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Sonntag, 18. November 2012, 03:20

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›Jeden Tag eine gute Tat‹, hatten ihm seine Eltern eingebläut. Mark Stein war glücklich und in einem Zustand größter innerer Zufriedenheit. Obwohl es spät war, hatte er seine gute Tat für heute endlich vollbracht. Nun war er müde. Nachdem er seinen Wagen in der Garage abgestellt hatte, wollte er nur noch nach Hause und ins Bett. Mark war groß, ca. 1,90 Meter und kräftig gebaut, nicht dick, und gut trainiert. Seine langen Beine trugen ihn schnellen Schrittes zurück in die Siedlung, in der sich seine kleine Wohnung befand. In den alten Bauten gab es noch keinen Luxus wie eine Tiefgarage oder Stellplätze. Wer zuerst kam, mahlte zuerst, und konnte einen der wenigen Parkplätze an der Straße ergattern. Dieses Glück war Mark selten beschert und es hatte ihn schon immer geärgert, auch im Winter und bei schlechtem Wetter erst zu seiner Garage laufen zu müssen, bevor er mit seinem Wagen zur Arbeit fahren konnte.

Weit nach Mitternacht betrat Mark seine Einzimmerwohnung fast lautlos, um die Nachbarn im Haus nicht zu wecken. Es war eine kleine, aber sehr ordentliche Zuflucht mit allem, was man zum Leben brauchte. Ein kleines Bad, spartanisch eingerichtet mit weißen Möbeln aus dem Supermarkt, ein kombiniertes Wohn-/Schlafzimmer mit einer Ausziehcouch und eine kleine Küche. Mark lebte alleine, seitdem er bei seinen Eltern ausgezogen war. Eine Frau an seiner Seite konnte er sich zurzeit nicht vorstellen. Er lebte für seinen Beruf. Tagein, tagaus immer der gleiche Trott, aber er erfüllte ihn mit Stolz und Befriedigung. Er konnte hier wirklich etwas Gutes tun, und das jeden Tag.

Obwohl Mark müde war, entschloss er sich, noch einen kleinen Moment mit seinen Freunden im Internet zu verbringen. Schließlich hatte er sie die letzten Tage etwas vernachlässigt. Aber es war ja für einen guten Zweck gewesen. Nachdem Mark seine Wohnung betreten hatte, ging er sofort zu seinem Computer auf dem kleinen Arbeitstisch und schaltete ihn ein. Während die alte Kiste hochfuhr, konnte er sich in Ruhe die Hände waschen, etwas Bequemeres anziehen und ein Bier aus dem Kühlschrank holen. Mark setzte sich in seinen alten Bürostuhl vor den Rechner, der nun bereits auf die nächsten Kommandos wartete. Routiniert bewegte er die Maus auf das Symbol und startete das Programm. Mark rieb seine Augen, reckte sich und als er wieder auf den Bildschirm schaute, hatte sich die schillernde Welt des Internets bereits auf seinem Monitor aufgebaut und er konnte sich einloggen.

Seine Hände huschten in schlafwandlerischer Sicherheit über die Tastatur, als er seinen Benutzernamen und sein Passwort eingab. Dies hatte er bereits einige hundert Mal getan und seine Finger kannten die Bewegungen auswendig, ohne dass ihnen ein Fehler unterlief.

Benutzername: Miss Gore

Passwort: ********

Das Programm begrüßte ihn.

Willkommen zurück Miss Gore.

Ihr letzter Besuch war vor 3 Tagen und 6 Stunden.

