurrt worden. Nathan musste aufpassen, dass er nicht wegrutschte.

»Gute Arbeit!«, lobte er den Beamten für das offene Zelt.

In dem neun Quadratmeter großen Bereich lag besagter Mann, oben ohne, mit durchnässter Hose und fehlenden Schuhen, auf dem Rücken, die Arme zur Seite gestreckt wie ein erschöpfter Schwimmer.

»Wurde er so angespült?«, hakte Nathan ungläubig nach.

»Nein, der Gassigänger hat ihn an der Böschung hochgezogen, weil er dachte, der Mann sei am Ertrinken.«

Der Kripo zog den Vergleich zwischen Gewicht des Toten und Konstitution des Rentnerretters.

Der Schupo bemerkte die Zweifel. »Er sagt, er hatte Hilfe beim Hochziehen.«

»Wer hat ihm geholfen?«

Schulterzucken. »Das müssen Sie ihn fragen.«

»War der Notarzt schon dran?«

Kopfnicken. »Der Arzt hat den Tod bestätigt, konnte aber keinen Zeitpunkt benennen.«

Nathan schickte den Kollegen von der Streife aus dem Verschlag, um sich die Leiche genauer anzuschauen. Das Gesicht war zwar etwas aufgeschwemmt, aber noch deutlich zu erkennen. Gewissheit. Richard Wagner, der Mann von Jasmin Xander, lag da vor ihm. Vorsichtig, dem rutschigen Abhang den nötigen Respekt zollend, krabbelte Nathan um den Leichnam herum. Er fand weder Schuss-, Stich- noch Schnittverletzungen, nur die Prellmarken und Schiefstellungen, die ein Aufprall aus der Höhe verursachte: ein gebrochener Arm und gebrochene Rippen, die die Dellen im Brustkorb erklärten, des Weiteren Hämatome am Schädel. Zudem Nässe, die den Körper feucht hielt, aus dem Mund triefte und aus den Ohren sickerte. Auf seinem Notizblock notierte er den Befund. Danach betrachtete er die auffälligen, verfassungswidrigen Tätowierungen. Wieder fragte er sich, was Jasmin an diesen Raufbold band – nun nichts mehr, flüsterte ihm das Teufelchen auf der Schulter zu. Die Symbole schienen einer bewegten Vergangenheit entsprungen zu sein, spiegelten allerdings auch die bis vor kurzem gelebte Ideologie wider. Nathan hatte ja das Vergnügen gehabt, ihn kennenzulernen. Ausländerfeindliche und rechtsstaatablehnende Äußerungen gehörten zum sonst so limitierten Repertoire dieses menschlichen Abschaums. Die Tatsache, dass Wagner komplexe Finanzalgorithmen zu seinem Vorteil einsetzte, erstaunte Nathan umso mehr. Berufs- und Privatleben unterschieden sich eklatant.

Möglicherweise handelte es sich hierbei um einen Selbstmord, aber das sollte die Rechtsmedizin eruieren. Die wässrigen Hosentaschen kontrollierte er noch mit einem Zweig, den er daneben auflas. Wie vermutet, befand sich nichts darin.

Nathan verließ die Einhausung, nachdem er noch ein paar Fotos mit der hochgelobten Kamera seines Mobiltelefons gemacht hatte. Das Umfeld hielt er ebenso fest. Er sah, wie Jasmin noch mit dem Rentner redete. Immer wieder schaute sie herüber. Nathan vermutete, dass sie von ihm Auskunft erwartete. Ein schwerer Gang stand ihm bevor. Auf dem Weg fiel ihm nochmal der Bestattungstross auf. Wurde die Staatsanwaltschaft bereits kontaktiert? Sollte der Leichnam zur Rechtsmedizin für eine Autopsie überführt werden? Warum hatte man die Kriminalinspektion nicht informiert?

»Und?«, holte ihn der Kollege vom Streifendienst aus den Mutmaßungen.

