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Die Beamten tauchten immer wieder auf. Sie schienen sich im Kreis zu drehen, denn es gab keine Fortschritte in ihren Ermittlungen.

„Jens Holder ist auf jeden Fall unschuldig, Frau Schrader. Er wurde zwei Tage vor dem Unfall Ihres Mannes als Notfall am Blinddarm operiert. Er lag noch gefesselt an Schläuche im Krankenhaus, als der Unfall passierte.“

„An seiner Unschuld habe ich auch nie gezweifelt. Jens ist ein ganz sanfter Mensch, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Solche Männer nennt man in unserer Zeit auch Weichei oder Waschlappen.“

„Wir tappen im Dunkeln – überall bekommen wir die gleichen Lobeshymnen zu hören. Ihr Mann muss ein wahres Wunderwerk gewesen sein.“ Sein Kollege sah ihn entsetzt an. „Entschuldigung, Frau Schrader, das war nicht böse gemeint. Aber so etwas ist uns noch nie passiert. Es fällt wirklich kein böses Wort, keine Andeutung, es gibt keine verräterische Miene, keine komischen Blickwechsel. Alle Aussagen wirken so überzeugend ehrlich. Es gibt nicht die leisesten Verdachtsmomente. Das ist für uns natürlich zum Verzweifeln.“

„Hab ich doch gesagt – aber es wäre mir schon sehr wichtig, dass Sie den Mörder finden und er seine gerechte Strafe bekommt. Ich wäre Ihnen sehr gerne behilflich, bitte glauben Sie mir.“

„Wenn Sie uns absolut alles, auch die allerkleinste Auffälligkeit, mitteilen würden, dann wäre uns schon sehr geholfen. Auch wenn Ihnen im Moment etwas nicht so wichtig oder erwähnenswert scheint, für uns könnte jeder kleinste Hinweis hilfreich sein.“

„Ich denke doch schon die ganze Zeit darüber nach und ich werde es auch weiterhin tun. Ich lasse mir die letzten Tage vor dem Unfall immer und immer wieder durch den Kopf gehen. Ich denke über jede Minute – jede Sekunde – ganz akribisch nach. Ich durchlebe sie quasi noch einmal, was mich unendlich viel Kraft kostet.“

„Ein wichtiges Indiz kann aber auch schon länger zurückliegen. Denken Sie bitte intensiv nach. Wir melden uns wieder.“

Von Belinda, die fast täglich kam, bekam Elena die Bestätigung, dass Selina und Lois zu 99,9 Prozent Manuels Kinder waren. Natürlich war das keine Überraschung – jeder Blinde hätte es gesehen. „Als ob ich an der Produktion kaum beteiligt gewesen wäre“, lächelte sie vor sich hin. „Seine Gene haben voll durchgeschlagen. Schön, wie schön. Und meine lieben Schwiegereltern, sind sie denn jetzt auch endlich beruhigt und zufrieden?“

„Ja, sie haben sofort den alten Söder angerufen. Du weißt doch, das ist ihr alter Haus- und Hofanwalt, der sich jeden Abend aus Frust über sein böses Weib furchtbar betrinkt. Der wird in den nächsten Tagen zu ihnen kommen, um ein neues Testament zu verfassen.“

„Ja, sie müssen auf jeden Fall dafür sorgen, dass die proletarische, ungebildete Schwiegertochter nichts von ihrem Vermögen erbt. Du kannst ihnen ausrichten, dass die böse Schwiegertochter ganz sicher nichts annehmen würde. Für die Kinder ja, aber ich will nichts – GAR NICHTS!“

„Weiß ich doch, Elena. Reg dich nicht so auf!“ Belinda lächelte kopfschüttelnd. „Ich soll die Kinder einmal zu ihnen bringen. Ist es dir recht?“

„Mir schon, aber ich werde sie nicht zwingen. Ich würde rein gefühlsmäßig vermuten, dass ihre Sehnsucht nach den Alten nicht sonderlich groß ist.“

Als Belindas Handy klingelte, nahm sie es in ihrer sehr grazilen Art – nicht zu schnell, nicht zu langsam und mit spitzen Fingern, wodurch ihre Vornehmheit bei jeder Bewegung betont wurde, was Elena sehr bewunderte – aus ihrer Handtasche. Genauso elegant – als ob sie gerade eine Szene für einen Hollywood-Film drehen würde – tippte sie auf das Display und warf einen – für jemanden, der sie nicht kannte – sehr arroganten Blick darauf. Selten hatte Elena so einen Farbwechsel im Gesicht eines Menschen beobachtet – bei Belinda jetzt allerdings schon das zweite Mal. Im gleichen Augenblick fing Belinda wieder so an zu zittern wie in der Pizzeria und hatte plötzlich so gar keine Ähnlichkeit mehr mit der edlen Lady von eben. Stotternd entschuldigte sie sich bei Elena, wackelte stolpernd auf die Terrasse, zog die Schiebetür komplett zu und lief trotzdem noch ein gutes Stück in den Garten hinein. Und das, obwohl sie wie gewohnt High Heels trug, mit denen sie unter normalen Umständen niemals den Rasen betreten hätte.

