Читать книгу ICH, DIE FRAU DES TALIBAN - Dimitra Mantheakis - Страница 6

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“Meine Regel ist seit drei Wochen überfällig.” Trotz meiner Bemühungen konnte ich das Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken.

Seit Tagen drehte und wendete ich nun schon die Worte und Formulierungen in meinem Kopf herum und versuchte, die beste Art zu finden sie auszudrücken. Tief in meinem Innern nagte etwas wie Unsicherheit, Verlegenheit, vielleicht auch Beunruhigung. Es war nichts Konkretes, und ganz gewiss stützte es sich nicht auf irgendein Anzeichen in Peters Verhalten. Ich spürte einfach, dass mir etwas entging, hatte nicht das Gefühl, die Situation im Griff zu haben. Die Verzagtheit, mit der ich die Worte aussprach, bestätigte meine tief sitzende, unbestimmte Angst. Meine Augen hefteten sich forschend auf Peters Gesicht, wollten jede Reaktion, jede Änderung seines Ausdrucks, jede Verwunderung, jedes Unbehagen oder vielleicht sogar seinen Zorn registrieren. Bis auf eine unmerkliche Überraschung blieb er jedoch ruhig und erwiderte meinen Blick mit demselben Ernst, der auch in seiner Stimme lag, als er mir antwortete.

„Mach dir keine Sorgen, mein Mädchen. Ich glaube nicht, dass du schwanger bist. Aber selbst wenn, bringen wir das schon in Ordnung. Vereinbare einen Termin mit deinem Gynäkologen für Montag, wenn ich auch frei habe, damit wir zusammen hingehen können.“

Dann kam er durch das Zimmer zu mir. Ich saß zurückgelehnt auf dem ungemachten Bett. Er streckte die Hand aus, strich mir über das Haar und küsste mich sanft auf die Lippen. Dann schenkte er uns beiden den Kaffee ein, den er gerade aus der Küche gebracht hatte, nahm einige Schlucke und fuhr fort, sich vor dem Spiegel der Frisierkommode anzuziehen. Der Spiegel reflektierte sein Bild, so vertraut, so geliebt – das Bild des hoch gewachsenen, kräftig gebauten Mannes, der sich bücken musste, um sich dem für seine Größe zu niedrigen Spiegel anzupassen. Als er den Arm ausstreckte, um in sein Hemd zu schlüpfen, spannten sich die Muskeln über dem flachen Magen und dem breiten Brustkorb. Selbst diese gewöhnlichen, fast routinemäßigen alltäglichen Bewegungen hatten die Anmut eines Panthers, eine Geschmeidigkeit, die mich faszinierte und erregte, als sähe ich sie zum ersten Mal. Meine Augen trafen die seinen. Sie sandten mir ihr lächelndes Blau, das durch die Schatten auf seinem schmalen Gesicht und das hellblaue Hemd noch intensiver wurde. Mit einer geschickten Bewegung bändigte er eine eigenwillige Strähne, die der Welle seiner glänzenden schwarzen Haare entkommen wollte. Als er seine Krawatte gebunden hatte, kam er wieder zu mir und setzte sich neben mich.

“Ich habe für heute Abend um halb acht einen Tisch in deinem Lieblingsrestaurant am Beauchamp Place bestellt. Es ist dein Geburtstag, und ich dachte, wir sollten ihn mit unseren Freunden feiern. Ich fahre direkt vom Büro dorthin, weil ich eine wichtige Konferenz habe und es spät werden kann. Ich habe Bill gebeten, dich um sieben hier abzuholen, denn ich werde es nicht schaffen. Sag mir, dass es dir nichts ausmacht, Baby.“

