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4. Kapitel

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Durch einen Telefonanruf wurde ich fünf Jahre später kurz vor den Sommerferien wieder an das Schicksal von Hans Martens erinnert.

Mein Freund Erich Zabel war am Telefon.

Nachdem er sich nach meinem Befinden erkundigt hatte, teilte er mir mit, dass an seiner Schule zu Beginn des zweiten Schulhalbjahrs, also zum ersten Februar, die Position des stellvertretenden Schulleiter neu zu besetzen sei, da der Nachfolger von Hans Martens zum Schulleiter an einer Realschule in Datteln gewählt worden sei.

„Du bist der richtige Mann auf diesem Posten. Wir brauchen jemand, der sich etwas zutraut und der nicht kneift. Du kennst ja unseren cholerischen Chef. Mehr brauch ich dir nicht zu sagen! Das Beste ist, wir treffen uns bei mir und ich werde dir wichtige Infos geben. Wie wär`s mit Morgen Nachmittag gegen drei Uhr?“

Da ich ein neugieriger Mensch bin und da ich aufgrund einer Bewerbung um eine Schulleiterstelle in Hamm noch eine gültige Beurteilung besaß, stimmte ich nach kurzem Bedenken dem Treffen zu.

Durch meine Unterrichtsbesuche an der Bertolt-Brecht-Realschule wusste ich, dass dort nicht nur eine miese Stimmung herrschte, sondern dass fast alle Kollegen mehr oder minder Angst vor ihrem Chef hatten.

Warum wusste ich nicht genau.

Sein Name schien aber fast programmatisch zu sein:

Winfried Hartmann:

Wenig friedvoll, dafür aber hart und nicht herzlich.

Auf mich wirkte er immer unnahbar und als jemand, der immer voller Misstrauen die Welt betrachtete. Und an seine Schule sollte ich mich bewerben?

Mal abwarten, was Erich mir zu berichten hatte.


Am nächsten Tag fuhr ich mit gemischten Gefühlen zu Erich. Er kam auch sofort zur Sache.

„Wie du sicherlich selber weißt, herrscht an unserer Schule ein Klima der Angst und des Misstrauens. Hartmann schafft es immer wieder, dass wir Lehrer unter Druck gesetzt werden. Dazu hat er auch noch Unterstützung durch Münster. Uns Kollegen behandelt er, als seien wir seine Untertanen.“

„Wie, so schlimm ist die Situation? Habt ihr euch denn schon einmal an den Personalrat und an die zuständige Schulaufsicht gewandt?“

„Die für uns zuständige Regierungsschuldirektorin Frau Schirrmeister gibt ihm immer Recht und unterstützt ihn vorbehaltlos, wie er immer wieder in Konferenzen betont, in seiner Amtsführung.

Auch vom Personalrat ist wenig zu erwarten. Vielleicht hat es aber etwas damit zu tun, dass er in der Lehrergewerkschaft sehr aktiv ist und zudem für einen renommierten Verlag Vorlagen für schulrechtliche Formulare entwickelt. Außerdem hat er auch ein Buch mit dem Titel ‚Schulrecht einfach erklärt´ herausgegeben.“

„Das hört sich ja so an, als ob er Narrenfreiheit genießt?“

„Das kann man wohl so sagen. Du kannst dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen, was an unserer Schule los ist.

Ich will dir das einmal an zwei Beispielen deutlich machen:

Du kennst doch Frau Baumschulte.

Sie ist eine äußerst engagierte Kollegin, die kurz vor ihrer Pensionierung steht. Leider ist sie nierenkrank und muss deshalb häufig den Arzt aufsuchen.

Vor etwa drei Wochen musste sie dort morgens einmal wieder Urin abgeben.