Dieser Anruf muss sie enorm aus der Bahn werfen, dass sie so ihre Contenance verliert. Bestimmt hat er mit ihrem geheimen Projekt zu tun, mutmaßte Elena, während sie hoch ins Schlafzimmer ging, um sich eine Jacke zu holen, denn sie fröstelte. Nur frag ich mich, warum sie trotzdem noch so geheimnisvoll tut – ich weiß ja jetzt über die Aktion Bescheid. Elena wollte nicht lauschen, das war sicher nicht ihr Stil, aber als sie die aufgeregte, fast irrsinnige Stimme von Belinda hörte, ging sie doch geduckt bis zum Fenster und hörte diese gerade sagen – oder besser ausgedrückt, wie eine böse Schlange zischen: „Du sollst mich nicht anrufen, das haben wir doch ganz klar besprochen. Es ist einfach zu gefährlich, du Dummkopf. Warum willst du das nicht kapieren? Du hast mich gerade wieder in eine unmögliche Situation gebracht.“ Pause. „Ja, wenn der Plan gelingen soll, darf dich kein Mensch sehen und ich darf mich mit nichts – rein gar nichts – verdächtig machen. Die Szene in der Pizzeria war schon verdächtig genug. Ich hatte komplett die Fassung verloren.“ Pause. „Ja, verdammt! So schnell, wie du das gerne hättest, geht es halt nicht. Jede einzelne Phase braucht ihre Zeit – allein das Vertrauen zu gewinnen, braucht sehr viel Zeit. Wenn das Geringste schiefgeht, kannst du alles vergessen. Es kommt doch jetzt wirklich nicht auf ein paar Tage oder Wochen an. Wenn unser Plan am Ende aufgeht, dann lösen sich auch unsere Probleme in Luft auf. Ich glaube, dass sich ein klarer Kopf und genügend Geduld auszahlen werden.“ Pause. „Ja, ich melde mich! Ich melde mich – hast du verstanden? Nicht du! Auf keinen Fall rufst du noch einmal an. Ist das ein für alle Mal klar?!“

Seltsam, dachte Elena, ein ganz seltsames Gespräch. Aber es konnte sich inhaltlich schon auf das Projekt bezogen haben. Sie hatte auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn die Kinder verlangten von Belinda und ihr, dass sie mit ihnen Memory spielten. Tief dankbar über diesen Vorschlag, atmete Belinda sichtlich erleichtert auf. So konnte sie sich etwas von dem Gespräch erholen. Das spürte Elena ganz deutlich und beschloss, kein Wort mehr darüber zu verlieren.

Ihre nächste Sorge war, dass sie es wieder einmal schaffen musste, Belinda beizeiten aus dem Haus zu bugsieren. Anschließend musste sie die Kinder schnell genug – ohne ihnen das Gefühl zu geben, dass sie hektisch und ungeduldig war – ins Bett bringen. Letztendlich wollte sie sich noch hübsch herrichten, bevor der größte, wichtigste und schönste Moment des Tages kam. Ihr Plakat hatte sie bereits geschrieben. Das bereitete sie jetzt immer schon am Morgen vor, wenn die Kinder im Kindergarten waren und sie ausreichend Zeit und Ruhe hatte. Heute hatte sie eine besondere Idee und war deswegen auch besonders aufgeregt. Ständig mussten Elena und Belinda beim Spielen ermahnt werden und beide konnten bis zum Ende des Spieles kein einziges Pärchen ergattern, sodass die Kinder bald die Lust am Spielen verloren. Somit war auch der Rest kein Problem mehr.