Ein Lächeln ging von Marks Lippen aus, als er die Begrüßung las. Sein vollständiger Avatarname war Miranda Gore. Das war ihm aber zu lang und er hatte seinen Benutzernamen auf Miss Gore gekürzt, um auch seiner dominanten Art Ausdruck zu verleihen. Miranda war der Name seiner Mutter. Von ihr hatte er so viel gelernt. Wie man sich in der Gesellschaft zu verhalten hatte, was man tat und zu lassen hatte und dass man jeden Tag eine gute Tat vollbringen musste. Seinen Eltern, und speziell seiner Mutter, hatte er jeden Wunsch von den Augen abgelesen und sich immer so verhalten wie sie es von ihm erwarteten. Schon in seiner Schulzeit war er seinen Lehrern nie zur Last gefallen. Er hatte immer seine Hausaufgaben gemacht, war pünktlich zum Unterrichtsbeginn in der Klasse, hatte nie gestört und war immer sehr hingebungsvoll in den Aufgaben vertieft, die ihm seine Lehrer stellten. Gerne erinnerte er sich an die Biostunde, in der sie einen Frosch sezieren sollten. Einige der Mädchen hatten geweint und sich geweigert, mitzumachen. Andere Jungs hatten sich übergeben, als sie einen Tropfen Blut sahen. Mark lächelte bei dem Gedanken daran wie er den ersten Schnitt gesetzt hatte und die Lehrerin ihn vor der ganzen Klasse lobte. Irgendwie machte ihm das Blut und alles drum herum nichts aus, denn er hatte ja eine Aufgabe zu erfüllen. Gerne wäre er Arzt geworden, aber seine Schulnoten erlaubten diesen Schritt am Ende seiner Schulzeit nicht, so dass er sich stattdessen in eine Ausbildung stürzte. An das Lob der Lehrerin konnte er sich heute noch gut erinnern und dies war auch ausschlaggebend für den zweiten Teil seines Benutzernamens. ›Gore‹ stand im englischen für geronnenes Blut und den Akt des Aufschneidens. Dies erinnerte ihn immer an den armen Frosch und seinen offenen Bauch, nachdem er den ersten Schnitt präzise gesetzt hatte.

Dann wollen wir doch mal sehen, wer um diese Zeit noch wach ist, sprach Mark zu sich selber und fing an zu tippen.

[Miss Gore]: Guten Abend, ist jemand anwesend?

Eine Minute verging, dann noch eine weitere. Schließlich kam die erhoffte Antwort.

[Priscilla]: Oh ja, meine Herrin, Ihre Dienerin ist anwesend.

Mit Priscilla hatte Mark bereits einige Wochen Spaß. SIE war in Wirklichkeit ein ER. Mark hatte dies schnell herausgefunden, zumal er auch im falschen Geschlecht unterwegs war und die Indizien kannte, mit denen sich die Kerle meistens verrieten. Er selber hatte nie einen Hehl aus seinem wahren Geschlecht gemacht. Ganz im Gegensatz zu seinen Mitspielern, denn sie gaben keinen Namen, keinen Hinweis auf das wirkliche Geschlecht und auch keine Informationen aus ihrem realen Leben preis. Aber zu Mark schlossen sie schnell Vertrauen und das löste mit der Zeit auch ihre Zungen. Erstaunlich, wie viel die Menschen von sich preisgaben, wenn sie sich im Schutz der Anonymität im Internet sicher fühlten.

[Miss Gore]: Willkommen meine Sklavin. Du bist ja noch wach?

[Priscilla]: Ja, Herrin. Ihr Mädchen konnte nicht schlafen und musste immerzu an Sie denken.

[Miss Gore]: Das ist schön zu hören, aber warum kannst Du nicht schlafen?

[Priscilla]: Meine Gedanken kreisen immerzu um ein Thema.

[Miss Gore]: WAS HABE ICH DIR BEIGEBRACHT? DU UNNÜTZES STÜCK!

[Priscilla]: Herrin, bitte nicht böse sein. Sie haben Ihrer Sklavin beigebracht, dass ihr nichts gehört. Auch nicht ihre Gedanken. Es hätte heißen müssen: »Die Gedanken Ihres Mädchens kreisen immerzu um ein Thema.«

Die Antwort ließ auf sich warten.

[Priscilla]: Herrin, bitte seien Sie nicht böse mit Ihrer Sklavin, es ist schon spät.

