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5: William

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Nach diesen posenhaften, possenhaften Abenteuern heimgekehrt nach Berlin, widmet er sich einem neuen dramatischen Projekt: der Tragödie William Ratcliff:

Ich schrieb den William Ratcliff zu Berlin unter den Linden, in den letzten drei Tagen des Januars 1821, als das Sonnenlicht mit einem gewissen lauwarmen Wohlwollen die schneebedeckten Dächer und die traurig entlaubten Bäume beglänzte.

Etwas länger als drei Tage, denke ich, wird es schon gedauert haben. Er schreibt in einem Zug und ohne Brouillon. Während des Schreibens ist ihm, als höre er über seinem Haupt ein Rauschen, wie der Flügelschlag eines Vogels. Als er seinen Freunden, den jungen Berliner Dichtern, davon erzählt, sehen sie einander sonderbar an und versichern einstimmig, ihnen sei beim Dichten nie dergleichen passiert.

Bedeutsam bezeugt die Tragödie seine poetische Sturm- und Drangperiode, die sich in den Jungen Leiden des Buches der Lieder nur sehr unvollständig und dunkel bekunde. Der junge Autor, der dort mit schwerer, unbeholfener Zunge nur träumerische Naturlaute lalle, spreche im Ratcliff eine wache, mündige Sprache und sage unverhohlen sein letztes Wort. Dieses Wort sei zu einer Losung geworden, bei deren Ruf die fahlen Gesichter des Elends wie Purpur aufflammten, und die rotbäckigen Söhne des Glücks zu Kalk erbleichten. Am Herd des ehrlichen Tom im Ratcliff brodle schon die große Suppenfrage, worin jetzt tausend verdorbene Köche herumlöffeln, und die täglich schäumender überkoche.

Damit stellt der Autor sein Werk als ein verkapptes Revoluzzerstück hin, gleichwohl die gemeinte Szene in der Diebesherberge Toms kaum mehr als eine kurze Episode ausmacht. Nein, auf einen solchen Titel hat das Dreitagewerk wohl kaum Anspruch; viel eher scheint es wie Almansor ein neues und typisch erotomanes Sturm-und-Drang-Produkt Harrys, der darin seine eigene Liebessucht zelebriert. Wie folgt.

Wieder stellt man sich den Schauplatz der Handlung: das Schloss des schottischen Lairds MacGregor, am besten als Onkel Salomons Villa in Ottensen vor – und dessen schöne Tochter: Marie, als Harrys abtrünnige Kusine Molly. Der schottische Lord hat Marie schon zweimal interessierten Bewerbern – Philipp Macdonald zum einen, Lord Duncan zum andern – verheiraten wollen; zweimal aber wird, dieweil die Braut schon festlich geschmückt am Altar ihres Bräutigams wartet, dieser am Berg Schwarzenstein erschlagen aufgefunden.

Der Täter ist William Ratcliff, ein junger liebestoller Ritter, dessen Vater, Sir Edward Ratcliff, MacGregor einst recht gut kannte, und der sich auf solch blutrünstige Weise seiner Rivalen entledigt.

Sechs Jahre nämlich sind es, seit William als fahrender Edinburgher Student zufällig in MacGregors Schloss kam und sich dabei in die junge Marie verliebte:

MacGregor: Gastfreundlich nahm ich also auf den Sohn

Und gab ihm Speis und Obdach, vierzehn Tage.

Er sah Marie, und sah ihr in die Augen,

Und sah dort viel zu tief, begann zu seufzen,

Zu schmachten und zu ächzen – bis Maria

Ihm rund erklärte: dass er lästig sei.

Die Liebe packt' er in den Korb und ging. –

Als die Handlung des Stücks einsetzt, ist es der Dritte, Graf Douglas, der Marie den Hof macht, gleichwohl er eine recht leidenschaftslose Einstellung zur Ehe hat. Das beruht sogar auf Gegenseitigkeit:

Douglas allein: Ich liebe nicht Marien, und ich bin

Auch nicht geliebt von ihr. Die Konvenienz

Hat unsern heut'gen Ehebund geschlossen.

Doch herzlich gut bin ich dem sanften Mädchen.

Ich möcht von Dornen ihre Pfade säubern –

Maria: Verliebt? Verliebt?

