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Alles was bleibt

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Das ich erstmals ein Buch über Nahtoderlebnisse schreibe, liegt an der Tatsache, dass ich mich von Anbeginn meines Lebens viel öfter um das Thema Tod kümmern musste als um das Leben selbst. Ich musste lernen „gut zu sterben“, damit ich überhaupt im Ansatz ein gutes, bereicherndes, liebevolles und glückliches Leben leben konnte. In meinem Leben sattelte ich das Pferd sozusagen von hinten auf. Vom Tod zum Leben, nicht umgekehrt. So nehme ich meist fünfdimensional anstatt dreidimensional wahr, was mir mein Leben nicht unbedingt erleichtert.

Das geistige Wesen des eigenen Seins so gut zu kennen, auch wenn man es sich gezwungenermaßen aneignen musste, weil man sonst nicht überlebt hätte, ist keine psychische Entgleisung, kein Schaden oder gar psychische Störung, wie sie überaus gerne von dreidimensional ausgerichteten Fachleuten diagnostiziert wird. Es ist eine Ressource. Eine Ressource, die über den Tellerrand zu blicken vermag. Eine Ressource, die anderen, die dies nicht vermögen, Angst einjagen kann. Eine Ressource, die von der Unendlichkeit der Seele erzählt und die die Kraft besitzt, eingeschweißte Wertvorstellungen und Weltanschauungen für immer ins Wanken zu bringen.

Diese weiter zu geben, sie weiter zu vermitteln an meine Kinder und jene, die Interesse bekunden, erfahre ich nunmehr, da ich nicht mehr dagegen ankämpfe, als große Freude, als eine meiner Aufgaben in diesem Leben und als große Gnade.

Alles was bleibt ist Liebe. Alles was ist ist Liebe und alles was war und je sein wird ist Liebe. Liebe ist ganz. Sie ist nicht bewertbar. Wer sie zu bewerten versucht, verliert die Liebe, verliert sich selbst und wird ihr nachjagen, solange, bis er sie erneut zu fassen kriegt. In dem Moment aber, in dem man glaubt, dass man sie hat, entgleitet sie einem auch schon wieder. Wie Sand rieselt sie einem durch die Finger.

Es klingt wie eine abgedroschene Floskel, das Geplänkel über die Liebe, was sie ist und was sie sein soll, woher sie kommt und wohin sie geht, wenn wir sie verloren glauben. Aber es ist wahr! Für mich ganz persönlich ist Liebe das Einzige, das mich niemals betrogen hat. Liebe ist das Einzige, das je bestand hatte in meinem Leben und es ist die Liebe, die allem und jeder Sache ihren Wert verleiht. Sie hängt sich nicht daran auf, ob sie nun materiell zum Vorschein gelangen darf oder ob sie im Hintergrund die Fäden spinnt. Sie ist dimensionenübergreifend, immer und zu aller Zeit an jedem Ort vorhanden. Sie will nichts und sie versucht nichts. Sie bewertet nichts.

Sie ist einfach. Aus ihr entspringt jeglicher Impuls, jeglicher Quell, der Leben möglich macht.

Wie wir Menschen allerdings mit dieser Liebe umgehen, ob wir Liebe erkennen, ob wir sie nützen, objektivieren, sie in unser Denken, in unsere Handlungen miteinbeziehen, sie vergeistigen oder aber als gefährliches Laster mit Suchtpotenzial einstufen, wird unser individuelles Bewusstsein entscheiden.

Liebe ist Liebe, und was wir aufgrund unseres Bewusstseinszustandes aus ihr zu machen versuchen, wird unser Leben, aber auch unser Sterben, massiv beeinflussen.

Es ist nicht die Liebe, die uns beeinflusst, es ist unsere individuelle Bewertung und Einschätzung über die Liebe und wie Liebe zu sein hat, was uns glücklich oder unglücklich, sehnsüchtig, erfüllt, einsam fühlen und sein lässt, oder ob wir uns doch als Teil des Gesamten und dadurch statt einsam als gemeinsam atmend, lebend erkennen und unsere Psyche und unseren Geist danach ausrichten.

Ich kann im Sterben das pure Leben erfahren, ohne dem Tod Sinn abtrotzen zu wollen und im Leben in jeder Sekunde, die vergeht, Angst und Panik vor dem jähen Ende der totalen Vernichtung spüren und so dem Tod stets näher als dem Leben sein, obwohl ich mitten im alltäglichen Atmen bin. Welchen Sinn mein Atmen dann noch hat, bestimme ganz alleine ich selbst, mit und durch meine Einstellung dazu, wie ich Leben und Tod definiere bzw. welche Macht ich diesen beiden Zuständen gebe. Leben und Sterben sind ein und dasselbe. Du magst mir jetzt widersprechen und sagen: „Nein, niemals! Dies sind zwei grundlegend verschiedene Dinge.“

Nun, für mich ist es ein und dasselbe. Es sind nur die verschiedenen Möglichkeiten, die darin enthalten sind, die es unterschiedlich in seinem Erfahrungsspektrum auf materieller Ebene machen, das ist alles. Leben und Sterben. Wenn wir diese Zustände wertfrei und hingebungsvoll erfahren, erkennen wir, dass sie eins und nicht voneinander zu trennen sind. Unser Verstand trennt sie und macht sie dadurch zu Feinden, zu Gegnern, treibt einen trennenden Keil in ihre wahre Substanz.

