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Die Stunde Null > Die Angehörigen zwischen öffentlicher Verachtung und Anerkennung

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Als die deutschen Streitkräfte am 8. Mai 1945 kapitulierten, war die deutsche Niederlage total. Deutschlands Kampf um die Hegemonie in der Welt hatte über sechzig Millionen Menschen das Leben gekostet; allein auf sowjetischer Seite starben über zwanzig Millionen Menschen. Von den Toten waren rund sechs Millionen jüdischen Glaubens. Bei allen Differenzen der vier Alliierten in der Deutschlandpolitik bestand nach der Kapitulation 1945 Einigkeit, Deutschland komplett abzurüsten, das Volk einer strengen Entnazifizierung zu unterwerfen und eine zentrale Regierung zunächst zu verhindern, um den Prozess einer dauerhaften Demokratisierung einzuleiten. Die komplette Niederlage wirkte auf das deutsche Volk wie ein Schock. Aus einem Volk, das sich angeschickt hatte, die ganze Welt zu erobern, und das begeistert seinem Führer Adolf Hitler zugejubelt hatte, war ein Volk von Verlierern geworden, das sich von der eigenen Regierung missbraucht und über Jahre verraten fühlte und schließlich von den Alliierten in vier verschiedenen Besatzungszonen verwaltet wurde.

Die Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, die Bombardierung und Zerstörung vieler Städte, die Vergewaltigung unzähliger Frauen, der Verlust von Angehörigen und Freunden sowie des Vermögens und der Heimat ließ die Deutschen nach Kriegsende traumatisiert und versteinert im eigenen Leiden zurück, unfähig zu begreifen, dass der aggressive Angriffskrieg von deutschem Boden ausgegangen war. Dabei stand 1945 zunächst das unmittelbare Überleben im Vordergrund. Ein Viertel der Wohnfläche wurden im Krieg zerstört. In den Großstädten hatten die alliierten Bomber sogar mehr als die Hälfte der Wohnungen und Häuser in Ruinen gelegt. Trümmerfrauen, Kinder und alte Menschen befreiten die Städte bis zur physischen Erschöpfung von Schutt, Geröll und Asche. Söhne, Ehemänner, Väter und Geliebte waren vermisst, verstümmelt, in Kriegsgefangenschaft oder tot. Auf Grund der zerstörten Transportwege und des Zusammenbruchs der deutschen Wirtschaft fehlten allerorts Nahrungsmittel.Der Schwarzmarkt mit Zigaretten blühte. Da es kaum Gas und Elektrizität gab, untergruben Kälte und Dunkelheit den Lebensmut der Menschen, die überall hungerten und froren. Eine hohe Säuglingssterblichkeit, Hungerödeme, Unterernährung und damit eine große Anfälligkeit für Krankheiten waren die Folge.

Der in Heidelberg lehrende Philosoph Karl Jaspers befasste sich in einer Vorlesung mit der Abgestumpftheit der Deutschen im Hungerwinter 1945/46: »Wir leben in Not, ein großer Teil unserer Bevölkerung ist in so großer, so unmittelbarer Not, dass er unempfindlich geworden zu sein scheint für solche Erörterungen. Ihn interessiert, was die Not steuert, was Arbeit und Brot, Wohnung und Wärme bringt. Der Horizont ist eng geworden. Man mag nichts hören von Schuld, von Vergangenheit, man ist nicht betroffen von der Weltgeschichte. Man will einfach aufhören zu leiden, will heraus aus dem Elend, will leben und nicht nachdenken. Es ist eher eine Stimmung, als ob man auch nach so furchtbarem Leid gleichsam belohnt, jedenfalls getröstet werden müsste, aber nicht noch mit Schuld beladen werden dürfte.«56

