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Am nächsten Morgen dachte Elena mit großem Schrecken an ihre Schwiegereltern. Erst jetzt fielen ihr die beiden ein. Sie hatten ihren Sohn – ihr zweites Kind – durch einen Unfall verloren. Ich muss mit den Kindern zu ihnen fahren, dachte Elena und in ihr sträubte sich alles gegen diesen Gedanken. Natürlich hätten sie sich auch bei ihr melden können, aber dass sie es nicht taten, bestätigte ihr nur wieder aufs Neue, wie wenig sie ihnen als Schwiegertochter willkommen war. Sie hatten immer wieder zu verstehen gegeben, dass sie sich für ihren Manuel eine andere Frau gewünscht hätten. Sie liebten die Kinder – auf ihre Art. Es war nicht die herzliche, vertraute, körperlich enge Beziehung wie zwischen ihren Eltern und den beiden. Es war eher eine steife und distanzierte Angelegenheit, aber sie strengten sich an. Das zumindest hatte Manuel immer wieder behauptet. „Wir wären für das bisschen Interesse und Zuneigung schon sehr dankbar gewesen“, hatte er immer wieder gesagt.

Als Julia vom Bäcker zurückkam, bat Elena sie um ihre Begleitung für den bevorstehenden schweren Gang. Es war eine Autofahrt von ungefähr einer Stunde und das traute sie sich nicht zu. „Du wärst mir eine große Stütze, Julia“, erklärte Elena traurig.

Die Fahrt wurde sehr schweigsam – obwohl Julia sich sehr bemühte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Elena war abwesend und auch sehr angespannt. Der Besuch war ein Anstandsakt und keine Herzenssache. Sie ahnte, dass die beiden keinen Wert auf ihren Besuch legten, aber die Kinder würden ihnen bestimmt guttun. Der Verlust war für die beiden sicher unbeschreiblich groß, weil sie nun schon das zweite Kind durch einen Unfall verloren hatten. Manuels Schwester war vor vielen Jahren ebenfalls bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die näheren Umstände wurden Elena nie erläutert. Das Thema wurde einfach totgeschwiegen – auch von Manuel. Obwohl sie sich so vertraut waren und sich restlos alles erzählten, ihr Innerstes dem anderen gegenüber stets nach außen gekehrt hatten, war dieses Thema immer ein Tabu. Das fand Elena schon immer sehr komisch, aber irgendwann hatte sie es aufgegeben, das Thema anzusprechen – auch wenn es ihr immer wieder einen Stich versetzte, weil Manuel nicht mit ihr darüber reden wollte. Es wurde ein richtiges Geheimnis um die Sache gemacht – warum nur? Elena fühlte sich dadurch noch mehr aus der Familie ausgegrenzt – was sie durchaus schon gewohnt war. Dass Manuel sich jedoch an der Ausgrenzung beteiligte, machte sie sehr traurig. Für eine lange Zeit quälte sie auch die Neugierde und sie versuchte, von den gelegentlichen Gästen der Schraders Näheres zu den Umständen des Unfalls zu erfahren. Auch hier erhielt sie nur ausweichende Antworten und es wurde immer sofort das Thema gewechselt.

Als Julia das Auto geparkt hatte und aussteigen wollte, sah sie Elena an, wie schwer ihr dieser Gang fiel. Sie sah ängstlich zu der wunderschönen alten Villa mit dem parkähnlichen Garten. Julia war noch nie hier gewesen. Sie kannte das Anwesen nur aus Elenas Erzählungen. Aber es war noch schöner und beeindruckender, als sie es sich vorgestellt hatte.

Nachdem sie an der Haustür geklingelt hatten, öffnete eine sehr schöne Frau ihres Alters. Elena kannte sie nicht – sie war ihr im Hause Schrader noch nie begegnet.