Nathan schaute perplex, was den Beamten zu einer genaueren Fragestellung anstachelte.

»Was meinen Sie?«

Nathan presste die Lippen aufeinander. Auf ein Fachgespräch mit einem Hobbykriminologen hatte er irgendwie keine Lust. Aber er wollte den Kollegen nicht verschmähen. Gute Zusammenarbeit der Abteilungen gehörte zum obersten Kodex, erleichterte zudem die Arbeit. Eine Hand wäscht die andere. Geben und Nehmen.

»Sieht nach einem Bootsunfall aus«, schätzte Nathan trocken. Er versuchte entsprechende Überzeugung in die Stimme zu legen, doch seine eigenen Zweifel schwangen mit. Eigentlich ging er von einem Sturz aus größerer Höhe aus. Aber er wollte dem Kollegen irgendetwas hinwerfen.

»Ein Verbrechen?«

»Das können wir noch nicht ausschließen. Es bedarf weiterer Erkenntnisse.« Nathan zeigte zum roten Rettungswagen: »Die können Sie heimschicken. Der Finder zeigt keine Anzeichen eines Schocks.«

Während der Streifenpolizist zu den Sanitätern marschierte, trat Nathan an seine Kollegin heran. Die Seite in ihrem kleinen Block war vollgekritzelt.

Jasmin schaute ihn unsicher an. »Herr Gruber hat den Mann aus dem Fluss gezogen, die Böschung hoch, weil er glaubte, der Mann ertrinke gerade«, zitierte sie ihre Aufzeichnungen.

Herr Gruber nickte eifrig. Den Tod hatte er scheinbar gut verkraftet. Sensationsgeilheit schien ihn zu vereinnahmen.

»Aber nicht allein«, fügte Nathan brummig hinzu, weil Herr Gruber diese wichtige Randnotiz offenbar unterschlagen hatte.

Der Alte blickte ertappt zum Kommissar. »Ich habe ihn gesehen und umgehend am Arm gepackt«, erklärte er stolz, »Aber das Gefälle machte mir zu schaffen«, gestand er dann, »Ich rief, und ein Jungspund kam mir zu Hilfe. Gemeinsam zogen wir ihn raus.«

Nathan sah zu Jasmin, die den Rentner ungläubig anvisierte, weil dieser ihr viel erzählt hatte, allerdings ohne viel Inhalt. Die Geschlechterkarte wollte sie jetzt nicht spielen. Die alte Garde kämpfte noch mit der Emanzipation.

»Und wer war der Jungspund?«, bohrte Nathan weiter nach.

Herr Gruber faltete die Arme auseinander. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

Jasmin schwieg. Ihr Stift kratzte über das Papier. Sie begnügte sich mit der Rolle der Stenotypistin, auch wenn sie normalerweise die Führung der Ermittlung übernahm. Ihr Kollege, sonst das Brechwerkzeug, durfte heute mal seine investigative Kompetenz anwenden, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen.

»Wohnt er hier?«, nickte Nathan auf die noblen Häuser auf der Halbinselbucht.

Herr Gruber machte große Augen. »Da fragen Sie mich was. Ich gehe hier nur spazieren. Wer hier wohnt weiß ich nicht.«

Nathan blies einen Luftschwall durch die Nase aus. »Können Sie den Jungspund beschreiben?«

Der Rentner überlegte. »Ungefähr Ihre Größe, dunkle, kurze Haare und vielleicht so Mitte 20.«

»Welche Kleidung trug er?«

»Sportlich«, antwortete der Hundehalter.

»Also war er joggen?«

Herr Gruber schaute unwissend drein. »Kann sein.«

Jasmin und Nathan wechselten unwirsche Blicke.

Die Kommissarin suchte nach öffentlichen Kameras. Fehlanzeige. Dann überflog sie die Häuser, wo lediglich deren Haustüren von Minikameras überwacht wurden. Den Winkel zum Fußweg konnten diese unmöglich aufzeichnen. Wäre trotzdem einen Versuch wert.