Folgerichtig fühlten sich die meisten ausgebombten, vertriebenen und ihrer Liebsten beraubten Deutschen als Opfer Hitlers dunkler Schicksalsmächte. Den verlorenen Weltkrieg empfanden viele als moralische Niederlage, für den sie umsonst so hart gekämpft und so viele Entbehrungen auf sich genommen hatten. Von den zahlreichen Gewaltverbrechen, besonders an den jüdischen Mitbürgern, wollte kaum jemand gewusst haben oder gar dafür die Verantwortung übernehmen. Die meisten Deutschen wollten so schnell wie möglich die eigene Schuld verdrängen und an die Brutalitäten des von den meisten mitgetragenen Regimes nicht mehr erinnert werden. Erneut bildete sich unter den Deutschen eine Schicksalsgemeinschaft, die sich gegenseitig deckte und gegenseitig »Persilscheine« ausschrieb, um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. In dieser Situation kam den Deutschen der Beginn des Kalten Krieges sogar entgegen. Denn die einsetzenden politischen Spannungen der Alliierten führten dazu, dass der Prozess der Entnazifizierung weit weniger rigoros verlief, als ursprünglich geplant. Am konsequentesten und schnellsten arbeiteten die Sowjets, die in der inneren Verwaltung und im Justizdienst der sowjetischen Zone 90 Prozent des Personals entließen und später auch nicht mehr einstellten – wobei die Umgestaltung zur sozialistischen Gesellschaft im Vordergrund stand. In den drei westlichen Zonen blieben dagegen gerade im öffentlichen Dienst zahlreiche ehemalige Nationalsozialisten als Lehrer, Juristen, Staatsanwälte, aber auch in der Industrie und der Ärzteschaft auf ihren Posten. Insgesamt verurteilten die westlichen Besatzungsmächte im Zuge der Nürnberger Prozesse rund 5 000 Angeklagte als Kriegsverbrecher. Spätestens seit 1946 zeichnete sich für die Amerikaner ab, dass die eigentliche Gefahr nicht von den Deutschen, sondern von den kriegsverbündeten Sowjets ausging, die hofften, über eine Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft, Deutschland unter kommunistischen Einfluss zu bringen. Mit der Einrichtung der englisch-amerikanischen Bizone am 1. Januar 1947 einerseits und der SBZ andererseits war der Weg für zwei deutsche Staaten bereits beschritten, der mit der Währungsreform von 1948 von den Engländern, Amerikanern und Franzosen konsequent weiter verfolgt wurde. Nur vier Jahre nach Kriegsende gründeten die Westalliierten 1949 die Bundesrepublik Deutschland, die sie zunehmend mehr als Bündnispartner in ihrem Kampf gegen den Kommunismus in der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik dringend benötigten.

Das Ende der Gegnerschaft hatte sich auch an dem bald nach der Kapitulation einsetzenden »Gnadenfieber«, der Amnestie zahlreicher Nationalsozialisten, gezeigt, die von den Westalliierten mitgetragen wurde, um fähige Fachleute und Beamte für den Neuaufbau der Bundes- und Länderverwaltungen zu gewinnen. In dieser labilen Situation hatten weder die Alliierten57 noch die deutsche Bevölkerung ein Interesse daran. an die weit verzweigte Opposition gegen Hitler zu erinnern.58 Um das eigene Gesicht zu wahren, machte sich die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung weis, es habe unter der Diktatur Hitlers keinerlei Möglichkeiten des Widerstandes oder auch nur der Resistenz gegeben. Das Wachhalten der Erinnerung an den 20. Juli hätte diesen bequemen Verdrängungsmechanismus bedroht. Die meisten Deutschen haben deshalb in den Nachkriegsjahren einen aktiven Widerstand gegen Hitler, vor allem aber die Breite der Opposition, geleugnet. Stattdessen hatte sich Hitlers Ausspruch über die kleine »Clique ehrgeiziger Offiziere« in den Köpfen der Menschen festgesetzt, wonach die Attentäter als Hoch- und Landesverräter galten.59