„Sie sind Elena!“, sagte die Frau freundlich. Elena war so baff, dass sie überhaupt nicht reagierte. Die Frau schien aber auch keine Antwort zu erwarten, denn sie sagte gleich: „Kommen Sie bitte herein.“

Sie führte sie ins Wohnzimmer – nein, in den Salon. So wurde das Wohnzimmer in dieser Villa genannt und es wurde vor allem von der Hausherrin unglaublich viel Wert auf diese Bezeichnung gelegt. Damit hatte Elena Manuel immer aufgezogen. Die Schwiegereltern saßen aufrecht und korrekt in ihren Sesseln – so wie Elena es kannte. Frau Schrader tupfte sich die Augen trocken und setzte sich bei Elenas Anblick noch aufrechter hin. Julia schickte die Kinder mit der Bitte los, ihren Großeltern höflich guten Tag zu sagen. Renate und Ludwig streckten den beiden ihre Hände entgegen, die diese nur zaghaft entgegennahmen. Der Opa strich ihnen sogar kurz und unbeholfen über die Haare, was die Kinder für einen Moment erschreckte. Sie waren es nicht gewohnt, von Renate und Ludwig berührt zu werden. Dann war Elena an der Reihe. Sie reichten sich die Hände und Elena sprach ihr Beileid aus. Die alten Herrschaften hielten es selbstverständlich nicht für notwendig, Elena ebenfalls ihr Beileid kundzutun. Sie war nicht sonderlich überrascht, hatte es nicht einmal erwartet. Auch Julia erfüllte ihre Pflicht. Dann trat eine betretene Stille ein.

Elena und die Kinder standen hilflos und verloren mitten im Raum. Obwohl es sich wahrscheinlich nur um Sekunden gehandelt hatte, schien es Elena eine Ewigkeit zu dauern, bis die fremde Frau sie endlich bat, Platz zu nehmen, und höflich nachfragte, ob sie Kaffee oder Tee trinken mochten. Sie fragte auch bei den Kindern liebenswürdig nach, was sie gerne hätten. Frau Schrader bemerkte Elenas fragenden Blick, der auf die fremde Frau gerichtet war. Sie sagte es, wie Elena schien, mit Genuss: „Darf ich vorstellen: Frau von Baslingen – Belinda von Baslingen.“

Oh, dachte Elena, Manuels Ex, die Traumschwiegertochter. Warum war die denn hier? Es gab doch ihres Wissens keinen Kontakt mehr. Renate war auf jeden Fall übertrieben nett zu Belinda und diese war außerordentlich freundlich zu dem Besuch. Sie gab sich große Mühe, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Als ihr klar wurde, dass das unmöglich war, fragte sie Elena und Julia, ob sie vielleicht Lust hätten, sich mit ihr die Füße zu vertreten. Elena schaute sie erstaunt an und stimmte dann rasch und sehr erleichtert zu. Es war zwar etwas befremdlich, mit Manuels Ex spazieren zu gehen, aber es war auf jeden Fall besser, als den Schwiegereltern im Salon gegenüberzusitzen und mit jedem Wort und jeder Geste zu erkennen, wie wenig willkommen sie war.

Sie dachten nicht im Traum daran, sie nach ihrem Befinden zu fragen. Es wurde nur nüchtern über die Obduktion und die Untersuchung des Unfallhergangs gesprochen und natürlich wurde mit einer großen Selbstverständlichkeit bestimmt, dass Manuel im großen Familiengrab seine letzte Ruhestätte finden würde. Und auch sonst schien für die Beerdigung alles schon geplant zu sein. Nur der Termin konnte noch nicht festgelegt werden. Wahnsinn, wie nüchtern diese Menschen waren. Elena hatte es noch nicht geschafft, über diese Dinge nachzudenken – sie wollte es auch nicht. Und jetzt hatte sie kein Wörtchen mehr mitzureden.

Man sah den beiden den tiefen Schmerz sehr wohl an. Die Haut war grau, die Augen ganz trüb und ihre aufrechte Haltung sah sehr künstlich aus – es schien sie sehr viel Kraft und Anstrengung zu kosten, in dieser Pose zu verharren und die Contenance zu bewahren. Also erhob Elena sich mühsam und gab zu verstehen, dass sie das Angebot von Frau von Baslingen gerne annehmen würde. Auch wenn sie nicht die geringste Ahnung hatte, was sie mit ihr reden sollte, war das eindeutig das kleinere Übel. Auch die Kinder schossen sofort in die Höhe, aber Julia sagte blitzschnell, dass es Oma und Opa bestimmt guttun würde, wenn sie bei ihnen bleiben würden. „Die beiden sind so traurig. Wir sind bestimmt gleich wieder bei euch. Wir machen ja nur einen kleinen Spaziergang.“