»Warum fragen Sie nach dem Jungspund?«, wollte Herr Gruber wissen und hob den Finger zum schwarzen Sichtschutz am Ufer, »Wollen Sie nichts über den Toten wissen?«

»Hast du seine Daten?«, wandte sich Nathan verstimmt an Jasmin. Diese bejahte mimisch, die Verstimmung richtig deutend. Er entließ den Rentner, »Vielen Dank für Ihr beherztes Eingreifen, Herr Gruber. Eventuell kommen wir die Tage nochmal auf Sie zurück, um ein paar Fragen zu klären.«

Der Mann lächelte, ob der Aufmerksamkeit, der Erlebnisse und der Perspektive, mit den Ermittlern zu kooperieren. »Gern.«

Als sie allein im Umkreis standen, starrte Nathan zum Bestatter, keine zwanzig Schritt entfernt. »Hast du die Staatsanwaltschaft angerufen?«

»Nein«, entgegnete Jasmin, ebenso irritiert. Doch eigentlich wollte sie etwas anderes erfahren. »Richard?«

Nathan biss sich auf die Lippe und warf ihr einen Blick zu, den sie verstand. Gleichzeitig bereitete er sich vor, sie in den Arm zu nehmen, ihr Trost zu spenden, ihre Tränen aufzufangen. Doch Jasmins Mimik regte sich nicht. Stattdessen taxierte sie den Sichtschutz, als ob sie hindurchblinzeln könnte.

»Wie?«

Nathan schluckte. Ihre Abgeklärtheit überraschte ihn. »Sieht nach einem Bootsunfall aus«, wiederholte er, was er dem Streifenpolizisten schon gesagt hatte, obwohl er das gar nicht sagen wollte. Es rutschte ihm einfach so heraus, aus Mangel an Alternativen.

Jasmin neigte ihr Haupt. »Richard ist seekrank. Er würde keinen Fuß auf ein Deck setzen.« Sie blieb wie angewurzelt stehen, machte keine Anstalten, seine Leiche sehen zu wollen.

Nathan sinnierte. Also doch aus größerer Höhe. Eine Brücke? Sollte er einen möglichen Suizid ins Spiel bringen? Oder sollte er sie zuallererst von dem Fall abziehen lassen? Ein kurzes Telefonat mit dem Präsidium und sie könnten bei einem Stück Frankfurter Kranz über alles reden, während Kurz und Klein den Fall übernehmen würden.

»Bist du dir sicher?«, unterbrach sie.

»Ja«, retournierte Nathan lapidar.

Jasmin holte ihr Telefon aus dem Holster. Keine neuen Nachrichten. Sie betätigte die Schnellwahltaste für eine gespeicherte Nummer, die sie öfter wählte.

»Hallo, Frau Staatsanwältin«, reagierte sie auf die Gesprächseröffnung in der Leitung. »Hast du eine Obduktion für den aktuellen Fall am Westhafen angeordnet?« Wieder kam etwas von der Gegenseite. »Danke.«

Sie legte auf. »Monika erkundigt sich«, sagte sie schließlich, um Nathan nicht im Ungewissen versauern zu lassen.

»Du bist per du mit Staatsanwältin Meier?«

»Frauen müssen zusammenhalten«, kanzelte Jasmin schroffer ab als beabsichtigt. Darüber wollte sie momentan nicht reden, erst recht nicht über das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in einigen Branchen. Plötzlich hastete sie los. Nathan konnte kaum Schritt halten. Sie hielten auf den Fundort zu.

»Willst du dir das wirklich antun?«, rief Nathan halblaut, aber seine Partnerin drosselte ihren Gang keineswegs. Erst innerhalb des Sichtschutzes schloss er zu ihr auf.