»Einiges spricht denn auch dafür, dass in der Abwertung des Widerstands, zumindest in den frühen Nachkriegsjahren, der Affekt einer Generation von Mitläufern und deren Nachkommen zum Vorschein kam, die sich die eigenen Versäumnisse nicht ausgerechnet von der noch einmal groß ins Blickfeld rückenden, zum Untergang verurteilten Schicht von Militär und Aristokratie ins Bewusstsein rufen lassen wollten«,60 urteilt Joachim Fest. In ähnlicher Weise argumentiert auch der Politologe Peter Steinbach, der von einer »doppelten Unfähigkeit der Deutschen zu trauern« spricht und in der Ablehnung des Widerstands im Nachkriegsdeutschland auch das Versagen einer Generation widergespiegelt sieht, die »mitmachten, wo sich andere aus politischen, ethischen oder religiösen Gründen versagt hatten.« In einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach von 1956, wie das Attentat vom 20. Juli zu beurteilen sei, antworteten folgerichtig 34 Prozent, der Staatsstreich sei zu verurteilen, 27 Prozent waren in ihrer Meinung schwankend. Bis in die fünfziger Jahre hinein weigerte sich die Mehrzahl der Deutschen beispielsweise, eine Schule nach Claus Schenk Graf v. Stauffenberg zu benennen.61

Für einen kurzen historischen Moment sah es hingegen so aus, als wären die sowjetischen Machthaber in der SBZ dem Widerstand gegenüber aufgeschlossener begegnet. »denn das Ansehen des neuen Deutschlands in der Welt wird sich danach richten, was die Welt über die deutsche Widerstandsbewegung erfährt«, formulierte Günther Weisenborn am 11. Mai 1946 im Berliner Hebbeltheater vor ehemaligen politisch Verfolgten des KZ Sachsenhausen in einer Rede, die wegen ihres programmatischen Charakters in gleichen Jahr im Aufbau erschien.62 Unmittelbar nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern und dem Ende der Kampfhandlungen empfanden es politische Verfolgte in der SBZ als ihre Pflicht, über ihre Leidenszeit zu berichten. Die Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit stand dabei im Vordergrund.63 In der SBZ setzte sich der Stalinismus allmählich durch, unter dem der konservative Widerstand in Misskredit gebracht wurde. In der unmittelbaren Nachkriegszeit bestand gegenüber dem 20. Juli eine ambivalente Haltung: Noch wurden die Attentäter in den antifaschistischen Gründungsmythos der späteren DDR integriert, wie sich auch an den gemeinsamen Gedenkveranstaltungen zeigt.64 So nahmen am 9. September 1945 rund 60 000 Menschen in der Berliner Werner-Seelenbinder-Kampfbahn an einer Großkundgebung für die Widerstandskämpfer teil. 1946 versammelten sich Tausende im Berliner Lustgarten im gemeinsamen Gedenken an alle Widerstandskämpfer. Dort sprach auch Marion Gräfin Yorck v. Wartenburg als Angehörige des Kreisauer-Kreises und als Repräsentantin des 20. Juli. Auch Straßen, wie beispielsweise in Leipzig, wurden nach prominenten Attentätern aus dem konservativen Widerstand, wie nach Beck, Goerdeler, Hoepner oder v. Witzleben benannt, bis sie 1952 ausgetauscht wurden. Vor allem ehemalige Widerstandskämpfer65 wie die Mitbegründer der CDUD Jakob Kaiser und Andreas Hermes oder der Sozialist Gustav Dahrendorf66 bemühten sich darum, die Erinnerung an den 20. Juli in der SBZ wach zu halten. Enttäuscht über die Entwicklung in der späteren DDR, zog sich Dahrendorf 1946 als SPD-Parlamentarier nach Hamburg zurück; Andreas Hermes geriet unter anderem wegen der radikalen Bodenreform im Osten in Opposition mit der sowjetischen Militärbehörde und verließ ebenfalls die SBZ. Sein Nachfolger als Vorsitzender der CDUD wurde der christliche Gewerkschaftler Jakob Kaiser, der sich der Idee eines demokratischen Sozialismus auf christlicher Grundlage verschrieben hatte. Er wurde im Dezember 1947 von der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD) abgesetzt und spielte später in der CDU in Westdeutschland eine wichtige Rolle.

