Читать книгу ICH, DIE FRAU DES TALIBAN - Dimitra Mantheakis - Страница 12

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Ich war so in meine traurige Rückblende in die Vergangenheit vertieft, dass ich nicht hörte, wie Nina ins Zimmer kam. Als sie sich über mich beugte und mir die Hand auf die Schulter legte, zuckte ich zusammen, als hätte ich einen elektrischen Schlag erhalten. Überrascht schaute meine Freundin mich an. Dann folgte ihr Blick meinen Augen, in denen die Tränen glänzten, und starrte das Bild an. Röte stieg ihr in die Wangen, und sie umarmte mich.

„Entschuldige, meine Süße, das war mein Fehler… Ich hatte nicht darauf geachtet, wer noch auf dem Foto ist, bitte glaub mir“, sagte sie mit belegter Stimme.

Ich glaubte ihr. Mit einer abrupten Bewegung klappte ich das Album zu und versuchte, das Thema zu wechseln, denn ich konnte es nicht mit ansehen, dass meine Freundin so betrübt war.

„Haben wir nicht gesagt, dass die Sache erledigt ist? Was geschehen ist, ist geschehen“, sagte ich so leichthin wie möglich und setzte hinzu, dass ich ein Bad zur Entspannung nehmen und mich für das Abendessen fertig machen würde.

Erleichtert drückte Nina mir einen Stapel duftender Handtücher in die Hand, die Vicky zuvor ans Fußende des Bettes gelegt hatte. Ich nahm zwei davon, ging in das riesige marmorne Badezimmer und schloss die Tür hinter mir. Als ich die Dusche angestellt hatte, ließ ich auch meinen Tränen freien Lauf, zusammen mit dem Wasser, das sie abwusch, und versuchte so, meinen Geist und meinen Körper zu reinigen, die mir durch den Betrug und den Verrat des Mannes, von dem ich bis gestern angenommen hatte, dass er mich anbetete, beschmutzt und verhöhnt vorkamen.

Nach dem Baden wandte ich viel Zeit auf, um meine langen Haare zu trocknen. Ich zog eine hellblaue Hose und einen Rollkragenpullover in derselben Farbe an. Dann legte ich ein leichtes Make-up auf, um die Blässe meines Gesichts zu überdecken. Meiner äußeren Erscheinung war der Sturm meiner Gefühle nun nicht mehr anzusehen. Und langsam beruhigte er sich in dieser anheimelnden Umgebung mit den gelben, fröhlich gemusterten Sofas, den bauschigen Vorhängen aus demselben Stoff, dem bequemen, weißen Bett mit dem einfarbigen türkisen Überwurf, dem schönen Aubusson-Teppich, den erlesenen Bildern und kostbaren Nippsachen.

Ninas muntere Stimme rief mir durch die offene Tür zu. „Das Abendessen wird gleich serviert. Bist du fertig?“

Ich bejahte. Meine Freundin hatte eine schwarze Hose und einen knallroten Pullover angezogen. Sie war bezaubernd schön. Ich sagte es ihr, und sie freute sich wie ein kleines Kind. Diese erfrischende, ungekünstelte Begeisterung über die unbedeutendsten Dinge war es, die sie in allen Kreisen, in denen sie verkehrte, so beliebt machte und für mich so liebenswert.

Gleich darauf liefen wir die massive hölzerne Treppe hinunter und gingen ins Esszimmer. Der Kamin im großen Salon knisterte, und seine orangefarbenen Flammen leckten mit sichtlicher Gier an den dicken Holzscheiten. Der Kamin wurde gewöhnlich an regnerischen Abenden angezündet, um die Feuchtigkeit aus der Atmosphäre zu vertreiben. Seine Lebendigkeit unterbrach die Melancholie der Holztäfelung und verstärkte die heitere Note, die die gemütlichen, zart aprikosenfarbenen Sofas dem Raum verliehen. Die Lampen verbreiteten ein warmes Licht, und die frisch geschnittenen, duftenden Blumen in den Vasen waren bunte, wunderschöne Farbflecken, die gute Stimmung verbreiteten.

Der große Tisch war an einem Ende für zwei gedeckt. Die Gläser funkelten im Licht der Kerzen in silbernen Haltern, und die Wedgwoodteller hießen uns mit ihrem hübschen blauen Muster willkommen. Ein leichter Duft nach Möbelpolitur mit Bienenwachs lag in der Luft.

Wir setzten uns nebeneinander. George, der auch als Butler fungierte, servierte uns den alten französischen Wein. Wir stießen an, und Nina sagte: „Wünsch mir, dass es mit mir und dem Paul auf dem Foto etwas wird.“

Ich wünschte es ihr. Sie ihrerseits wünschte mir, dass sich für mich alles zum Guten wenden und die Angelegenheit mit Peter sich als Missverständnis herausstellen würde. Ich trank darauf, wenn ich auch in meinem Herzen nicht daran glaubte und nicht einmal einen Funken Hoffnung hatte.

Mrs. Owen hatte sich für uns große Mühe gegeben. Gefüllte Artischocken waren die Vorspeise, zartes Filet mit Pilzen und kleinen, runden Kartoffeln das Hauptgericht, dazu ein bunter Salat, zusammengestellt aus dem Gemüsegarten des Hauses. Eine leichte Nachspeise aus frischen Brombeeren rundete das wunderbare Abendessen ab. Zu meiner Überraschung verschlang ich alles mit großem Appetit, obwohl ich, bevor ich mich zu Tisch setzte, den Eindruck gehabt hatte, keinen Bissen herunterzubekommen. Meine Stimmung besserte sich merklich; ich fühlte mich gestärkt und besser gewappnet für den Kampf mit den Widerständen meines Geistes und meines Herzens.

