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Einer von denen

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Am nächsten Morgen erzählte ich Matthew vor dem Unterrichtsbeginn von meiner Begegnung mit Kevin.

»Der und eine Band gründen?«, fragte Matthew. Etwas Ablehnendes schwang darin mit.

Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Sofort sagte mir mein Gefühl, es sei besser, ihm zu verschweigen, bei Kevin zu Hause gewesen zu sein, und wie ich die Nacht verbracht hatte. Dann fiel mir ein, was Kevin über die Party gesagt hatte. Peggy hätte ihn gerne eingeladen, aber ihr Dad hätte etwas dagegen gehabt.

Ich verlor kein weiteres Wort über Kevin. Sein Vorschlag aber ging mir unentwegt durch den Kopf. Was sprach dagegen, wenn wir uns das Haus im Wald als Übungsraum einrichteten? Matthews Dad konnte es egal sein. Was ging es ihn an, wer in meiner Band spielte? Matthew sollte sich nicht beeinflussen lassen.

Kevin meldete sich nicht, und ich ärgerte mich, dass ich ihn nicht erreichen konnte. Seine Nummer suchte ich aus dem Telefonbuch heraus. Nie hob jemand ab. Wenn das Aprilwetter es zuließ, es nicht schneite oder regnete, radelte ich ins Village. Doch ich hatte einfach Pech, ich traf niemanden an. Zudem wurde ich das Gefühl nicht los, dass die Militärpolizei doch etwas von der Nacht wusste, die ich mit Kevin verbracht hatte, dass sie mich beschatteten. Es konnte kein Zufall sein, dass seit Tagen immerzu einer ihrer Jeeps in meiner Nähe auftauchte. Jetzt war ich mit Matthew schon so lange befreundet und besuchte ihn. Wenn ich nur offen mit ihm reden könnte. Nicht vor Ray. Der würde dieses Mal auch kommen. Er war eine Klasse über uns und Matthew wollte, dass wir uns besser kennenlernten.

Endlich war es spürbar wärmer geworden. Und wieder fuhr ich mit Begleitschutz. Ich verstand nicht, warum der Jeep der MP mich nicht überholte. Am liebsten hätte ich angehalten, sie gefragt, ob es ihnen Spaß machte, mich zu verunsichern. Als ich zur Kirche kam, warf ich einen Blick zurück, deutete mit dem linken Arm an, dass ich abbiegen wollte, und als ich auf der Straße zu den Cunninghams war, beschleunigte der Jeep und raste in die Richtung, in der Kevin wohnte, davon.

Ray war bereits da. Matthew sagte, wir wären unter uns. »Dad musste nach dem Mittagessen überraschend zum Dienst, obwohl er dieses Wochenende frei gehabt hätte. Mum und Peggy sind zu einem Geburtstag bei den Fowlers.«

Wir sahen uns den Beatclub im Fernsehen an. Der Gitarrist von Deep Purple schlug sein Instrument immer wieder gegen die Bühnenrampe, bis die Saiten am zerfetzten Gitarrenhals hingen. Der Schlagzeuger schleuderte seine Stöcke ins tobende Publikum. Der Keyboarder entriss seinen Tasteninstrumenten mit den Fäusten die irrsten und schrillsten Töne.

Matthew fuhr sich durch die Haare. »Und wir wissen nicht, wie wir die Kohle für das Nötigste auftreiben sollen.«

Als eine Autogrammadresse eingeblendet wurde, sagte Ray: »Wir könnten denen schreiben, damit sie uns was rüberschieben. Immerhin scheinen sie sich für jeden Auftritt neue Instrumente leisten zu können.« Grinsend kratzte er sich über dem Ohr.

Er hatte völlig Recht. Es juckte mich, ihn auf seinen furchtbar altmodischen Haarschnitt anzusprechen, verkniff es mir aber. Wieso ließ Ray das mit sich machen? Reichte seinem Vater nicht, sich an den Köpfen der GIs auszutoben? Wenn mit dem Mann nicht zu reden war, müsste Ray bei unseren Auftritten eine Perücke tragen.

»Wie wollen wir das mit der Band eigentlich angehen?« Ich sah Matthew und Ray an, dass sie nichts vorzuweisen hatten. Nicht einen vernünftigen Gedanken. Ich konnte ihnen keinen Vorwurf machen, mir fiel selber nichts Umsetzbares ein. Die einzige, brauchbare Idee kam von Kevin. Also erzählte ich ihnen von dem Haus drüben im Wäldchen.