[Miss Gore]: DU STÜCK DRECK, versuchst Du jetzt, Deine Haut auch noch mit Ausreden und Rechtfertigungen zu retten?

[Priscilla]: Herrin, Ihre Sklavin war sehr ungehorsam und verdient eine Lektion dafür.

[Miss Gore]: Endlich ein Stück Wahrheit aus Deinem Munde. Bevor ich mir eine Lektion für Dich ausdenke, lass mich hören, was Deine Gedanken waren.

[Priscilla]: Diese Sklavin muss immerzu daran denken von Herrin Gore gegessen zu werden.

Mark war wieder hellwach. Hatte er richtig gelesen? Ja, tatsächlich, Priscilla träumte von Kannibalismus. Instinktiv fühlte Mark, dass er diesem Menschen helfen musste. Wer auch immer dies in Wirklichkeit war, Mark musste es herausfinden.

[Miss Gore]: Meine Sklavin, Du weißt, dass ich Dir helfen kann, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen?

[Priscilla]: Ja Herrin. Bitte! Damit Ihr Mädchen wieder gut schlafen kann.

Mark dachte fieberhaft nach. Es musste einen Weg geben, um herauszubekommen, wer am anderen Ende der Leitung wirklich war. Dass er in Norddeutschland wohnte, hatte Mark schon zu anderen Gelegenheiten in Erfahrung gebracht. Nach dieser Willensäußerung war es nun an der Zeit, die genaue Adresse zu ermitteln. Vielleicht war die Strafe, nach der er geradezu bettelte, der beste Weg dies zu tun.

[Miss Gore]: Nun gut, dazu musst Du Dich aber noch ein wenig gedulden. Für heute wirst Du noch eine Aufgabe bekommen, die Dich gut schlafen lässt. Und sie wird Dich lehren, immer den Anweisungen Deiner Herrin zu folgen.

[Priscilla]: Alles, was Herrin Gore möchte, wird Ihr Mädchen tun.

[Miss Gore]: Das freut mich zu hören. Ich erwarte von Dir ein Foto, auf dem Du Dich selber verletzt. Nimm ein Foto mit Deinem Handy auf und sende es mir zu. Die E-Mail-Adresse kennst Du ja. Ritze Dich mit einem scharfen Messer in den Oberschenkel. Ich will Blut sehen!

Ob das wohl zu forsch war, überlegte Mark, während er auf die Antwort von Priscilla wartete. Er hatte schon viele solche Unterhaltungen geführt. Sie liefen alle nach dem gleichen Schema. Ein Vergehen wurde gestanden oder sogar bewusst provoziert. Mark musste dann die empörte Herrin spielen und durfte sich eine Strafe ausdenken. Meistens waren es Aufgaben, die sowohl im realen Leben als auch im Spiel umgesetzt werden konnten. Aber egal, Mark konnte in beiden Fällen davon ausgehen, dass seine Mitspieler im richtigen Leben an sich herumspielten und erregt waren. Daher dauerten die Antworten schon mal ihre Zeit. Dann endlich wurde wieder getippt und die Reaktion erschien auf seinem Bildschirm.

[Priscilla]: Natürlich, Herrin. Darf Ihre Sklavin jetzt gleich die Aufgabe umsetzen?

[Miss Gore]: Ja, verschwinde und komme erst wieder, wenn Du mir das Foto geschickt hast.

Mark lehnte sich in seinem Stuhl genüsslich zurück, während er sich ausloggte. Er reckte und streckte sich, sah auf die Uhr und stellte fest, dass es wieder spät geworden war. Aber er hatte heute wieder alle seine Aufgaben zu Ende gebracht. Mit gutem Gefühl schaltete er den Rechner aus und ging zu Bett.