Belinda ging von alleine früher als sonst. Sie hatte zwar wieder ihren üblichen Teint und ihr Bewegungsablauf hatte sich auch wieder normalisiert, aber Elena konnte Belindas katastrophale innere Verfassung ganz deutlich wahrnehmen. „Dir geht es seit dem Anruf nicht gut, Belinda.“ Sie sah Elena an und suchte ganz offensichtlich nach den richtigen Worten. Aber Elena befreite sie aus dieser Pflicht, indem sie sagte: „Dieses Projekt ist sicher ehrenwert, aber dir tut es ganz offensichtlich nicht gut. Es belastet dich zu sehr.“

Spürbar erleichtert nickte Belinda heftig und meinte: „Ja, Elena, aber die armen Menschen brauchen uns doch so sehr. Diese permanente Panik, dass wir erwischt werden, macht mich trotzdem vollkommen fertig. Ich leide schon unter massiver Schlaflosigkeit und fühle mich ständig beobachtet. Ich befürchte sehr, dass das Ganze für mich in einer Paranoia enden wird.“

Elena war ein sehr gesetzestreuer Mensch und würde niemals etwas Illegales tun oder unterstützen – aber in diesem Fall sah es anders aus. Sie bewunderte Belinda so sehr. Wer so etwas tut, der ist doch weit davon entfernt, oberflächlich zu sein. Auch die Tatsache, wie sich Belinda um sie, ihre Kinder und natürlich auch um ihre Schwiegereltern kümmerte, zeugte von einem großen Herzen. Vor allem, weil sie ihnen gegenüber nicht die geringste Verpflichtung hatte. Belinda hatte in ihrem Herzen einen bedeutenden Platz eingenommen. Sie liebte ihre Schwester sehr. Julia und ihre gesamte Familie kümmerten sich rührend um Elena, Selina und Lois. Natürlich gaben auch ihre Eltern ihr Bestes, aber sie musste sich ehrlich eingestehen, dass Belinda von keinem getoppt werden konnte. Manchmal fragte sie sich, wie Belinda das zeitlich alles schaffte. Sie schien kein anderes Leben zu haben – es gab für sie scheinbar nur die Klinik, das geheime Projekt, Renate und Ludwig sowie Elena mit ihren Kindern. Trotzdem schien ihr nichts zu fehlen. Belinda war normalerweise sehr ausgeglichen, souverän und ausgesprochen gelassen – bis auf heute. Ja, und an dem Tag, als der Vorfall in der Pizzeria passierte, da war sie auch schon so von der Rolle gewesen. Diese Panik war fast schon beängstigend! Vor allem über ihr heutiges Verhalten wunderte Elena sich auch im Nachhinein noch sehr – denn sie wusste über das Projekt Bescheid. Warum also dieses sonderbare Verhalten?

Erleichtert ließ Belinda sich in den sportlichen Sitz ihres Autos fallen, nahm sofort ihr Handy aus der Tasche und tippte mit einer offensichtlichen Aggressivität darauf herum. Während sie mit quietschenden Reifen davonbrauste, hörte sie über die Freisprechanlage, wie die gewünschte Nummer angewählt wurde. Der Angerufene hatte nicht einmal Zeit, sich vernünftig zu melden, weil Belinda sofort lauthals brüllte: „Das darf doch nicht wahr sein, du Idiot! Wieso rufst du mich an? Ich war gerade bei der armen Witwe – ja, mach doch alles kaputt. Wir haben eine klare Abmachung – ich rufe an und nicht du! Womöglich spazierst du auch unbeschwert durch die Gegend, dämlich und leichtsinnig, wie du bist.“

„Wenn du dich regelmäßig melden würdest, wie wir es vereinbart haben, dann müsste ich dir nicht hinterhertelefonieren. Außerdem dauert mir das alles viel zu lange. Du bist zu lahm – ich unterstelle dir, dass du das Ende absichtlich hinauszögerst.“

„So ein Unsinn. Wenn wir nicht wollen, dass etwas von dem, was wir tun, auffällig wird, dann brauche ich Zeit, um alle Schritte sorgfältig in die Wege zu leiten. Ich muss für die eine oder andere Aktion auf günstige Gelegenheiten warten. Auf ein paar Wochen oder Monate kommt es nun wirklich nicht an, wenn am Schluss dein größter Wunsch tatsächlich in Erfüllung geht. Reiß dich zusammen, sonst machst du noch alles kaputt. Viel geschafft haben wir wirklich noch nicht. Du hast ja recht, aber lass uns kein unnötiges Risiko eingehen. Hab doch Geduld – sie wird sich am Ende lohnen. Und wenn ich nicht anrufe, dann liegt es ganz einfach nur daran, dass ich Stress habe. Und rate, warum ich Stress habe. Wegen deines Plans. Ich gehe ein ganz großes Risiko für dich ein. Wenn wir ertappt werden, bedeutet das auf jeden Fall das ganz klare Aus für mich – in jeder Hinsicht.“

