Читать книгу Persönlichkeitstypen - Dietmar Friedmann - Страница 14

2.7 Fremdbestimmt im Selbstbestimmungsbereich

Оглавление

Im Selbstbestimmungsbereich sind wir besonders anfällig dafür, uns fremdbestimmt zu verhalten. So neigt der Beziehungstyp im Handeln dazu, das zu tun, was andere seiner Meinung nach von ihm erwarten, und sich so zu verhalten, dass es gut bei ihnen ankommt. Er möchte Beifall und Liebe von allen Seiten oder von einer speziellen Zielgruppe, die für ihn zählt.

Er richtet sich nach den Wünschen seines Partners, seiner Familie und seiner Freunde. Oder er misst sich an anderen, möchte als kompetent wahrgenommen werden. Oder er gestaltet sein Leben nach dem, was seiner Meinung nach ‚in‘ ist. Dabei zählen Maßstäbe und Meinung einer oft kleinen Zielgruppe, die er seinerseits für ‚in‘ hält. In jedem dieser Fälle achtet er zu wenig auf seine eigenen Bedürfnisse.

Nach der Redensart ‚Wie du mir, so ich dir!‘ manipuliert der Beziehungstyp dann auch andere im Bereich Handeln durch Macht- und Retterspiele. Um sich aus diesen selbst angelegten Fesseln zu befreien, tut er gelegentlich genau das Gegenteil von dem, was andere seiner Meinung nach von ihm erwarten. Statt überfürsorglich für sie da zu sein, verhält sich dann der Liebenswürdige egozentrisch, der Imagebewusste wird zum Aussteiger oder der Anspruchsvolle kann unkultiviert reagieren. Das erinnert etwas an den Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen.

Der Sachtyp übernimmt und spiegelt in seinem Beziehungsverhalten die Gefühle anderer. Er reagiert darauf, was ihm der andere gefühlsmäßig entgegenbringt, ohne auf seine eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu hören. Er macht sich damit abhängig von den Launen anderer und leidet darunter. Oder er ist umgekehrt bemüht, sich dagegen zu schützen, indem er Gefühle abblockt und sich betont sachlich oder egoistisch benimmt.

Bei manchen Sachtypen kann ein überstrapaziertes Nettsein umschlagen in rebellisches Verhalten. Andere verhalten sich schon vorbeugend gefühlsneutral und indifferent. Wenn es dem Sachtyp schlecht geht, praktiziert er ein passiv-aggressives Beziehungsverhalten, indem er innerlich ‚zumacht‘, ein Gespräch abbricht, den Raum verlässt oder es sich demonstrativ schlecht gehen lässt. Seine Opfer- und Zuwendungsspiele zielen oft darauf ab, anderen ein schlechtes Gewissen zu machen.

Der Handlungstyp denkt, er müsse so denken, wie es seiner Rolle, seiner Stellung, seiner Funktion entsprechend erwartet wird. Das ‚Von mir (uns) als … erwartet man …‘ – Denken oder ‚Für uns (mich) als … gehört sich …‘ – Denken hat etwas mit dem zu tun, was er für seine Identität hält. Das gibt ihm Sicherheit. Doch da dieses Denken fremdbestimmt ist, muss er ständig etwas dafür tun, um es aufrecht zu erhalten. Es bestätigt sich nicht aus sich selbst.

Trotz der gängigen Verwendung des Begriffs, gibt es genau genommen keine Fremdbestimmung. Fremdbestimmtes Verhalten macht jeder selbst. Denn er verhält sich so, wie er glaubt, dass es von ihm erwartet wird. Die Fremdbestimmung wird deshalb nicht durchschaut, weil man diese Mechanismen früh gelernt hat und sie so zur Gewohnheit geworden sind, dass sie fast automatisch ablaufen, ohne dass die einzelnen Schritte noch bewusst werden.

Eine Aufgabe der Psychotherapie oder des psychologischen Coachings kann dann sein, diesen Ablauf wieder bewusst zu machen und andere Weichenstellungen einzubauen, die autonomes Verhalten ermöglichen. Erkennen allein hilft noch nicht viel. Dazu braucht es ein spezielles Training in selbstbestimmter Handlungskompetenz für den Beziehungstyp, in emotionaler Kompetenz für den Sachtyp und in mentaler Kompetenz für den Handlungstyp.

Man kann sich fragen: Wie kommt es, dass sich Menschen fremdbestimmt verhalten? Dieses Verhalten galt viele Generationen lang als Tugend. Individuelles Verhalten wurde nicht geschätzt. Stattdessen wurde erwartet, dass sich der Einzelne, den Interessen der Familie, seines Arbeitgebers, der Kirche und des Staates unterordnet. Menschen lassen sich leichter beherrschen und ausnutzen, wenn sie daran gewöhnt sind, sich fremdbestimmt zu verhalten.

Psychologisch gesehen läuft das Sich-fremd-Bestimmen über die ‚Antreiber‘. Der Beziehungstyp bestimmt sich fremd mit „Mach’s anderen recht!“, „Sei stark!“ oder „Sei anspruchsvoll!“ Er zeigt dann in seinem Persönlichkeitsbereich ein misstrauisches und kontrolliertes Beziehungsverhalten und in seinem Selbstbestimmungsbereich ein überfürsorgliches, konkurrierendes und ehrgeiziges Handeln. Was er dabei ausblendet, ist ein realitätsbezogenes Denken.