George servierte uns den Kaffee neben dem Kamin. Ich war recht entspannt, und mein Verstand weigerte sich, die aufdringlichen, unangenehmen Gedanken zu verarbeiten, die auf lästige Weise versuchten, sich einzumischen und meine zumindest zeitweilige Ruhe zu stören. Ich hielt es jedoch für angebracht, Nina über die Wahrscheinlichkeit meiner Schwangerschaft zu informieren. Sie antwortete mir beruhigend, dass wir in London sofort zu ihrem Arzt in der Harley Street gehen würden, einem Gynäkologen, der uns am besten beraten könne. Ich solle mir also um nichts Sorgen machen, sondern mich auf sie verlassen.

Tat ich denn etwas anderes? Benutzte ich sie nicht als Rettungsanker, als Zufluchtsort für meine, in meiner Unerfahrenheit vielleicht übermäßig dramatisierten, emotionalen Katastrophen?

Eine Weile unterhielten wir uns noch über unverfängliche, harmlose Themen; dann schlug Nina plötzlich vor, in einem Club in Brighton tanzen zu gehen, „um ein wenig Spaß zu haben“, und, wie sie betonte, „ein paar Kalorien zu verbrennen.“ Ich hatte nichts dagegen. Ohne uns umzuziehen, nur mit frisch nachgezogenen Lippen, stiegen wir in den Jeep und kamen nach wenigen Minuten bei dem Club an. Gruppen junger Leute warteten ungeduldig vor der geschlossenen Tür. Die Proteste über den verspäteten Einlass wurden immer lauter. Für uns kein Problem. Der Türhüter kannte Nina, und kurz darauf saßen wir an einem Tisch.

Nina ließ ihren Blick wie einen Scheinwerfer umherschweifen und entdeckte vier, fünf ihrer Freunde, mit denen wir schnell zu einer Gesellschaft zusammenschmolzen. Sie zogen auch mich auf die Tanzfläche, wo ich, mich fast mechanisch im Rhythmus bewegend, die angestaute Energie aus mir herausließ, wie aus einem Kessel, der zwar im Innern brodelte, dessen Deckel jedoch noch gerade rechtzeitig vor der Explosion abgehoben wurde. Mein Verstand entleerte sich von allen schwarzen Gedanken, und mein Körper beschäftigte sich einzig und allein damit, den Rhythmen der Songs, teils wild, teils gemäßigt, zu folgen.

In den frühen Morgenstunden kehrten wir angeheitert nach Hause zurück, wo uns, bevor Nina den Schlüssel in die Tür stecken konnte, ein ungebeugter George öffnete. War eine Spur von Tadel auf seinem Gesicht zu erkennen? Ich war nicht sicher. Mit Kichern und wahrscheinlich übertriebener Lautstärke stiegen wir die Treppen zu unseren Zimmern hinauf, wo Müdigkeit und Drinks uns bald in einen tiefen Schlaf sinken ließen.

Die nächsten Tage vergingen ebenso angenehm. Das Meer war eisig, deshalb beschränkten wir uns darauf, im Swimmingpool des Hauses zu baden. Endlose Strandspaziergänge dicht am Wasser, Besuche und Gespräche mit Bekannten und Freunden in den beliebten Stammlokalen, die gerade in Mode waren, Tanzen und Mrs. Owens wunderbares Essen füllten unsere Tage aus.

Am Tag vor unserer Abreise, während ich in einer Teestube saß und auf meine Freundin wartete, die in der benachbarten Buchhandlung nach Lesestoff suchte und sich mit der Eigentümerin unterhielt, sah ich gegenüber eine Apotheke. Ohne nachzudenken, lief ich hinüber. Ich ging hinein und verlangte mit leichter Befangenheit, vielleicht auch Scham, einen Schwangerschaftstest. Hastig nahm ich die Packung entgegen und verbarg sie tief unten in meiner Tasche. Dann wartete ich ungeduldig auf Nina; ich hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Mit wehender blonder Mähne kam meine Freundin auf mich zu und schwenkte mehrere Einkaufstüten. Sie warf sie auf den Rücksitz des Wagens, und wir fuhren heim. Es war drei Uhr nachmittags. Nina wollte sich vor dem Tee ein wenig hinlegen und schlug mir vor, das Gleiche zu tun. Ich stimmte zu, denn ich wollte unbedingt allein sein.

Als ich in meinem Zimmer war, schloss ich sorgfältig die Tür, zog meine Kleider aus und einen bequemen Morgenrock an. Meine Hände wühlten fieberhaft in der Tasche und fanden den Test. Ich zerriss die Umhüllung und las die Gebrauchsanweisung. Ich hatte das starke Bedürfnis zu erfahren, was mit mir los war; ich konnte nicht länger mit der Ungewissheit und dem Aufschub des Urteilsspruches leben. Wie hypnotisiert verfolgte ich die Veränderungen auf dem Indikator, während die Angst mir die Kehle zuschnürte.

Und dann stabilisierten sich die Linien und die Farbe. Ich krümmte mich, als hätte ich einen harten Faustschlag in den Magen bekommen. Unsägliche Furcht packte mich mit grausamen Krallen. Die Verzweiflung trieb mir Tränen in die Augen und umnebelte meinen Verstand. Das Ergebnis, unerbittlich vor meinen Augen, war positiv. Ich war schwanger.

ICH, DIE FRAU DES TALIBAN

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