„Also gut. Trotzdem – nicht trödeln. Das ist eine klare Ansage, Belinda! Du weißt, ich bin ungeduldig, denn ich muss schon so lange auf mein Recht warten. Außerdem wäre es fair von dir, wenn du nicht nur von meinem Plan sprechen würdest – du wirst ebenso davon profitieren. Wenn du ganz ehrlich bist, dann musst du zugeben, dass du mittlerweile ebenso von dem Gelingen des Plans abhängig bist wie ich auch.“

Endlich konnte sich Elena auf ihr Sofa fallen lassen und dem großen Moment entgegenfiebern. Wie würde Manuel auf ihre Bitte reagieren? Hoffentlich machte sie mit der Äußerung ihres Wunsches nichts kaputt, weil sie damit zu weit ging. Zur Not reichte ihr auch das, was sie momentan hatte – Manuel jeden Abend zu sehen. Aber die Sehnsucht, ihn berühren zu dürfen und richtig mit ihm zu sprechen, wurde immer größer. Sie konnte sich nur sehr schwer zähmen, um einfach nur brav auf dem Sofa sitzen zu bleiben. Sie kämpfte gegen unbeschreiblich starke magnetische Kräfte an. „Bald muss ich mich auf dem Sofa festbinden oder kleben, sonst schaffe ich es nicht mehr, dort sitzen zu bleiben“, kicherte sie vor sich hin.

Da, ja, da ist er. Alles wie immer: Winken, Küsschen schicken, lächeln, das böse Zeichen, sitzen zu bleiben. Inzwischen zweifelte Elena kein bisschen mehr an ihrem Verstand. Sie hatte Belindas Satz – „Vielleicht gibt es Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen wir nichts wissen“ – als einleuchtende Erklärung für dieses Phänomen akzeptiert. Sie erlaubte sich keine Zweifel mehr, sie wollte, dass alles genauso war, wie sie es jeden Abend mit ihren eigenen Augen vor sich sah.

Elena saß aufrecht und wie versteinert auf dem vorderen Teil der Sitzfläche. Total versunken in seinen Anblick, tastete sie verliebt sein Gesicht, seinen Körper, zuletzt auch seine Hände mit ihren Augen ab. Diese Hände, diese wunderschönen, sanften Hände. Wie oft hatten sie ihrem Körper gutgetan. Es gab keine Stelle an ihr, den diese Hände nicht erforscht hatten. Elena bekam Gänsehaut und eine Million Schmetterlinge im Bauch, die ruhelos, wild herumflatterten. Sie wollte noch einmal – nur noch ein einziges Mal – diese Hände auf ihrer Haut spüren, und zwar auf jedem einzelnen Millimeter. Egal in welcher Welt Manuel jetzt lebte, was für Mächte sie körperlich voneinander trennten – sie musste es schaffen.

Fast hätte Elena vor lauter Genuss und Freude an diesem wundervollen Anblick vergessen, ihr Schild hochzuhalten. Mit viel Mühe, Sorgfalt und roten Herzchen umrahmt hatte Elena Folgendes auf den Karton geschrieben: „Bitte lass mich dich durch die Scheibe einmal anfassen – einmal durch die Scheibe küssen, BITTE!“ Manuel sah sie entgeistert an und machte Anstalten zu gehen. Dann drehte sie das Schild ganz schnell um, denn genau mit der Reaktion hatte sie gerechnet. „Ich schwöre, dass ich mich sofort wieder hinsetze!“ Manuel schien zu überlegen – er schaute zum Himmel, als ob er von dort eine Antwort erwartete.

Mein Gott, dachte Elena. Vor drei Wochen noch hätte ich jeden, der an so etwas glaubt, für vollkommen verrückt erklärt. Jetzt tue ich es selber! Ich will es einfach glauben – nein, ich muss es glauben, denn ich kann es ja mit meinen eigenen Augen sehen.

