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6: Marie

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An dieser Stelle des Dramas erscheint der blutende Duellant William vom Berg Schwarzenstein her gerade so wie beschrieben, gespenstisch und bleich, langsam schreitend, auf der Bühne. Marie schreit auf, sie weiß nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, sie kennt sich mit all den rivalisierenden Liebhabern, lebenden und toten, nicht mehr aus und kann es mutatis mutandis nur noch ihrer toten Mutter nachfühlen. Es kommt zu einer schauderhaften Szene:

Maria, plötzlich in vertraulichem ängstlichen Ton: William! William!

Du blutest ja. Komm her, ich will die Wunde

Verbinden. Sie zerreißt ihren weißen Hochzeitschleier.

Gott! Wo bin ich? Böser William –

Nein, du bist Edward, ich, ich bin Schön-Betty –

Dein armer Kopf ist blutig, und der mein'ge

Ist so verwirrt – Ich weiß nicht, was ich tu –

Komm her; wenn du mich liebhast, kniee nieder –

Sie will ihm die Kopfwunde verbinden.

Ratcliff, stürzt zu ihren Füßen. Schmerzhaft zärtlich:

Neckt mich ein Traum? Ich liege vor Marien?

Liege zu ihren Füßen? Kleine Füße,

Seid ihr nicht Nebel, die der Wahnsinn bildet,

Und die zerrinnen, wenn ich sie umfasse?

Maria, beschwichtigend und ihm den Kopf mit dem Schleier verbindend:

Bleib ruhig. An den goldnen, bübschen Locken

Klebt Blut. Lieg still; du machst mich selber blutig.

Ja, wenn du still liegst, küss ich dich aufs Auge.

Sie küsst ihn.

Ratcliff: Mir ist die Nacht vom Auge fortgeküsst;

Die Sonne kann ich wieder sehn – Maria!

Maria, wie aus einem Traume aufgeschreckt:

Maria? Und du bist auch der William Ratcliff?

Hält sich die Augen zu.

O das ist gar zu traurig! Schaudernd.

Fort! Geh fort!

Ratcliff, springt auf und umschlingt sie:

Ich weiche nicht! Ich hab dich lieb, Maria,

Und du hast William lieb – Vertraulich: Im Traum hast du's

Mir oft gesagt.

Jetzt will er sie, wie dazumal Almansor die Zuleima, aus ihrem väterlichen Schloss entführen. Marie aber weigert sich, wie seinerzeit Schön-Betty, mit ihm zu gehen. Und wie Almansor die Zuleima, glaubt er, sie nur im Tod besitzen zu können. Diesmal aber stürzt er sich nicht mit ihr in die Tiefe, sondern – murkst die Geliebte eigenhändig ab:

Maria, sich in das verhängte Kabinett flüchtend:

William! du willst mich morden –

Ratcliff, stürzt ihr nach ins Kabinett: Mir gehörst du –

Mein ist Maria –

Man hört Marias Stimme: „William! Hilfe! William!“

Margarethe, singt: „Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –

Mein Liebchen war so schön, oh!“

Die zwei Nebelmenschen erscheinen von entgegengesetzten Seiten, stellen sich

an den Eingang des Kabinetts, strecken die Arme nach einander aus, und

verschwinden bei Ratcliffs Hervortreten.

Ratcliff, das blutige Schwert in der Hand, stürzt aus dem Kabinette:

Halt! halt! entweich mir nicht, mein Doppelgänger!

Du bleiches Nachtgespenst, du hast's getan.

An deiner Nebelhand klebt rotes Blut.

MacGregor entdeckt den Eindringling, es kommt zum Kampf, und der alte Laird fällt. Jetzt hat William mehr Morde auf dem Gewissen als Hamlet. Aber wie? Soll er vielleicht eine Szene einfügen, wo William es hinter den Kulissen mit Zuleima treibt? Soll er sie vielleicht vor ihrer beider Ende noch Sex haben lassen? Jetzt wäre die Gelegenheit günstig. Er könnte sie vor ihrem gewaltsamen Ende noch vergewaltigen, bevor er selber ins Gras beißt – als sozusagen seine Henkersmahlzeit. – Aber nicht doch, lieber Harry, das ginge ebenso wenig durch die Zensur wie der Sex zwischen Zuleima und Almansor und wäre dem biederen Publikum des 19. Jahrhunderts nicht zuzumuten! Außerdem ist es ja gerade wieder das Unglück der beiden, dass es zu keinem Sex zwischen ihnen kommt. Oder kommen darf. Schmeichelt er doch gerade so, wie in seiner Lyrik, auch in diesem Drama dem bürgerlichen Vorurteil vom ,Geheimnis' und der ,Macht' der Liebe, wodurch nicht zuletzt aber wieder nur ihr repressiver Charakter unter entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen zum Ausdruck kommt! So verschwindet er einfach ins Kabinett und erschießt sich am Busen Maries:

Ratcliff, erschöpft: Die gift'ge Schlang ist tot.

Nun ist mir's leicht ums Herz. Den Vorgeschmack

Der Ruh genieß ich schon. Marie ist mein.

Mein Tagwerk ist vollbracht. Ich komm, Marie.

Er geht ins Kabinett, man hört inwendig seine Stimme:

Hier bin ich, süßes, weißes Lieb. Maria!

Es fällt ein Schuss im Kabinette.

Die zwei Nebelbilder erscheinen von beiden Seiten, stürzen sich hastig

in die Arme, halten sich fest umschlungen, und verschwinden.

Margarethe geht auf Zehenspitzen ins Kabinett und liftet die Gardine. Man sieht die Leichen Marias und Ratcliffs übereinander gefallen liegen. –

Das war's. Das also ist Harrys zweites Bühnenstück, und die Botschaft liegt auf der Hand. Wieder hat er ein Gleichnis unglücklicher Liebe, der Unmöglichkeit von Liebe schlechthin geliefert. Aus seltsam unerfindlichem, weil vom Dichter alles andere als überzeugend motiviertem Grund kommen schon Edward und Schön-Betty, gleichwohl sie sich eigentlich lieben, nicht zusammen und müssen wie die Geister im Mysterienspiel im Jenseits als nebulöse Gespenster wabern. Das wiederholt sich in parallelem Verhängnis in den Kindern William und Marie, die, obwohl sie sich gleichfalls lieben, ebenso nicht zusammenkommen – und zwar aus genauso unerfindlichem, weil vom Dichter gleichermaßen unmotiviertem Grund. Das aber schadet dem Stück auf irreparable Weise, denn nichts ist der Überzeugungskraft auf der Bühne so abträglich wie die mangelnde Motivation der Akteure.

Diese mangelnde Motiviertheit ist aber auf durchsichtige Weise verräterisch. Denn was wäre ein überzeugenderer Grund für die Zurückweisung von Edwards Liebe durch Schön-Betty, als dass – sie ihn einfach nicht genügend liebt? Und was wäre der Grund für die Zurückweisung von William seitens Marias, als dass – sie ihn gleichfalls nicht genügend liebt? Das ist die einzig mögliche realistische Interpretation. So ist es allem biografischen Dafürhalten nach in Wahrheit dich wieder nur die Zurückweisung Harrys durch seine Kusine Molly und andere, was hier dem Zuschauer in dramatischer Verbrämung vorgeführt wird.

Und doch liebt Schön-Betty Edward, und Maria William wieder so weit, dass sie nicht voneinander lassen können – was eine manifeste Ungereimtheit und Selbstwidersprüchlichkeit ist. Damit will sich der realistische Zuschauer des 19. Jahrhunderts aber nicht abspeisen lassen und bohrt psychologisch nach. Eine solche manifeste Ungereimtheit und logische Gewaltsamkeit kann dann aber nur auf einer unausgegorenen Haltung des Autors selber beruhen.

Vermutlich ist es der unverdaute Liebestraum des Autors Harry mit seiner Kusine Molly, der sich in der Geschichte von William und Marie verrät. Denn da er will, dass sie ihn liebt, muss er sie im Stück nolens volens auch ihn lieben lassen. Weil es aber, wie er wohl weiß, nur eine subjektive Wunscherfüllung des Autors, und als solches nicht Wahrheit, ist, verfällt die Erfüllung zugleich auch wieder der Traum-Zensur und wird im tragischen Ausgang als Illusion entlarvt: wo am Ende die Liebe doch wieder unglücklich, und als solche unmöglich ist und nicht gelebt werden darf. So ist es das selbstwidersprüchliche, und in seiner Selbstwidersprüchlichkeit merkwürdig stimmige Gleichnis seiner eigenen hoffnungslosen Liebe, das sich im Ratcliff ausspricht.