So verklammern die Antreiber den Persönlichkeits- mit dem Zielbereich und ersetzen ein realistisches und genaues Beobachten und Denken im Entwicklungsbereich. Diese Antreiber funktionieren automatisch, immer und in jeder Situation, und zwar umso ‚besser‘, je stärker die Stressbelastung ist. Sie sind deshalb verführerisch, weil sie Lösungen und Zustimmung versprechen: „Das hat schon früher funktioniert, also mach es wieder!“

Denn die Antreiber sind scheinbar bewährte Rezepte, die unmittelbar gut ankommen oder doch anzukommen scheinen. Dass sie auf längere Sicht andere verärgern, die sich getäuscht fühlen oder enttäuscht reagieren, und dass sie zum Burn-out-Syndrom führen können, wird entweder nicht verstanden oder oft zu spät erkannt.

Der Sachtyp verbindet mit den Antreibern „Streng dich an!“, „Sei vorsichtig!“ oder „Sorge für dich!“ sein Erkenntnis-Ich direkt mit dem Beziehungs-Ich. Entweder er verhält sich ungeschickt und macht Fehler. Oder er verhält sich angepasst, unauffällig, diplomatisch, denkt darüber nach, was schieflaufen könnte und bemüht sich, in Beziehungssituationen nicht anzuecken. Dann macht er im Zweifelsfall gar nichts und wartet ängstlich ab. Oder er macht sich wichtig, verhält sich egoistisch und nützt andere aus. Keine dieser Verhaltensweisen tun ihm wirklich gut und kommen längerfristig bei anderen gut an.

Das „Mach es richtig!“, „Mach es für uns!“ und „Mach es perfekt!“ des Handlungstyps verbindet sein Handeln direkt mit seinem Denken und übergeht sowohl die eigenen Gefühle als auch die der anderen. Statt auf sie zu hören, verhält er sich richtig, vereinnahmend und korrekt, beziehungsweise so, wie er es für richtig, gemeinschaftstauglich und korrekt hält. Dadurch erscheint sein Verhalten manchmal hart, unpersönlich oder unsensibel. Auch wenn er morgens ausschlafen könnte, steht er früh auf, entweder weil ihn seine Energie zum Handeln treibt, oder er viel für alle zu tun hat oder es sich so gehört, und damit die anderen nicht von ihm denken, er sei faul oder liederlich.

Nach der Stabilisierung des Persönlichkeitsbereiches und der Entfaltung des Entwicklungsbereiches ist Selbstbestimmung der dritte Schritt. Er setzt voraus, dass die Antreiber abgeschwächt sind und die Fähigkeiten des Entwicklungsbereiches genutzt werden, dass der Beziehungstyp klar denkt, der Sachtyp weiß, was er will, und der Handlungstyp seine Gefühle wahrnimmt und wichtig nimmt. Emanzipatorisches Bemühen ohne diese Voraussetzungen gelingt nicht und schlägt immer wieder um in Macht-, Opfer- und Verfolgerspiele.

Wie lässt sich typspezifisches selbstbestimmtes Verhalten erkennen und beschreiben? Es ist weit weniger auffällig als fremdbestimmtes Verhalten, da es den Umständen und Zielsetzungen angemessen ist. Dichter und Psychologen haben immer wieder fremdbestimmtes Verhalten differenziert und lebendig beschrieben, quasi als Karikaturen des noch normalen Verhaltens. Fremdbestimmtes Verhalten ist auch deshalb verführerisch, weil es sich häufig als sozial akzeptiertes Verhalten tarnt, etwa der engagierte ‚gerechte‘ Verfolger, ein armes, vom ‚Unglück‘ heimgesuchtes Opfer oder der unermüdliche ‚selbstlose‘ Retter.

Hier gilt die alte Maxime: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Das ist zugleich eine Warnung, sich nicht täuschen zu lassen. Doch zurück zu der Frage, wie sich selbstbestimmtes Verhalten darstellt. Es ist ehrlich, tüchtig und menschlich, und es bewirkt gute Ergebnisse. Und es ist immer eine Kombination von gelebten Schlüsselfähigkeiten und selbstbestimmtem Verhalten. Beim Beziehungstyp könnte man es kluges13 Handeln nennen, beim Sachtyp konstruktives14 Beziehungsverhalten und beim Handlungstyp menschliches15 Denken.

Bei den Themen Fremd- oder Selbstbestimmung wird wieder deutlich, dass sich die drei Grundtypen sowohl ähnlich verhalten als auch unterschiedlich präsentieren. Das hat mit den Kompetenz-Prozessen der Untertypen zu tun. Mit dem Wissen um sie gewinnen wir eine größere Genauigkeit im Erkennen der Typen und in der Arbeit mit ihnen. Trotzdem wird sich mancher Leser die Frage stellen: Handelt es sich bei den Persönlichkeitstypen um Realitäten, die man vorfindet, oder um künstliche und vielleicht zweckmäßige Unterscheidungen, die man so oder auch anders hätte treffen können?

Persönlichkeitstypen

Подняться наверх