»Kennst du die Bruchbude?« Matthew schob sich die Haare aus dem Blick.

»Ich? … Natürlich nicht.« Ich wurde rot.

»Dann lass sie dir von Kevin einmal zeigen. Und dann frag ihn, von was er nachts träumt.«

Als ich dann zu hören bekam, dass Ray nicht einmal ein Schlagzeug besaß, versank der Rest des Nachmittags in völliger Verzweiflung.

Ein bisschen Hoffnung machte Ray mir dann auf dem Heimweg. Er musste mich ein Stück begleiten. »Wenn wir alle mit anpacken, bekommen wir das Haus in Schuss«, sagte er. »Ich rede mit Kevin.«

Unterhalb der Kirche trennten wir uns, wir mussten entgegengesetzt weiter.

Ich fuhr sehr schnell, bis ich mich nach der Kurve über die Menschentrauben wunderte, die sich schon ab der Gasstation und dem Drugstore gebildet hatten. Am Ortseingang, wo die Straße zum Kasernengelände abzweigte, entdeckte ich den Convoy mit Militärfahrzeugen. Ich bremste ab und sprang vom Rad. Zum Schutz vor der blendenden Sonne hielt ich mir die Hand an die Stirn. Soldaten mit Handschuhen legten quer über die Fahrbahn Stacheldraht aus. Einige andere führten Hunde an der Leine, mit denen durchsuchten sie das Gestrüpp an den Seitenstreifen der Straße und die Böschung hinunter zum Fluss. Dann wurden zu beiden Seiten des ausgelegten Stacheldrahts mit Holzböcken mannshohe Barrikaden errichtet. Die Luft füllte sich mit ohrenbetäubendem Lärm. Über der Felsenwand vom Schulberg, unweit der Kapelle am Wald, hingen Helikopter wie ein Schwarm Hornissen. Einer stieß nach unten, flog kaum zehn Meter über Straße und Feld auf mich zu und nahm mir die Sicht. Zum Schutz vor dem aufwirbelnden Staub kniff ich die Augen zusammen. Ein Sog schien mir die Haare vom Kopf reißen zu wollen. Ich blinzelte. Das dröhnende Ungeheuer hing vor mir in der Luft. Der Pilot, hinter dem Steuerknüppel, streckte einen Arm aus und hielt mir seine flache, hochgestellte Hand entgegen. Ich sah, wie er mit dem Mund ein energisches ‚Stopp!‘ formte.

Da war es wieder, dieses mulmige Gefühl im Magen, das sich nun bis zum Brustkorb hinauf ausbreitete. In meinem Kopf entstand ein verwirrendes Durcheinander von Bildern. Wie ich mit Kevin durch das ehemalige Munitionsdepot hetzte, durch die Öffnung in der Wand stieg. Ich glaubte, die Fäulnis und den Moder des Holzhauses zu riechen. Übelkeit stieg in mir auf. Ich hatte es geahnt. Ich saß in der Falle. Es hatte keinen Sinn wegzulaufen. Zum Fluss hinunter, soweit würde ich nicht kommen. Schon allein der Hunde wegen. Und links von mir, im Wäldchen, befand sich das Haus. Dorthin durfte ich schon gar nicht, damit würde ich mich verraten und alles zugeben. Der Übungsraum! Ein Hoffnungsschimmer. Ja, damit konnte ich versuchen, mich herauszureden. Kevin hatte mir das Haus gezeigt, welches wir uns als Übungsraum herrichten würden, das mussten sie mir einfach abnehmen. Ich ließ mein Fahrrad fallen und wollte mich gerade mit erhobenen Armen ergeben, als ich herumgerissen und aus dem Wirbelwind geführt wurde. Unter der Schirmmütze erkannte ich den vertrauten Blick von Matthews Vater. Er würde bestimmt zu meinen Gunsten aussagen. Er mochte mich. Das konnte ich mir nicht bloß eingebildet haben, die unzähligen Male, die ich ihn traf, wenn ich Matthew besuchte.

Neben Matthews Vater trottete ich zu einem Jeep. Der Sergeant hinter dem Steuer lauschte einem Funkgerät.

Ich stockte, als ich den Chevy ein Stück die Straße hinunter an der Gasstation stehen sah. Auf der Windschutzscheibe spiegelten sich die ausgefransten Wolken am Himmel.

Sie hielten hier alle zusammen und lebten nach ihren eigenen Gesetzen. Kevins Worte dröhnten in meinem Kopf. Hatte ich dann überhaupt eine Chance heil aus dieser Sache herauszukommen?

