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1.2 Metaphysik als Begriffsanalyse

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Nun hatte ich Ihnen gesagt, dass die Metaphysik ihrer Methode nach der Mathematik verwandter ist als der Physik. Die Mathematik kann man ja betreiben, indem man die Augen schließt und zum Beispiel über den Begriff des Dreiecks oder den Begriff der Primzahlen nachdenkt. Und diesen Begriff analysiert. Die Methode der Mathematik ist von daher Begriffsanalyse. Die Metaphysik geht ebenso mit Begriffsanalyse vor. Nur dass die Begriffe, die sie analysiert, andere sind als die mathematischen. Die Metaphysik wird Begriffe analysieren wie zum Beispiel Freiheit, Seele, Substanz oder Möglichkeit.

Ich will Ihnen das an einem kleinen Beispiel verdeutlichen. Nämlich an dem Argument des René Descartes für die Nichtidentität von Körper und Geist. Oder an einem Argument im Geiste des Descartes. Es steht nicht ganz genauso bei Descartes, aber in ähnlicher Form. Das Argument läuft folgendermaßen: Es ist widerspruchsfrei denkbar, dass ich nur mit der Eigenschaft „ist-denkend“ existiere, aber ohne die Eigenschaft „ist-ausgedehnt“. Das heißt, spekuliert Descartes: Ich könnte mich darüber täuschen, dass mein Körper existiert. Nehmen wir an wie in dem Film Matrix, dass mir die ganze Außenwelt nur vorgespiegelt wird von einem bösen Geist, von einer bösen Maschine, dann habe ich vielleicht gar keinen Körper. Worüber ich mich aber nicht täuschen kann, ist, dass ich denke. Denn selbst wenn ich mich täusche oder wenn ich darüber nachdenke, ob ich mich täusche, bin ich immer am Denken. Deshalb: Das eine, worüber man sich letztlich nicht täuschen kann, ist, dass man denkt. Es ist also widerspruchsfrei denkbar, dass ich existiere nur mit der Eigenschaft „ist-denkend“, ohne aber die Eigenschaft ist-ausgedehnt zu haben. Oder mit anderen Worten: Meine körperlose Existenz ist kein logischer Widerspruch.

Der nächste Schritt in dem Argument ist, wenn ich mich ohne die Eigenschaft „ist-ausgedehnt“ denken kann, dann kommt mir diese Eigenschaft nicht wesentlich, das heißt nicht notwendig zu. Wenn ich mir denken kann, ich könnte auch ein reiner Geist sein, der sich die Wirklichkeit nur träumt, die materielle Wirklichkeit, die räumliche Wirklichkeit nur vorstellt. Wenn ich mir das vorstellen kann, dann kommt mir diese Eigenschaft „ist-ausgedehnt“ eben nicht notwendig zu.

Der dritte Schritt des Arguments ist der Folgende: Allen physischen Körpern kommt aber die Eigenschaft „istausgedehnt“ wesentlich zu. Also physische Körper sind notwendig im Raum ausgedehnt. Daraus ergibt sich Folgendes: Mir kommt die Eigenschaft „ist-ausgedehnt“ nicht notwendig zu, physischen Körpern kommt die Eigenschaft „ist-ausgedehnt“ notwendig zu. Also, schließt Descartes: Ich bin nicht mein Körper, denn mir kommen andere Eigenschaften notwendig zu als meinem Körper. Leib und Seele sind nicht identisch.

Das ist in ganz kurzer Form ein Argument in kartesischer Tradition für die Nichtidentität von Körper und Geist, und es ist ein typisches Beispiel für metaphysisches Denken. Es läuft eigentlich in einem Dreischritt ab. Diesen Dreischritt nenne ich epistemisch, modal, ontologisch. Von der Vorstellbarkeit zur Möglichkeit zur Seinsaussage. Das sind die drei fundamentalen Schritte in diesem Argument, die typisch sind für ein Argument in der Metaphysik. Ich kann mir vorstellen, es ist widerspruchsfrei denkbar, dass ich ohne einen Körper existiere. Das ist Vorstellbarkeit. Dann kommt mir die Eigenschaft „ist-ausgedehnt“ nicht notwendig zu. Das ist die Ebene der Modalität – Notwendigkeit und Möglichkeit. Körpern, physischen Körpern kommt diese Eigenschaft „ist-ausgedehnt“ aber notwendig zu.

Jetzt kommt der dritte Schritt: Also folgt, ich bin nicht identisch mit meinem Körper. Das ist der dritte Schritt, eine ontologische oder metaphysische Konsequenz über die Natur von etwas in dieser Welt, nämlich ich als Person bin nicht identisch mit meinem Körper. Also epistemisch, modal, ontologisch, in diesem Dreischritt vollzieht hier Descartes ein Argument, um zu zeigen, dass die Person als, wie er es nennt, res cogitans, als denkendes Wesen, nicht identisch ist mit dem Gehirn oder dem Körper, der in Raum und Zeit existiert.

Eine solche begriffliche Analyse ist natürlich nicht aus der Erfahrung gewonnen, ähnlich wie die Mathematik, sondern a priori. Das Verständnis eines Begriffes verleiht uns die Fähigkeit, diesen Begriff sozusagen durch verschiedene Möglichkeiten, wie die Philosophen sagen durch verschiedene mögliche Welten, zu verfolgen, um zu sehen, wie er sich dort verhält. Und wenn er sich in allen möglichen Welten auf bestimmte Weise verhält, dann kommt ihm diese Eigenschaft notwendig zu. Man könnte sagen, dass diese Art des Denkens, diese Gedankenexperimente für den Metaphysiker das sind, was für den Naturwissenschaftler die Experimente sind, die er in seinem Labor unternimmt. Dieser Dreischritt, den ich Ihnen vorgestellt habe, ist ein Gedankenexperiment. Damit testet der Metaphysiker, die Metaphysikerin ihre Ideen. Auf der Suche nach Widersprüchen, wie weit reicht mein Denken.

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