Mein Herz machte einen Freudensprung. Alle vorwurfsvollen Gedanken, dass er nicht an meinen Geburtstag gedacht hatte, und alle aus meiner weiblichen Unsicherheit geborenen Zweifel an meiner Bedeutung für ihn entfernten sich beschämt aus meinem Kopf. Nicht nur hatte er an meinen Geburtstag gedacht, sondern auch noch arrangiert, dass wir diesen besonderen Tag alle zusammen feiern würden. Das Glück verbreitete ein warmes Gefühl in meiner Seele und beschwichtigte die Fragezeichen meines Verstandes. Doch das Wichtigste, das Lebenswichtige für mich war die Art und Weise, wie er auf die Möglichkeit meiner Schwangerschaft reagiert hatte, seine Ruhe und die Selbstverständlichkeit, mit der er diese Aussicht als unser gemeinsames Problem akzeptierte. Er gab mir eindeutig zu verstehen, dass, wenn sich jemand damit auseinander setzen musste, dies für uns beide galt. Seine Sicherheit rann wie Balsam durch meine Adern und wirkte wie ein Beruhigungsmittel für meine Sorgen, die ich schon so viele Tage mit mir herumtrug. Er schickte mir einen Kuss durch die Luft, nahm sein Jackett und sagte beim Gehen: „Zieh doch bitte das grüne Kleid an, das dir so gut steht. Ich will, dass mein Baby heute Abend schön ist wie eine Göttin.“

Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, breitete sich Stille im Zimmer aus. Ich mochte nicht länger im Bett bleiben und machte mich mit kindlichem Eifer daran, das Zimmer aufzuräumen, wobei ich mir seine liebevollen Koseworte, seine Zärtlichkeiten und seine Küsse noch einmal genüsslich auf der Zunge zergehen ließ und meine Nase wollüstig den Duft seines Aftershaves einsaugte, der noch in der Luft lag.

Mein überschäumender Tatendrang entlud sich in der Geschicklichkeit, mit der ich das große Bett machte, wobei ich ein weiteres Mal über die herrliche, mattgelbe Bettdecke strich, die aus derselben schweren Seide war wie die Vorhänge, die die beiden Fenster zum Park hinaus umrahmten. Durch den farblichen Kontrast passte sie perfekt zu dem dunklen, kunstvoll verzierten Kopfteil des Bettes und den glänzenden, blank polierten Oberflächen der klassischen Möbel, die Sardi, meine Mutter, und Winda, meine Großmutter, so sorgfältig ausgewählt hatten. Ich liebte diese Wohnung am Holland Park und schätzte mich glücklich, dass meine Mutter sie mir für die Zeit meines Medizinstudiums zur Verfügung stellte. Immerhin entgingen ihr während dieser Zeit beträchtliche Mieteinnahmen.

Was mir allerdings Eindruck machte, war, dass mein Vater nichts von der Existenz der Wohnung wusste. Die beiden Frauen ließen mich hoch und heilig versprechen, dass ich ihm niemals verraten würde, dass die Wohnung Eigentum meiner Mutter war. Ich wunderte mich zwar sehr darüber, aber die Jugend hat die Fähigkeit, über Situationen hinwegzusehen und sich keine Gedanken über Themen zu machen, die die persönlichen Belange der Erwachsenen betreffen. Außerdem war sie ein Geschenk meiner Großmutter an ihre heiß geliebte Tochter, meine Mutter; und wie sie selbst mir sagte, würde sie ihr ein Dach über dem Kopf, Unabhängigkeit und Sicherheit bieten, falls etwas in ihrem Leben schief ginge und sie Kabul aus irgendeinem Grund verlassen müsste. Das Wie und das Warum gingen nur sie etwas an. Mir genügte es, dass ich dieses wunderbare Zuhause mit seinen vier Schlafzimmern genießen durfte, das riesige Wohnzimmer mit den bequemen weißen Sofas und dem großen, wertvollen blauen Nain in der Mitte, umrahmt von den anderen, etwas kleineren afghanischen Teppichen in den Ecken, die mit ihren leuchtenden Farben und ihrer einzigartigen Kunst die Ästhetik der Räume hervorhoben. Meine Großmutter hatte ganz sicher einen exquisiten Geschmack, und sie hatte die Wohnung mit viel Liebe und eindeutig mit viel Geld eingerichtet. Ich erfreute mich an der supermodernen Küche mit den Granitflächen und der Vielzahl von grau lackierten Schränken. In dem marmornen Bad wurde meine Körperpflege zu einem Fest des Komforts, des Vergnügens und des Luxus. Ja, ich schätzte mich glücklich – oder, besser gesagt, ganz besonders privilegiert.