Elena schnürte es den Hals zu – sie musste wegschauen, denn ihre Kinder, insbesondere Selina, schauten sie total verzweifelt an. Elena hatte nie den Eindruck gehabt, dass sie sich riesig freuten, wenn sie die Großeltern besuchten. Die Besuche schienen aber auch nicht in die Sparte der richtig schrecklichen Dinge in ihrem Leben zu gehören. Sie hatten sich bisher immer eher neutral verhalten. Aber heute empfand Elena eine deutliche Abwehr seitens der Kinder. Selina und Lois spürten die unangenehme Spannung und die feindselige Atmosphäre zwischen den Erwachsenen ganz deutlich. Selina auf jeden Fall. Sie war ein sehr sensibles, aber auch sehr harmoniebedürftiges Kind. Also blieb sie ohne weitere Diskussion vollkommen steif auf dem Sessel, der ihr zugewiesen wurde, sitzen.

„Es tut mir leid, Frau Schrader, es tut mir so unendlich leid. Es ist unglaublich, was Sie gerade durchmachen müssen. Es muss ein unerträglicher Schmerz für Sie sein und dann müssen Sie auch noch das unhöfliche Verhalten Ihrer Schwiegereltern erdulden. Ich würde Ihnen gerne zur Seite stehen, wann immer Sie mich brauchen.“

Elena sah Belinda überrascht an. „Danke, Frau von Baslingen.“

„Sagen Sie doch bitte Belinda zu mir. Frau von Baslingen hört sich so förmlich an und wir sind doch ungefähr gleich alt.“ Belinda reichte Elena und danach auch Julia die Hand, die ebenfalls ihren Vornamen nannte.

„Vielen Dank, Belinda. Ich hätte es kaum noch eine Minute länger in dem Salon ausgehalten“, wobei sie das Wort Salon sehr ironisch betonte. Das bereute sie aber sofort wieder, weil ihr einfiel, dass Belinda sicherlich auch einen Salon oder gar mehrere besaß.

„Das habe ich deutlich gespürt. Es war nicht zu übersehen, dass euer Verhältnis sehr angespannt ist. Fast möchte ich behaupten, dass es sich sogar richtig feindselig anfühlte. So kenne ich die beiden gar nicht.“

„Ich kenne sie leider nur so. Na ja, ich will ehrlich sein – manchmal haben sie sich auch etwas mehr angestrengt als heute. Hin und wieder sind sie über ihren hoch gebildeten, feudalen Schatten gesprungen und haben mich mit so etwas wie gekünstelter Freundlichkeit behandelt. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich nicht die Traumschwiegertochter bin. Das sind ja Sie – ich meine du. Das haben sie mir schon bei unserem ersten Treffen – keineswegs auf eine sensible Art und Weise – zu verstehen gegeben. Ich habe keine noblen Wurzeln, keinen beeindruckenden Stammbaum. Mein Bäumchen ist eher ein bescheidener Strauch – und dann ist er auch noch ein Flachwurzler.“

Belinda musste lächeln. „Entschuldige, Elena. Als ob es heutzutage darauf noch ankäme. Es gibt so viele verarmte Adlige, die mit ihrem Leben überhaupt nicht zurechtkommen. Es gibt mehr Versager und Nichtsnutze darunter als solche, die ihr Leben im Griff haben.“

„Na ja, es hätte ja vielleicht nicht einmal eine Adlige sein müssen, aber zumindest eine Studierte aus dem Kreise der oberen Zehntausend.“

„Allein die Tatsache, dass Manuel sich so in dich verliebt hat, dass er mit dir vor den Traualtar getreten ist, sagt mir, dass du echt in Ordnung – nein, noch mehr, dass du etwas sehr Besonderes sein musst. Du solltest wirklich keine Minderwertigkeitskomplexe haben, Elena, denn Manuel hat für dich ganz offensichtlich seine komplette Lebensplanung umgestoßen – und das soll schon etwas heißen. Das kannst du mir ruhig glauben.“

Die drei liefen ein paar Minuten schweigsam durch den wunderschönen Park zu dem kleinen See nebeneinander her. Diesen Park liebte Elena sehr und der kleine See war für sie eindeutig das Sahnehäubchen. Es war so friedlich und erholsam, hier zu laufen und am See zu sitzen – es fühlte sich für sie immer wie ein kleiner Urlaub an.