♦♦♦

Sven Honnick fuhr sich mit der Hand durch seinen Dreitagebart und überlegte, was er nun tun sollte. In seinem Beruf als Filialleiter einer Sparkasse erwartete man die ganze Woche über, dass er den Ton angab. Nun erteilte ihm dieses Luder aus dem Internet Befehle. Aber das war genau das, wonach er sich sehnte. Nicht immer auf alles eine Antwort wissen und die nächsten Schritte vorausbedenken, sondern sich auch selbst einmal führen zu lassen. Zu oft hatte er sich dies schon gewünscht und nun hatte er endlich jemanden gefunden, die ihm die Richtung vorgab. Er wollte sie nicht enttäuschen. Sven stand auf und ging leise in die Küche, um seine Frau und seinen kleinen Sohn nicht zu wecken.

Galant bewegte sich Sven lautlos voran. Er war gut in Form, Mitte vierzig und sah noch fast zehn Jahre jünger aus. Seine junggebliebene Art kam von jeder Menge Sport, die er in seiner Freizeit trieb. Am liebsten waren ihm die endlosen Laufstrecken um die nahegelegenen Seen. Er wohnte mit seiner Familie etwas abseits gelegen in einem Einfamilienhaus in Norddeutschland, vor den Toren der Landeshauptstadt Kiel. Sven und Lara Honnick waren vor acht Jahren hierher gezogen, um eine Familie zu gründen. Der angebotene Posten als Filialleiter war für sie beide ausschlaggebend gewesen. So brauchten sie sich nur noch um einen neuen Job für Lara zu bemühen. Sie fand ihre neue Anstellung als Erzieherin in einer nahegelegenen Kindertagesstätte. Vor zwei Jahren kam ihr Sohn Lukas zur Welt. Laras Job hatte den Vorteil, dass sie sich keine Tagesmutter für den Kleinen suchen mussten, sondern Lukas täglich mit seiner Mutter in der Kindertagesstätte zusammen war.

Sven kam in der Küche an und inspizierte den Messerblock. Zielstrebig ergriff er ein langes, schlankes Ausbeinmesser, welches er erst vergangenes Wochenende geschärft hatte. Auf dem Rückweg durch das Badezimmer zu seinem Arbeitszimmer machte Sven wiederum keinerlei Geräusche, so dass er Minuten später, nackt und sichtlich erregt, auf seinem Schreibtischstuhl saß. Vor sich auf der Tischplatte hatte er das Messer, ein Taschentuch und ein Pflaster aus dem Bad, sowie sein Handy bereit gelegt. Er atmete langsam ein und aus und strich dabei immer wieder langsam über seinen steifer werdenden Penis. Seine Herrin hatte gefordert, dass er sich einen Schnitt an seinem Oberschenkel zufügen sollte. Musste er groß oder tief sein, überlegte Sven, entschied sich dann aber für die leichte Variante. Er aktivierte die Handykamera in seiner linken Hand und nahm das Messer in die andere. Dann setzte er die Klinge vorsichtig auf seinem Oberschenkel auf. Sven atmete tief ein und zog die scharfe Klinge langsam über seine Haut. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn und sein Glied zuckte durch die Erregung auf. Sven drückte den Auslöser der Kamera. Einmal, zweimal, dreimal. Dann legte er die Kamera und das Messer ab, tupfte die Bluttropfen mit dem Taschentuch fort und massierte seinen erregten Schwanz. Er brauchte nur noch wenige Bewegungen, bevor Sven sich in das Taschentuch ergoss und befriedigt im Stuhl zusammensank.

Seine Erregung ließ rasch nach und er realisierte zielstrebig die nächsten Schritte, die er als Priscilla noch zu erledigen hatte. Im Nu waren die Bilder von seinem Handy auf seinen Rechner verschoben und eine elektronische Nachricht an Miranda_1989.Gore@gmail.com gesandt. Erleichtert fuhr Sven den Rechner herunter, entsorgte das blutige Taschentuch und stellte das gesäuberte Messer in den Messerblock zurück. Dann legte er sich zu seiner Frau ins Bett und starrte an die Decke. Was werden wohl die nächsten Aufgaben sein, freute sich Sven und schlief darüber nachdenkend ein.

Mord im ersten Leben

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