Ich stellte das Radio an, und die alte Melodie von Yesterday erfüllte den Raum. Dann ging ich in die Küche, wo ich mit mechanischen, täglich geübten Handgriffen frischen Kaffee in die Maschine gab und mein Frühstück zubereitete.

Durch die Türöffnung sah ich die Vorhänge im Wohnzimmer – eine Wolke in Weiß –, wie sie sich, durch den morgendlichen Wind gestreichelt, befriedigt aufbauschten oder sich hin und her wiegten, wenn der Luftzug etwas stärker wurde. Während ich an meinem letzten Bissen Toast kaute, machte ich in Gedanken einen Plan für meine nächsten Schritte an diesem für mich so bedeutungsvollen Tag.

“Als allererstes muss ich wohl den Abfall runter bringen”, sagte ich laut vor mich hin, als der Deckel des Aluminiumeimers nicht richtig schloss.

Mit der einen Hand packte ich eilig die schwarze Tüte, warf mir mit der anderen rasch meine Strickjacke über und ging auf die Straße hinunter. Nachdem ich die große Mülltonne geschlossen hatte, blieb ich wie gewohnt stehen, um den Anblick, den ich so liebte, zu genießen. Die Bäume, vom nächtlichen Regen rein gewaschen, bogen bei der Berührung der morgendlichen Brise anmutig ihre Äste und sandten mir ihren frischen Morgengruß. Die vorwitzigen Petunien hoben ihre hübschen bunten Köpfe, um sich von den ersten Sonnenstrahlen küssen zu lassen. Der sattgrüne Rasen hielt hartnäckig die Tropfen des nächtlichen Regens fest, als seien sie wertvolle, strahlende Diamanten, von denen er sich auf keinen Fall trennen wollte. Mein Blick umfing die schneeweißen Fronten der imposanten Häuser, denen die jüngsten Restaurationsarbeiten einen besonderen Glanz verliehen, und beobachtete, wie die Fenster sich wie ein Willkommenslächeln für den neuen Tag eins nach dem anderen öffneten, um die stickige, verbrauchte Luft der Nacht herauszulassen. Die wenigen Passanten gingen langsam und sahen aus, als würden sie die Schönheit und die Düfte dieses paradiesischen Winkels in der lärmenden Großstadt genießen.

Und plötzlich sah ich sie! Die große schwarze Katze sprang vom Mülleimer herab und glitt durch das dunkle Gitter in den Hof des Nachbarhauses. Ihr Erscheinen beunruhigte mich und weckte die Furcht, die mir die verschiedenen Versionen des Aberglaubens einflüsterten. Als wären die zahlreichen Unheil verkündenden Sprüche meiner Heimat nicht genug, hatte ich mir im Laufe der drei Jahre, die ich in London lebte, auch noch diejenigen der Engländer zu Eigen gemacht. Und bei ihnen bringt eine schwarze Katze Unglück.

„So ein Pech“, murmelte ich. „Musste ich sie unbedingt gleich heute Morgen sehen, verdammt noch mal?“

Ich merkte, wie meine gute Laune sich verdüsterte. Ein winziger Stachel des Unbehagens steckte in meinen Gedanken und verursachte eine vage Verstimmung. Ich konnte nicht genau definieren, ob sie aus meiner Unsicherheit entsprang, aus einer Vorahnung oder einfach aus meiner Dummheit.