„Dass ausgerechnet du so nett zu mir bist, überrascht mich wirklich sehr.“

„Wieso sollte ich es denn nicht sein? Manuel und ich sind im Guten auseinandergegangen. Wir beide haben ziemlich gleichzeitig festgestellt, dass wir verschiedene Lebenskonzepte verfolgen und sich unsere Verliebtheit mit den Jahren auf ein Ich-mag-dich-sehr-Gefühl minimiert hatte. Also keine gute und schon gar keine ausreichende Basis für eine Ehe oder gar eine Familiengründung. Ich bin zwar sehr überrascht, dass Manuel doch Kinder in die Welt gesetzt hat – das war damals nicht Teil seiner Zukunftsvision –, aber du hast seine Gefühlswelt wohl ganz schön durcheinandergebracht. Du kannst also ganz beruhigt sein, Elena – ich war genauso für die Trennung wie Manuel. Ich war ihm viel zu oberflächlich. Ich wollte für seinen Geschmack zu viel Party und zu viel Urlaub. Das war schon während des Studiums nicht unbedingt sein bevorzugter Lebensstil, aber danach überhaupt nicht mehr. Ich bin ebenfalls Ärztin und arbeite auch in meinem Beruf. Nach dem Studium hatte ich mich für eine Privatklinik für Schönheitschirurgie entschieden, was Manuel unmöglich fand. Er wollte Leben retten, er wollte Menschen helfen – wirklich helfen. Wofür ich mich entschieden hatte, verachtete er zutiefst. Menschen die Nasen schön machen; Menschen, die sich nicht mäßigen können, das Fett absaugen; Tussen die Wunschbrüste formen, die die Natur ihnen verwehrt hat – für so was hätte er nicht studiert. Er hatte schon sehr lange geplant, in die Forschung zu gehen. Ja, es hörte sich damals für mich so an, als ob er nicht vorhätte, jemals eine feste Bindung einzugehen, weil er sich ganz und gar seiner Berufung widmen wollte. Du siehst also, Elena, welches Wunderwerk du vollbracht hast. Du hast ihn komplett bekehrt.“

„Nein, ganz so ist es nicht. Ich habe ihm nur immer jeden Freiraum gelassen, um seinen geliebten Beruf so auszuüben, wie er es geplant hatte. Er war nicht sehr oft zu Hause. Im Urlaub war er auch – zumindest zu fünfzig Prozent – in der Klinik und an Feiertagen und Wochenenden gehörte er uns ebenso selten ganz. Aber die Zeit, die wir zusammen verbringen“, Elena fing an zu schluchzen, „verbracht haben, war immer wunderbar und harmonisch gewesen.“ Elena konnte nicht mehr aufhören zu weinen und Julia gab Belinda zu verstehen, dass die Wirkung der Beruhigungstablette merklich nachlasse.

Auf der Heimfahrt, die sie recht bald nach einer sehr kühlen Verabschiedung – Belinda ausgenommen – antraten, konnte Elena nicht begreifen, dass sie sich mit der verhassten Ex von Manuel fast freundschaftlich unterhalten hatte und sich dabei nach anfänglich abwehrender Haltung auch noch recht wohl gefühlt hatte. Hatten diese Tabletten Schuld daran? „Die vernebeln einem doch das Gehirn komplett“, beschwerte sie sich bei Julia. „Aber ohne sie hätte ich diesen Besuch nicht überlebt – oder ich hätte mich ziemlich sicher sehr unangemessen verhalten“, heulte sie vor sich hin. „Verdammt, ich hab mit ihr wie mit einer Freundin gesprochen. Ich hab doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Ich hatte so eine Wut auf diese Frau, habe sie – unbekannterweise – richtig gehasst.“

„Du und gehasst? Das kannst du ja überhaupt nicht“, meinte Julia nachdenklich.