Da sie in der zweiten Stunde eine Freistunde hatte, hat sie nutzte sie diese Gelegenheit, um den Arzt aufzusuchen. Sie hatte in der ersten großen Pause Aufsicht und weil sie sich nicht sicher war, ob sie diese auch pünktlich wahrnehmen könne, hat sie mit Frau Stein, die in der zweiten großen Pause Aufsicht gehabt hätte, die Aufsicht getauscht.

Jemand muss das Hartmann gesteckt haben. Jedenfalls als Frau Baumschulte wieder in der Schule erschien, hat er sie lautstark angeschrien, wie sie sich erdreisten könne, ohne seine Zustimmung die Aufsicht zu tauschen.“

„Das gibt`s doch nicht. Hat sich Frau Baumschulte denn nicht an Münster gewandt?“

„Du wirst es nicht glauben! Hartmann hat nach Münster geschrieben und den Vorfall offiziell gemeldet.“

„Münster hat hoffentlich reagiert und ihm mitgeteilt, dass er sie mit solchen Lappalien zufriedenlassen solle.“

„Im Gegenteil. Bei der nächsten Lehrerkonferenz hat Hartmann den Kollegen erklärt, dass das Tauschen von Aufsichten nur mit seiner Zustimmung erfolgen dürfe. Frau Schirrmeister habe ihm voll Recht gegeben und ihn in seiner Amtsführung unterstützt.

Hier siehst du wieder einmal, was wir von Münster zu erwarten haben.“

„Da bin ich aber geplättet! Wo leben wir denn? Das Zeitalter des Absolutismus ist doch schon lange Vergangenheit! Hartmann ist doch kein Sonnenkönig!“

„Scheinbar doch, wie die zweite Geschichte, die noch viel härter als die Sache mit Frau Baumschulte ist, beweist.“

„Noch härter? Da bin ich aber mal gespannt!“

„Vielleicht erinnerst du dich noch an die Schlagzeilen, die unsere Schule im letzten Jahr kurz vor den Sommerferien betrafen. Sogar der Ruhrgebietsexpress berichtete über die Vorgänge an unserer Schule. Dicke Überschrift „Schulleiter schlägt wehrlose Schülerin!“ Auch hier verlief die Angelegenheit im Sande und das, obwohl er einer Schülerin eine Ohrfeige versetzte.“

„Bitte?! Habe ich das richtig verstanden. Gegen ihn ist nichts unternommen worden? Ich kann mich an diesen Vorgang nur noch dunkel erinnern. Hat nicht sogar der Express darüber ausführlich und mit einer dicken Schlagzeile berichtet?“

„Bei euch an der Schule ist es doch sicherlich auch üblich, dass die Schüler der Entlassklassen an ihrem letzten Schultag eine Polonaise durch die Schule machen, um sich von den anderen Schülern zu verabschieden.

Hartmann hatte von seinem Spezi Franz Pape davon erfahren und die Klassenlehrer der 10er Klassen daraufhin zu sich bestellt und ihnen erklärt, dass er ein solches Tun nicht hinnehme. An diesem Tag müssten sie dafür sorgen, dass normaler Unterricht stattzufinden habe. Eine Polonaise durch die Schule sei unvereinbar mit dem Schulgesetz. Diese sähe ausdrücklich vor, dass nur aus schwerwiegenden Gründen Unterricht entfallen dürfe.

Du kennst doch auch Schüler. Welcher Entlassschüler hält sich an seinem letzten Schultag an das Schulgesetz.

Jedenfalls sind die Schüler trotz des Verbots friedlich durch die Schule gezogen.