Ich sprach ein kleines stummes Gebet, um das Böse abzuwenden, und versuchte, das ungute Gefühl zu verjagen und mich ausschließlich und egoistisch um mein Wohl zu kümmern. Ich wollte heute strahlen; das sollte meine Hauptsorge sein.

Die meiste Zeit, die mich von der Abendverabredung trennte, war ich unterwegs. Ich brauchte Stunden, um in den Geschäften das Abendtäschchen zu finden, das genau zu meinen eleganten Sandaletten und dem von Peter vorgeschlagenen Abendkleid passte. Als ich, erschöpft von der Suche, aber rundum zufrieden mit meinen Einkäufen nach Hause kam, drehte ich mir sorgfältig die Haare auf, bedeckte sie mit einem Handtuch, um sie vor den Dämpfen zu schützen, und tauchte in ein belebendes, wohltuendes Bad ein. Die aromatischen Öle sandten ihre Düfte in die Luft und in die Poren meines Körpers. Bis zu den Schultern im warmen Wasser liegend, bewunderte ich die exzellente Arbeit der Kosmetikerin an meinen Finger- und Fußnägeln, die durch dezenten, passenden Nagellack betont wurden.

Als ich gebadet hatte, war es bereits viertel nach fünf. Zeit, mich langsam anzuziehen. Wie ist der Tag nur so schnell vergangen?, fragte ich mich. Ich öffnete den geräumigen Kleiderschrank im Schlafzimmer und nahm das grüne Kleid heraus. Meine Finger streichelten die feine Seide. Seine ganze Schönheit bestand in der raffinierten Schlichtheit des Schnitts und der edlen Qualität des Stoffes. Nur mit meiner sorgfältig auf das Kleid abgestimmten Unterwäsche bekleidet, setzte ich mich vor den Frisierspiegel, um mich zu schminken. Ich widmete diesem weiblichen Ritual viel Zeit und Aufmerksamkeit, und das Ergebnis zauberte ein befriedigtes Lächeln auf meine Lippen. Ich bürstete mein Haar und korrigierte mit dem Föhn die kleinen Unregelmäßigkeiten an einigen aufmüpfigen Strähnen.

„Tadellos“, gratulierte ich mir selbst mit kindlicher Freimütigkeit zu meinem gelungenen Werk.

Dann zog ich das Kleid und die Sandaletten an, wobei ich die Melodie aus dem Radio leise mitsummte, und stellte mich vor den großen Spiegel in der Schranktür. Die Gestalt der hoch gewachsenen, schlanken jungen Frau, die mir aus dem Glas entgegenlächelte, ließ Schauer der Befriedigung durch mein Inneres rieseln. Das dunkelgrüne Kleid umschmeichelte ihre Figur, betonte dezent ihre Kurven und öffnete sich nach unten mit reichem Faltenwurf wie ein Fächer. Das gewagte Rückendekolleté wurde zur Hälfte durch eine Kaskade dunkelroter, sorgfältig frisierter Haare verdeckt. Die grünen Augen, geschickt betont, spielten mit dem Grün der Seide. Mir gefiel das, was ich sah. Meine weibliche Eitelkeit war absolut zufrieden gestellt, zumal ich mir so viel Mühe gegeben hatte, dieses für mein Selbstbewusstsein so bedeutende Werk gelingen zu lassen.