Wir sind daher nicht ganz seiner Meinung: Man entjungfert gleichsam das Gedicht, man zerreißt den geheimnisvollen Schleier desselben, wenn jener Einfluss der Geschichte, den man nachweist, wirklich vorhanden ist; man verunstaltet das Gedicht, wenn man ihn fälschlich hineingegrübelt hat. So An Friedrich Merckel:

Ich habe die süße Liebe gesucht,

Und hab den bitteren Hass gefunden,

Ich habe geseufzt, ich habe geflucht,

Ich habe geblutet aus tausend Wunden.

Auch hab ich mich ehrlich Tag und Nacht

Mit Lumpengesindel herumgetrieben,

Und als ich all diese Studien gemacht,

Da hab ich ruhig den Ratcliff geschrieben.

Die unerfüllte Liebe Edwards und Schön-Bettys kommt nicht zur Ruhe: will sagen, eine Liebe, die nicht gelebt werden darf, ruhet auch drunten im Orkus nicht. Sie geht im Jenseits noch als Gespenst herum. Anders gesagt: Eine unglückliche Liebe verfolgt uns subjektiv gesehen wie ein Gespenst. Maria MacGregor ist wieder seine Kusine Molly, und William Harrys eigenes unselig verliebtes Ich. Weitab jeder objektiven Konflikthaftigkeit, ist das Stück, wie zuvor Almansor, ein hochsubjektives Produkt. Was vordem nur für seine Lyrik galt, gilt jetzt auch für sein dramatisches Werk. So 1823 gegenüber Immermann: Ich will Ihnen gern eingestehn den Hauptfehler meiner Poesien, durch dessen Vorwurf Sie mich wahrscheinlich zu verletzen glauben: – es ist die große Einseitigkeit, die sich in meinen Dichtungen zeigt, indem sie alle nur Variationen desselben kleinen Themas sind … nur die Historie von Amor und Psyche in allerlei Gruppierungen.

Doch ist das Schauermärchen, zu dem er im Ratcliff greift, als Grund der Tragödie einfach nicht tragfähig genug. Der Autor muss wissen: Das geht nicht. Man kann dem Publikum des fortgeschrittenen neunzehnten Jahrhunderts keinen solchen Popanz aufbinden. Das so genannte Schicksalsdrama, das deutlich auf das Werk eingewirkt hat, ist obsolet und längst in die Asservatenkammer gewandert.

Die Griechen – bemerkt er selber zu dem Stück Tassos Tod von Wilhelm Smets – fühlten die Notwendigkeit, dieses qualvolle Warum in der Tragödie zu erdrücken, und sie ersannen das Fatum. Viele Dichter jener Zeit hätten das Fatum nachgebildet; so seien die damaligen Schicksalstragödien entstanden. Ob diese Nachbildung glücklich war, ob sie überhaupt Ähnlichkeit mit dem griechischen Urbild hatte, möchte er dahingestellt lassen. Genug, so löblich das Streben nach Hervorbringung der Gefühlseinheit auch gewesen, so sei jene Schicksalsidee doch eine sehr traurige Aushilfe, ein unerquickliches, schädliches Surrogat. Ganz widersprechend sei jene Schicksalsidee mit dem Geist und der Moral seiner Zeit.

Schöner und wirksamer dagegen hätten jene neueren Dichter gehandelt, die alle Begebenheiten aus ihren natürlichen Ursachen entwickeln, aus der moralischen Freiheit des Menschen selbst, aus seinen Neigungen und Leidenschaften, und die in ihren tragischen Darstellungen, sobald jenes furchtbare letzte Warum auf den Lippen schwebt, mit leiser Hand den dunklen Himmelsvorhang lüften und uns hineinlauschen ließen in das Reich des Überirdischen, wo wir im Anschaun so vieler leuchtender Herrlichkeit und dämmernder Seligkeit mitten unter Qualen aufjauchzen, diese Qualen vergäßen oder in Freuden verwandelt fühlten. Das sei die Ursache, warum oft die traurigsten Dramen dem gefühlvollsten Herzen einen unendlichen Genuss verschafften.