»Er ist es«, flüsterte sie gefasst. Es verging eine halbe Minute, in der sie den leblosen Körper plump anstarrte. »Hast du Lage und Zustand notiert und dokumentiert?«, wurde sie wieder professionell.

Nathan murmelte eine Bestätigung.

»Auch die Rückseite?« Sie bückte sich über die Leiche, holte Einweghandschuhe aus der Hosentasche und zog sie über. Anschließend griff sie Schulter und Hüfte und machte sich bereit, ihren Mann auf die Seite zu drehen.

Baff stand Nathan daneben. »Du musst das nicht machen.«

Jasmin zischte aufwieglerisch und legte den Rücken frei. »Was siehst du?«

Nathan schaute sich das Hinterteil an. Treibgut und Gestrüpp bedeckten die Tattoos. »Soweit ich das sehe, keine auffälligen Verletzungen.« Er machte eine Notiz.

Sie gingen aus der Totenzone die kleine Böschung hinauf auf die Straße.

»Den Rest fördert die Autopsie zu Tage«, sagte Nathan kleinlaut, aber seine Partnerin ging nicht darauf ein.

Jasmins Telefon klingelte. Ein nüchternes, klassisches Ringen, dazu Vibration. »Ja?« Sie hörte zu. »Danke.« Und legte auf.

»Der Oberstaatsanwalt wurde von der Leitstelle informiert und hat die Obduktion in Auftrag gegeben. Deshalb waren alle vor uns hier«, präzisierte Jasmin sachlich.

»Er hat mal wieder die Mordkommission übergangen«, stellte Nathan gereizt fest.

Seine Kollegin wippte mit den Schultern. »Das ist nicht unser Problem. Wenigstens verschafft uns seine schützende Hand Zeit, um auszukundschaften, ehe die Streife unüberlegt Spuren verwischt.«

»Bist du mit ihm auch per du

»Nein«, entschärfte Jasmin, »Aber Monika.«

Ein zweiter Anruf galt der Forensik. Sie kündigte eine Leichenschau an. Das Fax der Staatsanwaltschaft hatte dies aber bereits vorweggenommen. Unabhängig davon war man dankbar über ein paar weitere Details, zum Beispiel, dass es sich um eine Wasserleiche mit Sturzmerkmalen handelte.

Sie instruierten die Bestatter, die lässig an ihrer Karre lehnten, die Leiche der Forensik zuzuführen. Praktischerweise befand sich das Universitätsklinikum mit dem Institut für Rechtsmedizin am Flussufer gegenüber. Nach der Freigabe schnappten sich die beiden Männer einen schwarzen Tragesack und enterten den Verschlag.

Danach teilten sich die Kommissare auf, um die Häuser abzuklappern, unter den argwöhnischen Blicken des privaten Sicherheitsdienstes. Sie könnten zwar an die Streife delegieren, aber den Blick für Auffälligkeiten nannte nicht jeder sein eigen. Die wenigen Bewohner, die tatsächlich angetroffen wurden, wurden mit Namen, Adresse und Aussage niedergeschrieben. Keiner hatte etwas gesehen oder gehört. Erst der Ruf des Rentners wurde von einigen wahrgenommen. Den Jungspund in Sportkleidung, der zu Hilfe eilte, konnte niemand genauer beschreiben als Herr Gruber. Die Kameras an den Hauseingängen waren zentral aufgeschaltet bei der privaten Sicherheitsfirma, die auch ihre Fachkräfte vor Ort geschickt hatte. Nach telefonischer Rücksprache teilte einer der Mitarbeiter mit, dass die Kamerabilder weder einen Rentner mit Dackel noch einen jungen Jogger zeigten. Jasmin war froh, dass es manchmal auch unkompliziert funktionierte. Dadurch ersparten sie sich den weiten Weg ins hügelige Hinterland, wo die Firma ihre Zentrale hatte.

Hautmalerei

Подняться наверх