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1.5 Kompetenzerreichung, Performanz und Grenzen der Prüfbarkeit

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Kompetenzen sind Potenziale oder Dispositionen einer Person, Aufgabenstellungen und Situationen zu bewältigen (siehe Abschnitt 1.1). Sie sind nicht direkt beobachtbar. Diese Voraussetzung stellt eine Grundproblematik beim Prüfen und Beurteilen dar. Da Kompetenzen unmittelbar mit Handlungen verbunden sind, können sie über das Handeln (Handlungskompetenz) sichtbar gemacht werden (vgl. Kaufhold 2006). Allerdings muss das in Prüfungen gezeigte Verhalten nicht unbedingt den Verhaltensmöglichkeiten entsprechen. Salopp gesagt: «Die geprüfte Person könnte mehr!» Oder andersherum: «Das in der Prüfung Gezeigte liegt zufälligerweise über den eigentlichen Verhältnissen.» Auch hier salopp: «Die geprüfte Person kann ihr Können nicht unter Beweis stellen oder stellt mehr unter Beweis, als sie eigentlich beherrscht.» Dies kann mit der Prüfungsanlage, mit der aktuellen Leistungsfähigkeit der Kandidatin oder des Kandidaten (Tagesform) oder mit zufälligen Einflussfaktoren zusammenhängen.

Performanz bezeichnet das Verhalten in einer Situation und ist direkt beobachtbar. Kompetenz hingegen lässt sich nicht einfach beobachten; sie liegt jedoch der Performanz zugrunde (vgl. Walzik 2012). Das lässt sich mit dem Bild eines Eisbergs vergleichen (siehe Abbildung 4). Die Spitze des Eisbergs über der Wasseroberfläche ist beobachtbar (Performanz). Der Teil des Eisbergs im Wasser bleibt dem Auge verborgen (Kompetenz).

Abbildung 4:

Eisbergmodell (vgl. Walzik 2012, S. 23, angepasste Darstellung)

Deshalb ist es problematisch, von der Performanz auf die Kompetenz zu schließen. Walzik (2012) gibt dazu ein anschauliches Beispiel. Wenn jemand auf die Frage «Was gibt 2 x 3 + 1?» mit «7» antwortet, wissen wir nicht, ob die Person auch tatsächlich die Regel Punktrechnung vor Strichrechnung angewendet hat oder einfach von links nach rechts gerechnet hat. Fragen wir aber «Was gibt 1 + 2 x 3?» und erhalten die Antwort «7», so bekommen wir einen Hinweis darauf, dass die Regel Punktrechnung vor Strichrechnung eingehalten wurde.

Euler (2011) formuliert die These, dass kompetenzorientierte Prüfungen ein Ideal darstellen, dem man sich annähern, aber welches man nicht vollständig erreichen kann. Dies hängt einerseits mit der Komplexität von Kompetenzen und andererseits mit prüfungsökonomischen Gründen zusammen. Die begrenzte Zeit für Prüfungen und deren Beurteilung sowie die eingeschränkte Kapazität von Prüfungspersonal setzen Grenzen. So ist die «perfekte» handlungskompetenzorientierte Prüfung eine hilfreiche Vision für die Weiterentwicklung von Prüfungstheorie und -praxis. Dieser können wir uns annähern, sie aber nur in wenigen Fällen vollständig erreichen.

Eine weitere Einschränkung in der Beurteilung von Kompetenzen ist die Möglichkeit, praxisnahe Situationen zu schaffen. Dies stellt in vielen Bereichen keine große Schwierigkeit dar oder lässt sich häufig gut simulieren. Es gibt aber Kompetenzen und insbesondere die Kompetenzdimension «Wollen», die schwierig zu simulieren und zu überprüfen sind. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob ein Fachangestellter Gesundheit mit einer dementen Patientin allein in einer realen Pflegesituation konfrontiert ist und seine Kompetenz beweisen muss oder ob er die Pflegehandlung an einer Kollegin oder Schauspielerin vor Prüfungsexperten vollziehen soll.

Handlungskompetenzen prüfen (E-Book)

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