Erneut fiel mir ein, was Kevin gesagt hatte. Matthews Vater habe etwas gegen ihn.

Das war die Lösung. Ich musste alles auf Kevin abwälzen, ihn ans Messer liefern, sagen, dass er mir etwas ins Whiskycola getan haben musste, etwas, das mir den Kopf vernebelte, mich nicht mehr klar denken ließ und mich gefügig machte. In den Agentenserien kam das ständig vor, letzte Woche erst wieder bei Mrs Peel und John Steed. Die Sache mit der Band käme damit vermutlich ins Stocken, aber das musste ich riskieren. Ich musste schließlich verhindern, dass sich das Jugendamt bei mir und meiner Mutter meldete. Und einen Übungsraum würden Matthew und ich früher oder später auch anderswo finden.

Matthews Vater riss mich aus meinen Gedanken. Ich dürfe die Straße nicht passieren. Ich müsse eine Weile bleiben. Später könne ich gehen. »Okay?« Seine Blicke fixierten mich.

Ja, was denn nun? Wieso könne ich nicht gleich jetzt nach Hause fahren?

Der Sergeant am Funkgerät rief Matthews Vater etwas zu. Wegen des anhaltenden Lärms der Helikopter konnte ich es nicht verstehen. Die Menschen vor den Geschäften sahen zu uns herüber. Den Chevy konnte ich nirgends mehr entdecken.

Dann stand Matthew vor mir. »Ich dachte mir, dass du nicht mehr durchgekommen bist. Mum hat etwas von Sicherheitsvorkehrungen erwähnt, als sie vorhin ganz aufgeregt nach Hause kam. Irgendetwas muss passiert sein. Was genau, weiß niemand.«

Matthew redete mit seinem Vater. Vielmehr schrien sie sich wegen des Lärms an.

»Dad weiß auch nicht mehr. Alles ist wieder einmal schrecklich geheim. Absolut.«

Matthew deutete mit dem Kinn in die Richtung, in der die Straßensperren weiter errichtet wurden. »Sie haben Befehl von ganz oben. Die Angelegenheit scheint sogar sehr ernst zu sein.«

Mich überkam das Gefühl, als habe ich Läuse auf dem Kopf und musste mich kratzen. Vielleicht waren sie mir und Kevin auf der Spur und wussten nur noch nicht, dass ich einer von denen war, die sie suchten?

Mir blieb nichts anderes übrig, als mit zu Matthew zu gehen. Ich holte mein Fahrrad, dann zogen wir los.

War Kevin jetzt zu Hause? Ich verwarf den Gedanken, ihn zu besuchen. Womöglich war es klüger, jetzt nicht mit ihm zusammen gesehen zu werden. Wenigstens so lange nicht, bis ich wusste, was hier eigentlich los war.

Matthew gelang es, mich auf andere Gedanken zu bringen. Er setzte sich an das Klavier und überraschte mich mit seiner Interpretation von Imagine. Er übe es seit Wochen, sagte er. Damit begeisterte er sogar seine Mutter und lockte Peggy aus ihrem Zimmer. Als sein Vater nach Hause kam, bestürmte Matthew ihn mit Fragen. Ich verstand nicht alles, was er sagte. Als der große, schlaksige Mann mit dem Grübchen am Kinn die RAF erwähnte, rief ich: »Die Bader-Meinhof-Bande?«

Ich sah das Fahndungsplakat vor mir, das seit einiger Zeit am neuen S-Bahnhof hing, ebenso in der Bank, wo ich für meine Mutter Kontoauszüge abholte.

»Sie bedrohen militärische Einrichtungen«, übersetzte Matthew mir. »Wenn du in nächster Zeit zu uns ins Village willst, musst du einem Wachmann vorne an der Straßensperre deine Identitycard zeigen. Wir sind in Alarmbereitschaft. Eine Sprengstoffeinheit durchsucht seit Stunden mit Hunden den gesamten Luftwaffenstützpunkt.«

Ich schluckte. »Was glauben sie zu finden?«

»Bomben wahrscheinlich«, sagte Matthew.

»Wumm«, machte Peggy. Ich zuckte zusammen. Sie fasste sich kichernd in die gewellten, braunen Haare. »Wenn du jetzt dein Gesicht sehen könntest.«

Dass ich auch nie wusste, wie ich mich derartigen Frotzeleien erwehren konnte.

Ich, Sergeant Pepper

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