Die Sowjetunion hatte das Attentat vom 20. Juli bereits 1945 als eine imperialistisch-restaurative Verschwörung ohne Verbindung zum Volk verurteilt. Damit war es eine Frage der Zeit, wann sich die SMAD und die SED diesem Geschichtsbild anpassen würden. Dazu passte es, dass die Geschichte des Widerstandes an den neu eröffneten Universitäten der SBZ nicht gelehrt wurde und es im Gegensatz zu Westdeutschland keine nennenswerte wissenschaftliche Auseinandersetzung über den widerstand gab.

Vor allem die 1947 gegründete Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus (VVN) widmete sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Aufgabe, die Erinnerung an Widerstand und Verfolgung wach zu halten und umfängliches Material zu sammeln, wobei die Arbeit von Verfolgten und nicht von Historikern gestaltet wurde. Bis 1948 bemühte sich der VVN, den Widerstand in seiner ganzen Breite, das heißt vom kommunistischen, bürgerlichen bis hin zum militärischen Widerstand zu erforschen. In der Zeitschrift Unser Appell äußerte sich beispielsweise der Journalist Rudolf Pechel über den 20. Juli, Walter Janka würdigte die Emigration als Form des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, und Probst Grüber schrieb über den Kampf der Kirchen.67 Noch im September 1948 organisierte der Verband der Verfolgten eine große Ausstellung unter dem Thema: »Das andere Deutschland. Eine Schau der Widerstandsbewegung gegen das NS-Regime«, die im ehemaligen Reichspräsidentenpalais gezeigt wurde. Dabei gelang es dem Verband, ohne politische Propaganda, sowohl den kommunistischen als auch den militärischen Widerstand zu zeigen. Ziel der Schau war es, das Publikum über die Breite des Widerstands in Deutschland aufzuklären. Allein in Berlin sahen sich rund 55 000 Besucher die Ausstellung an.

Der zunächst pluralistische Ansatz des VVN vertrug sich auf Dauer nicht mit dem Machtanspruch und der Geschichtspolitik der SED, die zur zentralen Partei in der SBZ geworden war. Der Verfolgtenverband passte sich dem offiziellen, von Moskau diktierten Geschichtsbild der SED insofern an, als er den kommunistischen Widerstand in den Mittelpunkt stellte und gegen andere Widerstandsbewegungen, besonders den des 20. Juli, und Sozialdemokraten wie Julius Leber, zu polemisieren begann. So schrieb Anton Ackermann schon 1947 in der Einheit: »Zunächst ist erstaunlich, wer nicht alles dabei gewesen sein will. Ein ganzer Rattenschwanz hängt sich an den 20. Juli an, wobei es sich nicht seIten um direkte politische Hochstapelei handelt. Dunkle Elemente, die ihre ganzen Kenntnisse der Vorgänge aus der Zeitungslektüre schöpfen, prahlen mit einer Mitbeteiligung an der Bewegung, wobei der Zweck allerdings sehr durchsichtig ist, nämlich der Versuch einer Reinwaschung von ihrer recht braunen Vergangenheit.«68 Nach 1948 machte sich der Verfolgtenverband die kommunistische Faschismusinterpretation zu eigen, was zu einer Einteilung des Widerstands in »gut« und »schlecht«, das heißt in »antifaschistisch« und »reaktionär« führte. 1949 trat Marion Gräfin Yorck v. Wartenburg aus dem VVN aus, der in der Bundesrepublik bis in die neunziger Jahre weiter bestand.69 Gleichzeitig ging der Verfolgtenverband jedoch auf Konfrontationskurs mit der SED, indem er betonte, dass sowohl die Kommunisten im deutschen Untergrund als auch in den Konzentrationslagern nach 1938 Widerstand geleistet hätten, ohne von der KPD-Führung im Moskauer Exil abhängig zu sein. Unter dem Vorwand, dass der VVN nicht in der Lage sei, die Geschichte des Widerstands angemessen zu dokumentieren, veranlasste die SED schließlich 1953 die Zwangsauflösung in der DDR. Die Widerstandsforschung wurde dem Marx-Engels-Lenin-Institut übertragen, dem späteren Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Seit 1947 verdächtigte die SED auch die Sozialdemokraten innerhalb der Widerstandsbewegung 20. Juli der »antisowjetischen« Überlegungen. Die Polemik gipfelte darin, dass Julius Leber von dem Kommunisten Otto Winzer als Agent des amerikanischen Imperialismus beschimpft wurde. Gezielt versuchte die SED, sich mit derartigen Verdächtigungen der SPD innerhalb der SBZ/DDR zu entledigen. Nach Auffassung der dominierenden SED stand es nur ihren Parteimitgliedern zu, die einheitliche Arbeiterklasse zu vertreten. Dabei ging es den kommunistischen Funktionalen der späteren DDR darum, ihren deutschen Teilstaat als Antwort auf die sich abzeichnende Gründung der Bundesrepublik zu legitimieren.