„Auf jeden Fall war ich immer sehr wütend auf sie, weil ich ihr die Schuld dafür gegeben habe, dass meine Schwiegereltern mit mir so unzufrieden waren. Und jetzt – sind wir doch einmal ganz ehrlich – kann ich es ganz gut verstehen. Sie ist eine Schönheit, sie hat studiert, sie hat ausgezeichnete Manieren, vollendete Umgangsformen und in ihrem Namen steht ein ‚von‘. Ja, und nicht zu vergessen, unglaublich reich ist sie bestimmt auch noch.“

„Ich glaube, du kannst mit dir ganz zufrieden und auf deine Arbeit sehr stolz sein, Elena. Das hat auch Manuel so gesehen. Du hast jahrelang sehr vielen Menschen geholfen und so manchem Hoffnungslosen mit deiner außergewöhnlich einfühlsamen Art in seiner größten Not Trost gespendet. Deine Patienten haben dich geliebt, weil du immer die richtigen Worte parat hattest. Erwähnenswert wäre da auf jeden Fall noch die Geduld, die du für deine Patienten – zum Teil auch sehr schwierige – stets aufgebracht hast. So mancher wollte am liebsten ausschließlich von dir betreut werden. Manuel hat dich dafür sehr bewundert und außerordentlich geschätzt. Das hat er mir höchstpersönlich zu Papas Geburtstagsfeier erzählt, also weiß ich es aus sicherster Quelle. Und was das Geld betrifft – davon hatte er doch selber zur Genüge. Also, Schwesterchen, besteht für dich nicht der geringste Anlass, Komplexe aufkommen zu lassen. Ganz im Gegenteil – keine außer dir hatte eine Chance bei Manuel – auch nicht eine blaublütige, steinreiche, wunderschöne Belinda. Mein Gott, Elena, überleg doch mal, welch große, ehrliche Liebe Manuel für dich empfunden haben muss – nachdem du Belinda jetzt kennengelernt hast. So solltest du denken.“

Julia hatte es mit ihrer Ansprache gut gemeint. Sie wollte Elenas Selbstbewusstsein stärken. Erreicht hatte sie damit jedoch nur, dass ihrer Schwester noch mehr bewusst wurde, was sie durch Manuels Tod verloren hatte. Eine große, ganz besondere Liebe. Elena weinte so sehr, dass Julia anhalten musste.

„Entschuldigung, Elena, es tut mir so leid. Ich habe nicht genug darüber nachgedacht, was ich rede. Wie dumm von mir.“

„Ist schon gut. Du hast es lieb gemeint. Es ging auch weniger um Manuels Meinung, sondern viel mehr um die seiner Eltern. Für die beiden war ich als Nachfolgerin von Belinda indiskutabel. Wahrscheinlich hätte es auch jede andere sehr schwer gehabt. Selbst eine Studierte wäre nicht gut genug gewesen, weil ihr ja immer noch der Adelstitel gefehlt hätte. Ich aber war für meine Schwiegereltern mit Sicherheit die allerunterste Schublade, die es überhaupt gibt. Meine Mutter ist Hausfrau, mein Vater übt einen minderwertigen Beruf aus – zumindest sieht meine Schwiegermutter das so – also zusammengefasst: ein sozial minderwertiges, niveauloses Zuhause. Ich selbst habe es auch nicht viel weiter gebracht – Realschulabschluss und eine Ausbildung zur Krankenschwester. Was soll daran bewundernswert sein?“

„Trotzdem – für mich war deine Arbeit viel wertvoller, als hängende Popos nach oben zu nähen.“

„Julia, es gibt doch in der Schönheitschirurgie nicht nur solche OPs. Es gibt so viele Menschen, die so sehr unter einem Makel leiden, dass sie psychisch krank werden. Oder Leute, die nach einem Unfall unter zurückgebliebenen Entstellungen unfassbar leiden müssen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich diese Menschen sind, wenn ihnen geholfen werden kann.“

„Also, ich muss ja schon ehrlich zugeben, dass ich mir ganz viel Mühe gegeben habe, Belinda unsympathisch zu finden. Es ist mir nicht gelungen, Elena!“

„Ja, du hast recht. Aber weißt du, was ich unterschwellig die ganze Zeit denken musste? Sie scheint nicht wirklich um Manuel zu trauern, oder?“

Phantombesuch

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