Als Hartmann davon Wind bekam, ist er zornentbrannt in den Haupttrakt geeilt und hat die Schüler zur Rede gestellt:

„Wer hat euch das erlaubt? Ich habe hier Hausrecht und fordere euch hiermit auf, unverzüglich euren Unterricht aufzunehmen!“

Die Klassensprecherin der 10a Melanie Bauer versuchte noch mit ihm zu diskutieren. Hartmann jedoch geriet darüber so in Rage, dass eine Schülerin es wagte, ihm zu widersprechen, dass er ihr eine schallende Ohrfeige gab. Etliche Schüler waren Zeugen dieses Vorfalls.“

„Was haben die Eltern dieser Schülerin unternommen?“

„Nichts!! Hartmann muss irgendeinen Deal mit ihnen ausgehandelt haben. Jedenfalls haben sie offiziell ihrer Tochter Mitschuld an diesem Vorfall gegeben und außerdem wurde so getan als habe er sie nur am Weitergehen durch das Gebäude hindern wollen und dabei sei er unglücklicher Weise mit der Hand ans Gesicht gelangt.

Übrigens: Die Schüler haben nach der Ohrfeigenaffäre Courage gezeigt.

Als Hartman seine berühmt berüchtigte Abschlussrede hielt, sind etliche aufgestanden und haben die Aula verlassen. Erst als sie beendet war, sind sie wieder hineingegangen. Ich konnte die Schüler gut verstehen.

Hartmann saß während des Rests der Veranstaltung mit versteinerter Miene da. Das Austeilen der Zeugnisse hat er dann seinem Stellvertreter überlassen.

Frau Otto hat dann noch mitbekommen, dass er anschließend in seinem Büro einen Tobsuchtsanfall bekommen hat.

Nach einigen Tagen schien dieser Vorgang auch in Vergessenheit zu geraten.

Damit ist aber diese Geschichte noch nicht zu Ende.

Hartmann hat sich sofort an Münster gewandt.

Er hat, was mir heute noch unbegreiflich ist, offiziell eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Klassenlehrer der Klasse 10a Herrn Bücker und gegen die Klassenlehrerin der Klasse 10b Frau Waltenbauer eingereicht wegen Verletzung ihrer Dienstpflicht. Begründet hat er es damit, dass sie die Polonaise geduldet hätten und nicht eingeschritten seien. Zudem seien sie ihrer Unterrichtspflicht nicht nachgekommen. Er habe ausdrücklich angeordnet, dass an diesem Tag Klassenlehrerunterricht zu erteilen sei!“

„Und was ist daraus geworden?“

„Die beiden Kollegen wurden zur Stellungnahme aufgefordert und erhielten von Münster eine Rüge wegen ihres Verhaltens. Begründung: Sie hätten sich nicht an die Dienstanweisungen ihres Schulleiters gehalten und zudem seien sie ihrer Unterrichtsverpflichtung nicht nachgekommen. Welch ein Blödsinn!

Die beiden Kollegen haben das natürlich nicht auf sich sitzen lassen und sich in dieser Angelegenheit an den Lehrerrat gewandt mit der Bitte, sie in dieser Angelegenheit zu unterstützen. Wie du vielleicht weißt, war ich zu dieser Zeit Vorsitzender des Lehrerrats. Wir waren unheimlich sauer auf Münster, zumal Hartmann wieder einmal nicht wegen seines Verhaltens zur Verantwortung gezogen wurde.

Nach reiflicher Überlegung haben wir beschlossen, einen Brief nach Münster zu schreiben, in dem wir unsere Sicht der Dinge darlegen wollten.

Nach Fertigstellung haben wir den Kollegen, von denen wir wussten, dass sie auch das Vorgehen von Hartmann missbilligen würden, diesen Brief zu lesen gegeben und um ihr Einverständnis gebeten, diesen Brief nach Münster zu schicken.

Alle Kollegen, die den Brief zur Kenntnis genommen hatten, waren damit einverstanden.

Nur den Kollegen, von denen wir wussten, dass sie Hartmann nahe stehen, haben wir den Brief verständlicher Weise vorenthalten.

Da aber meine Kollegen und Kolleginnen Repressalien von Seiten Hartmanns befürchteten, haben wir als Lehrerrat den Brief nach Münster weitergeleitet. Gleichzeitig haben wir aber auch darauf hingewiesen, dass die Mehrheit des Kollegiums den Inhalt des Briefs mittrage.