Nun greift aber doch gerade auch der Autor des Ratcliff, um dieses qualvolle Warum in der Tragödie zu erdrücken, auf genau eben jene Schicksalsidee zurück, jene traurige Aushilfe, jenes unerquickliche und schädliche Surrogat, das mit dem Geist und der Moral seiner Zeit nicht mehr vereinbar ist, – und entwickelt es keineswegs aus ihren natürlichen Ursachen, aus der moralischen Freiheit des Menschen selbst, aus seinen Neigungen und Leidenschaften! Aus den natürlichen Ursachen und der moralischen Freiheit des Menschen gehen die Begebenheiten des Ratcliff mitsamt seinen Schemen und Nebelwesen ja wahrlich nicht hervor, – stattdessen sind sie höchst unnatürlich, indem sie mit dem wissenschaftlichen Realismus des neunzehnten Jahrhunderts nicht mehr verträglich sind! Dieser Realismus ist ein materialistischer Naturalismus, demzufolge alles auf der Welt mit natürlichen Dingen zugeht; und ,natürlich' heißt dabei, dass alles, was in der Welt geschieht, den Naturgesetzen gehorcht, wie sie von der Naturwissenschaft erörtert werden. Dieser Realismus besteht mit Recht auf der moralischen Freiheit des Menschen, seinen Neigungen und Leidenschaften, wobei die Frage nach einem letzten Warum? keineswegs so furchtbar mehr ist. Warum sollte diese Frage furchtbar sein?

Und was soll hier heißen, den dunklen Himmelsvorhang lüften und uns hineinlauschen lassen in das Reich des Überirdischen, so vieler leuchtender Herrlichkeit und dämmernder Seligkeit? Da, im wissenschaftlichen 19. Jahrhundert, gibt es überhaupt kein Reich des Überirdischen mehr und auch keinen dunklen Himmelsvorhang, der sich davor lüften ließe. Das ist schon zu Harrys Zeiten so klar wie Kletzenbrühe, so dass sein Stück schon in statu nascendi totgeboren hinter das Bewusstsein der Zeit zurück fällt und wohl auch nicht aufgeführt wird. Gedruckt erscheint es in in dem Band Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo 1823 in Hamburg: Ich habe noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, den Ratcliff aufgeführt zu sehen, obschon ich keine Schauspieler kajoliert und keine Schauspielerin fetiert habe, und es überhaupt nicht verstehe, etwas mühsam auf die Bretter hinauf zu schmuggeln.

Immermann gegenüber nennt er das Stück seine Hauptkonfession, geradeso wie wir es verstanden. Ich bin von dem Wert dieses Gedichts überzeugt (hark!) (hark!), denn es (das Gedicht) ist wahr, oder ich selbst bin eine Lüge. Auch im Kreis der Hamburger Familie dürfte es so verstanden werden und als solches in peinliche Ungnade fallen. Man kennt ja gut genug die Enttäuschung des liebestollen Cousins durch die Tochter des Hauses und kann deren poetische Bewältigung nicht anders als mit gemischten Gefühlen betrachten. Ein leidenschaftlich Verliebter, der alle Mitbewerber, und am Ende auch noch die Geliebte selbst über die Klinge springen lässt, darf sich nicht unbedingt begeisterte Zustimmung erwarten.

John Friedländer wird sich bedankt haben, zu sehen, wie seine Alter egos Philipp Macdonald und Lord Duncan ins Gras beißen müssen, während Graf Douglas zum Witwer gemacht wird, noch ehe er verehelicht ist. Dass der wildgewordene Cousin dieselbe schicksalshafte und verhängnisvolle Verliebtheit auch bei Molly unterstellt, dürfte sie eher wieder kompromittiert haben. Außerdem ist es eine direkte Verleumdung ihrer Beziehung zu Friedländer, wenn er ihn höchst liebenswürdig bekennen lässt: Ich liebe nicht Marien, und ich bin auch nicht geliebt von ihr. Die Konvenienz hat unsern heut'gen Ehebund geschlossen. Und sie: Verliebt? Verliebt? Oh, das ist dumm. Man muss sich leiden können. – Damit wären die wirklichen Brautleute wohl kaum einverstanden. Zumal dass er am Ende Marie, als sie nicht mit ihm ausreißen will, selber abkehlt, wirkt nicht besonders sympathisch. Heißt das, dass Molly mit knapper Not der Vendetta entkam? Auch Betty in Düsseldorf, die Schön-Betty den Namen lieh, wird es nicht anders empfinden.