Oh, das ist dumm. Man muss sich leiden können.

Auch Douglas wird durch Ratcliffs Boten zum Zweikampf am Schwarzenstein gefordert. Der lässt sich nicht zweimal bitten. Unterdessen weilt William unter allerlei räuberischem Gesindel in Toms Spelunke. Der macht sich Gedanken um das Seelenheil seiner Kundschaft:

Tom: Doch seht mal dort den alten, dicken Robin,

Wie er so ruhig liegt, und schnarcht, und ach!

Der hat schon zehn Mordtaten auf der Seele.

Ja, wenn er noch katholisch wär wie wir

Und absolvieren könnt! Er ist ein Ketzer

Und nach dem Hängen muss er dort noch brennen.

Ratcliff, dem es in Erwartung von Douglas' Antwort unter den Nägeln brennt, widerspricht nachdrücklich – und das ist die Stelle, in der Harry das sozialrevolutionäre Element seines Stückes urgiert. Es ist aber nur das blasse Lippenbekenntnis eines chronisch Liebestollen, der nicht nur nichts dafür tut, seinen Worten zur Tat zu verhelfen, sondern auch selber nicht mehr als ein asoziales Element ist. So ist es eher das Knurren eines zahnlosen Tigers, durch das der Mordbube Robin rehabilitiert werden soll:

Ratcliff: Glaubt's nicht, der alte Robin wird nicht brennen.

Dort oben gibt es eine andre Jury

Als hier in Großbritannien. Robin ist

Ein Mann; und einen Mann ergreift der Zorn,

Wenn er betrachtet, wie die Pfennigseelen,

Die Buben, oft im Überflusse schwelgen,

In Samt und Seide schimmern, Austern schlürfen,

Sich in Champagner baden, in dem Bette

Des Doktor Graham ihre Kurzweil treiben,

In goldnen Wagen durch die Straßen rasseln

Und stolz herabsehn auf den Hungerleider,

Der, mit dem letzten Hemde unterm Arm,

Langsam und seufzend nach dem Leihhaus wandert.

Bitter lachend.

O seht mir doch die klugen, satten Leute,

Wie sie mit einem Walle von Gesetzen

Sich wohlverwahret gegen allen Andrang

Der schreiend überläst'gen Hungerleider!

Weh dem, der diesen Wall durchbricht!

Bereit sind Richter, Henker, Stricke, Galgen –

Je nun! manchmal gibt’s Leut, die das nicht scheun.

Tom: So dacht ich auch und teilte ein die Menschen

In zwei Nationen, die sich wild bekriegen;

Nämlich in Satte und in Hungerleider.

Diese Ansichten fallen aber nur nebenher und gleichsam en passant. De facto interessiert sich der Salonrevoluzzer nur für sein Liebesglück mit Marie. Scheint er doch nicht einmal Herr seines eigenen freien Willens, sondern schon von Kindheit an von seltsam übernatürlichen Mächten gelenkt, von nebelhaft romantischen Truggebilden ferngesteuert. So umnebelt uns der Autor gleich mit zwei in Sehnsucht nach einander schmachtenden bleichen Traumgesichten – einem männlichen und einem weiblichen Schemen. Doch glaubt William im Antlitz des Phantoms die Züge Maries zu erkennen. Romantischer, schauerromantischer, urgeheimnisvoller geht es kaum noch:

Ratcliff: Und doch gesteh ich – spaßhaft mag's dir klingen –,

Es gibt entsetzlich seltsame Gewalten,

Die mich beherrschen; dunkle Mächte gibt’s,

Die meinen Willen lenken, die mich treiben

Zu jeder Tat, die meinen Arm regieren

Und die schon in der Kindheit mich umschauert.

Als Knabe schon, wenn ich alleine spielte,

Gewahrt ich oft zwei neblichte Gestalten,

Die weit ausstreckten ihre Nebelarme,

Sehnsüchtig sich in Lieb umfangen wollten,

Und doch nicht konnten und sich schmerzlich ansahn!

Wie luftig und verschwimmend sie auch schienen,

Bemerkt ich dennoch auf dem einen Antlitz

Die stolzverzerrten Züge eines Mannes,

Und auf dem andern milde Frauenschönheit.