Wertfreies, bewertungsfreies Erleben bringt uns Menschen an jenen Punkt in unserer Entwicklung, den wir als wahres Selbst kennen und als Erleuchtungsmoment erleben. Denn außerhalb jeglicher Bewertung und Rollenidentifizierung erkennen wir erst unsere wahre Identität, die fernab jeglicher Rollen existent ist. Wer also der Substanz, in welcher Begrifflichkeit auch immer wir sie darstellen wollen, sei es nun Sterben oder Leben, wertfrei begegnen kann, wird im Sterben dem puren Leben begegnen und im Leben in jeder Sekunde neu sterben lernen. Ständiges Leben und Sterben im Jetzt-Moment.

Der Mensch, der wertfrei zu sterben und zu leben versteht, lebt im JETZT. Nicht irgendwann. Nicht gestern, nicht morgen. Er lebt jetzt, augenblicklich, ist sich des Jetzt-Momentes in all seiner Vielfalt gewahr. Er weiß, in dem Moment, in der er seinen Atem wahrnimmt, ist er auch schon wieder Vergangenheit. Ihm ist bewusst, dass er immer nur in einer Zeit existieren kann und diese Zeit ist jetzt. Denn gestern war und ist bereits gestorben. Und morgen kommt, ist weder in der Vergangenheit existent, da die Vergangenheit ja bereits tot ist, noch jetzt erlebbar. Wenn dann das Morgen kommt, erlebe ich das, was ich gestern noch als Morgen deklariert habe, als Jetzt. Es gibt also nur das Jetzt. Und im Jetzt bin ich immer alles gleichzeitig.

Die Frage, die ich mir stellen sollte ist, was möchte ich jetzt zum Ausdruck bringen und welche Möglichkeiten habe ich, um meinem wahren Selbst im Jetzt Ausdruck zu verleihen? Die Umstände zeigen, welche Möglichkeiten des Ausdrucks mir im JETZT möglich sind und diese bestimmen, inwieweit ich Materie dazu nützen oder nicht nützen kann, um mich zu erfahren und der Außenwelt mitzuteilen.

Im Gestern zu verweilen ist ein Umstand, den sich der Verstand einbildet, damit ich gewisse Erfahrungen machen kann. Mein Verstand gaukelt mir ein Jetzt-Erlebnis vor, indem ich Vergangenes ins Jetzt schleuse. Dabei wiederholt sich der vergangene Zustand im Jetzt und erlaubt mir immer und immer wieder dasselbe zu erleben. Ob dies nun eine schöne oder schmerzhafte Erinnerung ist, sei jetzt dahingestellt, Fakt ist, es ist bereits erlebt, schon vorbei, nichts Neues. Ich kann das alte Erlebte allerdings neu erleben, in dem ich wertfrei darauf zurückgreife und somit dem Erleben eine andere Tiefe, ein anderes Gefühl einpflege, es in seiner Urstruktur und wie ich das Erlebte eingeordnet habe, verändere. Genauso ergeht es mir, wenn ich positiv in die Zukunft schaue. Ich werde positivere Wahrnehmungen erleben, weil ich ein und dieselbe Erfahrung mit positiver Einstellung positiver wahrnehmen werde. Oder ich kann mich generell darin versuchen, verstärkt den Jetzt-Moment zu erleben. Die Bandbreite des Erlebbaren wird hier allerdings die größte sein.

Genauso erfahren wir den Sterbeprozess anhand unserer grundlegenden Einstellung. Erlebe ich im Moment des Sterbens angstvolle Gefühle und Glaubensstrukturen, die mich an Vergangenes erinnern, wird mein Sterbeprozess angstbesetzt sein und mein Bewusstsein mit Angst im Jetzt durchfluten. Und weil einem im Sterbeprozess nur wenig Möglichkeiten bleiben eine materielle Ausdrucksform zu benutzen, um sich bemerkbar zu machen und/oder am letzten Drücker umzulernen, dass Materie nur Mittel zum Zweck ist Bewusstsein neu auszurichten, verbleibt das Bewusstsein in Angst. Ein Bewusstsein, das von Angst durchdrungen ist, ist ein denkbar niedriges Bewusstsein und in seiner Dichte sehr schwer.