Während ich die unbestreitbar elegante Figur betrachtete, sah ich plötzlich im Hintergrund des Spiegels eine andere Gestalt wie ein Phantasiegebilde. Eine Frau, in ihren dunklen Tschador gehüllt, plump, unförmig, oben und unten gleich breit. Nur ihre Augen, dieselben wie meine, waren hinter dem Schleier zu sehen, und ihr eindringlicher Blick hielt meinen fest. Mich fröstelte angesichts dieser sonderbaren optischen Täuschung, dieses Spiels meiner Phantasie, und ich konnte nicht umhin, die beiden Frauen zu vergleichen, die ein und dieselbe Person waren, in zwei Versionen aus verschiedenen Kulturen. Die eine, die islamische, ließ keinerlei Raum für Selbstgefälligkeit oder Koketterie; unter dem hässlichen Kleidungsstück begrub sie ihre Identität, ihre Persönlichkeit und ihre Wünsche. Die andere, selbstbewusst, weltgewandt, europäisch, enthüllte nicht nur ihre äußere Gestalt, sondern offenbarte auch tausende von kleinen Einzelheiten über ihre Persönlichkeit, über deren Ausdruck sie frei und ungehindert selbst entscheiden konnte. Der Vergleich jagte mir einen Schreck ein, doch trotzig beschloss ich, diesen beiden unterschiedlichen Welten meines Unterbewusstseins nicht zu erlauben, mir mit ihrem Konflikt die Stimmung zu verderben. Ich, Maraima, war ein anderer Mensch in Kabul und ein völlig anderer in London. Die zweite Ausgabe war mir ohne Zweifel lieber. Mit einem heftigen Kopfschütteln verjagte ich das anachronistische Gespenst aus dem Spiegel und – so hoffte ich – aus meinem Leben.

Nachdem ich die Schranktür mit mehr Gewalt geschlossen hatte als beabsichtigt, ging ich in die Küche, um etwas Orangensaft zu trinken, denn mein Mund war ausgetrocknet. Die Uhr über dem Kühlschrank warnte mich: Fünf vor sieben. Bill muss jeden Moment kommen, dachte ich und verzog gleich darauf das Gesicht. Dieser Mann verursachte mir Unbehagen, sooft er in meiner Nähe war. Trotz seiner angenehmen Erscheinung und seiner nach außen hin guten Manieren, entdeckte ich, wenn er mich ansah, in seinem Blick eine gewisse Dreistigkeit und etwas wie sexuelles Verlangen. Wenn er mich begrüßte, hielt er meine Hände unnötig lange fest. Mir waren diese angeblich zufälligen Berührungen zuwider, sie gingen mir auf die Nerven. Ich hatte Peter nie etwas davon erzählt, warum, weiß ich selbst nicht, vielleicht aus Schüchternheit, vielleicht, weil ich keine Missstimmung zwischen ihnen aufkommen lassen wollte - schließlich waren sie Kollegen und wohnten zusammen – wegen etwas, das vorläufig noch ungefährlich war. Ich brauchte nur vorzugeben, dass ich absolut gar nichts davon bemerkte.

Fünf nach sieben.

“Was ist nur los? Er weiß doch, dass wir um halb acht dort sein müssen”, schimpfte ich vor mich hin.

Ich begann, auf und ab zu gehen, wobei ich immer wieder einen Blick aus dem Fenster warf, um zu sehen, ob er kam. Nichts. Ungeduldig wartete ich auf das Klingeln an der Haustür, bereit hinunterzulaufen. Kein Laut. Meine innere Unruhe verwandelte die Minuten in Ewigkeiten. Ich saß wie auf glühenden Kohlen mit meiner Stola, der Tasche und den Schlüsseln in der Hand. Ich wurde immer nervöser und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Beruhige dich, schalt ich mich selbst, dies ist London, eine verkehrsreiche Stadt. Es kann gut sein, dass er irgendwo im Stau steckt.

Das verstehe ich ja, aber meine Gäste warten, antwortete ich in Gedanken auf meine Argumente.

Einige Minuten fasste ich mich noch in Geduld. Niemand kam. Ich dachte daran, im Büro anzurufen, verwarf die Idee jedoch sofort wieder – bestimmt war er unterwegs. Neunzehn Uhr fünfundzwanzig.