Das war ein Fehler. Einige Tage später wurden die Vertreter des Lehrerrats in Hartmanns Büro gebeten. Dort eröffnete er uns, dass Frau Schirrmeister ihm eröffnet habe, dass gegen ihn ein Kesseltreiben im Gang sei und dass Kollegen seiner Schule hinter seinem Rücken ihn denunziert hätten.

Ein solches Tun sei nicht hinnehmbar, da dadurch die Amtsführung des Schulleiters in unerträglichem Maße beeinträchtigt würde.

Zugleich wurde uns erklärt, dass die Dezernentin zur nächsten Lehrerkonferenz erscheinen würde, um ihn in seiner Amtsführung aktiv zu unterstützen.

Außerdem würde er jeden einzelnen Kollegen dahingehend befragen, ob er an der Verfassung des Briefes mitgewirkt habe.

Dazu habe er eine Liste erstellt, in der wir per Unterschrift eine entsprechende Erklärung abzuzeichnen hätten.

Du kannst dir sicherlich unsere Reaktion vorstellen. Wir haben uns strikt geweigert, eine solche Erklärung abzugeben.

Zehn Tage später fand dann die Lehrerkonferenz statt. Hartmann saß mit hochrotem Kopf uns gegenüber. Neben ihm saß mit eisiger Miene stocksteif unsere Dezernentin.

Nach kurzer Begrüßung gab Hartmann das Wort weiter an Frau Schirrmeister.

Ohne lange Umschweife kam sie sofort zur Sache und erklärte uns, dass unser Verhalten rechtswidrig sei. Es sei zwar durchaus erlaubt, am Schulleiter Kritik zu üben.

Dieses dürfe jedoch nicht in anonymisierter Form erfolgen. Außerdem seien unsere Vorwürfe unhaltbar und ehrabschneidend. Herr Hartmann habe in seiner Eigenschaft als Leiter dieser Lehranstalt das Notwendige veranlasst, damit an dem besagten Tag Unterricht stattfinden könne.

Teile des Kollegiums hätten jedoch ihm die notwendige Unterstützung versagt, so dass es deshalb zu einer Eskalation geführt habe. Die Handlung des Schulleiters sei eine Reflexhandlung gewesen und aus der Erregung erklärbar.

Dies sähen auch die Eltern der Schülerin so. Sie hätten sich sogar für das Verhalten ihrer Tochter entschuldigt.“

Jetzt war ich sprachlos. Dass Frau Schirrmeister sehr unangenehm werden konnte, hatte ich selber bei einer 2. Staatsprüfung erfahren dürfen. Das hier Gehörte war aber für mich absolut nicht mehr nachvollziehbar.

Die Kollegen wurden hier eiskalt abgekanzelt nach dem Motto, der Schulleiter hat immer Recht, egal was passiert.

„Und was hat mein Vorgänger Herr Kruse in dieser Situation getan?“

„Nichts! Er hat nach dem Motto gehandelt ‚Augen zu und durch‘ und ‚Nach mir die Sintflut‘.

In Konfliktsituationen hat er immer nur laviert. Er wollte Karriere machen und da legt man sich nicht mit Hartmann oder Schirrmeister an!

Deshalb waren wir nicht unfroh, als Kruse uns am Ende des letzten Schuljahres verließ.

Im Gegenteil – ein Verbündeter für Hartmann weniger. So gibt es Gott sei Dank nur zwei oder drei Kollegen, die auf seiner Seite stehen.

Wie sehr er auf Hartmanns Seite stand, kannst du schon daran sehen, dass er und nicht Hartmann bei Kollegen, mit denen Hartmann Stress hatte, negative Beurteilungen für Münster angefertigt hat.“

Das konnte ja alles nicht wahr sein. Wir lebten doch nicht mehr im Mittelalter.


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