Der Widerstandsgeschichtsschreibung kam die Aufgabe zu, die Gründung der DDR als Folge eines erfolgreichen Kampfes antifaschistischer Kräfte zu definieren. In den Mittelpunkt rückte deshalb der kommunistische Widerstand,70 der gegenüber allen anderen Widerstandsformen eine Monopolstellung einnahm. Dabei bestimmte in der DDR das nach Moskau emigrierte Funktionärskorps das Bild des kommunistischen Widerstandshelden.71

Schon bald setzte im Sinne des herrschenden Marxismus-Leninismus eine Mythenbildung des antifaschistischen Widerstands ein, der die Opfer auf eine merkwürdige Weise entindividualisierte und damit das Erinnern an den Widerstand zu einem typisierten Gedenken werden ließ. Der anonyme kommunistische Held, der für den Anbeginn einer neuen gerechteren Weltordnung stand, machte es den DDR-Bürgern leichter, ihre eigene Täterschaft, ihr eigenes Mitläufertum im Dritten Reich zu kaschieren und nicht aufzuarbeiten. Denn ähnlich wie die Westalliierten waren auch die Russen, und später die DDR-Führung unter Ministerpräsident Walter Ulbricht, daran interessiert, die Mehrheit der Mitläufer und kleinen Parteimitglieder zu integrieren, statt sie auszugrenzen.

Zunehmend definierten SED-Funktionäre während der Phase des strengen Stalinismus den Widerstand als Klassenkampf. In erster Linie zählte die Einstellung zur Sowjetunion und zur KPD und damit zum »Nationalkomitee Freies Deutschland«. Den militärisch-konservativen Widerstand wertete die SED als »reaktionär« ab. Vor allem die beiden ZK-Beschlüsse der SED über »Die wichtigsten ideologischen Aufgaben der Partei« (1951) und »Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der DDR« (1955) begünstigten die schon vorhandene Tendenz, nur den kommunistischen Widerstand in Konzentrationslagern, in Betrieben und bestimmten Regionen zu untersuchen. Alle anderen Widerstandsformen wurden in der DDR als nicht konform mit dem Marxismus-Leninismus fallen gelassen, »der kommunistische Widerstand zum Maßstab des Widerstandskampfs insgesamt«.72