Oft sah ich auch im Traum die beiden Bilder

Und schaute dann noch deutlicher die Züge;

Mit Wehmut sah mich an der Nebelmann,

Mit Liebe sah mich an das Nebelweib. –

Doch als ich auf die hohe Schule kam

Zu Edinburgh, sah ich die Bilder seltner,

Und in dem Strudel des Studentenlebens

Verschwammen meine bleichen Traumgesichte.

Da brachte mich auf einer Ferienreise

Zufall hierher und nach MacGregors Schloss.

Maria sah ich dort! Mein Herz durchzuckte

Ein rascher Blitz bei ihrem ersten Anblick.

Es waren ja des Nebelweibes Züge,

Die schönen, stillen, liebefrommen Züge,

Die mich so oft im Traume angelächelt!

Nur war Mariens Wange nicht so bleich,

Nur war Mariens Auge nicht so starr.

Die Wange blühte, und das Auge blitzte;

Der Himmel hatte allen Liebeszauber

Auf dieses holde Bild herabgegossen;

Die Hochgebenedeite selber war

Gewiss nicht schöner als die Namensschwester;

Und von der Liebe Sehnsuchtweh ergriffen,

Streckt ich die Arme aus, sie zu umfangen –

Pause.

Ich weiß nicht, wie es kam, im nahen Spiegel

Sah ich mich selbst – Ich war der Nebelmann,

Der nach dem Nebelweib die Arme ausgestreckt!

War's eitel Traum? War's Phantasieentrug?

Maria sah mich an so mild, so freundlich,

So liebend, so verheißend! Aug in Auge

Und Seel in Seele tauchten wir. O Gott!

Das dunkle Urgeheimnis meines Lebens

War plötzlich mir erschlossen, und verständlich

War mir der Sang der Vögel, und die Sprache

Der Blumen, und der Liebesgruß der Sterne,

Der Hauch des Zephyrs und des Baches Murmeln

Und meiner eignen Brust geheimes Seufzen!

Wie Kinder jauchzten wir und spielten wir.

Wir suchten uns und fanden uns im Garten.

Sie gab mir Blumen, Myrten, Locken, Küsse;

Die Küsse gab ich doppelt ihr zurück.

Und endlich sank ich hin vor ihr aufs Knie

Und bat: O sprich, Maria, liebst du mich?

Versinkt in Träumerei.

Das hört sich so an, wie wenn zwei Liebende sich glücklich gefunden hätten. Das klingt nach erwiderter, gegenseitiger Liebe. Es gibt keinen Grund, und der Autor nennt auch keinen, warum Marie nicht gleichermaßen verliebt gewesen sein sollte.

Dergleichen sind wir bisher bei Harry, dem Sänger hoffnungsloser Liebe, noch kaum begegnet: Das alles klingt nach glücklicher Liebe. Wie eine kalte Dusche kommt es daher, wenn Marie es sich plötzlich anders überlegt, ein nahezu bewusstseinsgespaltenes Verhalten an den Tag legt und dem Bewerber die kalte Schulter zeigt, – wodurch der Autor sich am Ende wieder autobiografisch treu bleibt:

Ratcliff, wild ausbrechend:

Verfluchte Schlang! Mit seltsam scheuen Blicken

Und Widerwillen fast sah sie mich an,

Und höhnisch knickend sprach sie frostig: Nein!

Noch hör ich's lachen unter mir: Nein! nein!

Noch hör ich's seufzen über mir: Nein! nein!

Und klirrend schlagen zu des Himmels Pforten!

… MacGregors Schloss verließ ich, und ich reiste

Von dort nach London; im Gewühl der Hauptstadt

Dacht ich des Herzens Qual zu übertäuben.

Gegenüber ihrer alten Amme Margarethe rechtfertigt Marie ihr seltsames Benehmen. Sie hat nämlich ein und dieselbe Geisterseherei wie ihr schauerromantischer Verehrer:

Margarethe: Mein Püppchen war verliebt.

Maria: Ach nein! Im Anfang

Da schien er lämmchensanft, und sein Gesicht,

Das schien mir so bekannt, und seine Stimme

Klang mir so weich, und auch sein Odem

Tat meiner Wange heimlich wohl, sein Auge,

Das schaute gar zu spaßhaft lieb und fromm –

Zusammenschauernd.

