Читать книгу ICH, DIE FRAU DES TALIBAN - Dimitra Mantheakis - Страница 11

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Das schrille Läuten des Telefons neben mir auf dem Nachttisch weckte mich. Verschlafen presste ich mein Kopfkissen auf den Apparat, doch das besessene Läuten wollte nicht aufhören. Unwillig griff ich nach dem Hörer. Ein Schwall von Sätzen aus der Leitung überflutete mein verwirrtes Hirn. Unwillkürlich hob ich meine Hand an die Stirn, hinter der der Champagner-Kater hämmerte. Am anderen Ende der Leitung verlangte Nina, dass ich sie mit allen Einzelheiten über den gestrigen Abend und meine Fortschritte mit Peter unterrichtete.

„Ach, Nina, sei so gut und lass mich in Frieden, ich bin noch müde. Ich ruf dich später an und erzähl dir alles“, jammerte ich matt.

Das enttäuschte „Na gut“ meiner Freundin rührte mich nicht, und ich schlief sofort wieder ein. Als ich die Augen aufmachte und auf die Uhr sah, war es bereits eins.

„Au weih, schon Mittag!“, murmelte ich und warf die weiße Daunendecke zur Seite.

Gewöhnlich stand ich nicht so spät auf, denn ich mag den Tag nicht verschwenden. Dabei hatte ich nichts Bestimmtes zu tun. Die Universität war über Weihnachten geschlossen, und in das Krankenhaus, wo ich einige Stunden in der Woche als Pflegerin arbeitete, brauchte ich auch erst nach den Feiertagen zu gehen. Es war ohnehin mehr ein Praktikum als eine richtige Arbeit.

Ich war fünf Monate zuvor nach London gekommen, vom anderen Ende der Welt, aus meiner Heimat Afghanistan. Wie mein Bruder Nabil wollte ich Medizin studieren. Seit Jahren hatte ich diesen gesegneten Moment erwartet. Fleißiges Lernen, Disziplin, ganze Nächte, die ich über den Büchern verbrachte, trugen endlich Früchte - meine Aufnahme an die Universität. Meine Ergriffenheit erreichte ihren Höhepunkt, als ich nach langem Warten in der Schlange zusammen mit anderen Studienanfängern endlich meinen Studentenausweis in der Hand hielt.

Es war jedoch nicht nur mein Wunsch, der mich hierher gebracht hatte. Meine Eltern waren leidenschaftlich an der Bildung ihrer Kinder interessiert. Sowohl meinem Bruder als auch mir stellten sie die besten Lehrer zur Verfügung. Über das normale Schulpensum hinaus verbrachten die Sprach- und Musiklehrer endlose Stunden bei uns daheim. Ich sprach Englisch, Französisch und Deutsch mit derselben Leichtigkeit wie meine Muttersprache. Das Gleiche galt auch für Nabil.

Anfänglich überlegten meine Eltern, ob ich an der Universität Balkh in der Stadt Mazar-i-Scharif studieren sollte, der einzigen höheren Bildungsanstalt des Landes, die Frauen zuließ. Doch meine Mutter bestand darauf, dass auch ich im Ausland studieren sollte. Nicht so weit fort, nicht in Amerika, wo mein Bruder gewesen war, sondern in Europa. So kam ich nach England. Ich studierte mit großem Eifer, fehlte bei keiner Vorlesung und verbrachte endlose Stunden in der Bibliothek, um meine Kenntnisse zu vervollständigen und Wissenslücken zu ergänzen.

Schon am ersten Tag lernte ich Nina kennen. Wir waren Kommilitoninnen; sie war zwei Jahre älter als ich, da sie nicht sofort an der Universität angenommen worden war.

Wir hatten viel gemeinsam, doch in anderen Dingen unterschieden wir uns und behielten unsere Besonderheiten und Persönlichkeiten bei. Nina war eine Frohnatur, freundlich, weltgewandt, verlässlich, voller Selbstbewusstsein. Ich war zurückhaltend, verschlossen, unerfahren, ein Mädchen, das Anstrengungen unternahm, sich einer neuen Welt anzupassen, in der die Frauen von den Männern mit Respekt behandelt werden. Meine Freundin führte mich in ihren großen internationalen Freundeskreis ein. Bald waren wir unzertrennlich wie siamesische Zwillinge.

Wir gehörten ungefähr zur gleichen Gesellschaftsschicht, waren beide Töchter reicher Großunternehmer, lediglich aus verschiedenen Ländern. Ninas Freundschaft und ihre Gutmütigkeit verliehen mir Sicherheit. Ihr war es zu verdanken, dass ich mich im fremden Land willkommen fühlte. Ich passte mich sehr schnell an die europäische Lebensweise an; nach und nach warf ich die zu konservativen Elemente, die in mir steckten, ab und wurde Anhängerin einer Kultur, die zu meiner Mentalität passte und zu den Plänen und Träumen, die ich für mein zukünftiges Leben hegte.

Aus innerer Überzeugung verabscheute ich die Beschränkungen und den blinden Gehorsam allem und jedem gegenüber, und so atmete ich die Freiheit, über mich zu verfügen und mich ohne Aufsicht zu bewegen, wie eine frische Brise ein. Ich war glücklich in meiner neuen Heimat, die mir Horizonte ohne Hindernisse öffnete und Möglichkeiten bot, die ich als Frau in der von Männern beherrschten Gesellschaft meines Landes nicht hatte. Ich glaubte fest daran, dass sich für mich alles zum Guten wenden würde, sowohl im Hinblick auf meine Persönlichkeit als auch auf mein Dasein als Frau.