Auch in den drei westlichen Zonen gab es unmittelbar nach dem Krieg Bemühungen, Gedanken des Widerstands für die neue politische Ordnung zu nutzen. Vor allem in den Landesverwaltungen griffen die Alliierten auf unbelastete Personen, die während der Nazi-Zeit zu den Regimegegnern zählten, zurück. So wurde Theodor Steltzer, Mitglied des Kreisauer Kreises, 1946 zum ersten Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein ernannt. Unter anderen wirkten Josef Müller in Bayern, Werner Hilpert in Hessen, Karl Arnold in Düsseldorf und Andreas Hermes politisch in der Verwaltungsarbeit mit. Jakob Kaiser73 war von 1949 bis 1957 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Eugen Gerstenmaier74 wurde 1954 als Bundestagspräsident gewählt.

Unter den Nationalsozialisten verfolgte Intellektuelle hofften nach dem Naziterror, Deutschlands Wandel, hin zu einer Synthese von Christenturn und Sozialismus, durch eine tiefe Katharsis aus eigener Kraft zu bewerkstelligen.75 In der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden deshalb eine Reihe von politisch-literarischen Magazinen, in denen sich das »andere Deutschland« repräsentierte und die von den Alliierten mit dem Ziel der »Reeducation« genehmigt wurden. Die einflussreichste Zeitschrift, die seit Frühjahr 1946 erschien und sich dem Dialog von Marxismus und Christentum verschrieb, waren die von Walter Dirks und Eugen Kogon herausgegebenen Frankfurter Hefte. Als überzeugten katholischen Pazifisten hatten die Nationalsozialisten Eugen Kogon von 1938 bis 1945 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Nach der Befreiung durch die Amerikaner schrieb Kogon 1946 sein Buch Der SS-Staat,76 das den Nationalsozialismus dechiffrierte und im In- und Ausland große Beachtung fand. Um Kogon und Dirks bildete sich der so genannte Frankfurter Kreis, der für ein starkes Europa statt für einen »amerikanischen Mammutfaschismus« oder einen russischen Bolschewismus eintrat. In eine ähnliche Richtung argumentierte auch der Ruf. Blätter der jungen Generation, der von 1946 bis 1947 von den Schriftstellern Alfred Andersch und Hans-Werner Richter herausgegeben wurde und dessen Ideen in der Gruppe 47 gründeten. Mit der Währungsreform gingen die meisten Zeitschriften und Magazine ein. Daneben gründeten sich in der Nachkriegszeit einzelne Zirkel, die sich um einen radikalen Neuanfang Deutschlands bemühten, und die sich andeutende Teilung des Landes mit großer Sorge betrachteten. Eine der wichtigsten Gesellschaften, in denen sich Wissenschaftler, Publizisten und Politiker aus beiden Einflussbereichen Deutschlands trafen, war die Gesellschaft Imshausen.77 Auf Einladung des Journalisten und Bruders von Adam v. Trott, Werner, trafen sich in den Jahren 1947/48 auf dem Landsitz der Familie Trott im nordhessischen Imshausen überlebende Sozialisten, Kommunisten, Adelige, Intellektuelle, Gewerkschaftler und Politiker. Dabei luden die beiden Brüder Trott, Werner und Heinrich sowie der Journalist Eugen Kogon Überlebende aller politischen Richtungen ein, wie Walter Dirks, Alfred Kantorowicz, Ernst Niekisch, Carl Spicker (Mitbegründer der Zentrumspartei), Walter Markov, Carlo Schmid, Carl Friedrich von Weizsäcker und Alfred Andersch. Dreimal kam man für mehrere Tage in Imshausen zusammen, um über die künftige Ausrichtung der deutschen Politik zu diskutieren und um die geistige Erneuerung Deutschlands zu ringen. Die letzte Sitzung im Mai 1948 endete mit einem Eklat: Die Positionen des Kalten Krieges hatten auch die Mitglieder der Gesellschaft erfasst, die sich nicht mehr auf eine gemeinsame Position einigen konnten.

Die Enkel des 20. Juli 1944

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