Doch plötzlich sah er aus wie ein Gespenst,

So blass, so starr und wild verzerrt und blutig,

Und drohend grimm, als wollt er mich ermorden –

Er sah fast ähnlich jenem Nebelmann,

Der oft im Traum die Arme nach mir ausstreckt

Und mich so lang entsetzlich zärtlich anschaut,

Bis dass ich selbst ein luft'ges Bildnis werde,

Und neblicht selbst ausbreite meine Arme.

Der junge Autor muss aber wissen: Das sind Wahnvorstellungen! Das ist allzu gewagt! Zuerst ist William lieb und fromm wie ein Lämmchen; Marie gibt ihm Blumen, Myrten, Locken, Küsse; alles ist eitel Sonnenschein. Dann, plötzlich gespensterhaft blass, starr, wild verzerrt und blutig, drohend grimm, fragt er, ob sie ihn liebt – was Wunder, wenn sie darauf entsetzt einknickt: Nein! ein so krasser Meinungsumschwung zum einen ist menschlich-psychologisch genauso unwahrscheinlich wie der darauffolgende Sinneswandel zum andern. Das alles geht nicht mit rechten Dingen zu. Da stimmt was nicht. Das passt nicht zusammen. Das ist psychologisch zutiefst unreif und unausgegoren. Entweder, die schöne Marie ist bloß eine dumme Gans, die mit ihrem Verehrer Katz und Maus spielt; – oder aber, der Autor serviert uns psychologische und ästhetische Absurditäten … –

Der Grund dafür liegt im Wesen der beiden Nebelgestalten, die wie ein Trauma auf den Verliebten und ihrer Liebe lasten. Der Autor muss aber wissen: Das geht nicht; das schadet dem Stück auf nicht wiedergutzumachende Weise. Man kann dem Theaterpublikum des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr mit mittelalterlichen Mysterienspielen aufwarten. Anstatt von Marie abzulassen, fixiert sich William jetzt erst recht auf sie. Statt sich des Wahns zu entschlagen, fügt er ihm einen neuen hinzu und wird auf liebestolle Weise zum Mörder. Die Person wird aller Willensfreiheit und Selbstbestimmung beraubt. Man sieht vermöge irrationaler Regie die zwei Nebelwesen sogar sichtbar über die Bühne wabern:

Ratcliff. Öl kam ins Feuer. Wilder nur entbrannte

In mir die wilde Sehnsucht nach Marien.

In England ward's mir oft zu eng; nach Schottland

Zog's mich mit unsichtbaren Eisenarmen.

Nur in Mariens Nähe schlaf ich ruhig

Und atm ich frei und ist mir nicht so ängstlich,

Und ist mir wohl – denn höre mein Geheimnis:

Geschworen hab ich bei dem Wort des Herrn,

Und bei der Macht des Himmels und der Hölle,

Und hab mit grausem Fluch den Schwur besiegelt –

„Von dieser Hand soll fallen der Vermessne,

Der's wagt, Marien bräutlich zu umfangen.“

Die Stimm in meiner Brust sprach diesen Schwur,

Und blindlings dien ich jener dunklen Macht,

Die mit mir kämpft, wenn ich Mariens Freiern

Am Schwarzenstein ein Rosenbett bereite.

Das geht sogar seinem Komplizen Lesley über die Hutschnur:

Lesley. Jetzt erst versteh ich dich; doch bill'g ich nichts.

Ratcliff. Bill'g ich's denn selbst? Nur jene Stimme hier,

Die fremde Stimm, die sich hier eingenistet,

Sagt: ja; nur jene Bilder nicken Beifall,

Die ich im Traume seh – Aufschreiend. Jesus Maria!

Dort! dort! siehst du? dort, dort! Die Nebelmenschen!

Es ist dunkel geworden. Man sieht zwei neblichte Gestalten über die

Bühne schwanken und verschwinden.