Manuel drehte sich wieder ganz in ihre Richtung und machte einen Schritt auf die Scheibe zu. Dann gab er Elena ein Zeichen, zu ihm zu kommen. Ganz langsam, nahezu in Zeitlupe, stand sie auf und setzte sich in Bewegung. Sie tat es so behutsam, weil sie zum einen die Annäherung genießen wollte und Manuel zum anderen auf gar keinen Fall durch unbedachte Bewegungen verscheuchen durfte. Mit jedem Schritt, durch den sie der Scheibe näher kam, bekam sie weichere Knie, fürchterliche Hitzewallungen – sie glühte von innen heraus. Elena konnte mit Sicherheit behaupten, in ihrem ganzen Leben noch nie so aufgeregt gewesen zu sein. Nicht in ihrer ersten Nacht mit Manuel, nicht zu ihrer Hochzeit und auch nicht bei der Geburt ihrer Kinder – und das sollte etwas heißen. Sie war sich immer sicher gewesen, dass die Gefühle, die sie bei diesen drei Ereignissen empfunden hatte, niemals übertroffen werden konnten. Wahnsinn! Elena empfand im Moment so viel Glück und Dankbarkeit, dass sie zu weinen anfing.

Ihr Manuel stand ganz still da. Er sah sie verliebt und sehnsüchtig an. Genau so, wie er es immer getan und sie damit innerhalb von Sekunden in Wallung versetzt hatte. Als sie endlich vor der großen Scheibe stand, legte sie beide Hände vorsichtig auf die Glasflächen. Auch Manuel hob seine Hände und legte sie genau gegen ihre. So standen sie eine kleine Ewigkeit vollkommen bewegungslos da und schauten sich tief in die Augen.

„Ich liebe dich“, formten Elenas Lippen langsam diese Worte. Dann drückte sie ihre Lippen behutsam und zart an die Scheibe. Manuel tat es ihr gleich. Elena spürte die Wärme seiner Hände und die Hitze seiner Lippen durch die Scheibe. Es waren tausend kleine Blitze, die von Manuel kamen und in ihren Körper eindrangen. Ich will für immer hier stehen bleiben, dachte sie gerade, als Manuel sich mit einem unendlich traurigen Blick und einem verzweifelten Achselzucken langsam von der Scheibe löste.

„Nein, bitte nicht!“, hauchte Elena mit kaum hörbarer Stimme und einem tränenüberströmten Gesicht. „Nein, geh bitte nicht!“ Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. Manuel sah sie ernst und mahnend an. „Ja, ich habe es versprochen. Es ist nur so schwer!“, schrie sie hilflos aus voller Kehle. Manuel deutete auf das Sofa. Elena ließ die Hände von der Scheibe gleiten und machte sich rückwärts laufend auf den Weg zum Sofa. Keinen noch so kleinen Augenblick wollte sie sich nehmen lassen, Manuel aus der Nähe anzuschauen. Keine Millisekunde nahm sie den Blick von ihm. Die Augen brannten nach jedem Besuch fürchterlich, weil sie sich nicht erlaubte, normal zu zwinkern. Dieses Mal musste sie sich sehr anstrengen, vor lauter Tränen überhaupt noch etwas sehen zu können. Beim Sofa angekommen, setzte sie sich vorsichtig hin und Manuel fing sofort mit der Abschiedszeremonie an. Dann war er weg.

Elena brauchte sehr lange, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Sie betrachtete ihre Hände, in denen sie immer noch die Energie von Manuel spürte. Die Lippen brannten noch wie Feuer. Elena traute sich dann irgendwann, wieder aufzustehen und die Schiebetür zu öffnen. Voller Ehrfurcht trat sie an die Stelle, wo Manuel gestanden hatte, legte ihre Hände auf seine Abdrücke, die er auf der Scheibe hinterlassen hatte. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und führte den Mund an die Stelle, an der der seine sie durch die Scheibe geküsst hatte. Was für ein Gefühl, was für eine Elektrizität hier war. Und Wahnsinn – nein, sie bildete es sich nicht nur ein – es roch nach Manuels Parfüm. Ganz eindeutig – es war sein Geruch, sein geliebtes Fahrenheit.

Elena hätte im Nachhinein nicht sagen können, wie lange sie in dieser Haltung dagestanden hatte. Schreckliche Krämpfe in den Zehen beendeten schließlich das Verharren in der unbequemen Position. Viel schlimmer noch als die Schmerzen in den Füßen war die quälende Sehnsucht nach noch mehr Nähe zu Manuel. Elenas Wunsch, ihn richtig zu berühren, war durch das Ereignis noch intensiver und fordernder geworden. Das Verlangen war kaum noch auszuhalten und es verursachte körperliche Schmerzen. Der Gedanke, dass sie sich für morgen Abend wieder etwas Spezielles ausdenken musste, brachte ihr dann doch etwas Entspannung.

Phantombesuch

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