Weil das so ist und weil die Möglichkeit materiell weiter zu lernen ausbleibt, bekommt man ein riesengroßes Problem, das vorab noch nicht da war. Nämlich, dass man jetzt tatsächlich keine Möglichkeit der materiellen Umsetzung mehr hat.

Wie z.B. ein Apfel, den man sich geistig in allen Farben und Formen ausmalen und schmecken kann, wie sich seine Süße und Saftigkeit anfühlt, wie es sich anhört sobald man ihn anbeißt oder wie einem der Obstsaft über die Lippen rinnt, ob süß oder sauer, die Vorstellung ist perfekt. Was bringen einem all diese Fertigkeiten des Geistes und der Seele, wenn wir diese nicht dafür nützen können diese Vorstellungen materiell zu erleben? Wir niemals diesen wunderbaren Apfel physisch schmecken und in unseren Händen halten können?

Genauso bringt der Sterbeprozess sowie jeder Moment des Lebens jeden Menschen zu jeder Zeit in jedem Raum zu der gleichen Herausforderung. Unsere Wahrnehmungen mögen allesamt verschieden sein und keine einzige wird einer anderen je ums Haar gleichen, aber eines haben wir allesamt gemeinsam. Diesen Prozess Bewusstsein zu erlangen, wer wir in Wahrheit wirklich sind, ist unser aller Aufgabe, der wir weder im Leben noch im Sterben entgehen können.

Wir können diesen Prozess nur individuell erfahren, weil wir auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen dem Leben und dem Sterben begegnen. Daher sind diese Szenarien in ihrer Natur auch so unendlich gerecht und uneinheitlich individuell ausgerichtet. Gerecht daher, weil wir vor allem im Sterbeprozess erfahren, wie hoch die Latte bei uns selber liegt. Was Bewertung und Unfreiheit angeht. Wie weit wir Liebe erfahren und geben können und wie tief und ehrlich wir Liebe tatsächlich in Materie umwandeln können. In der Liebeserfahrung können wir erst begreifen, wie liebesfähig wir wahrhaft sind, denn in ihr erfahren wir, wie weit wir wertfrei annehmen, genießen und uns hingeben können. Dabei spielt es keinerlei Rolle mehr, in welcher Sache oder welcher Person. Es ist eine ganzheitliche Erfahrung, die uns vor Augen führt, wie weit wir in unserer eigenen Liebesfähigkeit bereits gekommen sind und ob wir wahrhaft zu lieben im Stande sind. Und überall dort, wo wir es noch nicht sind, werden wir unweigerlich auf uns selbst zurückgeworfen, indem wir verstehen, wo wir noch nicht gelernt haben wertfrei zu sein, wo wir noch immer urteilen und Trennung verbreiten. Ob man dies im Leben oder im Sterben erfährt spielt keine Rolle.

Der einzige Unterschied besteht in der Möglichkeit im Leben auf mehr materielle Ressourcen zurückgreifen zu können, um die Umsetzung von Liebe vorantreiben und körperlich erfahren zu können. Daher hören wir oft von Nahtoderfahrenen, dass sie ihr Leben um hundertachtzig Grad geändert haben.

Viel mehr im Moment, im Jetzt leben, einer Bewertungsgesellschaft nichts mehr abgewinnen und ein redlicheres, liebevolleres, aber vor allem sinnbezogeneres Dasein führen als zuvor. Der alte Trott wird abgeschüttelt, alte ausgetretene Pfade verlassen, um der Liebe im Leben neu zu begegnen, immerfort, wissend um die Kostbarkeit der geschenkten Zeit, die jeden Moment auch Sterben bedeutet. Die Illusion zeitaufhebend leben, ein wundervolles Erleben!

Welch ein Reichtum, dies zu verstehen und in jeder Pore seines Körpers verankert zu wissen, dass es nie niemals ein endgültiges Sterben geben kann, da jeder Sterbemoment einen Geburtsmoment beinhaltet. Wer diese dualen Gegensätze bewertet, wird daran zugrunde gehen, wer sie als eins und zusammengehörig begreift und danach lebt, existiert ewig.

Dieses Ewigliche zu begreifen, erfährt der Mensch dann als Freude. Als unbeschreibliche Freude und Dankbarkeit. Dies sind zwei unbestreitbare Komponente, die Liebe in sich birgt.

Bewertung macht unfrei und unglücklich, schafft Krieg und Zerstörung, weil Bewertung immer gegen die Natur angeht, alles natürlich Zusammengehörige in seiner Grund- und wertfreien Form hinterfragt, auseinander dividiert, voneinander trennt und als besser oder schlechter und demnach als nicht gleichberechtigt ansieht.

Und wer im Leben nicht lernt die Natur als das zu schätzen was sie ist, nämlich ganz und vollständig, wird es im Tod lernen müssen. Die Bewertung ist es, die uns das Leben und das Sterben zur Hölle macht.

Himmel und Hölle so nah

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