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2.3 Bevölkerungsszenarien

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Abb. 2.3:

Bevölkerungsentwicklung Deutschlands bis 2060 (Quelle: Umweltbundesamt)

Abb. 2.3 illustriert mögliche Szenarien der Bevölkerungsentwicklung Deutschlands, die mit dem vorhandenen Wissen im Jahr 2009, also 6 Jahre vor Beginn der Flüchlingskrise, erstellt wurden. Wie bei Sensitivitätsanalysen im Bereich Investition und Finanzierung wurde hier an diversen Eingangsgrößen, wie Auslandsmigration, Fertilität und Lebenserwartung, variiert bzw. „gespielt“. Die Forscher hielten eine Obergrenze der Bevölkerung (grafisch die gelbe Linie) und eine Untergrenze (die blaue Linie) für möglich: Sie schätzten also, dass sich die Bevölkerung Deutschlands im Jahr 2019 zwischen etwa 78 und 81 Millionen Menschen befinden würde. Tatsächlich hatte Deutschland im Jahr 2019 ca. 83 Millionen Einwohner! Abzüglich des Sondereffektes Migration aus dem Nahen Osten und Afrika seit 2015 lag die Bevölkerung Deutschlands im Jahr 2019 also immer noch etwa eine Million Menschen höher als im oberen Szenario aus dem Jahr 2009. Bewahren bzw. entwickeln Sie also eine gewisse Skepsis gegenüber Prognosen über lange Zeiträume.

Fehlschätzungen können in der Tat – Stichwort „Mietwahnsinn“ – sehr praktische Implikationen haben. Tatsache ist, dass in den sogenannten „Schwarmstädten“ zu wenig gebaut wurde und dass die Preise von Neuvermietungen dort inzwischen vielfach ein Niveau erreicht haben, das die Hälfte des Nettoeinkommens einer gutverdienenden Kleinfamilie beträgt. Da eine Schrumpfung von Wohnraum gleichbedeutend mit einer bewussten Schrumpfung der Wirtschaft ist, wird diese Alternative von keiner der nennenswerten politischen Parteien Deutschlands propagiert. Ob das allgemein erkannte soziale und wirtschaftliche Problem bezahlbarer Wohnraum aber durch mehr oder durch weniger Staat gelindert werden soll, ist wiederum eine Wertefrage. Ich folge hier Boris Palmer, der Wohnbauland, das inzwischen gut bei 1.500 Euro und mehr pro Quadratmeter kostet, als Quelle eines leistungsunabhängigen Einkommens für den (Vorbesitzer) bezeichnet, das besteuert werden sollte und der für den Wohnungsmarkt mehr Staat anstelle von Deregulierung fordert.[24]

Um hier einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Diese Abweichungen haben nichts mit mangelnder Kompetenz der Demografen, die diese Szenarien gerechnet haben, zu tun. Geändert hatten sich die Fakten. Die o.g. Skepsis gilt notwendigerweise auch für alle Vorhersagen von Klimamodellen jedweder Qualität. Das Wissen darum sollte aber unabhängig davon sein, dass wir „vernünftig“ mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen. Der Mathematiker Keynes argumentierte übrigens vor einem Menschenalter im Unterschied zu allen mir bekannten Strömungen in der modernen Ökonomie, dass man „bei der Untersuchung eines Problems nicht von vornherein annehmen [solle], eine quantitative Analyse sei die angemessene Strategie, sondern genau andersrum verfahren: annehmen, dass man sie nicht nutzen kann, und sich rechtfertigen, wenn man es trotzdem tut.“[25] Beachten Sie, dass wir praktisch überall seit mehr als zwei Jahrzehnten den Gegenweg beschreiten; indem wir versuchen, Qualität durch Kennzahlensysteme zu messen (s. auch die Ausführungen zu Mathias Binswangers Buch „Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“ in Kapitel 1.2).

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