Harry ahnt das und hofft, sich durch den Erfolg des Stücks rehabilitieren zu können: In Hinsicht der Aufnahme meiner Tragödien habe ich hier meine Furcht bestätigt gefunden, schreibt er an Moser. Der Sukzess muss den üblen Eindruck verwischen. Was die Aufnahme derselben bei meiner Familie betrifft, so hat meine Mutter die Tragödien und Lieder zwar gelesen, aber nicht sonderlich goutiert, meine Schwester toleriert sie bloß, meine Lieder verstehen sie nicht, und mein Vater hat sie gar nicht gelesen. Es soll ja Väter geben, die die Bücher ihres Sohns nicht einmal dann lesen, wenn er schon Nobelpreisträger ist.

Es scheint aber nicht sowohl so, dass der Sukzess den üblen Eindruck verwischt, als vielmehr so, dass der üble Eindruck einen Sukzess verhindert. –

Persönlich empfindet er es als Affront, wenn seine nächsten Freunde und Verwandten seine Werke nicht lesen. Die Bücher eines Autors enthalten ganz seine existenzielle Befindlichkeit, seine innersten Ängste und Gefühle, und lesen seine Nächsten nicht seine Bücher, so bedeutet das, dass sie an seiner existenziellen Befindlichkeit, seinen innersten Ängsten und Gefühlen auch gar nicht interessiert sind. Wozu sind aber Freunde gut, die sich dafür gar nicht interessieren? Auf solche Freunde kann er verzichten. Daher seine sporadische Ruppigkeit: Es liegt in meinem Charakter, oder besser gesagt, in meiner Krankheit, dass ich in Momenten des Missmutes meine besten Freunde nicht schone und sie sogar auf die verletzendste Weise persifliere und malträtiere.

Wieder erkennt er die nachteilige Subjektivität seiner Poesie: Sie wissen ja, wie so einem armen Subjektivling zumute ist, und man braucht es Ihnen nicht erst weitläufig auseinanderzusetzen. So sein kürzestes Selbstporträt: ein armer Subjektivling.

Dennoch, so klein ist sein Thema: die Historie von Amor und Psyche in allerlei Gruppierungen, auch wieder nicht. Die Liebe ist das A und das O der Welt. Jeder von uns ist Subjekt; daher gibt es nichts Objektiveres in der Welt als das Subjekt und das Subjektive. Und jedes Subjekt ist ein erotisches; da kann man ihm nichts vormachen, da ist er mindestens so beschlagen wie Freud. So ist er zwar einseitig, das aber objektiv und universell.

1824 schreibt er an seinen Memoiren, die „schon ziemlich stark angewachsen“ sind. Ja, er beschrieb das Leben seines Helden mit einer so unerquicksamen Wahrheitsliebe, er berichtete die peinlichsten Tatsachen in einer so grellen Nacktheit, dass den Leser dabei manchmal eine fast schauerliche Missstimmung anwandelt. So hat der wahre Dichter das Talent, die unbedeutendsten und unerfreulichsten Besonderheiten des gemeinen Lebens so anzuschauen und zusammenzusetzen, dass sie sich zu einem schönen, echt-poetischen Gedichte gestalten. Was ist in der Kunst das Höchste? Das, was auch in allen andern Manifestationen des Lebens das Höchste ist: die selbstbewusste Freiheit des Geistes.

„In den folgenden Jahren“, so Liedtke, „arbeitet Heine tatsächlich an Memoiren, wobei er sicher ist, dass ein solches Werk nur in sehr späteren Zeiten erscheinen darf. Es bleibt bei Flickwerk, und es lässt sich nur schwer rekonstruieren, wie viel er tatsächlich schreibt.“ De facto wurde das Meiste davon vernichtet, so dass ich es stimmig wiederherstellen muss.

1824 erscheinen seine Dreiunddreißig Gedichte. Auf der Reise und auch hier – schreibt er aus Göttingen an Moses Moser – merkte ich, dass meine kleinen Gedichte sich auf eine sonderbar heimliche Art verbreiten.

Darunter befindet sich auch das Lied von der Lorelei.

Henri hardcore I - Heines Mannesjahre

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