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1.3 Das Verhältnis zur Naturwissenschaft

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Ein weiterer wichtiger und im Folgenden immer wichtiger werdender Punkt ist allerdings, dass der Übergang von Naturwissenschaft und Metaphysik nicht strikt ist. Nehmen Sie eine oder die grundlegendste Theorie der Naturwissenschaft, über die wir überhaupt verfügen: die Quantenmechanik. Es gibt mindestens drei große Interpretationen der Paradoxien der Quantenmechanik. Darauf brauchen wir hier nicht eingehen, es gibt eigene Vorlesungen darüber (siehe uni-auditorium / Prof. Harald Lesch).

Aber die Weltsicht, die sich aus den empirischen Ergebnissen und dem formalen mathematischen Formalismus der Quantenmechanik ergibt, ist zumindestens dreigestaltig. Die klassische und verbreitete Interpretation ist, dass der Beobachter mittels seines Geistes aus der Vielzahl der Möglichkeiten, die die fundamentalen Gleichungen der Quantenmechanik vorsehen, eine auswählt, sozusagen als Kollaps. Der Kollaps des Wellenpaketes passiert dadurch, dass jemand hinschaut. Vorher sind viele Möglichkeiten der Welt überlagert. Erst durch das Hinschauen wird eine als real ausgewählt. Das ist überraschend. Einstein hat gesagt, mein Bett springt doch nicht in eine bestimmte Position, wenn ich es anschaue. Und deshalb haben andere Interpreten der Quantenmechanik völlig andere Versuche unternommen. Zum Beispiel der Physiker David Bohm hat gesagt, nein, ich muss eine neue, ganz neue Art von Entitäten einführen, nämlich nichtmaterielle Informationsfelder, und diese informieren die Partikel, Elektronen, über ihre Position im Gesamt des Universums. Und weil die Elektronen über Informationswellen, über ihre Position im gesamten informiert werden, deshalb haben sie diese eigentümlichen Eigenschaften, die die Quantenmechanik entdeckt und die die klassische Mechanik nicht erklären kann.

Eine dritte Interpretation der Quantenmechanik sagt, dass sich zu jedem Zeitpunkt die Welt in viele Parallelwelten aufspaltet und alle Möglichkeiten, die die grundlegenden Gleichungen der Quantenmechanik erlauben, werden in Parallelwelten realisiert. Wenn wir uns also die Frage stellen, warum ist das real geworden, was ich gerade in dieser Welt erlebe unter all den Möglichkeiten, die von der Quantenmechanik her möglich gewesen wären, sagt dieser, man nennt sie die viele-Welten-Theoretiker. Da ist gar nichts Erstaunliches dabei, dass gerade diese Möglichkeit real geworden ist, denn alle anderen Möglichkeiten sind auch real geworden, nur in Parallel-Universen, in anderen Welten. Sie sehen schon, diese drei Interpretationen der Quantenmechanik implizieren ein völlig verschiedenes Weltbild, wenn Sie so wollen. Im einen ist es der Geist des Beobachters, der auswählt. Im zweiten Fall haben wir eine neue nichtmaterialistische Sicht der Welt, in der es geistige Informationsfelder gibt, die die Teilchen auf ihrem Weg steuern. Und im dritten haben wir plötzlich ganz viele Parallel-Universen, um die Probleme der Quantenmechanik, die Paradoxien der Quantenmechanik, aufzulösen. Das frappierende ist nun, dass jede dieser drei Theorien mit den empirischen Daten und dem mathematischen Formalismus der Quantenmechanik völlig verträglich ist. Welche der drei Theorien nun ein Physiker für die richtige Interpretation der Quantenmechanik hält, ist kein rein naturwissenschaftliches Problem. Es ist eine Interpretation der empirischen Daten auf einer allgemeinen begrifflichen Ebene. Und der eine wird, wenn er zum Beispiel Freiheit betonen will und Spontanität, vielleicht eher zu der ersten Interpretation, wo der Geist des Beobachters so eine Rolle spielt und die Welt indeterministisch ist, mehr auf solch eine Position Wert legen, ein anderer, der eher deterministisch denkt, wird vielleicht eher an all diese Parallel-Universen denken. Wie wir die Quantenmechanik interpretieren, ist keine rein naturwissenschaftliche Frage mehr, sondern wir sind hier bereits in die Metaphysik langsam, vorsichtig jedenfalls hinübergestiegen. Wir machen eine ganz allgemeine begriffliche Interpretation der Wirklichkeit, die weit über das hinausgeht, was uns empirisch und sinnlich gegeben ist.

Also meine These: Der Übergang von Naturwissenschaft zur Ontologie oder Metaphysik ist fließend. Die zentralen Probleme der Metaphysik sind aber noch mal allgemeiner und begrifflicher als die eben vorgestellte Interpretation der Quantenmechanik.

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