Harry sollte wissen: Das geht nicht. Man kann im fortschrittlichen 19. Jahrhundert keine anonymen Mächte mehr zitieren, die unser Liebesglück hintertreiben. Das ist allzu nebulös. Das ist zu antiquiert und anachronistisch. Trotzdem mobilisiert er alte Erinnerungen: wie ihm der Gimpel Alfie Inga ausspannte, für den Schwarzenstein: Man sieht zwei weiße Nebelgestalten, die sehnsüchtig die Arme gegeneinander ausstrecken, sich nahen, immer wieder auseinanderfahren, und endlich verschwinden.

Ratcliff: … Deshalb darf ich nicht sterben.

Ich müsst allnächtlich aus dem Grabe steigen

Und als ohnmächt'ger Schatten knirschend zusehn:

Wie'n Gimpel, mit dem lüstern' Mopsgesicht,

Beschnüffelt und begafft Mariens Reize.

Ich darf nicht sterben. Käm ich in den Himmel

Und schaute, durch den Ritz der Himmelsdecke,

Zufällig in Graf Douglas' Schlafgemach –

Ich würde fluchen, dass den frommen Englein

Erblassen würden ihre roten Backen

Und ängstlich in der Kehle steckenbliebe

Das lange, wässrige Halleluja.

Und bin ich mal verdammt zur ew'gen Hölle,

Wohlan, so will ich auch ein Teufel sein,

Und nicht ein jämmerlicher, armer Sünder.

Es kommt zum Duell mit Douglas. Diesmal zieht William den Kürzeren und bleibt verwundet auf der Strecke. Inzwischen wird Marie, und en passant das Publikum, von Margarethe über den eigentlichen Hintergrund der Geschichte ins Benehmen gesetzt: Sir Edward Ratcliff, Williams Vater, war einst in Maries Mutter, Schön-Betty, verliebt, die dann aber MacGregors Frau wurde. Das war der ursprüngliche Sündenfall, der das aktuelle Drama auslöst:

Margarethe. Du bist doch just wie deine sel'ge Mutter;

Sie tat so bös, und doch wie eine Katz

War sie verliebt in Ratcliff –

Maria: Wie, in Ratcliff?

Margarethe: In Edward Ratcliff, William Ratcliffs Vater –

Oh, deine Mutter war so hübsch, so hübsch!

Sie hieß Schön-Betty. Locken hatte sie

Wie pures Gold, und Händ wie Marmelstein,

Und Augen – O die kannte Edward Ratcliff!

Der sah den ganzen Tag hinein und hat

Sich fast die eignen Augen ausgeguckt –

Und singen konnt sie wie die Nachtigall;

Und wenn sie an dem Herde saß und sang: Sie singt:

„Was ist von Blut dein Schwert so rot? Edward? Edward?“

So blieb die Köchin still stehn, und der Braten

Verbrannte jedesmal – Ach Gott! ich wollte,

Ich hätt sie nie das böse Lied gelehrt. Sie weint.

Maria: Oh, liebe Margreth, o erzähl mir das.

Margarethe: Schön-Betty, deine Mutter, saß allein

Und sang: Sie singt:

„Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?“ –

Da sprang ins Zimmer plötzlich Edward Ratcliff

Und sang im selben Tone trotzig weiter:

Sie singt:

„Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –

Mein Liebchen war so schön, oh!“

Da hat Schön-Betty sich so sehr entsetzt,

Dass sie den armen, wilden Edward nimmer

Wollt wiedersehn; und um ihn noch zu ärgern,

Heiratete sie deinen Vater. Edward Ratcliff,

Der wurde toll vor Wut, und um zu zeigen,

Dass er Schön-Betty leicht entbehren könne,

Nahm er zur Frau, ganz aus Verzweiflungstrotz,

Lord Campbells Jenny, und der William Ratcliff,

Das ist der Sohn aus dieser tollen Ehe.

Maria: Die arme Mutter!

Das also ist der Hintergrund der unseligen Beziehung von Williams und Marie: Ihre Liebe ist das Spiegelbild der unglücklichen Leidenschaft schon ihrer beiden Eltern Edward und Schön-Betty. Wäre dieses Unglück aber auch nur einigermaßen überzeugend! Denn wie? Einer spontanen übermütigen Faxe Edwards wegen habe Schön-Betty ihn für immer aus ihrem Herzen verbannt? Um ihn auf kindische Weise zu ärgern, streicht sie ihn abrupt aus ihrem Leben und wirft sich einem anderen an die Brust? Das allein soll der Grund für das ganze Gefühlsarmageddon, für das ganze Liebesdebakel, eine Mordgeschichte biblischen Ausmaßes sein?