Das Lächeln auf meinem Gesicht vertiefte sich, als ich an die Ereignisse der vergangenen Nacht dachte. Alles hatte plötzlich eine neue Farbnuance angenommen, einen Freudenschimmer, der meine Umgebung strahlender machte und meine Erwartung erhellte, dass das, was gestern begonnen hatte, sich ebenso wunderbar weiterentwickeln würde.

Und ich wurde nicht enttäuscht. Eine Stunde später rief Peter an und lud mich für den Abend ein. Ich sagte zu. In seinem bräunlichen Tweedsakko und der frisch gebügelten beigen Hose sah er ebenso attraktiv aus wie im Abendanzug. Ich hatte natürlich Stunden gebraucht und den gesamten Inhalt meines Kleiderschranks auf dem Bett ausgebreitet, um mich schließlich für das Kostüm zu entscheiden, das ich anziehen wollte.

In dem kleinen italienischen Restaurant, wo wir uns trafen, bemerkten wir weder, was wir bestellten, noch schenkten wir unserer Umgebung die geringste Aufmerksamkeit. Wir waren völlig versunken in dem Versuch, uns besser kennen zu lernen, alles voneinander zu wissen, als könnten wir in den hastigen Berichten die Ereignisse eines ganzen Lebens in so kurzer Zeit unterbringen.

So ging es auch an den folgenden Tagen weiter. Teils gingen wir allein aus, teils mit anderen, und ich fühlte mich, als nähme ich an einem Fest des Glücks und der Erfüllung teil.

Nina war begeistert und wiederholte immer wieder, wie gut wir zueinander passten. Ich lebte wie im Traum und zitterte davor, in einer anderen Realität aufzuwachen. Peter war mir gegenüber fürsorglich oder, besser gesagt, er verhätschelte mich wie ein Baby, umhüllte mich mit einem Mantel aus Liebe und Zärtlichkeit, aber auch aus Bewunderung und pries mein Aussehen und meinen Verstand. Alles an mir schien ihm zu gefallen, und er geizte nicht mit Komplimenten, an denen ich mich nicht satt hören konnte. Als der gesegnete Moment kam, in dem er mir offen seine Gefühle für mich gestand, mir sagte, wie verliebt er in mich sei und wie unentbehrlich ich für ihn geworden sei, hätte ich sterben können vor Glück. Ich liebte ihn. Ich liebte ihn sehr. Das Einzige, was für mich zählte, war, bei ihm zu sein, ihn anzusehen, ihn zu berühren, ihn zu küssen.

Und als die Zeit reif war, gab ich mich ihm voller Anbetung hin, zeigte ihm mein unbegrenztes Vertrauen und mein unersättliches Verlangen nach ihm. Liebevoll und zärtlich führte er mich auf die atemberaubenden Pfade meiner Erfüllung als Frau und brachte mich mit unermüdlicher Geduld und der Meisterschaft des erfahrenen Liebhabers dazu, nach ihm zu verlangen wie nach einem Rauschmittel und nur glücklich zu sein, wenn seine geliebten Hände jeden Zentimeter meines Körpers erforschten, bevor ich mich in der unbekannten Welt der unsagbaren Lust verlor und wir zum Raub unserer unstillbaren erotischen Leidenschaft wurden. Meine Wohnung war zu seiner geworden. Die Stunden, in denen er nicht in meiner Nähe war, waren Stunden der Qual, der unendlichen Einsamkeit und des Wartens, bis ich wieder in seinen Armen lag und alles und alle um mich herum vergaß.

Selten ging ich zu ihm nach Hause. Vielleicht, weil ich mich in Gegenwart von Bill nicht wohl fühlte, vielleicht auch, weil ich ihn ausschließlich für mich in meiner eigenen vertrauten Umgebung haben wollte. Er beeilte sich, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Er verwöhnte mich, und das gefiel mir sehr. Er hörte nicht auf zu wiederholen, dass er bereit sei, mich zu heiraten, wann immer ich mich dazu entschließen würde; wenn ich aber erst mein Studium beenden wollte, würde er stets da sein und geduldig auf mich warten. Doch Heiraten war für mich unwichtig. Es genügte mir, dass er mich begehrte und mich liebte. Er wollte in jedem Moment wissen, wo ich war, voller Angst, dass mir etwas zustoßen könnte; mein kleinstes Unwohlsein wurde zu einer ernsten Angelegenheit.

Mein Glaube an diesen Mann wurde von Tag zu Tag stärker. Fast drei Jahre lang war er mein Gott auf Erden, und alle meine Gedanken begannen und endeten mit ihm als Maßstab. Ich war gleichgültig gegenüber den Folgen, die unsere Beziehung haben könnte, wenn sie in meiner Heimat bekannt würde, es kümmerte mich keinen Deut, meinetwegen sollten sie mich im ewigen Höllenfeuer verbrennen. Ich lebte und atmete für ihn, nur für ihn, in einem Zustand der Ekstase, und zitterte davor, dass die Schicksalsgöttin eifersüchtig werden könnte.

Und schließlich war sie eifersüchtig geworden. Mein Leben wurde auf den Kopf gestellt, und der Traum erwies sich als Alptraum. Ein natürliches Ereignis im Leben eines Paares hatte ausgereicht, um ihn abzuschrecken, nachdem er mich zuvor mit seinen Schwüren der Anbetung und Ergebenheit getäuscht hatte, und ihn in eine ungeordnete, unehrenhafte Flucht zu schlagen, wobei er mein Standbild von seinem Sockel stürzte, meinen Stolz mit Füßen trat, mich als Menschen vernichtete und als Frau erniedrigte. Er hatte mich ohne ein Wort der Erklärung verlassen.

Dumme, leichtgläubige, leichtsinnige Maraima. Das geschieht dir recht…

ICH, DIE FRAU DES TALIBAN

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