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1.4 Loslassen tut weh

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Neben Gewohnheiten, Illusionen und falschem Durchhalten gibt es noch einen bedeutenden weiteren Einfluss auf unsere Veränderungsbereitschaft: die ungemütliche Vorstellung, Liebgewonnenes und Vertrautes loszulassen. Sich Neuem zuzuwenden bedeutet immer auch, sich von Altem abzuwenden. Denken Sie an Partnerschaften, Arbeitgeberwechsel, Umzug und Ähnliches. Das Abwenden geht oft mit dem Gefühl von Trauer, Verlust und nicht selten auch Angst einher. Kann und darf ich das loslassen, was mir über viele Jahre gute Dienste geleistet hat? Bin ich damit noch verlässlich und konsistent? Wie wird das Neue sein? Wird es mich zufriedenstellen oder werde ich dem Alten dann nur noch mehr hinterhertrauern? Dieser emotionale Ablöseprozess, den wir im persönlichen Bereich für völlig normal halten und sogar erwarten, tritt beim Unternehmenswandel genauso auf. Auch wenn rational klar ist, dass Platz für Zukünftiges nur dann entstehen kann, wenn Bisheriges weicht, fällt es uns emotional häufig schwer, loszulassen. Umso mehr, wenn wir nicht sehen können, wo genau es hingehen soll, oder wenn wir an der Sinnhaftigkeit und dem Nutzen des Neuen zweifeln.

Ablöseprozesse sind nicht zu unterschätzen.

Wir sind soziale Wesen

Ein großes mittelständisches Unternehmen entschied sich für die Reorganisation seiner beiden größten Unternehmensbereiche. Daraus sollte eine Einheit geformt werden, um traditionelles und Zukunftsgeschäft zu bündeln sowie Kompetenzen und Ressourcen flexibel über alle Produktsegmente hinweg nutzen zu können. Das bedeutete für die Mitarbeiter, dass sie sich in einem völlig neuen und ungewohnten Organigramm wiederfanden, in neu zusammengesetzten Teams und an anderen Arbeitsplätzen. Ein Teil hat sich zügig damit arrangiert, der andere Teil hat den alten Kollegen und der gewohnten Umgebung länger nachgetrauert. Selbst anderthalb Jahre später fühlten sich einzelne Mitarbeiter noch alleingelassen und vermissten fachliche Unterstützung, gleichwohl ihre vormaligen Buddys höchstens zwei Stockwerke entfernt saßen. Ablöseprozesse sind also nicht zu unterschätzen.

Die Hirnforschung kennt den Hintergrund dafür: Zeitlebens wachsen wir zwischen den beiden Polen der Selbstentfaltung als Individuum und der Weiterentwicklung in Gemeinschaft und Verbundenheit mit anderen auf (Hüther, Was wir sind und was wir sein könnten, 2011). Die Gemeinschaft ist sogar derart existenziell, dass wir ohne sie nicht überleben würden. Wir sind also soziale Wesen. Folglich ist es sehr verständlich, dass Menschen, die lange Zeit in einem bestimmten Teamverbund gearbeitet, sich mit den Kollegen entwickelt und zusammen Erfolge und Niederlagen durchlebt haben, emotional daran hängen und sich schwertun mit einer neuen Umgebung. Diese Zusammenhänge beim Unternehmenswandel zu berücksichtigen, anzuerkennen und entsprechend behutsam damit umzugehen, ist nicht nur vorteilhaft, sondern ein regelrechter Erfolgsturbo. Mit ihm steigt die Wahrscheinlichkeit, dass emotionale Hürden entweder ganz vermieden oder nicht so hoch werden wie bei unbekümmertem »Überbügeln« neuer Strukturen. Auch wenn sich das schlüssig liest und nachvollziehbar klingt: In den wenigsten Fällen schafft es diese Erkenntnis in die Umsetzung. Stattdessen wird im Eifer des Gefechts meist das Hauruck-Vorgehen bevorzugt. Kein Wunder, dass das zu erheblichen Widerständen führt.

Geringschätzung behindert

Veränderungsinitiativen erwecken häufig den Eindruck, dass nun alles vollkommen anders und endlich richtig gut funktionieren wird – ganz im Gegensatz zur unbefriedigenden Vergangenheit, die schon längst nicht mehr tragbar war. Die sich darin ausdrückende Geringschätzung des Alten macht Change-Prozesse um ein Vielfaches beschwerlicher, emotional aufreibender und steht dem Loslassen im Weg. Anstelle des Herabsetzens wäre die Würdigung des Bisherigen günstig, auch wenn es sich überholt hat und abgelöst werden muss. In ihrem sendungsbewussten Drang zum Neuen übersehen viele eifrige Propheten des Wandels, dass auch der anstehende Transformationsschritt, gleichwohl vielversprechend, modern und innovativ, seinerseits nur eine Episode im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen ist.

Es ist zieldienlich, das Alte und das Neue gleichermaßen zu schätzen.

Gerade Hype-Themen wie Agilität, Lean Management, New Work oder Digitalisierung werden nahezu wie eine Religion gehandhabt. Entsprechend erfolgt das Vorantreiben mit einem hohen Maß an Dogmatik und wenig Umsicht. Bisweilen erinnert es an einen Glaubenskrieg und man fragt sich unwillkürlich, wo die Inquisition bleibt, wenn Sprachpolizei und Denkverbote an der Tagesordnung sind. Dass Kritiker und Zweifler sich folglich bemüßigt fühlen, noch mehr auf die Barrikaden zu gehen und Widerstände aufzubauen, liegt auf der Hand. Wie attraktiv und vielversprechend eine Transformation auch immer sein mag – sie rechtfertigt weder die Schmälerung vergangener Errungenschaften noch das Ausrufen zum alleinigen Heilsbringer. Es ist zieldienlich, das Alte und das Neue gleichermaßen zu schätzen und damit den Prozess des emotionalen Ablösens so gut es geht zu erleichtern.

Der Change-Code

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