Das ist aber nichts weniger als überzeugend. Dann ist Schön-Betty eben eine dumme Gans, der man keine Träne nachweinen würde. Nichts anderes als eine abgeschmackte Variation dieser Torheit von Edward und Schön-Betty ist dann aber auch ihre Rekapitulation durch William und Marie! Harry muss aber wissen: Das ist eine ausgemachte Albernheit. Diese Motivationsstruktur ist für ein seriöses Stück nicht tragend. Man kann vom Theatergänger des avancierten 19. Jahrhunderts nicht erwarten, dass er dem Autor dergleichen abkauft.

Dummerweise blieb sich das alte Liebespaar Edward und Schön-Betty unterderhand noch immer leidenschaftlich verbunden. So musste es zur Katastrophe kommen. Als MacGregor die Untreue seiner Frau entdeckt, erschlägt er ihren Geliebten:

Margarethe: Ei, Schön-Betty war

Ein eigensinnig Ding. Ein ganzes Jahr lang

Hat sie den Namen Ratcliff nie genannt.

Doch wie zum zweiten Mal Oktober kam –

Ich glaub, es war just Ratcliffs Namenstag –,

Da frug sie wie von ungefähr: „Margreth,

Hast du von Edward nichts gehört?“ Oh, sagt ich,

Der hat die Jenny Campbell sich zur Frau

Genommen. „Campbells Jenny?“, rief Schön-Betty,

Und wurde blass und rot, und bitterlich

Fing sie zu weinen an – dich hielt ich just

Im Schoß, Marie, drei Monat warst du alt –

Und du fingst auch zu weinen an – und ich,

Um nur Schön-Bettys Tränen fortzuschwatzen,

Erzählte ihr: der Edward könne doch nicht

Ablassen von Schön-Betty, Tag und Nacht

Säh man ihn schleichen hier ums Schloss, man sähe,

Wie er die Arme nach Schön-Bettys Fenster

Sehnsüchtig ausstreckt – „Oh, das wusst ich längst!“

Rief jetzt Schön-Betty lachend; hastig flog sie

Ans Fenster, streckte aus die Arm nach Edward –

Oh, das war schlimm, MacGregor sah das just,

Dein eifersücht'ger Vater – Hält erschrocken ein.

Maria: Nun, und da?

Erzähl doch weiter.

Margarethe: Nun, und da ist's aus.

Maria: Erzähl doch weiter.

Margarethe ängstlich: Nun, am andern Morgen

Lag, bei der alten Schlossmaur, tot und blutig

Der Edward Ratcliff –

Maria: Und die arme Mutter?

Margarethe: Je nun, die starb, vor Schreck, drei Tage drauf.

Maria: O das ist grässlich!

Fürwahr, das ist grässlich, und zwar in mehr als einem Sinn! Nicht nur für die handelnden Personen im Stück, sondern ebenso auch für den Zuschauer im Parkett, der ihnen ihre Eskapaden abnehmen soll. Denn das ist die Erklärung der phantastischen Nebelgespenster: Seither spuken Edward und Schön-Betty und gehen um wie der fliegende Holländer oder Hamlets Geist. Die alte Margarethe verlor den Verstand darüber. Man kann es ihr nicht verdenken:

Margarethe, im kalten höhnischen Wahnsinnstone:

Hättest du erst selbst

Gesehn mit deinen kleinen Augen, Püppchen,

Wie an der Schlossmaur Edward Ratcliff lag –

Hu, hu, das blut'ge Bild klebt mir im Kopf!

Und weil ich weiß, wer ihn erschlagen hat,

Und weil ich das niemandem sagen darf,

Und weil ich toll bin – hu! kann ich nicht schlafen,

Und überall seh ich den Edward Ratcliff,

Den bleichen, blutigen, mit seinen starren,

Dolchspitzen Augen, mit dem Zeigefinger

Gespenstisch aufgehoben, langsam schreitend –

Henri hardcore I - Heines Mannesjahre

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