„Jetzt warte ich nicht länger“, grummelte ich. Eilig schloss ich die Tür ab und rannte die Treppe hinunter, um ein Taxi zu suchen. Bald hielt eins an, und ich glitt rasch auf den Rücksitz. Ich bat den Chauffeur, so schnell zu fahren wie möglich. Er kannte einige Schleichwege mit weniger Verkehr, dennoch kam ich zu spät zu meiner Geburtstagsfeier, die sich im Laufe des Abends als Fiasko herausstellen sollte. Doch das Schlimmste war, dass meine schwärzesten Befürchtungen sich bestätigt hatten. Ich konnte nicht umhin, mir die Katze vom Morgen wieder in Erinnerung zu rufen. Das böse Omen hat sich also erfüllt, dachte ich kreuzunglücklich.

Während ich am Ausgang stand und meine Freunde verabschiedete, schnitt die eisige Nachtluft in mein Herz. Meine Welt war zusammengebrochen; mein Denken konzentrierte sich einzig und allein auf eine Tatsache: Peters Abwesenheit, für die ich, so sehr es mich schmerzte, nun leider eine Erklärung hatte. Die Verantwortung, die durch meine mögliche Schwangerschaft auf ihn zukam, hatte ihn abgeschreckt, und durch sein Verschwinden hatte er einen Weg gefunden, sich vor ihr zu drücken. Er hatte nie vorgehabt zu kommen und darum das Essen im Voraus bezahlt. Deshalb war natürlich auch Bill nicht erschienen. Die beiden hatten die Sache zusammen ausgeheckt; offenbar waren sie der Meinung, mir keine Erklärung schuldig zu sein. Eine Geliebte ist eben etwas anderes als eine werdende Mutter, die sicher Ansprüche stellen würde. Vielleicht hielt Peter mich für minderwertig, weil ich Asiatin war – er, der kosmopolitische, gut aussehende, reiche, umworbene Mann. Was war ich denn für ihn? Bis gestern seine ergebene, bequeme Mätresse, die jedoch heute seinen Rassismus oder vielleicht auch seine Verachtung zum Vorschein brachte und die er im Stich lassen und vor ihren Freunden und Bekannten bloßstellen konnte?

Ich fühlte, wie die Scham meine Wangen versengte und die Demütigung mich wie ein inneres Fieber verbrannte. Zeit, aus ihrem Leben zu verschwinden. So dachte der Bastard offensichtlich, der Betrüger, der Schuft, der Heuchler. Geschieht mir recht, blind vor Liebe und Leidenschaft in seine Fänge zu geraten, geblendet wie ein dummes Schaf von seinem Aussehen, seiner Intelligenz, seinem Einfallsreichtum als Liebhaber und seinen tadellosen Manieren! Es war also alles nur Täuschung gewesen.

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich durch meine Leichtgläubigkeit in eine so schwere Krise geraten; eine Krise, zu deren Bewältigung ich mich in dem Moment nicht in der Lage fühlte. Der Schmerz, die Blamage und die Einsamkeit tanzten in meinem Innern einen schwermütigen Reigen und trübten meine Augen und meinen Verstand.

Ohne dass ich es bemerkt hatte, waren wir in Ninas Auto bei mir zu Hause angekommen. Meine Freundin war sehr aufgebracht. Dennoch versuchte sie, mich mit ihrem unaufhörlichen Redeschwall abzulenken, den ich in einer anderen Situation sicher unterhaltsam gefunden hätte, nicht jedoch heute Nacht. Sie erbot sich, bei mir zu übernachten, doch ich lehnte höflich, aber bestimmt ab. Als die Rücklichter ihres Wagens um die Ecke bogen, nahm ich all meinen Mut zusammen, um in meine Wohnung in der zweiten Etage hinaufzusteigen. Ich ging sofort ins Schlafzimmer und warf mich angekleidet aufs Bett; ein Häuflein Elend mit verletztem Stolz, verwundetem Herzen, das bereits zu bluten begonnen hatte, und einem überwältigenden Gefühl des Verlustes, der Verlassenheit, der Einsamkeit.

ICH, DIE FRAU DES TALIBAN

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